SOLIKON2015-Der PRAXISKONGRESS

Alternativen sind eine Form von Widerstand

Der Countdown läuft: Nur noch vier Monate bis zum Startschuss des SOLIKON2015, des Kongresses Solidarische Ökonomie und Transformation, der vom 5. - 13. September an der Technischen Universität in Berlin Charlottenburg stattfinden wird. Die CONTRASTE ist Medienkooperationspartner. Dem Kongress voraus geht die WANDELWOCHE: Vom 5. bis 9.September können Kongressteilnehmende und Interessierte alternative Unternehmen, SoLaWi-Höfe (solidarische Landwirtschaft), Initiativen und Projekte in Berlin und Brandenburg besuchen. Sie bekommen so einen Einblick in den bereits stattfindenden und funktionierenden gesellschaftlichen Wandel. Vorab hat Dana Berg für CONTRASTE vier OrganisatorInnen des SOLIKON2015 interviewt: Die Gründerin des Forums Solidarische Ökonomie, Dagmar Embshoff, die Lateinamerika-Soziologin Clarita Müller-Plantenberg, die aus Italien stammende Politologin und Attac-Aktivistin Giuliana Giorgi und schließlich den Prignitzer Biobauern Frank Wesemann, der auf seinem Ökohof Waldgarten in der Prignitz, etwa eine Stunde von Berlin entfernt, SoLaWi praktiziert. Auf dem Kongress werden circa 1000 nationale und internationale Teilnehmer erwartet. Der SOLIKON2015 will Theorie und Praxis der SÖ vereinen und die vielen Initiativen besser vernetzen, um damit eine zukunftsfähige gesellschaftliche Transformation voranzutreiben.

Interview mit Clarita Müller-Plantenberg

Foto: Privat
Clarita Müller-Plantenberg

 

Wir müssen vom globalen Süden lernen

Clarita Müller-Plantenberg ist Lateinamerika-Soziologin und darüber hinaus eine echte Frau der Praxis der Solidarischen Ökonomie. Sie hat Jahrzehnte in Lateinamerika geforscht und zahlreiche Initiativen vorangetrieben. Clarita Müller-Plantenberg hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das reiche Wissen des globalen Südens in die ganze Welt zu tragen.

Was ist für Dich das Besondere an diesem Kongress?

Der Kongress ist dafür da, eine breitere Öffentlichkeit für das Thema solidarische Ökonomie zu gewinnen. Das kann nur ein gemeinsamer Prozess sein, deshalb ist es spannend, wenn man andere Menschen sieht und hört, die von ihrer anderen Praxis berichten, wie anders produziert, verkauft und konsumiert wird. Damit öffnet sich der Blick darauf, wie Arbeit und Politik hierarchiefrei organisiert werden können. Die solidarische Ökonomie kann eine Strategie gegen soziale Ausgrenzung sein. Die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse darf man nicht für gegeben und notwendig halten, sondern es geht um die Alternative, ein erfülltes Leben zu ermöglichen. Der Norden und der globale Süden müssen voneinander lernen, weil einige Länder weiter sind, als wir hierzulande.

Inwiefern können wir aus dem globalen Süden lernen?

Das Lernen aus dem globalen Süden ist für uns enorm wichtig, weil sie zum Einen früher konfrontiert waren mit neoliberaler Politik und zum Anderen, weil im globalen Süden der Kapitalismus nicht überall voll durchgeschlagen hatte. Deshalb existierten die Überreste nichtkapitalistischer Formen von Produktion und Konsum und Naturverhältnissen noch. Wir gehen besonders auf Brasilien ein. Aber auch auf Asien und Afrika. Wir können dort sehr wichtige Anregungen bekommen auch und gerade im Hinblick auf den Mut angesichts eines extremen Elends. Es geht darum neue Wege zu wagen, neue Institutionen zu gründen, komplexe Organisationsformen aufzubauen, Existierendes in Frage zu stellen, Solidarität wirklich bewusst auch zur Rettung von Leben einzusetzen. Es soll um den Aufbau einer Bewegung für die Solidarische Ökonomie gehen. Überall in Lateinamerika bilden sich Foren heraus, in denen sich die Unternehmen, ihre Unterstützer und staatliche Stellen regelmäßig trafen. Es bildeten sich schließlich auch Politiken heraus, um ganz gezielt Solidarische Ökonomie von Seiten der Stadtverwaltung oder auch bundesstaatlichen Regierungen zu fördern. Solidarische Ökonomie ist auch für die Kommunen von Interesse, denn sie bringt Inklusion durch die Unterstützung bei der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen, durch die Herausbildung lokaler Ökonomien und der Herausbildung von Netzen und Ketten. Die Kriminalität verliert so ihren Nährboden und die Kommunen erkennen zunehmend ihre Vorteile. Neben den Foren organisierten sie auch Ausbildungsprojekte und Unterstützungsprojekte. Davon versuchen wir zu lernen und deshalb haben wir auch den Staatssekretär für Solidarische Ökonomie Paul Singer und Mitglieder des Forums für Solidarische Ökonomie FBES aus Brasilien eingeladen, die den Aufbau Solidarischer Ökonomie jetzt schon 12 Jahre in Kooperation praktizieren.

Wie kann man die Ideen der Solidarischen Ökonomie weiter umsetzen?

Wir brauchen UTOPIEN, die wir verfolgen können, weil das, was am sichersten scheint, am unsichersten ist. Wir laufen in eine Sackgasse hinein. Dieser Kongress soll zeigen, dass eine dauerhafte solidarische Vernetzung in den eigenen Bezirken, Kommunen, Landkreisen und Bundesländern gemeinsame Strategien ermöglichen kann. Regionale Foren der solidarischen Initiativen und Wirtschaftsunternehmen mit den Unterstützern der solidarischen Ökonomie und sogar mit seinen Gebietskörperschaften müssen entstehen. Es braucht eine ständige Kommunikation der notwendigen Schritte für die Agrarwende und für die Energiewende, damit lebensfeindliche Risikotechnologien gemeinsam geächtet werden. Das ist der Kern der Sache und das ist nicht nur eine Nische, sondern eine ökonomische, eine politische und vor allem eine gesellschaftliche Strategie. Die Wirtschaft wird wieder eingebettet in die Gesellschaft, da sie wieder demokratisch von der Gesellschaft kontrolliert wird. Das wird nicht automatisch passieren. Aber es kann erreicht werden, wenn wir diese Utopien für unsere spezifische Situation umsetzen, um wirklich Verantwortung zu übernehmen, als Menschen, als Mütter, als Väter und als Großeltern.

Interview mit Giuliana Giorgi

Foto: Dana Berg
Guilliana Giorgi in ihrer Altbauwohnung in Berlin-Moabit

So ein Event ist ein Paukenschlag!

Giuliana Giorgi hat in den wilden 70er Jahren in Mailand Politikwissenschaften studiert. Nach ihrem Studium ist sie nach Deutschland ausgewandert und hat viele Jahre als Dolmetscherin gearbeitet. In den Nullerjahren hat sie ihre eigentliche Berufung wiederentdeckt: Die Politik und die Solidarische Ökonomie. Sie ist gleichzeitig Attac-Aktivistin und übersetzt, wann immer es ihr zeitlich möglich ist, Bücher und Dokumentationen zum Thema Praxis der Solidarischen Ökonomie.

Warum sollte man unbedingt am SOLIKON2015 teilnehmen?

Es geht bei dem SOLIKON2015 darum, die Alternativen, die schon da sind, sichtbar zu machen und die Akteure zusammenzubringen. So ein Event ist ein Paukenschlag. Es gibt die Solidarische Ökonomie und sie ist so vielfältig! Man kann sie nicht in eine kurze Definition packen, denn "die" Definition gibt es nicht. Man muss schauen, wer was wo wie macht. Und man muss zeigen, warum das eine echte Alternative zu unserem System ist. Dieses Sichtbarmachen ist auch eine Form des Widerstandes. Ein italienischer Journalist, der mehrere alternative Projekte in Italien besuchte und eine Dokumentation darüber gemacht hat, schreibt dazu: "In den Massenmedien wird nie über Alternativen berichtet." Zumindest in Italien nicht. Er selbst beschäftigt sich schon eine Weile mit den Alternativen, weil er für www.altreconomia.it schreibt. Er hatte aber die Wirklichkeit unterschätzt. Er meint, es sei kein Zufall, dass selbst der kritische Journalismus, der Missstände aufdeckt und anklagt, das System unterstützt. Denn die kritischen, bereits sensibilisierten Leser empören sich und ihr Gefühl der Ohnmacht wird noch verstärkt. Der Journalismus der nur die Missstände aufdeckt, verstärkt unser Gefühl der Ohnmacht...

Was verstärkt noch das Gefühl der Ohnmacht?

In Italien könnte man über Missstände ganze Bibliotheken füllen. Man fühlt sich wütend und ohnmächtig und dann hat man Lust auszuwandern. Das ist scheinbar die einzig vernünftige Lösung. Aber die Erzählung von Leuten, die es geschafft haben, echte Alternativen auf die Beine zu stellen, sowohl in Italien, als auch anderswo, das Erzählen vom Erfolg, von Lebensstilen, die das System hinter sich lassen, die Verwirklichung anderer Träume, stellen das hegemoniale, kulturelle Paradigma in Frage: Sie machen es obsolet. Der italienische Journalist Daniele Tarozzi schreibt in seinem Buch "Io faccio cosi" ("Ich mache es so") über Alternativen in Italien, das heißt es müssen Erzählungen verbreitet werden, die Millionen von Menschen dazu inspirieren können, ähnlich zu handeln. In seinem Buch versammelt er Geschichten von Leuten, die es anders machen und so aus der Logik des Systems ausbrechen. Alle möglichen Sachen, nicht nur aufs Land gehen, sondern auch in der Stadt bleiben und anders agieren. Er hat die vielen Interviews ins Netz gestellt: www.italiachecambia.org und jetzt hat er einen Film darüber zusammen gestellt. Das ist sehr inspirierend!

Wie ist der Kongress organisiert?

Wir wollen die Alternativen zeigen und wir fangen an mit der Wandelwoche, mit Exkursionen zu den Alternativen, die es in Berlin und Brandenburg gibt. Die Orgagruppe Wandelwoche hat 250 alternative Betriebe gesammelt. Es ist unglaublich, was es schon alles gibt. Die solidarische Ökonomie ist lokal, regional, deswegen ist es richtig dort, wo man lebt, anzufangen. Berlin ist wirklich eine unglaubliche Stadt der Alternativen. Auf dem Kongress wollen wir auch vom Süden lernen, weil da die Solidarische Ökonomie seit Jahrzehnten den Menschen ihre Würde und Lebensfreude zurück gibt. Wir wollen uns bewusst machen, was da passiert.

Wie ist die Wandelwoche organisiert?

Es werden gerade Touren organisiert. Einige kann man zu Fuß absolvieren, einige mit dem Fahrrad oder mit dem Zug. Das sind Tagestouren, man kann sich für eine oder mehrere anmelden, es wird auch Kultur geben, es werden Filme gezeigt.

Wofür bist Du zuständig?

Ich organisiere zwei Podien. Eines über Südeuropa und eines über solidarische Ökonomie und Kommunen, weil die Kommunen eine besonders wichtige Rolle zu spielen haben: Sie können die SÖ, die Initiativen, unterstützen. Und wir wollen gute Praktiken zeigen, die es vielerorts gibt. Wenn wir von Solidarischer Ökonomie sprechen, meinen wir auch Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Bürgerbeteiligung, Inklusion, partizipative Demokratie. Das bedeutet auch Postwachstum und die gemeinsame Nutzung von Gemeingütern, von öffentlichen Räumen, das sind alles verschiedene Ansätze, die das herrschende Einheitsdenken hinter sich lassen. Es geht darum, für die Bedürfnisse der Menschen zu wirtschaften, nicht für die Profitmaximierung. Das ist das Wesentliche.

Interview mit Dagmar Embshoff

Foto: Privat
Dagmar Embshoff

Das gute Leben eben

Dagmar Embshoff ist Mitbegründerin des Kasseler Forums Solidarische Ökonomie. Sie hat schon viele Kongresse mitorganisiert und hat es sich zum Ziel gemacht, die vielen bestehenden Initiativen und Projekte der Solidarischen Ökonomie besser zu vernetzen. Nur so, sagt sie, kann eine zukunftsfähige Transformation der Gesellschaft gelingen.

Was unterscheidet den Solikon2015 von anderen wachstumskritischen Kongressen, wie die Degrowth Konferenz, die im letzten September in Leipzig stattgefunden hat?

Der Schwerpunkt ist die Praxis. Wir machen im Vorfeld die Wandelwoche, in der es darum geht, Betriebe und Projekte Solidarischer Ökonomie kennenzulernen: Praktisch kennenzulernen durch Touren, so dass die Leute mit einem ganz anderen Hintergrund am Kongress teilnehmen können, sofern sie bei der Wandelwoche vorher mitgemacht haben. Bei vielen Kongressen geht es erstmal um eine starke Analyse und Kritik an der Gesellschaft und der Situation, auch das kann Raum haben bei uns, aber der große Schwerpunkt liegt wirklich auf den Alternativen der Praxis.

Wie nachhaltig ist der Kongress?

Nach dem Kongress geht es im Grunde erst richtig los: Die Idee ist, das Thema in die Regionen zu tragen. Wir wünschen uns, dass in Berlin eine Art Regionalforum entsteht, dass die regionale Vernetzung fördert. Wir erhoffen uns, dass es durch den Kongress einen weiteren Schub gibt, regional zu schauen, wo es welchen Bedarf an Vernetzung gibt und welche weiteren Kooperationen und gemeinsamen Projekte machbar sind. Wo sich Betriebe und Initiativen weiter unterstützen können und ökonomisch zusammen arbeiten könnten, zu überlegen wie sie sich politisch vernetzen können, wie sie gemeinsam Öffentlichkeitsarbeit machen können und sich noch besser austauschen können. Also diese drei, vier Themen, sich inhaltlich auszutauschen, sich eventuell politisch zu vernetzen und gemeinsam Öffentlichkeitsarbeit zu machen und ökonomisch zu kooperieren wo es nur geht: Das könnte nach dem Solikon2015 in vielen Regionen stattfinden. Das heißt ich könnte mir vorstellen, dass es in Zukunft auch in anderen Orten solche Wandelwochen gibt, dass auch in anderen Orten mit Hilfe von TRANSFORMAP kartiert wird, dass gemappt wird (Anm. d. Red. Transformap ist ein deutsch/österreichisches Projekt und als Alternative zu Google-Map gedacht. Alternative Betriebe und Initiativen sollen dadurch sichtbar und besser auffindbar werden). Das ist ein guter Beginn, erst mal zu sammeln und zu schauen, was es in der eigenen Region gibt an Betrieben und Projekten, was sie zusammen bringen könnte und dann gemeinsam regionale Alternativen aufzubauen.

Kann man sich die Kartierung heute schon anschauen?

Es sind erst wenige Projekte eingetragen, das Ganze ist noch im Aufbau, es wird ein Testmapping im Mai geben. Im Moment wird noch an der Maske gearbeitet, so dass noch einfacher gemappt werden kann, so ist der Stand der Dinge. Finden kann man die Kartierung alternativer Betriebe Projekte und Orte unter dem Stichwort TRANSFORMAP.

Wie soll das mit den Regionalforen ganz konkret funktionieren? Sollen das Offline-Treffen sein, oder sollen die Treffen hauptsächlich im Netz stattfinden?

Die Regionalforen sollen vor allem offline entstehen. Aber es wird im Vorfeld des Solikon2015 eine Online-Debatte geben, die im Anschluss weitergehen kann. Das erste Offline-Treffen mit allen Kooperationspartnern wird im Juni diesen Jahres im (ZTG) Zentrum Technik und Gesellschaft der TU in Berlin Charlottenburg stattfinden. In der Online Debatte geht es darum zusammenzuführen, was bereits passiert ist zum Thema Transformation und zum Thema Solidarische Ökonomie bzw. Alternative Ökonomie und was sich die jeweiligen Organisationen unter Transformation vorstellen, auch welchen Vernetzungsbedarf sie sehen und wo sie sich selbst vorstellen können weiter mit einzubringen. Und wir erhoffen uns natürlich, dass nach dem Kongress eine Art Transformations-Forum entsteht, was einfach die Ideen des Kongresses und der Online-Debatte aufsaugt und weiter trägt auch über den Kongress hinaus, das aber nicht nur für die Kooperationspartner offen ist, sondern für alle Kongress-TeilnehmerInnen und alle Menschen, die sich eine Transformation der Gesellschaft und der Ökonomie wünschen und die glauben, dass es dazu breite Zusammenschlüsse braucht. Das wären dann viele große und kleine gemeinsame Schritte.

Wer wird auf dem Kongress sprechen?

Es gibt viele internationale Gäste, auch Gäste aus Brasilien, denn da ist das Thema Solidarische Ökonomie viel breiter und viel weiter entwickelt und die ganze Idee der Solidarischen Ökonomie stammt ja aus Lateinamerika. Zugesagt hat zum Beispiel der brasilianische Staatssekretär für Solidarische Ökonomie, Paul Singer. Aber auch Rosangela Oliveira, die an einer brasilianischen Universität arbeitet und in Kassel zu Solidarischer Ökonomie promoviert hat. Es werden eventuell auch Vertreter von Gewerkschaften kommen, auch Farida Akhtar wird kommen, die lokale Saatgutinitiativen mit aufgebaut hat und Gruppen, die Landwirtschaft und Handwerk verbinden in Bangladesch. Ihre Erfahrungen sind international sehr beachtet. Es werden auch Gäste aus den Phillipinen und Äthiopien zu Gemeinschaftsgärten sprechen. Dann wird es natürlich auch viele europäische ReferentInnen geben. Unser europäische Veranstaltungs-Partner des Kongresses ist ja RIPESS, das europäische und interkontinentale Netzwerk zur Förderung der Solidarischen Ökonomie. RIPESS ist hat auch Beobachterstatus bei der UN Task Force on Social and Solidarity Economy (unsse.org), die sich auch am Kongress beteiligen und aktiv sein wird. Es gibt auch ein Podium über die europäische Krise, also über Projekte und Netzwerke, die nach der Krise entstanden sind oder sich durch diese verändert haben. Es wird außerdem ein Podium zu Welthandel und solidarischem Handel, also Alternativen zu TTIP geben. Die Themen Arbeit und Postwachstum werden auch eine große Rolle spielen. Das gute Leben eben...

Interview mit Frank Wesemann

Foto: Dana Berg
Der CSA-Bauer Frank Wesemann auf seinem Acker in der Prignitz.

Ein Herz für Humus

Frank Wesemann ist Biobauer in Brandenburg. Er praktiziert auf seinem Hof seit Jahren CSA (community supported agriculture) und verkauft seine Ernte auf Gemüsemärkten in Berlin. Für die Kongressteilnehmenden wird er das Gemüse anbauen und sein Ökohof Waldgarten ist eine Station der Wandelwoche.

Du warst im letzten Jahr Teilnehmer der wachstumskritischen Degrowth-Konferenz in Leipzig und nun organisierst du den Folgekongress, den SOLIKON2015 mit. Was ist das Besondere an dem Kongress?

Die Degrowth-Konferenz war vom Ansatz her super. Es besteht jedoch immer die Gefahr, dass ein Kongress sehr in diesem theoretischen Diskurs stecken bleibt. Ein Kongress setzt Impulse. Aus der Degrowth sind auch meine Kontakte zur SOLIKON2015-Orgagruppe hervorgegangen. Was mir aber gefehlt hat und was ich mir vom SOLIKON2015 erhoffe, ist ein höherer praktischer Anteil. Damit sich für jeden klare Handlungsspielräume eröffnen und das Thema Solidarische Ökonomie nach Außen ausstrahlt und mehr Öffentlichkeit erhält. Das ist ja das Ziel einer Konferenz: Eine Außenwirkung zu haben und aus der Nische raus zukommen. Ich finde die Idee schon mal super mit dieser vorangehenden Wandelwoche, bei der man bereits existierende Alternativen hautnah erleben kann. Gut gefällt mir auch die Idee, die Vernetzung der alternativen Betriebe und Initiativen voranzutreiben. Meine Hoffnung ist, dass nach dem Kongress eine Solidarische Ökonomie entsteht, die eine greifbare Alternative zum Bestehenden System des Kapitalismus darstellt. Es geht darum nicht nur zu sagen, was hier alles schief läuft, sondern vor allem das Entwickeln von Alternativen und Angeboten, von Handlungssträngen, wie in den Bereichen Ernährung, Kleidung, Mobilität. Das ist einer meiner Hauptbeweggründe, warum ich mich engagiere und ich hoffe, dass sich da viel von darstellen lässt auf dem Kongress in Kombination mit der Wandelwoche.

Wie bringst Du Dich beim SOLIKON2015 ein?

Ich versuche landwirtschaftliche Themen mit einzubringen. Meine Herzthemen sind CSA (Community supported agriculture) und die Humus-Frage. Was eigentlich ganz schön passt, weil wir ja gerade das "Jahr des Bodens" haben. Meiner Meinung nach ist der Boden eine der wichtigsten Ressourcen und auch eine der Ressourcen, mit dem größten Potential. Sowohl was die Klimaerwärmung angeht, als auch die CO2-Problematik. Es wird ja in den Medien viel darauf hingewiesen und ein Großteil der CO2-Zahlen sind auch über den massiven Humus-Abbau entstanden. Es muss eine Pro-Humus-Gegenbewegung entstehen.

Was macht den Humusboden so wichtig?

Humus ist im Grunde die dünne Schicht des Bodens, die das gesamte Leben auf der Erde massiv beeinflusst. Ohne eine Humus-Schicht könnten wir gar nicht existieren, weil sich alle Pflanzen aus dieser Humus-Schicht ernähren. Sie besteht zu großen Teilen aus Kohlenstoff-Strukturen. Je größer die Humus-Schicht ist, umso mehr Kohlenstoff ist im Boden gebunden und umso mehr Humus zerstört wird, umso mehr Kohlenstoff schwindet aus dieser Bindung im Boden. Ein Humus-Boden ist ein viel widerstandsfähigerer Boden und das ist gerade für Brandenburg sehr wichtig. Er kann viel besser mit den Klimaextremen umgehen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf uns zukommen. Ein Boden, mit einer starken Humusschicht hat eine viel größere Pufferfähigkeit, d.h. er kann in viel größerer Zeit große Wassermengen aufnehmen und speichern. Damit könnte man Wassererosionen verhindern und eine bessere Versorgung der Pflanzen gewährleisten. Die Landwirtschaft wäre so wieder in der Lage, sich viel mehr über bestehende Kreisläufe selber zu erhalten, ohne von Außen, also über äußere Inputs eine Pseudobodenfruchtbarkeit aufrecht zuerhalten.

Im Rahmen der Wandelwoche können sich die Kongressteilnehmer auch Deinen Ökohof Waldgarten in der Prignitz genauer anschauen. Was wird die Besucher erwarten?

Auf meinem Hof kann man sich viele verschiedenen Aspekte anschauen. Es geht z.B. um die Frage: "Was ist ein kleinbäuerlicher Betrieb?", um SoLaWI (solidarische Landwirtschaft) und um Saatguterhaltung. Es geht aber auch um Themen wie Ernährungssouveränität, die wieder eng verbunden sind mit der Saatgutproblematik. Inzwischen haben wir im Kulturpflanzenbereich einen Saatgut bzw. Artenverlust von 80%! Wir müssen dringend schauen, das wir die Sortenerhaltung in den Griff kriegen und nicht weiterhin viele wichtige Ressourcen im Sortenbereich zerstören. Ein weiteres Thema für die Besucher der Wandelwoche ist diePermakultur und die Waldgärtnerei, die ich versuche hier umzusetzen. Sie sind ein echtes Zukunftsmodell, wie die Ergebnisse vom letzten Welt-Agrarbericht im Jahre 2008 bestätigen. Darin hieß es, dass eine Welternährung ökologisch nur über Kleinbäuerliche Strukturen funktioniert und das vor allem auch Waldgartenstrukturen eine der Produktivsten und nachhaltigsten und resilientesten Strukturen sind. Ganz aktuell habe ich eine AG gegründet, um diese Alternativen hier im Land Brandenburg zu etablieren. Es geht darum Bäume und Ackerbau miteinander zu verbinden und ich habe sogar die Hoffnung, dass das am Ende vielleicht sogar in waldgartenähnliche Strukturen mündet.

Was ist ein Waldgarten?

Ein Waldgarten ist eine waldähnliche Landschaft, wobei die Baum- und Strauchstruktur hauptsächlich aus Fruchttragenden und essbaren Sträuchern und Bäumen besteht und von daher auch einen Ertrag abwirft. In der Ebene unter den Sträuchern kann auch noch Gemüse angebaut werden, was schattenverträglich ist. Man müsste wahrscheinlich aber in unserem Breitengrad eher so einen Waldlichtungsgarten anlegen, um dem recht reduzierten Sonnenlicht Rechnung zu tragen. Ich versuche hier auf dem Hof ein System zu entwickeln und das würde ich dann auch im Rahmen der Wandelwoche vorstellen für Interessierte. Es wird dann hier eine Führung geben und dann kann man sich bei Kaffee und Kuchen zusammen setzen und die Themen CSA, Permakultur, Humusböden und viele andere Themen diskutieren.

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