WORKSHOP-SCHWERPUNKT »MEDIEN UND BARRIEREN«

Barrieren durchbrechen?

 

Barrieren im Journalismus gibt es einige – beispielsweise Zugangshindernisse und unreflektierter oder diskriminierender Sprachgebrauch. Um Barrieren durchbrechen zu können, muss ich sie erst mal wahrnehmen. Der Workshop »Diskriminierungsfreies Schreiben« auf der #LiMA15 bietet dazu Gelegenheit.

Von Claire Horst, Berlin »Das ist mir viel zu kompliziert«, die Teilnehmerin der Pressekonferenz stöhnt auf. Jedes Mal überlegen, wie sie die Leute nennen soll? Wie anstrengend. Ferda Ataman von den Neuen deutschen Medienmachern erklärt noch einmal: »Fragt uns doch einfach, wie wir uns selbst bezeichnen. Niemand ist böse, wenn ihr nachfragt.« Anlass der Pressekonferenz ist ein Kongress, auf dem »neue Deutsche« – Menschen, die sich nicht mehr als Migrant_innen definieren – sich organisiert haben. Thema ist auch ihre Forderung an die Medien, eine nicht mehr ausgrenzende Darstellung und einen reflektierten Sprachgebrauch zu etablieren.


Der Schwerpunkt »Medien und Barrieren« am Freitag der diesjährigen Linken Medienakademie (LiMA) im März in Berlin widmet sich genau diesen Forderungen.


Barrieren im Journalismus


Da sind die Zugangshindernisse zum Journalismus – neben Ausgrenzungsmechanismen, die sich zumindest teilweise fachlich begründen lassen (die meisten Journalist_innen haben studiert, konnten es sich leisten, unbezahlte Praktika zu absolvieren) – die schlicht ungerechte gesellschaftliche Ungleichverhältnisse widerspiegeln. Wie viele Menschen nichtdeutscher Herkunft sind eigentlich in den Redaktionen großer Medien vertreten, wie ist das Geschlechterverhältnis?


Barrieren lauern aber noch anderswo. Schreibende (oder ihre Auftraggeber_innen) wählen aus, worüber sie berichten wollen – die Themen müssen dazu zunächst über die Aufmerksamkeitsschwelle gelangen, auch das ist eine Barriere. Welche Themen für relevant gehalten werden, hängt natürlich auch damit zusammen, wer diese Entscheidungen trifft.


Und nicht zuletzt kann Sprache, die ja das wichtigste Werkzeug von Journalist_innen ist, Barrieren aufbauen: wenn sie allein zum Distinktionsgewinn (Gewinn an Abgrenzung) genutzt wird, wenn sie einem großen Teil der potenziellen Leser_innen unverständlich ist, wenn sie durch die Wahl der Begriffe Menschen abwertet oder ausgrenzt.


Auf der Pressekonferenz wird noch einmal nachgefragt. Wenn eine Person fordert, nicht als »Jude« sondern als »jüdisch« bezeichnet zu werden – sei das doch nicht zu viel verlangt? Der sei doch aber nun einmal Jude, meint dann jemand. Doch genau darum geht es: Den Menschen zuzugestehen, sich selbst definieren zu dürfen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und trotzdem ein großes Thema, scheint es.


Der Unwille, Barrieren zu überwinden


Das zeigen solche Diskussionen wie die Kinderbuchdebatte (aufgeflammt etwa vor zwei Jahren, d. Red.): Sehr vielen, vor allem weißen Leser_innen und Journalist_innen leuchtet es überhaupt nicht ein, warum bestimmte Begriffe rassistisch sein sollen. Sie selbst finden sie ja auch nicht verletzend, haben sie schon immer gebraucht, haben keine Lust, sich umzugewöhnen. Der Vorstoß des Oetinger-Verlages, Werke des Kinderbuchautors Otfried Preußler umzuschreiben, stieß auf großes Unverständnis – als gelte es, ein unveränderliches Kulturerbe vor Bilderstürmern zu schützen.


Ganz ähnlich erbittert waren die Reaktionen auf den Vorstoß von Lann Hornscheidt. Hornscheidt hat einen Lehrstuhl für Gender Studies an der Humboldt-Universität in Berlin und möchte weder als Frau noch als Mann definiert werden. Hornscheidts Vorschlag, als alternatives Pronomen zu den gängigen »sie« und »er« ein »x« einzuführen, löste überschäumende Hasskommentare im Internet und in den Feuilletons vieler Zeitungen aus.


Natürlich ist es anstrengend, sich umzugewöhnen, die Meinungen über die ästhetische Schönheit dieses »x« gehen auseinander. Und es geht auch gar nicht darum, eine endgültige und für alle passende Lösung zu finden. Das Spannende und Produktive an solchen Debatten ist ja gerade die resultierende Erkenntnis, dass die Sprache, die wir sprechen und schreiben, anscheinend nicht alle Menschen repräsentiert und anspricht. Nach besseren Möglichkeiten zu suchen, kann eine Möglichkeit sein, solche Barrieren zu überwinden.


Interessant ist auch die Frage, woher der große Widerwille rührt, die reale Vielfalt der Bevölkerung auch sprachlich sichtbar zu machen. Geht es wirklich um ästhetische Fragen? Oder verbirgt sich dahinter auch der Unwille, Ressourcen, Zugänge und Plattformen teilen zu müssen?


Keine Patentlösungen, Vielfalt an Antworten


Aufgabe von Journalist_innen ist es einerseits, über diese Auseinandersetzungen zu berichten. Dazu brauchen sie eine klare Haltung. Zum anderen brauchen sie auch das richtige Werkzeug. Wer schreibt, muss sich immer wieder fragen: Wen spreche ich eigentlich an? Wer liest das hier, wer soll es lesen? Leichte Sprache kann eine Möglichkeit sein, viele Menschen anzusprechen, und dazu gibt es ja auch einige Veranstaltungen auf der LiMA.


Es gibt keine Patentlösungen – weder gibt es allgemein gültige Regeln für eine nichtdiskriminierende Sprachverwendung, noch lässt sich ganz eindeutig festlegen, wer denn nun wie über was schreiben »soll«. Sinnvoll ist aber auf jeden Fall, das eigene Schreiben immer wieder zu hinterfragen, immer wieder über neue Strickleitern, Böcke oder Trampoline nachzudenken, mit denen sich die Barrieren überwinden lassen.


Info


Eine Möglichkeit zur Auseinandersetzung um Barrieren und Sprachverwendung im Journalismus ist (neben vielen anderen) der Workshop »Diskriminierungsfreies Schreiben« auf der LiMA 15 (Freitag, 27. März 2015).


Claire Horst hat u.a. über die Angriffe auf Lann Hornscheidt geschrieben: Macht ist da, wo die Bärte sind, heißt es bei Molière. Wenn Sprache Menschen zu bedrohen scheint. In: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 600 / 16.12.2014 (www.akweb.de/ak_s/ak600/04.htm)


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