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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Grüner Parteiaustritt

DOKUMENTATION: EINER VON VIELEN PARTEIAUSTRITTEN

Von der pazifistischen Partei zur Kriegstreiberpartei

Claudia Haydt ist eine (sehr aktive) Beirätin der »Informationsstelle Militarisierung« (IMI) e.V.. Von ihr stammte z.B. die erste Erklärung von IMI zum Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien. Claudia Haydt ist am Wochenende (29.3.) aus ihrer (bisherigen) Partei »Bündnis 90 / Die Grünen« ausgetreten. Sie hat dazu eine Begründung geschrieben, die wir im folgenden dokumentieren.

Hiermit teile ich meinen Austritt aus der Partei Bündnis90/Die Grünen mit.

Ein weiteres Verbleiben in dieser Partei ist für mich weder vertret- noch verantwortbar, denn

1. Bündnis90/Die Grünen hat sich nun vollständig von einer pazifistischen Partei zu einer Kriegstreiberpartei entwickelt,

2. durch ehemals pazifistische Identifikationsfiguren wurde die Kriegsrhetorik hoffähig gemacht, und

3. durch die Befürwortung dieses verfassungswidrigen Krieges wird ein weiterer Beitrag dazu geleistet, daß Völkerrecht durch Faustrecht ersetzt wird.

Es ist fahrlässig, die komplexe Krise im Kosovo auf die Entscheidung zwischen »tatenlos zusehen« oder »Kriegführen« zu reduzieren. Nun wird von Menschen, die es eigentlich besser wissen, gebetsmühlenhaft betont, man habe ja nicht länger zusehen können und müsse jetzt mit Bomben Frieden bringen. Durch Bomben läßt sich kein Frieden schaffen! Das Gegenteil ist der Fall, Gewalt gebiert Gegengewalt. Warum jetzt hunderte von Menschen durch NATO-Bomben sterben müssen, um das Morden im Kosovo »endgültig« zu beenden, leuchtet schon ohne pazifistische Grundhaltung nicht ein. Gleichzeitig sorgen die Bomben für eine Destabilisierung der gesamten Region und die Auswirkung auf die Ost-West-Beziehungen insgesamt sind alles andere als der direkte Weg zum Weltfrieden.

Die Grünen sind in die argumentative Falle getreten, vor der sie selbst immer gewarnt haben. Noch 1994 warnte selbst Joschka Fischer davor, daß »humanitäre« Begründungen, zum Türöffner für die weltweite Interventionsfähigkeit der Bundeswehr werden könnten (1).

Grüne Politiker/innen haben dafür gesorgt, daß Alternativen zum Krieg gar nicht mehr ernsthaft erwogen werden konnten. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, darauf hinzuweisen, daß bisher für friedliche und wirklich humanitäre Alternativen nur ein Bruchteil der Ressourcen zur Verfügung standen, die jetzt für den Krieg zur Verfügung stehen. Statt dessen haben grüne Politiker/innen die Existenz von Alternativen geleugnet. So haben sie alternative Lösungen erst totgeredet und nun sorgen sie mit dafür, daß die schwachen Ansätze von Ausgleich, Kompromiß und Hoffnung auf politische Lösungen vollends totgebombt werden.

Grüne Identifikationsfiguren haben durch ihr noch vorhandenes moralisches Gewicht dazu beigetragen, daß Krieg zur »humanitären Aktion« erklärt werden konnte. Sie waren neben den Medien ein ganz zentraler Faktor für die breite Akzeptanz des NATO-Krieges. Da »nicht einmal mehr die Grünen« gegen den Einsatz waren, entstand in der deutschen Öffentlichkeit der Eindruck, daß der Krieg unausweichlich und gerechtfertigt sei.

Die Gewinner dieses Krieges sind die Hardliner und Kriegstreiber auf allen Seiten, sowie die Kriegswaffenindustrie. Verlierer sind die kritischen demokratischen Kräfte in allen Lagern, besonders in Serbien, im Kosovo, in Rußland. Schaden nimmt auch die UNO und das Völkerrecht, das nun nach der Bombardierung des Irak zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ausgehebelt wurde und das so immer mehr zur Bedeutungslosigkeit verdammt ist.

Unsensibel und ohne historisches Bewußtsein führt deutsches Militär nun seinen ersten Kriegseinsatz nach dem 2. Weltkrieg ausgerechnet gegen Serbien. In diesem Land haben deutsche Truppen schon während des Dritten Reiches mit äußerster Brutalität gewütet. Die Erinnerung daran ist in der serbischen Bevölkerung noch heute lebendig. Und wieder fallen deutsche Bomben auf Belgrad! Es ist mehr als beschämend, an welche Tradition Deutschland hier anknüpft.

Eine Partei, die mit Orwellschem Vokabular arbeitet, die Völkerrecht bricht und die mithilft, deutsches Militär wieder in allen Regionen der Welt einsetzbar zu machen, eine solche Partei kann nicht mehr meine Partei sein.

Mit etwas wehmütigen und dennoch friedlichen Grüßen
Claudia Haydt, Stadträtin und Fraktionsvorsitzende der Alternativen und Grünen Liste Tübingen

(1) »Für die Zukunft sehe ich die erhebliche Gefahr, daß die Bundesregierung, Koalition und Generalität nach den Gesetzen der Salamitaktik Anlässe suchen und Anlässe schaffen werden, um die Barrieren abzuräumen, die es gegenüber der Außenpolitik des vereinigten Deutschlands noch gibt. Als Vehikel dienen dabei die Menschenrechts- und Humanitätsfragen.«

(30.12.1994, Die Woche)

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008