Contite1.jpg (10220 Byte)

CONTRASTE IM MÄRZ 2013: Selbstbestimmt arbeiten · Interview mit Frigga Haug - Kompass für die politische Praxis: Die Vier-in-einem-Perspektive · Recht auf Arbeit? - Das Ganze des Lebens · Offenes Technologie-Labor: Neue Arbeit - Neue Kultur = OTELO · Parecon versus Peer-Produktion - Michael Albert: Beschreibung von Parecon - Christian Siefkes: Meine Zweifel an Parecon · Gedanken zu Wertewandel und Grundeinkommen - Von der Arbeit und Leistung  zu Freiwilligkeit und Füllebewusstsein +++ Breite Solidarität gegen Zwangsräumung in Berlin-Kreuzberg: "Die Häuser denen, die drin wohnen" +++ elis.corner: Körperliche Arbeit +++ 8. Stuttgart Open Fair - Endstation: Alle einsteigen! · Gründungskonvent zum BürgerInnenparlament: Rückbesinnung auf die "res publica" +++ Libertäre Bildung als Kristallisationspunkt für AktivistInnen, Theorie-Orientierte, pragmatische UtopistInnen und Betroffene: Gemeinsam radikaler hinterfragen +++ Netzwerk News: Zu viel vom Schlechten - Herrschaftskritik aus linksradikaler Sicht +++ Herrschaftsfreie Ökonomie: Geld und Eigentum abschaffen! - ... und warum das noch lange nicht reicht! +++ Sich gegenseitig unterstützen - Herrschaftsverhältnisse aufkündigen, Teil 2: Sabotage im Alltag +++ Politikwissenschaft: Fachbuch zur Piratenpartei  +++ Ticker Repression und Rechtsfälle +++ Kritik der vereinfachten Welterklärungen (den Kopf entlasten - Teil 5) Gesammelte Beispiele - "Verschwörungstheorien"  vorgestellt +++ Bürgerenergie Berlin eG: Regional - erneuerbar - bürgereigen - Genossenschaft will das Stromnetz der Hauptstadt in Bürgerhand organisieren · Bürgerenergiegenossenschaft Wolfhagen eG: Genossenschaftliches Vorzeigemodell auf gutem Weg - Stadtwerkebeteiligung wird realisiert +++ u.v.m.

Monatszeitung für Selbstorganisation

 

Home Nach oben Bestellungen

Zukunft der AÖ

Zukunft der Alternativen Ökonomie

Folgender Redebeitrag wurde von Rolf Schwendter auf der Öko-Bank-Tagung in Achberg im August gehalten. Hier zeichnet Rolf Schwendter das Bild einer kapitalistischen Krisenbewältigung durch die Befriedigung von ökologischen Bedürfnissen.

Seine These: Die Wiederherstellung der Umwelt wird sich zunehmend als gutes Geschäft und Quelle weiterer Ausbeutung erweisen: Droht uns also der „sanfte" Öko-Kapitalismus?

"Mir ist von den Veranstalter/innen aufgegeben worden, heute Abend zur Zukunft der alternativen Ökonomie zu sprechen, ein zugegebenermaßen schwieriges Thema, wenn es gerade vor jenen abgehandelt werden soll, von denen diese Zukunft wenigstens in Teilen abhängt. Denn dies kennzeichnet alternative Ökonomie ja gerade, daß sie, einer gegebenen ökonomischen Lage der Gesamtgesellschaft, aus deren bestimmter Negation entsteht: da sich Gruppen von Menschen entschließen, in ihren Werten, Normen, Institutionen etwas grundlegend anderes zu machen, als das, wovon die Ökonomie der Herrschenden determiniert wird. Und hierbei ist nicht zu übersehen, daß es unsere eigenen Werte, Normen und Institutionen sind, um die es sich hierbei handelt.

Gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen

So schwierig auch dies im einzelnen sein dürfte - Friedrich Engels schreibt in einem Brief, daß jeder einzelne neu entstehende Konzern geeignet ist, die Prognostik wirtschaftlicher Entwicklungen grundlegend zu verschieben -, ist es aufgrund der Tendenzen der bislang letzten 200 Jahre möglich, Aussagen zur Zukunft der gesamtgesellschaftlichen Ökonomie zu machen. Um mich kurz zu fassen: Bislang war es ausnahmslos so, daß nach einem längeren, 2 bis 3 Jahrzehnte andauernden wirtschaftlichen Aufschwung eine Überproduktionskrise eintrat, die eine etwa eben solange Stagnationsphase nach sich zog, gekennzeichnet u.a. von Massenarbeitslosigkeit, Reallohnsenkung, oft genug von Kriegen als probate Mittel zur Vernichtung überschüssigen Produktion. Bis ein neuer Schub der Akkumulation des Kapitals einsetzte, bislang ausnahmslos auf der Grundlage einer Serie neuer Erfindungen, neuer Arbeitsverfahren und neuer Maschinen, um diese Mehrerfindungen so rentabel wie möglich produzieren zu können. Dampfmaschine, Eisenbahn, Elektrizität, Computer sind verkürzte Schlagwörter, um die angedeutete Tendenz zu veranschaulichen.

Illusionen über das Paradies, das um die Ecke liegt"

Um es wieder sehr zu vereinfachen: Ich sehe unter der Annahme gleich bleibender gesamtgesellschaftlicher Bedingungen wenig Gründe dafür, daß sich dies ändern wird. Zwar sind Aufschwungphasen ebenso seit je durch Illusionen über das Paradies, das um die Ecke herum liegt, und über das Ende aller zukünftigen Wirtschaftskrisen gekennzeichnet, wie die Strukturkrisen durch umfassende Vorstellungen über deren endzeitlichen Charakter. Doch ist abzusehen, daß nach etwa einem weiteren Jahrzehnt Strukturkrise das, was bei Oskar Lafontaine „ökologische Modernisierung" heißt, im Verbund mit einer zunehmend EDV-gestützten Dienstleistungsindustrie die Grundlage des nächsten Aufschwungs wird abgeben können. Die Diskussion über Katalysatoren, über alternative Energieformen, um nur einiges zu nennen, weisen darauf hin. Auch wenn es dann sicher viele Publikationen geben wird, die vom diesmal ökologischen Garten Eden reden, ist schon jetzt vorauszusagen, da 30 Jahre später die nächste Überproduktionskrise sicher kommt: es werden dann halt die Katalysatorautos, Windmühlen, Solarzellen, Hydrolysewasserstoffkanister sein, die auf der Halde liegen. Um in der Folge die nächsten Arbeitslosenmengen, Reallohnsenkungen etc. zu erleben, die sicher wieder etwas schönes hervorbringen werden: eine Großverwertung der Genmanipulation etwa, im Verbund mit Schöner Wohnen auf dem Meeresgrund vielleicht, oder mit Raumfahrt. Es ist also zu sehen, daß die Barbarei als allemal gegenwärtig-zukünftige Alternative zu einer humanen Gesellschaftsordnung nicht auf die Möglichkeit der globalen Zerstörung durch den nächsten Weltkrieg oder eine umfassende Ökologische Krise beschränkt ist.

Sehr vergröbert gesprochen, halte ich dies für die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in welchen die Zukunft der alternativen Ökonomie sich zu entfalten haben wird. Dies halte ich für keine leichte Aufgabe.

Genießt die Krise, der Aufschwung wird fürchterlich"

Große Teile der alternativen Projekte gehen ausdrücklich, oder doch wenigstens in ihren ideellen Voraussetzungen, davon aus, daß diese Krise bis zur Katastrophe oder bis zur neuen Gesellschaft nicht mehr enden werde. Abgesehen von den real bestehenden Gefahren von Weltkrieg und globaler Ökokrise, scheinen sie hier denselben Fehler zu begehen, der die kommunistischen Parteien der Zwischenkriegszeit charakterisiert hat. Ich weiß, um einem nahe liegenden Einwand von vornherein zu begegnen, daß aktuell für alternative Projekte andere Probleme anstehen als das Schielen nach einem künftigen Aufschwung, von Wirtschaftsförderungsprogrammen zum „Zweiten Arbeitsmarkt", vom Kapitalmangel zu den gruppendynamischen Konflikten in Projekten.

Aber meine Aufgabe heute Abend ist es, mir nicht über die Zukunft Gedanken zu machen - und dies ließe sich in der etwas ironischen Pointe zusammenfassen: „Genießt die Krise, der Aufschwung wird fürchterlich..."

Wenn sich nicht etwas Grundlegendes ändern sollte, sehe ich ein Indiz dafür, daß beim Aufschwung St. Oppenheimer nicht wieder zuschlagen wird: da ein Teil der Projekte sich an die bestehenden Strukturen bis zur Unterscheidbarkeit anpassen wird, und der andere Teil sich allmählich auflöst.

Ein Szenario

Ein Szenario, etwa für 2010, wäre denkbar: Grüne Minister, die flankiert von angesehenen, gut bezahlten Geschäftsführern von Ökobanken, Staatsknetekommissionen, Beratungsgremien, Traditionsbetrieben und Branchenräten, allgemein anerkannte differenzierte Arbeitsteilung in Verbindung mit der

längst erfolgten Durchcomputerisierung, in einer Landschaft giftfester Neubäume, sonnenenergieproduziertem Wasserstoff für Heizung und Motorenantrieb, gemeinsame Festreden über die unbeschwerte ökologische Zukunft halten. Kurz, ein Teil zukünftigen Establishments, gegen den die Bildung der nächsten Subkulturen absehbar wird. Die neueren Konflikte Rudolf Bahros mit dem Mainstream der Grünen deuten die Dinge an, die da kommen werden.

Die Gebrauchswertorientierung

Grundlegendes Moment der alternativen Ökonomie

Eine Bestimmung der Zukunft alternativer Ökonomie kann meines Erachtens nur erfolgen, wenn die grundlegenden Momente derselben ebenso wie ihre Systemgrenzen auf die Zukunft hin reflektiert werden. Beginnen wir mit der Gebrauchswertorientierung alternativer Ökonomie, jenem Moment, das jenseits einer Differenzierung in „neue Selbständige" und Kollektive im Zentrum der niederländischen Alternativorganisation MEMO steht: die Herstellung von menschen- und umweltfreundlichen Gütern und Dienstleistungen. Nun ist dies bekanntlich mit dem Gebrauchswert eine eigentümliche Sache. In diesen vorerst letzten 10 Jahren, in welchen sich zumindest vorübergehend große Alternativen entfalteten (von den Feministinnen über Ökologisten/innen über Friedensbewegung und Selbstverwaltung bis hin zu Alten, Schwulen, Hausbesetzer(inne)n, Psychiatrisierten und Krüppeln), ist die Gemeinsamkeit eines Negativkatalogs, was nicht unter diese Gebrauchswertorientierung fällt, recht dünn geworden. Gewiß, die Produktion eines alternativen Atomkraftwerks oder auch nur einer alternativen Concorde ist noch niemandem eingefallen, aber der Zeitpunkt im nächsten Jahrzehnt ist abzusehen, in dem kaum ein Produkt nicht auch „alternativg produziert werden wird, das nach den „Bedürfnissen des Magens und der Phantasieg (Marx) für die einen Teile der Bewegung gebrauchswertorientiert sein wird, während es die anderen Teile als schädigend bekämpfen werden.

Einige Beispiele

Erinnert sei an KFZ-Kollektive und an Bürgerinitiativen gegen den Autoverkehr, an Beschallungskollektive und an Initiativen gegen Lärmschäden, an okzitanischen Wein und Alkoholismus, Tabakladenkollektive und die Raucherdebatte, biologisches Fleisch und Vegetarismus, Softwaregruppen und die Computerdiskussion, die Uhrenfirma LIP und den dezenten Hinweis, früher hätten Revolutionäre auf Uhren geschossen, anstatt dieselben zu produzieren. Zu erwarten sind ökologisch gesinnte Architekten, die Beton mit verwerten, Konkursbetriebe, die sich mit den Feinheiten des Stahlbaus befassen, Alternativtechnologen, die Wattenmeere mit Windmühlen bepflastern.

Möglichkeiten zukünftiger Gebrauchswertorientierung

Daraus ziehe ich den Schluß, daß es zunehmend schwieriger werden wird, die Gebrauchswertorientierung alternativer Ökonomie stofflich zu bestimmen. Dies enthebt uns nicht der Aufgabe, uns Gedanken über die ökologische Qualität alternativ produzierter Güter zu machen. Die von „Blätterwald" vorgeschlagene Diskussion über ein Markenzeichen ist ein weiter treibender erster Schritt dazu. Doch scheint mir im Zentrum zukünftiger Gebrauchswertorientierung die Notwendigkeit zu stehen, eine engere Verbindung der Produzent(inne)n und Konsument(inne)n zu erarbeiten.

Dabei will ich gar nicht soweit gehen, wie eine Reihe von zeitgenössischen Utopien, die umstandslose Vereinigung von Produzenten und Konsumenten auf die Tagesordnung der Zukunft zu setzen. Johan Galtung hat von mitproduzierenden Konsumenten geschrieben, und Alvin Toffler hat gar von „Prosumenteng gesprochen. Der nächste Schritt bestünde meines Erachtens darin, auf immer größerer Stufenleiter herauszubekommen, für welche Güter und Dienstleistungen alternativer Produzent(inn)en ein Bedarf seitens der Konsument(inn)en, die den bestehenden sozialen Bewegungen nahe stehen, besteht. Oder, anders gesagt, der Konsum welcher Güter und Dienstleistungen, den wir über unsere Einkäufe bei ALDI und EDEKA, unsere Besuche in mehr oder weniger bürgerlichen Gaststätten, unsere Anschaffungen langlebiger Konsumgüter bei multinationalen Konzernen abdecken, über bestehende Betriebe zu substituieren wäre.

Alle können alles"?

Der „andere Umgang mit Arbeit" als konstituierendes Moment alternativer Ökonomie

Das zweite konstituierende Moment alternativer Ökonomie ist bekanntlich meines Erachtens der beanspruchte andere Umgang mit Arbeit, mit Arbeitsteilung, mit Hierarchien - vom anders lernen, leben, arbeiten der Tvind-Schulen bis zum „Bei uns ist jede(r) der Chefg, wie es jedenfalls vor einigen Jahren die ASH proklamierte. Hier ist meine Diagnose skeptisch: ich glaube nicht, daß der bereits eingetretene Prozeß der Aufsplitterung der Kollektive unter dem Primat der Arbeitsteilung nicht mehr ohne weiteres reversibel ist. Die vor 8 bis 10 Jahren oft zu beobachtende Emphase des „Alle können alles" in alternativen Projekten wird auf absehbare Zeit nicht zu erwarten sein. Umso wichtiger wird es sein, Formen zu erarbeiten, die eine Verfestigung der naturwüchsigen Arbeitsteilung auf lange Sicht zu verhindern geeignet sind. Im politischen Raum ist in den letzten Jahren (bedauerlicherweise auch in einem wieder abnehmenden Maße) der Stellenwert der Rotation wieder entdeckt worden: es wird erforderlich sein, die Rückübertragung von Rotation und vergleichbaren Formen in den alternativ-ökonomischen Bereich anzugehen.

Zur Ökobank

Dieses Problem betrifft auch jene geplante alternative Einrichtung, auf deren Einladung ich hier zu sprechen habe, die Ökobank. Sollte sie zustande kommen, wird sie aufgrund der besonderen juristischen Restriktionen der Bankengesetzgebung in einem außergewöhnlichen Maße mit Tendenzen zur Versteinerung der Arbeitsteilung konfrontiert werden. Je mehr die Blütenträume der Ökobank reifen würden, mit neun-stelligem Kreditvolumen, friedensbewegten Sparern und Girokontoinhaber(inne)n und einem kontinuierlichen Flickprozeß zwischen Genossenschaft und Verein, desto eher wäre zu prognostizieren, daß die Angehörigen der Vorstände und Aufsichtsräte zu den mächtigsten Leuten der sozialen Bewegungen der Bundesrepublik Deutschland gehörten. Analoges gälte für die entsprechenden Kolleg(inn)en der teils als Alternative, teils als Ergänzung konzipierten Direktkreditvermittlungen und Bürgschaftsbanken.

Systemgrenzen

Die erste Systemgrenze

Zur Zunft der Systemgrenzen alternativer Ökonomie übergehend, wird sich zum einen das Dilemma zwischen Revenueaufkommen und Menschen, die an einer Arbeit im alternativen Sektor interessiert sind, im Falle eines längerfristigen Aufschwungs umkehren. Die Krise, ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Leuten , die infolge von Massenarbeitslosigkeit, Reallohnsenkung und schwer erträglichen Kontrollmechanismen im sogenannten „sozialen Netz" an einem Lebensunterhalt in alternativen Betrieben interessiert sind, dem ein eklatanter Kapitalmangel gegenübersteht.

Für den fiktiven Fall, daß für alle 4 Millionen bundesrepublikanischen Arbeitslosen Arbeitsplätze in selbstverwalteten Betrieben geschaffen werden sollten, wären mindestens 80 Milliarden DM erforderlich. Für den Fall des zyklischen wirtschaftlichen Aufschwungs wiederum wäre das Problem des Revenueaufkommens fraglos leichter zu lösen, doch stellt sich die Frage, wie viele Leute noch im selbstverwalteten Bereich arbeiten wollen wenn es ihnen möglich ist, in der gesamtgesellschaftlichen Wirtschaft zu Tariflöhnen zu arbeiten - jedenfalls in den dann folgenden 20 bis 30 Jahren, bis dieser Aufschwung durch die nächste Krise abgelöst wird.

Wie läßt sich diese Systemgrenze hinausschieben? - „Ein Programm voller Fallen"

So wäre m.E. in etwa die überraschungsfreie Entwicklung dieser Systemgrenze alternativer Ökonomie. Da jedoch die Funktion der Untersuchung von Systemgrenzen entgegen einer weitverbreiteten Ansicht nicht die ist, Resignation zu verbreiten, sondern zu versuchen, diese Systemgrenzen soweit wie möglich hinauszuschieben, kann es damit nicht sein Bewenden haben. Nichts anderes als das Hinausschieben dieser ersten Systemgrenze ist der Sinn sowohl der Staatsknetediskussion als auch der intendierten Ökobankgründung. Es handelt sich um die untrennbare Verbindung zweier Aufgaben: der Erhöhung der umverteilbaren Revenuemasse und der politischen Durchsetzung der Verbreitung eines Sektors wirtschaftlicher Selbstverwaltung, der Ökonomisch allein nicht durchgesetzt werden kann. Es ist unser gemeinsames Problem, da auf dem Wege doch lauter paradoxe Aufgaben gelöst werden müssen, die an die Stationen gemahnen, die in manchen Märchen zurückgelegt werden müssen: Die Gründung eines abgestuften Systems von Banken und bankähnlichen Einrichtungen, welchen gleichwohl Kunden, Einleger(innen) und sie tragende politische Bewegungen das Sagen haben; die Stärkung einer wie immer gearteten politischen Vertretung (deren Vorschein , krisengeschüttelt wie immer, die Partei DIE GRÜNEN darstellt), die gleichwohl nicht zur verselbständigten Repräsentanz einer lobbyistischen Wählerschar verkommt; die Annäherung dessen, was derzeit als „Alternativlohng gehandelt wird, an den durchschnittlichen Facharbeiterlohn, ohne daß dadurch jenes trade-unionistische Bewußtsein verstärkt (oder überhaupt erst hervor getrieben) wird, daß gegenüber dem Lohnempfang die Selbstverwaltung oder die Gebrauchswertorientierung zur bloß gleichgültigen Zutat werden läßt, eine Senkung der Selbstausbeutungsrate, ohne daß jedes außerhalb der Arbeit geäußerte freundliche Wort, jede in die Gemeinsamkeit von Leben und Arbeit integrierte Dienstleistung nur noch als Moment von Selbstausbeutung wahrgenommen wird; schließlich ein für den Fakt der Konkurrenzfähigkeit insbesondere auch im Falle des Aufschwungs überlebenswichtiger Ausbau der Maschinerie (wie sie etwa Dieter Otten in seiner Utopie elektronifizierter Kleingenossenschaften entworfen hat), der gleichwohl die herkömmlichen Folgen des Einsatzes von Maschinerie, von der Rationalisierung bis zur Unterwerfung des Arbeitsrhythmus unter ihren despotischen Takt zu vermeiden bestrebt ist. Dies wäre ein anspruchsvolles Programm, und es steckt, wie auf den ersten Blick zu sehen ist, voller Fallen. Jedoch werden paradoxe Aufgaben dieser Art, und ich habe noch sicherlich einige vergessen, gelöst werden müssen, wenn die Hoffnung auf Selbstverwaltungswirtschaft mehr sein soll als eine Episode inmitten einer endlos erscheinenden ökonomischen und ökologischen Krise.

Die zweite Systemgrenze

Vergleichbares gilt für die zweite Systemgrenze, die Unmöglichkeit eines geschlossenen alternativ-ökonomischen Reproduktionskreislaufs. Oder, populär ausgedrückt: je mehr sich die alternative Ökonomie entfaltet, desto mehr verdienen die anderen daran, die herkömmlichen Einzelkapitalien, die die Alternativbetriebe mit Rohmaterial, Baustoffen, Werkzeugen und Maschinen ausstatten.

Autarkie im Reich der Illusionen"

Gewiß, die Vorstellung einer bald zu erreichenden Autarkie ist ins Reich der Illusionen zu verweisen - selbst der elaborierteste Entwurf (viel elaborierter als etwa der Rudolf Bahros) dezentralen Wirtschaftens, Goldsmith/Allens „Planspiel zum Überleben", setzt hierfür klugerweise eine Zehnjahresfrist an. Doch auch hier muß kein Anlaß zur Entmutigung bestehen: jedes Prozent, das an Reproduktionsanteilen durch gegenseitige Kooperation und Hilfe gewonnen werden kann, stellt sich mir als Erfolg dar. Zum einen wäre auch hier jener Fluß selbst bestimmter europäischer Untersuchung sinnvoll, den ich schon im Zusammenhang der Gebrauchswertorientierung erwähnt habe. Ihr Zweck läge darin, herauszubekommen, welche Produktion welcher Projekte in eine sinnvolle Verbindung mit den Produkten anderer Projekte gebracht werden könnte.

In Systemen zu denken als eines der ersten Erfordernisse ökologischen Denkens und Handelns"

Zum anderen wäre es, jenseits der im alternativen Gewande vorherrschenden Konkurrenz, Cliquenwirtschaft und Kleinstädterei notwendig, etwas zu tun, was immer als eines der ersten Erfordernisse ökologischen Denkens und Handelns benannt wird: nämlich, in Systemen zu denken. Eine größere Anzahl alternativer Kneipen etwa mit einer Brauerei, eine größere Anzahl von Taxi-Kollektiven mit einer der ehemaligen Volvo-Bau-Einheiten, eine größere Anzahl Druckereien mit den einschlägigen Papier- und Maschinenproduktionen, eine größere Anzahl von technologischen Betrieben mit einer Entwicklungsgesellschaft für AT, und all diese und noch viel mehr mit den entsprechenden sozialen, kulturellen und Bildungseinrichtungen zu verbinden. Auf der mittleren Ebene klafft zwischen den kühnen Entwürfen Ernest Callenbachs, Joseph Hubers oder Otto Ulrichs - um nur einige zu nennen - und Handwerkelei von Hinterhoftischlereien oder Buchhandelskollektiven eine große Lücke.

Die dritte Systemgrenze

Schließlich die dritte Systemgrenze alternativer Ökonomie: die der unaufhaltsamen Preissteigerung von Grund und Boden, gerade wenn er von alternativen Einrichtungen verstärkt in Anspruch genommen würde. Auch hier gilt es, sich von dieser unbestreitbaren Tendenz nicht entmutigen zu lassen, sondern auszutesten, wieweit sich diese Systemgrenze ausdehnen läßt, und wo sie dann zu einer vorläufig-endgültigen wird. Sicher gibt es erste Aktivitäten in dieser Richtung; nur beispielsweise nenne ich den Wohnbund. Auch scheint es mir zum heimlichen Lehrplan der zukünftigen Ökobank zu gehören, da sie gleichzeitig alternative Projekte fördern und auf die banküblichen Sicherstellungen achten muß, daß es zu einem ordentlichen Teil auf den Erwerb alternativen Grund und Bodens hinauslaufen wird. Auf eine weite Zukunft hin, insbesondere wenn sich Ideen großer Kommunen, weitläufiger Dezentralisierungen und vergleichbare ausdehnen sollten, werden wir aber um eine außerökonomische Regelung, um die gesetzliche Fundierung eines reformierten Bodenrechts nicht herum kommen.

Bedingungen für eine Selbstverwaltungswirtschaft

Aus den genannten in sich ambivalenten Versatzstücken zur Zukunft der alternativen Ökonomie wird klar, daß ich nicht ohne weiteres in der Lage sein werde, ein leuchtendes Panorama zukünftigen Wirtschaftens in die abendlichen Lüfte der Bodenseeregion zu malen. Dies betrifft insbesondere mögliche Erwartungshaltungen, die die Zukunft der alternativen Ökonomie unversehens in die konkrete Utopie einer Selbstverwaltungswirtschaft hinübergleiten zu hören hoffen. So sehr mir selbst diese Vorstellung angenehm wäre, so sehr fühle ich mich gezwungen festzustellen, daß mir - wenn nicht etwas geschieht – der Niedergang der alternativen Ökonomie der nächsten Generation als wahrscheinlicher erscheint, als der Übergang in die Selbstverwaltungswirtschaft. Dennoch möchte ich mit einigen Anmerkungen möglicher Bedingungen zukünftiger Selbstverwaltungswirtschaft schließen:

Willensbildung in und zwischen alternativen Projekten

Die Willensbildung in und zwischen den alternativen Projekten hat sich in den letzten 15 Jahren, das darf bei allen Kritiken nicht übersehen werden, gewaltig demokratisiert. Dennoch sind eine Reihe von (langfristig entmotivierenden) Sackgassen noch nicht überwunden worden, auf die, wenngleich aus entgegengesetztem Interesse, 1905 schon Robert Michels hingewiesen hat. Mit geringfügigen Variationen, die dann vielleicht immer noch Rotation genannt werden, vertreten immer dieselben wenigen Leute die alternative Ökonomie in allen möglichen Zusammenhängen. Und das, obwohl die Anzahl ihrer Teilnehmenden eher den Namen der „Leerversammlungen" verdienen dürften. So verdienstvoll, um das gerade in Achberg zu sagen, die Bestrebungen der „Aktion Volksentscheid" sind, eine Urabstimmung in die bundesrepublikanische Verfassung hineinzubekommen, so wenig habe ich von Versuchen gehört, die Urabstimmung als Form der Willensbildung in die projektübergreifende Selbstverwaltung, sei es der Partei DIE GRÜNEN, sei es der NETZWERKE SELBSTHILFE, sei es der AKTION DRITTER WEG, sei es von Selbstverwaltungsverbänden, einzuführen.

Der Selbstverwaltungsverband

Ein weiteres Problem liegt meines Erachtens der von mir bereits 1977 befürchteten Gefahr, es würde in einigen Jahren nicht einen, folglich verhältnismäßig starken Selbstverwaltungsverband geben, sondern mehrere, die einander in Konkurrenz gegenüberstehen. Einen Eindruck von der zu befürchtenden Stichhaltigkeit dieser Prognose gibt die Lage der Zusammenschlüsse der israelischen Kibbutzim: da gibt es beileibe nicht einen, sondern nach politischer Ausdifferenzierung fünf davon. Wenn ich alleine an die Partei DIE GRÜNEN denke, wo ich, um eine frühere Metapher Wilfried Heidts zu variieren, viel Vielfalt, aber wenig Einheit wahrzunehmen imstande bin, fürchte ich um den dauernden Bestand jener Selbstverwaltungsorgane, die an dieser Partei orientiert sind. Daneben könnten noch in einigen Jahren ein SPD-Kleingenossenschaftsverband, ein autonomistischer Selbstverwaltungsverband, ein feministischer Selbstverwaltungsverband entstehen.

Integrierte Unterstützung sozialer und kultureller Projekte durch ökonomische Projekte

Zentral für den allmählichen Ausbau der Selbstverwaltungswirtschaft wäre der Ausbau einer Idee, die von ASH, wie auch von der AKTION DRITTER WEG, notwendigerweise rudimentär praktiziert wird. Die Rede ist von der integrierten Unterstützung sozialer und kultureller Projekte durch ökonomische Projekte. Ohne eine solche Integration werden die Ansätze zur Selbstverwaltung sich allzusehr auf die ökonomistische Sichtweise beschränken. Der Weg zu diesem integrativen Verbund führt über gemeinsame Unterstützungsfonds und Netzwerke mehrerer Betriebe, die nicht über die Größe und relative ökonomische Potenz der ASH verfügen, in sozialen und kulturellen Angelegenheiten. Allerdings sehe ich, bei Auswertung aller zeitgenössischen Schätzungen, das Problem, daß die Anzahl der sozialen und kulturellen Projekte die Anzahl der Betriebe in Selbstverwaltung bei weitem übersteigt, daß also die Konkurrenz ersterer um die Unterstützung eine beträchtliche sein dürfte.

Schlußmerkung

Und schließich eine letzte Anmerkung, die mit der Zukunft der alternativen Ökonomie sicher nur am Rande zu tun hat, aber fraglos erhebliche Wirkungen auf die Zukunft der alternativen Ökonomie ausüben würde. Würden die Leute im Umkreis der Selbstverwaltungsbestrebungen einander mehr mögen, vielleicht würde die Chance auf die Verwirklichung etwas steigen."

RUNDBRIEF ALTERNATIVE ÖKONOMIE

Ende Oktober erscheint der neue Rundbrief des Theoriearbeitskreises Alternative Ökonomie der AG SPAK. Zu beziehen ist er gegen Voreinsendung von DM 5.- bei: Läufertsmühle, 6934 Neckargerach

Aus dem Inhalt:

Selbstdarstellung des Theoriearbeitskreises

Protokolle der Sitzungen des AK auf dem Sommerseminar in Altenmelle

Vorbereitungspapiere zu dem Seminar „Soziale Absicherung und Altersversorgung in selbstverwalteten Projekten" vom 8.-10.11 .85 in Bielefeld:

- Programmvorschlag

- Aufstellung der Versicherungsmöglichkeiten für Betriebe, Projekte, Initiativen etc.

- Artikel zu Kollektivbetriebe und sozialer Absicherung, bzw. Alternativen zu bestehenden Systemen

- Zur Diskussion um die Mindestrente

- Zahlen und Fakten zur Alterssicherung und eine empirische Untersuchung zur Alterssicherung in der alternativen Wirtschaft

- Möglichkeiten der betrieblichen Altersversorgung

Ein Artikel über die Diskussion zum Thema Selbstverwaltungswirtschaft zwischen der SPD. und den GRÜNEN

Eine Ideenskizze zu einem Institutsprojekt für Selbsthilfe, Selbstverwaltungsökonomie und neugenossenschaftliche Ansätze

Zur Zukunft der Genossenschaftsidee in der BRD

 

 

Home ] Nach oben ]

Senden Sie E-Mail mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an: CONTRASTE
Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 30. April 2010