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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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STATTwerke

Pilotprojekt
Kreditvermittlung

Kommen die dezentralen Finanz-Coops wieder in Mode?

Red. Bremen In der Mai-Ausgabe der CQNTRASTE hat sich Gerd Nowakowski mit der Bedeutung der regionalen Öko-Bankvereine und insbesondere ihren Funktionen nach der Bankgründung auseinandergesetzt ("kein Platz für schwarze Löcher"). Gefordert wird in dem Artikel von Gerd nun ein Nebeneinander von Öko-Bank und regionalen Öko-Bankvereinen sowie die Übernahme von Bankfilial- und Kreditmittleraufgaben durch die Vereine.

Diese Forderung hat mich schlagartig an unser von den Netzwerken (Stuttgart, Freiburg, Nürnberg, Konstanz, Ravensburg), der Bankinitiative für Frieden und Ökologie München und von STATTwerke 1984 entwickelte Konzeption der dezentralen Finanz-Coops erinnert. Sind unsere Coops wieder in Mode gekommen?

Um noch einmal darzustellen, was uns damals vorschwebte, die wichtigsten kommentierten Passagen aus unserem Positionspapier, das wir zur Projektmesse 1984 dem Frankfurter Öko-Bankverein vorgelegt haben:

Zunächst war beabsichtigt, daß das Eigenkapital der Bank durch sog. regionale "Finanz-Coops" aufgebracht wird; sie sollten die Haftungsmittel, - auch in kleinsten Stückelungen von privaten Leuten. Projekten, Betrieben kurzum: den neuen sozialen Bewegungen - sammeln und sie dann en bloc in die Öko-Bank einbringen.

Vorgesehen war auch, daß die Finanz-Coops als dezentrale Geschäftsstellen der Öko-Bank fungieren, d.h., daß sie sämtliche Absatzleistungen für die Öko-Bank vor Ort erbringen (wie Abwicklung von Krediten, Annahme und Weiterleitung von Spareinlagen, Beratung von Kunden etc.).

Rechtlich sollte zur Einbringung der Eigenkapitalmittel der Finanz-Coops in die Öko-Bank eine "Zwei-Stufen-Lösung" verwirklicht werden.

Auf der einen Seite dieser Stufenkonstruktion standen sog. regionale Kapitalsammlungsvereine, die die Aufgabe hatten, kleine Eigenkapitalanteile für die Öko-Bank in Form von Mitgliedsbeiträgen zu mobilisieren.

Zur Beschaffung größerer Eigenkapitalbeträge wurde auf einer zweiten Stufe die Gründung von regionalen Finanz-GmbHs angestrebt. Hier sollten diejenigen ihre Anteile einbringen, die für die Öko-Bank Eigenkapitalbeiträge über 1.000 DM oder auch 2.000 DM zur Verfügung stellen wollten. Auch die regionalen Kapitalsammlungsvereine waren in den Finanz-GmbHs als Gesellschafter vertreten; sie sollten hier, um die regionale Kapitalgeberstruktur der Öko-Bank so vereinheitlichen, ihr Vereinsvermögen einbringen. Daneben sollten die Kapitalsammlungsvereine als einzige stimmberechtigte Gesellschafter der Finanz-GmbHs über deren Geschäftspolitik bestimmen. Den "großen " Eigenkapitalgebern wurde in den GmbHs kein Stimmrecht zugestanden. Vielmehr mußten sie, um eine Beteiligung an den Entscheidungen zu erhalten, Mitglieder in den Kapitalsammlungsvereinen werden. Damit sollte gewährleistet werden, daß die großen Eigenkapitalgeber in den rechtlich geschachtelten Finanz-Coops nicht mehr Einflußrechte haben als die kleinen Eigenkapitalgeber.

Sinn des ganzen Verfahrens war folgender:

1) Zur Vermeidung eines hohen Betreuungs- und Verwaltungsaufwandes sollten kleine Eigenkapitalanteile entsprechend den Prinzipien der Alternativen Ökonomie neutralisiert werden. Neutralisierung meint, daß die Eigenkapitalanteile als nicht rückzahlbare, verlorene Zuschüsse gelten. Rechtlich durchgesetzt werden sollte die Neutralisierung mit Hilfe der Vereinskonstruktion.

2) Größere Eigenkapitalbeträge lassen sich vorerst — hier muß man realistisch sein - nicht in eine neutralisierte Form überführen. Vielmehr werden die Eigenkapitalgeber Wert auf eine Rückzahlungsvereinbarung in ihren Verträgen legen. Um ein solches Verfahren auch rechtlich zu ermöglichen, wurde die Einbringung der Mittel in eine. dezentrale Finanz-GmbH vorgesehen (denkbar wäre als Rechtsform natürlich auch die Genossenschaft gewesen).

Die rechtliche Aufsplittung der Finanz-Coops in einen Kapitalsammlungsverein einerseits und in eine Finanz-GmbH andererseits (letztere ist übrigens Gesellschafter/Genossenschaftler der Öko-Bank) hat allerdings nicht nur nur Bedeutung für das Verfahren der Eigenkapitalaufbringung. Ebenso sprachen für diese Konstruktion politische Überlegungen:

l) Durch die Beteiligung der Finanz-Coops, genauer: Finanz-GmbHs wären die Mitsprache- und Mitentscheidungsbefugnisse der dezentralen Finanzierungseinrichtungen an der Öko-Bank bzw. deren Geschäftspolitik rechtlich verbindlich gesichert. Diese Rechte lassen sich - wenn sich die dezentralen Instanzen weigern - durch keine Satzungsänderung noch durch sonstige Reglementierungen einschränken.

2) Die dezentrale Farm der Eigenkapitalaufbringung schaffte die Voraussetzungen dafür, daß die einzelnen Förderer, Unterstützer, Kunden usw. der Öko-Bank über ihre Mitgliedschaft im dezentralen Kapitalsammlungsverein (bzw. Finanz-GmbH) die Möglichkeit zur direkten Einflußnahme auf die Bankpolitik erhielte. Dies war alleine schon dadurch gewährleistet, daß sich durch die räumlich und personell beschränkteren Finanzierungseinrichtungen überschaubare und durchsichtige Mitwirkungs- und Kontrollmechanismen installieren ließen.

Schließlich entsprach die geschachtelte Konstruktion den rechtlichen und ökonomischen Erfordernissen eines dezentral angelegten alternativen Geld- und Finanzsystems:

1) Die Finanz-GmbHs schufen das rechtliche Gerüst, um das institutionelle Geldgeschäft der Öko-Bank über die dezentralen Instanzen abwickeln zu können. Das galt auch für Geldgeschäfte, die ohne institutionelle Vermittlung z.B. über eine Kreditvermittlung zustande kämen, d.h. auch hier schufen die Finanz-GmbHs den rechtlichen Rahmen, in dem solche Transaktionen möglich wurden.

2) Die Finanz-GmbHs waren schließlich eine ideale Institution um die notwendigen Sekundärstrukturen für ein alternatives Finanzierungswesen zu etablieren. So konnten von ihr auf dezentraler Ebene die für die Kreditnehmer einer Öko-Bank zweifellos sehr bedeutsamen Kreditsicherungsinstrumente wie Haftungsassoziationen (Bürgschaftsbanken), Beteiligungs- und Leasinggesellschaften initiiert und gegründet werden.

Entscheidender als diese Vorteile war aber nach wie vor, daß ein von unten, über die dezentralen Finanz-Coops aufgebautes, alternatives Kreditinstitut auf jeden Fall in der Lage war, die Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte der Basis (oder der neuen sozialen Bewegungen) zu garantieren. Diese Gewißheit konnte man aus dem Miteigentümerstatus und den damit vom deutschen Gesellschaftsrecht zugestandenen Rechten ziehen, über den die dezentralen Finanz-Coops verfügten, wenn sie Gesellschafter/Genossenschaftler der Öko-Bank wurden.

Diese Gewißheit gäbe es andererseits aber dann nicht mehr, wenn die Öko-Bank zentral, z.B. mit einer großen Schar von kleinen Anteilseignern, die erfahrungsgemäß über keine politische Schlagkraft verfügen, gegründet werden würde. Hier dominiert im allgemeinen, wie in anderen, traditionellen Publikumsgesellschaften auch, die Administration bzw. das zentrale Management. An dieser Tatsache dürfte auch eine von oben arrangierte dezentrale Kontroll- und Absatzstruktur der Bank (z.B. über dezentrale Bankbeiräte oder der sog. "Interessengemeinschaft Selbstverwaltung") nicht viel ändern. Zudem ließe sich die Kontinuität dieser von oben verordneten Dezentralität nicht gewährleisten. Sie kann, je nach der gewählten rechtlichen Absicherung, durch Beschlüsse der Eigenkapitalgeber (z.B. Generalversammlung) oder des zentralen Vorstandes/Geschäftsführung revidiert werden, denn: "stimmberechtigt und verantwortlich im Sinne des Gesetzes sind immer nur die im Gesetz genannten Institutionen und Personen". (A. v. Loesch, Kommune 8/84).

Das Positionspapier ist knapp ein Jahr alt. Nicht alles gilt mehr, was uns damals in den Köpfen herumschwirrte, insofern ist das Papier an einigen Stellen veraltet - schlicht und weg von der Diskussion überholt worden.

Dennoch scheint mir das dem Positionspapier zugrunde liegende Grundmotiv, nämlich Ideen für die erforderliche politische, personelle und kapitalmäßige Infrastruktur der Öko-Bank zu entwickeln, nichts an Aktualität eingebüßt zu haben. Ganz im Gegenteil. Der bisherige (Öko-Bank) Entwicklungsverlauf zeigt, daß diese Strukturdebatten, 1984 noch krampfhaft von vielen Aktiven verdrängt, heute eine zunehmende Bedeutung erhalten. Regionale Öko-Bankvereine, und das gilt besonders auch für den Berliner, rufen jetzt nach der Stopfung "schwarzer (Struktur)Löcher", denn diese "Frage gilt es zu entscheiden, schnell. Denn unser Spielraum zur Ausgestaltung künftiger Struktur wird immer enger" (G. Nowakowski).

Diese Struktur- - bzw. besser - Infrastrukturdebatten müssen aus meiner Sicht, wie im vorigen Jahr begonnen, auf drei Ebenen geführt werden:

Politische Infrastruktur: Die neuen sozialen Bewegungen sind gieichmäßig, ohne bestimmte Gruppen zu bevorzugen, an der Entwicklung und Festlegung der Grundsätze der Geschäftspolitik der Öko-Bank zu beteiligen. Die Selbstverwaltungsbewegung darf nicht gegen die Ökologiebewegung und umgekehrt ausgespielt werden. Die Konflikte um die Hennefer Ingenieurbau sollten hier Mahnung genug sein, um jetzt den notwendigen politischen Rahmen der Öko-Bank in Form von anerkanntes Konfliktregulierungs- und Ausgleichsmechanismen zu schaffen.

Personelle Infrastruktur: Wenn die Transformationsgefahr der Öko-Bank hin zu einer normalen Geschäftsbank eingedämmt werden soll, dann sind Leute notwendig, die Bankleistungen, insbesondere solche an die Alternative Ökonomie, sachkundig abwickeln können.

Jeder weiß aber, daß die Personaldecke der Bewegung mit solchen Leuten unheimlich dünn ist. Da nützt es auch nichts, nach dem alternativen Unternehmens- und Projektberater als Lückenbüßer zu rufen (s. Brendgen-Artikel in der Juni-Ausgabe der CONTRASTE), denn diese Leute stehen häufig noch am Anfang ihrer Beratertätigkeit; sie sind gerade dabei, sich - nicht aus Lehrbüchern oder sonstigen Publikationen beziehbares - Wissen über Alternative Ökonomie, kooperative Betriebswirtschaft und "kooperatives Finanzmanagement" anzueignen.

Die Öko-Bankaktivisten sollten daraus schleunigst den Schluß ziehen, daß neben den Eigenkapitalsammelaktionen nun auch Maßnahmen zur Qualifizierung des späteren (zentralen und dezentralen) Bankkollektivs erforderlich sind.

Gewarnt sei an dieser Stelle auch vor der Überlegung, daß man den Bedarf an qualifiziertem Personal durch den "Einkauf von Fachleuten aus dem traditionellen Bankenbereich decken könnte. Diese Fachleute haben zumeist keine Ahnung von kooperativem Betriebs- und Finanzmanagement - woher auch? Die Transformationsgeschwindigkeit der Öko-Bank kann dadurch nur gesteigert werden.

Kapitalmäßige Infrastruktur: Die Öko-Bank braucht, um ihre Risiken abfedern zu können, eine kapitalmäßige Infrastruktur in Form von Bürgschaftsbanken (Haftungsassoziation), Beteiligungs- und Leasinggesellschaften usw. Da die Notwendigkeit einer solchen bankenmäßigen Infrastruktur allgemein anerkannt ist, brauchen darüber hier keine Worte mehr verloren zu werden.

Marlene Kück

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 26. August 2011