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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Staatsknete Bremen

Der Sack ist auf: 

Staatsknete für Alternativprojekte in Bremen

Auch wenn es den meisten schon bekannt sein sollte, halten wir es für sinnvoll, in Kurzform den Fond ,,Staatsknete" und die Bedeutung von alternativen Projekten kurz zu skizzieren, In der Auseinandersetzung um Staatsknete haben wir nämlich die Erfahrung gemacht, daß einige Dinge durcheinander gehen. Das wird (manchmal auch von uns) nicht genau gesehen, welche Unterschiede beispielsweise zwischen einem selbstverwalteten Kultur- und Sozialprojekt und einem selbstverwalteten ökonomischen Projekt bestehen. Neuerdings kommen auch die Belegschaftsinitiativen der von Stillegung bedrohten, bisher noch nach rein kapitalistischen Prinzipien geführten Betriebe dazu, die zunächst einmal wenig gemeinsames mit alternativen Projekten haben.

Und seitdem der Staat die Alternativen für seine Arbeitsmarktpolitik entdeckt hat, findet sich manches Projekt unter dem Etikett „unkonventionelle" oder „örtliche Beschäftigungsinitiativen" wieder. Angefangen hat's doch einmal anders.

Die Alternativbewegung in der Bundesrepublik war doch wohl u.a. zunächst die Antwort auf eine politisch verkrustete, langweilige, sich im Konsumrausch befindliche Industriegesellschaft die mehr Defizite schuf, als menschliche Bedürfnisse befriedigte. Die Suche nach anderen, physisch gesunderen Lebens-, Politik- und Arbeitsformen, die Kritik an Fabrikarbeit, Leistungsterror und Zerstörung der natürlichen Lebensumwelt ließ die ,,erste Generation" der Alternativen entstehen: ,,Die Aussteiger". Es handelte sich bei der ersten Generation der Alternativen in den 70er Jahren um einen bewußten Ausstieg und vagen Einstieg in eine neue Welt, die zunächst wie ein Experiment erschien, das auch noch verdächtigt wurde, nur von Utopien zu leben, die solange wirklichkeitsfremd seien, wie nicht die gesamte Gesellschaft umgekrempelt und der Sozialismus entwickelt sei.

Das Mutige an der Bewegung bestand und besteht immer noch darin, im Hier und Jetzt, in Konfrontation mit dem Bestehenden anders zu sein — und dies beispielhaft, wie sich noch zeigen wird. Die alternativen Gruppen haben den Anspruch auf Veränderung der Gesellschaft nicht aufgegeben. Im Gegenteil: sie beginnen bei sich selbst, begreifen ihre Projekte als notwendige Schritte, wenn auch nicht als umfassende und hinreichende Antwort auf die vielfältigen Krisen dieses Systems, jedoch als politische Ausgangsbasis für eine andere Zukunft.

Typisch für alternative Betriebe und Projekte ist:

# Der Versuch, ihre Produkte und Dienste nicht einem anonymen Markt anzubieten, sondern sich an den unmittelbaren Bedürfnissen von Menschen und ihrer Umwelt auszurichten; d.h. auch Wiederbelebung des lokalen Wirtschaftsraumes.

# Gemeinschaftliches Eigentum und gleiche Verfügungsrechte über das Vermögen. Stimmberechtigung pro Kopf und nicht pro Kapitalanteil.

# Selbstverwaltung d.h. keine Betriebshierarchie; gemeinsame Entscheidungen darüber, was und wie produziert wird.

# Menschlich-ganzheitliche Arbeits- und Lebensbedingungen zu versuchen, anstatt die Arbeit immer weiter zu verstückeln. Identifikation mit den Arbeitsergebnissen , und Arbeitsformen als Voraussetzung, Entfremdung zu überwinden, und als unverzichtbare Bedingung für persönlich bedeutungsvolles, engagiertes und effektives Arbeiten.

# Vernetzung, statt Konkurrenz; Kooperation nicht nur im eigenen Betrieb oder Projekt, sondern auch mit anderen, sowohl in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht.

# Nicht Profitmaximierung als Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens, sondern langfristige Stabilität der Arbeitsplätze, menschliche, selbstbestimmte Arbeitsbedingungen und gesellschaftlich nützliche Produkte.

Schwerpunkte der Arbeit liegen in folgenden Bereichen:

# Soziale Dienste: (z.B. Kindergruppen, Drogenberatung, Schulen, Therapie, Gesundheit)

# Bürgerinitiativen: (z.B. Umwelt, Verkehr, Ausländer, öffentliche Polizeikontrolle)

# Produktion, Handwerk, Reparatur: (Druckereien, Bäcker, Fleischereien, Fahrräder, Kunsthandwerk, alternative Technologien)

# Landwirtschaft: (Landbau, Gartenbau, Tierhaltung)

# Handel, Verkehr: (Lebensmittel, Bücher, Kneipen, Taxi, Reisebusse)

# Medien- und Kultur: (Film, Video, Zeitschriften, Theater, Musik, Verlage)

Alternative Betriebe und Projekte stellten sich nicht als vorübergehendes Phänomen heraus, sondern als qualitativ und quantitativ relevanter Bestandteil der Gesellschaft. In dem Maße, wie die wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Probleme in der Bundesrepublik (und auch in den benachbarten Ländern) von der herrschenden Politik nicht gelöst werden konnten, etablierten sich alternative Betriebe und Projekte als eigenständige und selbstbewußte Antwort auf diesen Zustand. Das zunehmende Bewußtsein in der Bevölkerung über den. Zwang, mit problematischen Konsumgütern (z.B. Chemie in Lebensmitteln), bürokratischer Dienstleistung (Aufbewahrung von Kranken in Großkliniken) und umweltzerstörerischen Großprojekten (Flugplätze, Autobahnen, AKW's) leben zu müssen, gab den Alternativen ebenso Impulse wie der Widerstand in Teilen der jüngeren Generation gegen Leistungsdruck, Konkurrenz und Entfremdung.

Schließlich — in den 80er Jahren, sozusagen in der zweiten Gründerphase - entstanden Alternativbetriebe und Projekte auch als eine Reaktion auf die Massenarbeitslosigkeit. Durch die Gründung von alternativen Betrieben und Projekten ist so mancher neuer Wirtschaftszweig entstanden und eine Vielzahl neuer sinnvoller Arbeitsplätze geschaffen worden. Die Politiker entdeckten ein neues "Element für ihre bisher erfolglose Arbeitsmarktpolitik: den "Arbeitsmarkt von unten", den "zweiten Arbeitsmarkt", der recht wirkungsvoll arbeitet, und dies so gut wie ohne Subventionen. Das gefällt den Arbeitsmarktpolitikern: Die Menschen verharren nicht passiv in ihrer Arbeitslosigkeit und warten auf nicht vorhandene staatliche Angebote, sondern helfen sich selbst.

Ergänzt wird diese Entwicklung durch Initiativen von Belegschaften, deren Betrieb vor dem Konkurs steht, und diese vor die Entscheidung gestellt: Entweder Arbeitslosigkeit oder den Versuch zu wagen, den Betrieb in eigener, kollektiver Verantwortung weiterzuführen, sich für die kollektive Lösung zu entscheiden. Positive Beispiele dieser Art von Selbsthilfe sind in Bremen bereits bekannt: AN-Bremen (ex Voith-Heidenheim), Druckerei Geffken, weitere Betriebe werden demnächst sicher folgen. Neue, und produktive Verbindungen zwischen den Belegschaftsinitiativen und Alternativbetrieben entstanden immer dann, wenn die Belegschaftsfirmen sich ebenfalls auf die Suche nach sinnvollen anderen Produkten und humaneren Arbeitsbedingungen machten. Aus dem Nebeneinander und Gegeneinander entwickelte sich mancherorts ein Miteinander von „Latzhosen" und „Blaujacken", zumal in Fragen der Finanzierung ihrer Vorhaben, der „Selbstausbeutung" etc.

Das Gerangel um Staatsknete in Bremen 

Vorgeschichte/Sachbestand/Ausgangslagen

Für die Gründung und den Aufbau von Alternativbetrieben und Projekten wird Geld gebraucht. Der Geldmangel in der Bewegung ist leider chronisch. Um einen Betrieb einzurichten ist man auf Kredite und Finanzhilfen angewiesen. So wird versucht, über Freunde, Mäzene, Öko-Fonds, Netzwerke und ähnlichen Unterstützungsorganisationen das Gründungskapital aufzustocken, da die. Vergabebedingungen der Banken alternative Betriebe von der Kreditvergabe so gut wie ausschließen. Uns sind bisher nur wenige wirtschaftlich arbeitende Betriebe bekannt, denen es ohne Tricks gelungen ist, an Gelder zu gelangen, die im Rahmen staatlicher Förderung von Klein- und Mittelbetrieben vergeben werden. Kultur- und Sozialprojekte haben, sofern sie sich nicht wirtschaftlich verstehen, überhaupt keine Chancen an Bankkredite zu gelangen.

Aufgrund der günstigen Konditionen sind gerade auch die staatlichen Darlehen für alternative Betriebe von großer Attraktivität. Exemplarisch soll die Eigenkapitalhilfe des Bundesministers für Wirtschaft zur Förderung der Gründung selbständiger Existenzen erwähnt werden. Nach den Richtlinien des Ministeriums vom Januar 1983 werden folgende Hilfen angeboten:

Darlehen bis 3.000.000 DM (Berlin und Zonenrandgebiete bis 350.000 DM); Laufzeit 20 Jahre; 10 Jahre tilgungsfrei; 2 Jahre zinsfrei; Zinssatz 2% im 3. Jahr; 3% im 4. Jahr und bis zum 10. Jahr 5%; lediglich persönliche Haftung des Antragsstellers.

Diese Darlehen wie auch ähnliche staatliche Hilfsprogramme (ERP-Existenzgründungsprogramm von 1982 oder Investitionszulagen und Zuschüsse im Rahmen von regionalen Programmen der Wirtschaftsförderung) bleiben alternativen Betrieben allerdings verschlossen. Die selbstverwalteten Betriebe fallen durch die Raster der Vergabepraxis der mit der Durchführung betrauten (Haus) Banken. Die Banken prüfen nach Richtlinien, die von altemativen Betrieben nur unter (teilweiser) Aufgabe ihrer Identität erfüllt werden können. Eine Auswahl:

 

Forderungen der Richtlinien                                                Alternative Betriebe und Projekte

Es wird Gewinnmaximierung                                            Alternative Betriebe streben eine Kostendeckung an. verlangt oder:                                                                Überschüsse werden wieder investiert, zur Senkung der Eine eindeutige Gewinnorientierung.                                Arbeitszeit und zur Unterstützung anderer Projekte                                                                                     verwandt, damit weitere Menschen einen Arbeitsplatz                                                                                     bekommen können.

Persönliche und fachliche Förderungswürdigkeit               Es gibt nicht „einen Chef"; demokratische                       wird verlangt.                                                                Entscheidungsstrukturen in alternativen Betrieben führen                                                                                     zum Zweifel an der ökonomischen und kaufmännischen                                                                                     Seriosität.

Es wird ein oft zu hoher Eigenkapitalanteil gefordert.     Aufgrund der sozialen Lage (Arbeitslosigkeit, keine         Die eigenen Mittel sollen mindestens 12% betragen.         Spargelder), können die herrschenden Kriterien nicht erfüllt                                                                                     werden. Eine Eigenkapitalhilfe soll gerade dazu dienen, das                                                                                     Startkapital-Problem zu lösen.

Pro Vollgesellschafter wird eine                                      Bei einem selbstverwalteten Betrieb von beispielsweise 5 gleichberechtigten Investitionssumme von mindestens        Mitgliedern, wären das 200.000 DM. Solche Größenord-    DM 40.000 verlangt.                                                      nungen werden oft gar nicht angestrebt.

 

Selbstverwaltete Betriebe können in der Regel keine neuen Maschinen kaufen, jedoch nur diese Investitionen gelten als förderungswürdig. Bei diesen Diskriminierungen ist es nicht verwunderlich, daß alternative Betriebe und Projekte den Staat direkt angehen und „Chancengleichheit" reklamieren. Um in den Genuß dieser Mittel zu kommen, müßten die altemativen Betriebe ihre Ziele ändem, eine andere Kapitalstruktur haben und neben ihrer Selbstverwaltung auch das kollektive Eigentum aufgeben. Ähnliche Schwierigkeiten gibt es bei reinen Bankkrediten oder bei Anträgen auf Zuschüsse bei Investionen, da die alternativen Betriebe es im Selbstverständnis des Staates, Mißstände anzugehen, und an diesen Anspruch will die Bewegung die Meßlatte anlegen. Das Gerangel um Staatsknete begann.

Die Argumente, die ins Feld geführt werden, würde man sie alle auf die materielle Diskriminierung beziehen, würden nur einen sehr verkürzten Eindruck hinterlassen. Selbstbewußt erklären Projekte den Staat zum „Gläubiger". Schließlich von der alternativen Bewegung innovative Kräfte aus, die vom Staat aufgegriffen und verwertet werden sollten. Sei es

# die kreative Art, Probleme anzugehen und dabei Defizite staatlicher, verkrusteter Bürokratie aufzuzeigen

# Innovativ zu sein in Fragen der Stadtplanung, Energietechnologie, neuer Lebensformen, neuer Produkte

# Angesichts der Kürzungen im Sozialbereich günstige und wirksame Lösungsmöglichkeiten mit großen Erfolgen zu präsentieren.

# Die Arbeitslosigkeit mit „alternativen Preisen“ anzugehen und Arbeitsplätze ohne Subventionen zu schaffen, anstatt sie zu vernichten.

Und vieles mehr. 

Auch das Steueraufkommen aus diesem „zweiten Arbeitsmarkt“ ist nicht zu unterschätzen. Geht man von ca. 30.000 Projekten mit insgesamt 100.000 Arbeitsplätzen aus, kommt ein recht ansehnlicher Betrag zustande. Darum auch in diesem Zusammenhang die Argumentation: wir holen uns das vom Staat, was wir ihm gegeben haben.

Die Projekte und Betriebe haben es satt, unterbezahlt für den Staat Arbeiten zu machen, die er eigentlich machen muß. Dieses Argument wird genauso vorgetragen wie die Forderung nach Wirtschaftsförderung, denn wenn die Alternativen was Neues auf den Markt bringen, soll der Staat genauso bezahlen wie er Siemens, AEG oder Mercedes dafür bezahlt. Schließlich subventioniert der Staat mit Milliarden DM Unternehmen, die keine Arbeitsplätze schaffen, sondern sie durch Rationalisierungen vernichten. Dagegen dort, wo gesellschaftlich sinnvoll gearbeitet wird und neue Arbeitsplätze geschaffen werden, wird staatliche Finanzierung verweigert.

Staatsknete nach Bremer Art

In Bremen ist bekanntlich alles etwas anders als sonst im Land. Nicht nur, daß in diesem Bundesland seit zig Jahren die SPD eine satte Parlamentsmehrheit hat, nein im kleinsten Bundesland gibt's auch einen als links geltenden Jugend- und Sozialsenator, der nicht nur ein Herz für Kinder hat. Bevor die Bremer Alternativwelt überhaupt daran dachte, sich an die Regierenden in Sachen Staatsknete zu wenden, da hatte der Senator im Dezember 1982 bereits in einer Senatsvorlage im Rahmen eines Kurzzeitprogramms zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, die ,,Qualifizierten Arbeitslosen der Alternativszene" mit ein paar Millionen versorgen wollen. Es gingen Monate ins Land bis diese Absicht bei den Adressaten ankam und ,,ernst" genommen wurde. Auf die ersten „Impulse" aus den Behörden haben dann Netzwerk und Projekte (als AG Staatsknete" im Netzwerk) prompt, wie gewünscht, reagiert und sich viel Arbeit und Gedanken gemacht (und sind dabei der ersten Illusion aufgesessen, ass bedeute ein Brief mit dem Briefkopf eines Senators schon, daß die Gelder bereitstünden). Es gab vermehrte Kontakte, Gespräche in großer und kleiner Runde zwischen Behördenleuten und Projektvertretern - und natürlich im Netzwerkrahmen die aus Berlin bekannten und wohl immer wieder von neuem notwendigen Diskussionen darüber, welche Fallstricke mit der Annahme von Staatsgeldern verbunden sein könnten. Einige Projekte wollten kein Geld, aber mit diskutieren, um der vorgedachten Umarmung der Alternativwelt durch SPD und Staat rechtzeitig entgegenzuwirken.. Die anderen wollten in Ruhe abwarten, um zu sehen, unter welchen konkreten Bedingungen die Kohle wohl kommen könnte.

Der „Annährungsprozeß“ verlief zwar relativ glatt, war aber auch nicht einfach. Ziel der AG Staatsknete war ursprünglich die Einrichtung eines autonom verwalteten Topfes, wobei sich die Vergabekriterien an denen von Netzwerk orientieren sollten.

Dieser selbstverwaltete Topf wurde gefördert, um zu verhindern, daß sich Projekte in dann notwendiger Konkurrenz zu anderen, einzeln an den Staat wenden, und es in der Akzeptanz von Zugeständnissen, Kontrollen etc. zu einem undurchschaubaren und in der Szene nicht mehr diskutierbaren gegenseitigen Auspokern käme. Außerdem wurde gefordert, keine Trennung in gewerbliche, kulturelle, soziale und politische Projekte vorzunehmen, sondern es den Gesamtanforderungen von Alternativprojekten entsprechend staatliche Gelder geben sollte.

Bevor dieses Konzept verwirklicht werden konnte, mußten die Senatsstellen zunächst erst einmal darüber informiert werden, was es mit Alternativprojekten überhaupt auf sich hat. Sie versuchten dann den Projekten die haushaltsmäßigen Strukturen eines ausdiffererizierten Behördenwesens klar zu machen — mit mäßigem Erfolg — und wiesen darauf hin, daß im kulturellen und sozialen Bereich bereits einige Projekte mit staatlichen Mitteln unterstützt würden.

In den weiteren Gesprächen wurde deutlich, daß die Alternativszene nicht insgesamt mit neuen Finanzen bedacht werden sollte, sondern nur solche Projekte, die nachhaltig neue Arbeitsplätze schaffen würden. Nach staatlicher Logik konnten das keine sozialen und kulturellen und schon gar keine politischen Projekte sein, sondern nur gewerbliche, in Bremen überwiegend im Handwerks- und Handelsbereich. Heiße Diskussionen beim Netzwerk waren die Folge, ob man sich das bieten lassen könne, ob diese Spaltung der Projekte nicht rundum abzulehnen sei.

(Die Frage war lange offen. Jetzt wird das Geld genommen und möglicherweise werden vom Netzwerk verstärkt die sozialen und kulturellen Projekte gefördert, die keine Chance auf staatliche Gelder haben).

Ein Antrag von 25 Projekten über eine Gesamtsumme von 5,7 Mio. DM wurde gestellt, aufgeteilt nach Anlauf-, Sach- und Personalkosten. Der bremischen Verfassung entsprechend wurde der Antrag auch prompt im Senat behandelt. Die Behandlung stellte sich dann wie folgt dar:

Bei einem Gespräch unter anderem mit Vertretern aus dem Wirtschaftsressort wurde eine knallharte Meßlatte zur Diskussionsgrundlage gemacht, die die Kriterien für eine Förderung traditioneller Unternehmen auflistete. Diese Liste wurde diskutiert nach der Frage, wo „passen“ die Kriterien auf Alternativprojekte wie auf andere Unternehmen, und wo müßten sie Umformuliert oder ganz gestrichen werden. Das Ergebnis war durchaus akzeptabel, es ließ sich verhandeln - nur nicht über die Förderung kultureller und sozialer Projekte aus diesem Topf.

Im Juni 1984 ließ der Senat die Katze aus dem Sack: er beschloß einen offenen revoltierenden Darlehensfonds in Höhe von 1,2 Mio. DM für 2 Jahre einzurichten. Titel des Fonds „Förderung örtlicher Beschäftigungsinitiativen“. Ziel des Fonds ist es, mit DM 6.000 pro Arbeitsplatz 200 Arbeitsplätze in „Selbsthilfekooperativen“ zu schaffen. (Reichlich dreist wurde dabei die in den 5,7 Mio.-Antrag genannte Zahl von 200 Arbeitsplätzen beibehalten, bei Schrumpfung des Gesamtvolumens auf 1,2 Mio. DM – daher dieser völlig unrealistische Betrag von 6.000 DM pro Arbeitsplatz). Es werden nur wirtschaftlich arbeitende Projekte gefördert. (Arbeitsplatzargument, keine Dauersubventionierung beabsichtigt). Das kann Allerdings bedeuten, daß wirtschaftliche Teile von Kultur- oder Sozialprojekten förderungswürdig sein könnten. Der Vergabeausschuß ist ressortübergreifend und besteht aus je einem Vertreter der Ressorts Jugend und Soziales, Arbeit und Wirtschaft, die einvernehmlich zu entscheiden haben. Die Federführung liegt beim Sozial- und Jugendsenator. Die Geschäftsstelle des Vergabeausschusses soll dem Antragsteller beratend und projektbegleitend zur Verfügung stehen.

Richtlinien für die Förderung sollen erst noch bearbeitet werden, „ohne die Zielsetzung der Sicherung öffentlicher Mittel unter Verbesserung der Wirtschaftsstruktur aufzugeben", d.h. die Projekte sind wie bei sonstigen Maßnahmen der Wirtschaftsförderung im Einzelfall auf ihre Förderungswürdigkeit zu prüfen. Die in der Wirtschaftsförderung üblichen Kriterien sind in einigen Punkten an die besonderen Bedingungen von „örtlichen Beschäftigungsinitiativen" anzupassen, ohne dabei auf grundsätzliche Ziele zu verzichten.

In der betriebswirtschaftlichen Bewertung ist die „untertarifliche Entlohnung in der Anlaufphase hinzunehmen als Finanzierungsreserve durch Einkommensverzicht der Beschäftigten, die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberfunktionen in sich vereinen".

Es wird kein bestimmtes Eigenkapital gefördert, sondern die Tragbarkeit der Belastungen, und die Fähigkeit, das Darlehen zurückzahlen zu können.

Die volkswirtschaftliche Bewertung bezüglich der örtlichen Beschäftigungsinitiativen ist zu modifizieren.

Das Antrags- und Begutachtungsverfahren soll von den Kreditinstituten wegverlagert werden (Behörde, Treuhänder).

Freude brach bei Bekanntwerden des Senatsbeschlusses nun nicht gerade aus. Aber was soll's, sagten die Projekte der AG Staatsknete, der berühmte Spatz ist doch mehr, als die rote Zahlen auf dem Bankkonto. Für die AG Staatsknete im Netzwerk ist als (Zwischen)bilanz festzuhalten, daß uns einiges nicht gelungen ist:

# Unsere ursprüngliche Forderung von 5,7 Mio. DM für ca. 25 Projekte wurde auf 1,2 Mio. DM gestutzt.

# Die Netzwerkförderungskriterien sind nicht als Maßstah der Vergabepraxis berücksichtigt worden. # Kulturelle, soziale und politische Projekte bleiben ohne Förderung.

# Ein autonom verwalteter Fonds wurde nicht erreicht, ebenso keine Kompromißlinie eines paritätisch besetzten Gremiums.

Es gibt keine verbindlichen Richtlinien für die Vergabepraxis. Nach Vorstellung des Senats sollen erst Erfahrungen gesammelt werden und von Fall zu Fall entschieden werden, um auf diese Art und Weise sogenannte „Leitlinien" zu entwickeln.

Wir müssen ferner deutlich machen, daß es sich bei dem Fonds für uns nicht um Sozialhilfe, sondern um eine Veränderung der bisherigen Wirtschaftsförderung handeln soll. Daß der Fonds beim Sozialsenator angesiedelt ist, weckt wieder falsche Vorstellungen über die Alternativszene.

Überhaupt hat sich der Senat zu keiner Zeit das Heft aus der Hand nehmen lassen. Erst nach massivem öffentlichen Protest auf einer Diskussionsveranstaltung zeichnen sich Konturen der Vergabepraxis ab, mit denen wir wohl leben können (müssen): # Netzwerkprojektberater sind den Netzwerkprojekten bei der Antragstellung behilflich und können bei allen Verhandlungen zwischen Antragstellern und der Geschäftsstelle dabei sein. Dafür hat Netzwerk mit Senatsunterstützung eine ABM Stelle erhalten.

# Der Senat wird in der Regel die jeweilige Förderungssumme so gering wie möglich halten, denn die l,3 Mio. DM sollen auf möglichst viele Köpfe verteilt werden. Für viele etwas, kann politisch besser verkauft werden als für wenige das Notwendige. Der Mangel wird also unter Umständen nur zeitlich versetzt fortgeschrieben.

# Die Laufzeit der Darlehen soll im Regelfall zehn Jahre betragen, 3 Jahre zins- und tilgungsfrei, dann Rückzahlung in gleichen Monatsraten zum Diskontsatz. Zahlt das Projekt früher zurück, werden ihm die Zinsen erlassen. (Hintergrund: Da es sich um einen revoltierenden Fonds handelt, der auf zwei Jahre beschränkt ist, hat die Behörde größtes Interesse, möglichst schnell wieder Geld in die Kassen zu bekommen, um neu verteilen zu können).

# Die Überprüfung der persönlichen Verhältnisse der Antragsteller, soll auf das Minimum einer persönlichen Erklärung beschränkt werden.

# Der Vergabeausschuß wird sich die Erfolge der Netzwerkprojektberater zunutze machen.

Zum Stand der Antragslage

Bis heute (Ende September 1984) sind über Netzwerk bereits 11 Anträge gestellt worden, weiter 15 sind dem Senat definitiv angekündigt. Direkt beim Senat sind ca. 15 weitere Anträge gestellt worden. Positiv beschieden sind bisher ein Netzwerkprojekt mit ca. 45.000 DM und zwei Projekte, die uns nicht bekannt sind. Die Namen werden von den Behörden aus Vertraulichkeitsgründen nicht genannt. Nach unserer Einschätzung (die Behörde sieht es in diesem Fall auch nicht anders) wird der Fonds Weihnachten verfrühstückt sein und dann die große Ratlosigkeit ausbrechen. Wir werden uns auf die Schultern schlagen können und sagen: „siehst Du, wie wir's doch gleich gesagt haben, der Fonds ist nicht einmal der `Tropfen auf den heißen Stein'," und weiteres Geld fordern. Der Senat wird erklären „Experiment gelungen, Brückenschlag zu den Alternativen erreicht. Seid schön lieb, dann gibt's bald mehr", usw.

Und die Projekte? Nach dem Windhundverfahren auf der verständlichen Jagd nach Knete, hier und da an der AG Staatsknete vorbei, üben sie sich in der neuen Rolle. Ungemein moderat (oder im Szenejargon „lieb“) begegnen sie dem Staat dem sie doch sonst so distanziert gegenüberstehen, und sind menschlich sogar ganz angetan, daß die behördlichen Besucher so nett und verständnisvoll sind. Ob da Weltbilder ins Wanken geraten sind? Nun ja, es wird sich zeigen. In der AG Staatsknete im Netzwerk Bremen/ Nordniedersachsen werden bald eine Reihe von Fragen neben der Auswertung der Erfahrung zu klären sein:

# Welche Bedeutung/Wirkungen hat die Staatsknetediskussion für das Innenleben der Projekte?

# Was ist mit einem Solidaritätsfonds für die Antragsteller, die nichts bekommen werden?

# Wo bleiben die sozialen, politischen und kulturellen Projekte? Sollen die durch die Röhre gucken?

# Wie soll reagiert werden, wenn die konkreten Darlehensbedingungen des Senats nicht akzeptiert werden können?

# Gibt es noch nach Lage der Dinge überhaupt gemeinsame Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit dem Fonds?

# Welche weiteren Forderungen an die Politik sind u.U. vorstellbar/ notwendig?

Konkrete Forderungen an die Politik 

# Unbestritten ist die zu geringe Höhe des Fonds. 1,2 Mio. für zwei Jahre reichen bei weitem nicht aus.

# Die Schaffung eines Arbeitsplatzes im Alternativsektor mit DM 6.000 anzusetzen, kommt einer Diskriminierung gleich. Wir sehen DM 30.000 als realistischer an.

# Die Vergabebedingungen sind in einigen Punkten immer noch nicht günstiger als andere staatliche Gründungshilfen (Eigenkapitalhilfe, ERP-Darlehen) Beispiel: Laufzeiten, zins- und tilgungsfreie Zeiten.

# Die Berücksichtigung der Besonderheiten von selbstverwalteten Betrieben in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung darf bei der Kreditvergabe nicht zu kurz kommen. Allein auf arbeitsmarktpolitische Interessen reduziert zu werden, entspricht nicht der Bedeutung dieser Projekte. Etiketten wie „örtliche" oder „unkonventionelle" Beschäftigungsinitiativen werden den Projekten und Betrieben nicht gerecht.

# Leerstehende Gebäude, die sich im Besitz der öffentlichen Hand befinden, sollen kostengünstig zur Verfügung gestellt werden.

# Es sollte verstärkt öffentliche Aufträge für selbstverwaltete Betriebe und Projekte geben.

# Politiker haben die Möglichkeit auf die Vergaberichtlinien von staatlichen Darlehen bei den Banken Einfluß zu nehmen. Diese Richtlinien sind so zu verändern, daß auch alternative Betriebe und Projekte diese Darlehen in Anspruch nehmen können.

# Es wird politischer Druck auf Boykottkartelle von Lieferanten und bürgerliche Konkurrenz gegen alternative Betriebe und Projekte notwendig sein.

# Staatliche Zuschüsse für Innovationen muß es auch dann geben, wenn es sich nicht um neue Maschinen oder Anlagen handelt, d.h. in der Innovationsförderung müssen auch soziale Innovationen berücksichtigt werden.

# Das Genossenschaftsrecht ist zu reformieren, damit auch alternative Betriebe und Projekte die Möglichkeit haben, sich in Genossenschaften zu organisieren.

# Ferner: Reformierung/Ergänzung des Arbeitsförderungsgesetzes. (vgl. Gesetzesvorlage der . Grünen im Bundestag).

# Aufbau/Ausbau von Beratungsmöglichkeiten wie Netzwerk in Deutschland oder die österreichische Studien- und Beratungsgesellschaft in Wien für alternative Betriebe und Projekte bei der Existenzgründung und Weiterentwicklung.

# Anerkennung und Aufnahme der Verbände selbstverwalteter Betriebe in Kammern mit staatlichen Institutionen.

# Und was Euch sonst noch alles einfällt.

Netzwerk Bremen/Nordniedersachsen Günther Dey / Michael Grauvogel / Jürgen Sosna

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 19. Oktober 2008