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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Staatsknete

STAATSKNETE

Da es in einigen Bundesländern, bzw. Kommunen schon seit einiger Zeit spezielle Töpfe und Programme zur finanziellen Förderung von Alternativprojekten gibt, waren die Netzwerker/innen, in deren Regionen solche Programme nicht existieren, daran interessiert, von den Erfahrungen der anderen zu hören und zu lernen. Die "Quintessenz Lernprozesse" stand im Mittelpunkt des Interesses.

Die "Quintessenz der Lernprozesse" hat nun aber zwei Seiten: zum einen die der Details; "Wie müssen solche Programme inhaltlich formuliert werden?", "Wie läßt sich verhindern, über den Tisch gezogen zu werden?", zum anderen die Frage nach den politischen Strukturen, der Vernetzung, die sich im Zuge der Verhandlungen um solche Töpfe und Programme verändern können.

Unter politischen Aspekten war zweifellos die zweite Seite der Lernprozesse interessanter und aufschlußreicher. Aus diesem Grunde konzentrierte sich die Arbeitsgruppe auf eine diesbezügliche Fragestellung. Da sich ja bekanntlich am Objekt besonders gut lernen läßt, gab es politischen Anschauungsunterricht in Form von Erfahrungsberichten aus Bremen (wo der Senator immer schneller ist), aus Nürnberg (wo man/frau noch Träume hat), und aus Düsseldorf (wo die smarten Jungs vom Netzwerk der Stadt die Kohle aus der Tasche ziehen).

BREMEN

In Bremen wurde die Staatsknete für das Netzwerk und die Projekte eigentlich erst zum Thema, als es schon zu spät war. Bevor sich nämlich ein Kreis von Netzwerkern/innen und Projekten gebildet hatte, um das Thema zu diskutieren, Forderungen und Bedingungen zu stellen und vor allem ein aktionsfähiges politisches Bündnis auf die Beine zu stellen, hatte Senator Henning Scherf sein "alternatives" Förderungsprogramm schon lange unter's Volk gebracht i (und der Szene den "Schneid abgekauft"). Unter dem Motto, alles was zur Arbeit bzw. zur Entstehung von Arbeitsplätzen hinführe, sei zu fördern, wurde es als das 1,2 Mio. Programm (600.000 DM pro Haushaltsjahr) zur Förderung "lokaler Beschäftigungsinitiativen" angekündigt.

Wie sich jetzt vermutlich der/die geneigte Leser/in fragen wird, so fragte sich bereits damals die Bremer Szene, was denn lokale Beschäftigungsinitiativen mit selbstverwalteten Betrieben zu tun haben und weiterhin, was aus den Kultur-, Bildungs-, Frauen-, Sozial- und Gesundheitsprojekten werden solle. Die waren nämlich in dem Programm nicht vorgesehen.

Im Gegenzug hierzu verständigten sich die Projekte auf die gemeinsame Förderung "Alle oder Keiner". Leider war jedoch der politische Druck seitens der Projekte nicht ausreichend, so daß der Senator sein "Ding" auch ohne sie durchziehen konnte. Das Programm wurde verabschiedet, ohne daß Netzwerk oder irgendein Projekt an der Formulierung beteiligt gewesen wäre.

Die Druckerschwärze des Gesetzestextes war noch nicht getrocknet, da wurde aus der Forderung "Alle oder Keiner" die Haltung "Jeder für sich und Gott gegen alle". Es gab Streit, der politische Zusammenhalt der Projekte brach.

Es setzte nun nicht nur der Run auf die Kohle ein, sondern es gelang dem Senator auch, zumindest einen Teil der Projekte und insbesondere auch das Bremer Netzwerk fest in seine politische Strategie einzubinden. Da die Programmformulierung, abgesehen von der Eingrenzung auf den ökonomischen Bereich, alle weiteren Förderungskriterien offengelassen hatte, wurde das Netzwerk aufgefordert, der Senatsverwaltung Anträge von alternativ-ökonomischen Projekten einzureichen, "damit die Verwaltung lernen könne". (Wie die Podiumsdiskussion am Abend zeigte, scheint sie noch nicht allzu viel dazu gelernt zu haben, oder — und das ist möglicherweise ihr politisches Kalkül — sie stellt sich dümmer als sie ist.)

Nachdem der politische Zusammenhalt der Projekte ohnehin zerbrochen war, sah das Bremer Netzwerk zu diesem Zeitpunkt eine Chance, möglichst viel für alternative Projekte "rüber zuziehen". Aufgrund der fehlenden Förderkriterien war das Programm ja für alle offen und die Konkurrenz mit traditionellen Jungunternehmern zu fürchten.

Mittlerweile hat sich diese Zusammenarbeit gefestigt und in Form einer ABM-Stelle beim Bremer Netzwerk institutionalisiert. Obwohl das Netzwerk damit weiterhin als Ansprechpartner für den Senat fungiert, haben sich die alternativ- ökonomischen Betriebe jenseits des Netzwerks in der BIS (Bremer Initiative Selbstverwalteter Betriebe) zusammengeschlossen. Aus dem Blickwinkel der politischen Vernetzung sind in Bremen nur zeitweise, während der Verhandlungsphase, Erfolge zu verzeichnen; Kontinuität hat hier noch keine rechten Formen angenommen. Nach außen als politischer Repräsentant von Szenen- und Projektlandschaft agierend, wird das Bremer Netzwerk nicht als von den Projekten getragener und mit Leben gefüllter politischer Zusammenhang gesehen. Das Bremer Beispiel zeigt aber vor allem, wie schwierig die politische Vernetzung ist, wenn die andere Seite bereits die Vorgaben in Form von Programmen gemacht hat, und damit auch den Zeitplan bestimmt. Aus einer reaktiven Situation heraus läßt sich die gemeinsame politische Front im nach hinein kaum bilden.

Jetzt, nachdem sich die selbstverwalteten Betriebe jenseits des Netzwerks organisiert haben und ohnehin der politische Rahmen insgesamt abgesteckt ist, will sich das Bremer Netzwerk wieder verstärkt den Kultur- und Sozialprojekten zuwenden. Aber kaum hat sich das Netzwerk die Sache vorgenommen, da hat der Senator schon von 300 in diesen Bereichen einzurichtenden Arbeitsplätzen getönt. Der Senator ist eben schneller.

NÜRNBERG

Nach dem Erfahrungsbericht aus Bremen, der im übrigen viele Parallelen zur Geschichte des Berliner Fink-Topfes aufweist (in Berlin ist der Topf allerdings nur für Gesundheits- und Sozialprojekte), brachten die Nürnberger Netzwerker den Hauch von "Es geht voran" in die Runde. In Nürnberg und Erlangen gibt es einen kommunalen Topf in Höhe von l Mio. DM für alternative Projekte aus allen Bereichen. (s. Bericht auf S. 9)

Ursprünglich hatten alternative Projekte in Nürnberg schon immer die Möglichkeit gehabt, aus dem Etat des fortschrittlichen Nürnberger Kultur-Stadtrats eine Förderung zu bekommen, die jedoch an eine "Einzelfallprüfung", also an Wohlwollen bzw. Willkür der Verwaltung gebunden war. Zu recht wandten sich die Netzwerker gemeinsam mit den Projekten gegen diese Praxis und konnten, unterstützt von Grünen und Schleswig-Holsteinischer SPD, die den Nürnberger Sozis mal zeigten, was 'ne fortschrittliche Harke ist, erreichen, daß dieser kommunale Topf eingerichtet wurde. Die Mittelvergabe läuft über einen Beirat, in dem die Projekte die Mehrheit haben.

Die Projekte selbst haben sich zu einem Verbund zusammengeschlossen, welcher die Projekte-Beirats-Vertreter/innen mit einem imperativen Mandat versieht. Dabei werden zunächst die Anträge, die von den Projekten gestellt werden, in dem Verbund diskutiert und die Beiratsvertreter/innen beauftragt, sich auf keinen Fall unter eine bestimmte Summe herunterhandeln zu lassen. Falls dies doch einmal passiert, soll eine Umlage unter den geförderten Projekten, also ein Solidaritätsfond, einen Ausgleich schaffen. Bisher brauchte der Solidaritätsfonds noch nicht tätig zu werden. Ob es klappt, wenn er tatsächlich mal gebraucht wird, muß sich allerdings noch zeigen, denn beim Geld hört ja bekanntlich manche Freundschaft auf.

Bis jetzt hat die Diskussion unter den Projekten einigermaßen gut funktioniert. Die Projekte haben, wenn es sich nach den Diskussionen als notwendig herausstellte, ihren Bedarf selbst gekürzt. Der Verbund war bisher noch nicht gezwungen, selbst den Rotstift anzulegen. Unter den Projekten entwickelte sich auf diese Weise langsam eine Kriterien-Diskussion, differenziert nach einzelnen Bereichen (z.B. Medien usw.). Die Frauenprojekte bekommen aufgrund einer festgelegten Quotierung von vornherein 1/3 der gesamten Gelder.

Wenn auch mit Unterstützung einzelner Parteien, so haben, im Unterschied zu Bremen, die Nürnberger Projekte und Netzwerker diesen Topf gemeinsam erstritten. Durch den mehrheitlich besetzten Beirat, den Projekte-Verbund, das imperative Mandat und den Solidaritätsfonds entwickelt sich allmählich ein Zusammenhang unter den Projekten, der dem Ziel der politischen Vernetzung ein Stück näher kommt. Welche Festigkeit diese Strukturen angenommen haben, wird sich spätestens dann zeigen, wenn insgesamt mehr Geld beantragt wird, als zur Verfügung steht, oder politisch besonders brisante Projekte von der Verwaltung diskriminiert werden. Rechtlich ist es nämlich, immer noch die Verwaltung, die letztlich die Gelder vergibt. Der Beirat wird gehört und hat Vorschlagsrecht, ist aber nicht unmittelbar zur Geldvergabe befugt. Im Konfliktfall könnte nur ein starker politischer Druck helfen, den die Projekte erzeugen müßten.

Wenn das Geld nicht für alle reicht, ist jedoch, so zeigt es zumindest die Erfahrung, der gemeinsame Zusammenhalt einer starken Belastungsprobe ausgesetzt. Vielen Projekten sitzt dann das eigene Hemd näher als die Hose.

Die Nürnberger wissen um diese Probleme, doch trotz des Streits, den es auch jetzt hin und wieder gibt, sind die Netzwerker immerhin so optimistisch, den jetzigen Beirat nur als eine Zwischenlösung auf dem Weg zu einem selbstverwalteten Topf zu sehen. Politisches Ziel ist es, daß die Projekte unmittelbar selbst über die Geldvergabe entscheiden sollen und der Streit somit "Im Hause bieibt". In Nürnberg hat man/frau noch Träume, und auf jeden Fall hat es unter der Perspektive der politischen Vernetzung vielversprechend angefangen.

DÜSSELDORF

Den Düsseldorfer Netzwerker/innen hingegen ist die Vernetzung kein Problem. Dort wird die Frage Staatsknete eher pragmatisch gesehen, nach dem Motto: Geld ist nie genug da und Staatsknete so viel wie möglich, so einfach wie möglich. Der Erfolg spricht in Form von 60.000 DM, welche die Stadt Düsseldorf dem Netzwerk-Etat zur Förderung von ökonomischen Projekten alternativ zur Verfügung gestellt hat, für sich. Ursprünglich sollte die Stadt gar Mitglied des Netzwerks werden (die Stadt hatte wie alle anderen Mitglieder auch nur eine Stimme gehabt), doch scheiterte dieses Vorhaben an haushaltsrechtlichen Schwierigkeiten. Alles in allem entstand bei mir der Eindruck, daß dieser Weg nur unter der Voraussetzung läuft, daß die Netzwerker/innen die richtigen Connections haben. Bezeichnenderweise fiel das Wort Projekt in diesem Erfahrungsbericht so gut wie gar nicht. Projekte waren an diesem politischen Prozeß wohl nicht beteiligt, womit die Frage in Bezug auf eine Vernetzung auch beantwortet wäre. Damit soll nicht bestritten werden, daß die Projekte nicht von dem Geld profitieren werden.

ZUSAMMENFASSUNG

Die Erfahrungsberichte zeigen deutlich, weich unterschiedliche Formen von Vernetzung zwischen Netzwerken und Projekten und unter den Projekten selbst im Zuge von staatlichen Förderungsprogrammen für alternative Projekte bzw. selbstverwaltete Betriebe entstehen können. Abhängig ist dies jeweils von den einzelnen Kommunal-, bzw. Landesverwaltungen, mit denen es die Netzwerke und Projekte zu tun haben, von dem politischen Zusammenhalt, den es unter den Projekten gibt und den daraus resultierenden Möglichkeiten gemeinsam zu agieren, von den, durch die Verwaltungen gemachten politischen Vorgaben, die zuweilen nur noch ein Reagieren der Projekte zulassen und von der Eigendynamik der Verhandlungen um Staatsknete wiederum in Abhängigkeit zu den vorher genannten Faktoren steht.

Die von vielen Teilnehmer/innen des Bundestreffens empfundene Ratlosigkeit, welche politische Funktion und Perspektive die Netzwerkarbeit, abgesehen von der Geldvergabe, eigentlich noch hat, konnte auch die Staatsknetendiskussion nicht befriedigend beantworten.

Die Frage, ob Netzwerk die "Mutter der Projekte" sein kann, und in diesem Sinne den politischen Zusammenhang und -halt der Projekte organisieren und mitgestalten kann, stellt sich zwar im Zusammenhang mit der Staatsknetendiskussion und den entsprechenden Förderungsprogrammen immer wieder aufs neue. Es zeigt sich beim Thema Staatsknete aber deutlich, daß sich diese Kernfrage der Netzwerkarbeit nur zu häufig in unmittelbarer Abhängigkeit zu aktuellen Polit-Konjunkturen beantwortet.

So lag der Schwerpunkt der Staatsknetendiskussion auf dem Bundestreffen eindeutig bei den selbstverwalteten Betrieben und altemativ-ökonomischen Projekten. Und dies sicherlich deshalb, weil angesichts der herrschenden Arbeitslosigkeit die Staatsseite in diesem Bereich ansprechbar ist. In Bezug auf alternative Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Kulturprojekte herrscht politisch-konzeptionell bei den Netzwerken zur Zeit Schweigen im Walde.

Franz-Josef Bartsch 
Michael Wielage

 

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Stand: 10. September 2011