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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Soziokultur

Notizen aus der Kulturszene

Von Eckard Holler - Vom 1.-8.9.1985 fand in Hamburg auf dem Kampnagelgelände der zwei Jahre lang vorbereitete wissenschaftliche Kongreß zu Rosa Luxemburg und Antonio Gramsci statt, der rund hundert wissenschaftliche Vorträge umfaßte und mit einem Kulturforum über „Kulturbegriff und Kulturpolitik in den 80er Jahren" endete. Beabsichtigt war, der theoretischen Diskussion in der Linken neue Denkanstöße zu geben und - auf der Grundlage der von Peter Weiß in der ,,Ästhetik des Widerstands" betonten Linie Luxemburg/Gramsci - die Diskussion über Wege zur Erringung einer linken kulturellen Hegemonie in unserem Land zu beginnen.

Die These von Gramsci, um die es bei den Diskussionen ging, besagt, daß jemand, der in einem kapitalistischen Staat die politische Macht erringen will, zunächst die „kulturelle Hegemonie" gewinnen muß. Die Kultur wird in seinem Denken somit der entscheidende Hebel für eine künftige sozialistische Revolution. Diesen Gedanken entwickelte Gramsci im faschistischen Gefängnis in Italien, nachdem die italienische Arbeiterbewegung vor Mussolini ebenso kläglich gescheitert war wie später die deutsche vor Hitler. Den Grund für das Scheitern sah Gramsci auch in der Arroganz der linken Intellektuellen, die sich zu gut gewesen waren, als „organische" Intellektuelle der Arbeiterklasse bei der qualitativen Anhebung der eigenen Kultur nützlich zu sein.

Die These von Gramsci, die sich bekanntlich auch aus dem Studium der bürgerlichen Revolutionen seit dem 18. Jahrhundert gewinnen läßt, mag manches Einleuchtende haben, das Überraschende an dem Hamburger Kongreß war jedoch, daß nicht etwa die Grünen (oder auch die DKP), sondern die SPD in Gestalt ihres Bundesgeschäftsführers Peter Glotz sich diese These zu eigen machte und damit die Diskussion eindeutig beherrschte. (Da nützte es wenig, daß von DKP-Seite eingewandt wurde, bei Gramsci sei „Hegemonie" auf den Klassenkampf der Arbeiter, nicht aber auf den Wahlsieg der SPD bezogen worden).

Der verwunderliche Umstand, daß ein Vordenker der heutigen SPD sich auf einen marxistischen Theoretiker beruft, fiel in Hamburg gar nicht groß auf, auch nicht, daß die SPD seit dem Godesberger Programm (1959) sich vom revolutionären Marxismus, für den Gramsci zweifellos steht, verabschiedet hat und sich im Hinblick auf die nächsten Bundestagswahlen schwerlich dorthin zurück orientieren wird.

Daß die Grünen m Hamburg bei der Gramsci-Diskussion keine sehr gute Figur machten, hängt vermutlich mit dem Theoriedefizit dieser Partei zusammen. Was bisher als Stärk e galt, nämlich die Basisverankerung und der Pragmatismus einer in den sozialen Bewegungen verankerten Politik, erwies sich eher als Schwäche: denn mehr als vehemente Angriffe auf den Widerspruch zwischen Reden und Handeln bei der konkreten SPD-Politik konnte Christoph Schröder (GAL Hamburg) gegen Freimut Duve (SPD) nicht vorbringen und verfehlte damit die Ebene der strategischen Diskussion. Nun läßt sich zwar sagen, daß ein Wahlsieg der SPD nichts an den realen Machtverhältnissen in unserem Lande verändert und daß die sozialistische Revolution nach wie vor nicht auf der Tagesordnung steht. Dennoch wäre es kein Fehler, wenn auch die Grünen in der theoretischen Diskussion über den Sozialismus, der in Hamburg am Beispiel von Rosa Luxemburg und Antonio Gramsci neu aufgenommen wurde, mitreden könnten. Die Intellektuellen aus dem Umkreis der Argument-Zeitschrift und der Berliner Volks-Uni, die sich den Kongreß ausgedacht hatten, waren auf alle Fälle davon fasziniert, daß ein führender SPD-Politiker den Anschein erweckte, er habe ihre Hinweise auf das Konzept der „kulturellen Hegemonie" aufgenommen und zur aktuellen SPD-Strategie gemacht. Diese Faszination ging so weit, daß Linda Reisch (Bonn) in ihrem weit ausholenden Referat über ,,Kulturelle Hegemonie in der Bundesrepublik nach 1945" zwar sehr ausführlich über sozialliberales „Mehr-Demokratie-wagen" und die gleichzeitige Terroristen-Hatz in den 70er erzählte, das Entstehen der Grünen Partei aber schlicht ignorierte.

Der Innovationspreis 1985 der kulturpolitischen Gesellschaft e.V. (Sitz: Hagen) geht zu gleichen Teilen (je 1.000 DM) an die selbstverwalteten Kulturzentren Goldener Anker Pforzheim und Club Voltaire Tübingen. Anerkannt wird die 15jährige „beispielhafte soziokulturelle Zentrumsarbeit dieser beiden Häuser" und zugleich auch das „Bemühen um eine landesweite Intensivierung und öffentliche Förderung der Soziokulturarbeit" in Baden-Württemberg.

Wenn das nichts ist. Wie man hört, haben sich die Leute in Pforzheim und Tübingen über den Preis gefreut und wollen ihn auch gleich öffentlichkeitswirksam nutzen. Denn am 24.10,1985 wird erstmals im Rahmen eines Landtagshearings auch über eine mögliche Förderung soziokultureller Zentren diskutiert (die von der CDU-Mehrheit bisher erfolgreich abgelehnt wurde). Die Preisverleihung ist übrigens am 17.10.1985 um 17 Uhr im Theaterhaus in Stuttgart. Abends spielt dann Ulla Meinecke. Auch ein Grund, nach Stuttgart zu fahren.

Neu herausgekommen ist die Selbstdarstellung der „Landesvereinigung der Kulturinitiativen und soziokulturellen Zentren Baden-Württemberg" (abgekürzt: LAKS Baden-Württemberg). Die 80 Seiten umfassende Broschüre trägt den Titel „Soziokulturelle Zentren in Baden-Württemberg" und enthält neben den kulturpolitischen Grundsatzerklärungen und Förderungsprogrammen auch die „Steckbriefe" von 24 Einrichtungen, die sich zur LAKS zusammengeschlossen haben. Die LAKS Baden-Württemberg war der erste Landesverband von Kulturinitiativen in der Bundesrepublik. Er besteht jetzt drei Jahre und war das Vorbild für Landesverbandsgründungen, die in anderen Bundesländern erfolgten (und z.T. noch erfolgen sollen).

Die Forderung, für ein Entwicklungsprogramm zur Schaffung von soziokulturellen Zentren in Baden-Württemberg im Landeshaushalt 10 bis 15 Mio. DM bereit zu stellen, hat im ganzen Bundesgebiet Furore gemacht. Ebenso die zu den Kommunalwahlen aufgestellte Forderung, in jeder Stadt und in jeder Gemeinde neben den traditionellen Kultureinrichtungen auch ein soziokulturelles Zentrum zu schaffen.

Bestelladresse für die Broschüre:

LAKS Baden-Württemberg, c/o Club Voltaire, Haaggasse 26b, 7400 Tübingen

Tel.: 07071/51524

Zugesandt wird, sobald auf dem Konto-Nr. 455 992, KSK Tübingen (BLZ 641 500 20) 10 DM eingegangen sind.

 

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Stand: 28. April 2010