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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Soziokultur

Notizen aus der Kulturszene

Hearing über Alternativkultur im Stuttgarter Landtag – Kulturpreis für “Club Voltaire” und “Goldener Anker”

Was unterscheidet die alternative von der etablierten Kultur, verliert "wider ständige Kunst" ihren Anspruch auf staatliche Subventionen, wenn sie zugleich ,,wider ständige Politik" sein will? Mit so diffizilen Problemen befaßte sich der Kulturausschuß des Stuttgarter Landtags m einer ganztägigen öffentlichen Anhörung zum Thema: ,,Förderung kultureller Vielfalt in Baden-Württemberg" in der vergangenen Woche. Geladen waren neben einigen Repräsentanten traditioneller Kultureinrichtungen, die Vertreter soziokultureller Zentren und Initiativen aus allen Regionen des Südweststaats. Baden-Württembergs Kulturinitiativen fordern 15 Mio. Staatsknete Der Hintergrund für diese ungewöhnliche Bereitschaft der Stuttgarter Volksvertreter, sich über Inhalte und Zielsetzungen, aber auch die finanziellen Engpässe alternativer Kulturmacher zu informieren, ist – natürlich - ein finanzieller: 24 in der ,,LAKS" (,,Landesarbeitsgemeinschaft der Kulturinitiativen und soziokulturellen Zentren") zusammengeschlossene alternative Kulturzentren fordern vom Land Ba-Wü 15 Millionen DM für neue oder ausgebaute Räumlichkeiten, Festivals, Projekte etc. Bisher mußte die „andere", zweite“, Sozio- oder Alternativkultur im Ländle ganz ohne die Segnungen staatlicher Kultursubvention auskommen. Nun befürworten die Oppositionsfraktionen von SPD und Grünen die Einrichtung eines eigenen Etats für die Soziokultur.

Selbstbewußte Selbstdarstellung

Zumindest ein Unterschied zwischen alternativer und traditioneller Kultur wurde schon bei der Anhörung deutlich: Wahrend Vertreter der seit jeher subventionierten Einrichtungen unerträglich devote Lobhudeleien auf die großzügige Kulturförderung des Landes anstimmten oder nur Plattitüden zu bieten hatten („Jede Kultur ist an sich schon alternativ"), verlangten die Vertreter der LAKS selbstbewußt, daß ihre - z.T. seit 10, 15 oder mehr Jahren betriebene - Soziokulturarbeit endlich auch öffentlich anerkannt werden müsse. Heinz Oeben von der Bundesvereinigung soziokultureller Zentren verwies auf die ca. 6 Millionen Besucher, die jährlich die alternativen Kulturzentren in der BRD aufsuchen. Werner Schretzmeier, künstlerischer Leiter des Stuttgarter Theaterhauses, auf die Abhängigkeit der etablierten Kunst von der Soziokultur; sehr oft würden kulturelle Innovationen aus dem alternativen Bereich von den Etablierten übernommen, „abgekupfert". Nicht mehr hinzunehmen seien die permanente Selbstausbeutung der ehren- oder hauptamtlichen Mitarbeiter und die oft miserablen Räumlichkeiten der Kulturzentren.

Die Angst der „sozialen Revolution"

Der Landesregierung und den konservativen Parteien warf Schretzmeier vor, immer noch dumpfe Ängste zu hegen, in den soziokulturellen Zentren werde ,,der Umsturz des Systems geplant". Die anschließende Fragestunde bestätigte Schretzmeiers Eindruck. So beschuldigte der CDU-Abgeordnete Dr. Scheuer den Leiter des Tübinger ,,Club Voltaire", Eckhard Holler, in der Zeitung des ,,Clubs" einseitige politische Stellungnahmen, ja Aufrufe zur „sozialen Revolution" zu veröffentlichen. Übersehen hatte der CDU-Mann freilich, daß seine fleißig zusammengetragenen Zitate zumindest teilweise Wiedergaben aus Schriften Trotzkis waren. Schretzmeier argumentierte taktisch: Auch extreme politische Positionen hätten in der Soziokultur ihren Platz, sie seien ,,ein Teil des Kuchens, nicht der Kuchen selber".

Ganz am Ende, als die meisten Volksvertreter längst entschwunden waren, bekräftigte der Ausschußvorsitzende von Trotha (CDU) die Position, mit der das Land Ba-Wü sich bisher der öffentlichen Förderung der alternativen Kulturzentren widersetzt hat: Diese sind nämlich laut Trotha eine Art ,,Gemischtwarenladen" weil sie nur teilweise selbst Kultur produzieren, teils lediglich als Veranstalter für kulturelle Darbietungen anderer fungierten. Das Land könne nur Kunstproduzenten mit eigenem Ensemble fördern, andere Einrichtungen seien als bloße Agenturen nicht förderungswürdig. Man darf gespannt sein, ob die konservative Landtagsmehrheit mit diesem formalen Argument, das dem Charakter der Kulturhäuser überhaupt. nicht gerecht wird, weiter die landesweite Förderung soziokultureller Zentren blockieren wird. Zunächst will die CDU-Fraktion die Ergebnisse des Hearings „auswerten". 

Ein Preis für die Alternativkultur 

Gar nicht sonderlich alternativ, eher konventionell-feierlich ging es ein paar Tage vorher im kleinen Saal des Stuttgarter Theaterhauses zu. Mit höflichen Worten wurden drei Landtagsabgeordnete und Karola Bloch, die Witwe des Tübinger Philosophen, begrüßt. Ein Cello-Querflöten-Duo spielte auf und das Publikum lauschte gesittet diversen Ansprachen, bevor schließlich Laugenbrezeln und herber Weißwein gereicht wurden. Nur ein beständig plärrendes Baby und ein sich ungeniert im Raum bewegender riesenhafter Hund, der lange vor dem Ende der Laudatio genüßlich 2 Brezeln verspeiste, hatte einem zufälligen Beobachter vielleicht verraten, daß die Ehrung zwei soziokulturellen Zentren galt: dem Tübinger ,,Club Voltaire" und dem Pforzheimer ,,Goldenen Anker". Ihnen wurde im festlichen Rahmen der diesjährige Kulturpreis der ,,Kulturpolitischen Gesellschaft" (KuPoGe) überreicht, einer seit 1976 bestehenden Vereinigung mit Sitz im westfälischen Hagen, die sich die Förderung einer sozial engagierten und jedermann zugänglichen Kultur zum Ziel setzt. Bisherige Preisträger waren u.a. 1979 Verein und Bürgerinitiative ,,SO 36" in Kreuzberg und 1981 - im Jahr der Massenverhaftungen - das Nürnberger „Komm".

Der 1970 von Studentenbewegten und fortschrittlichen Sozialarbeitern gegründete ,,Club Voltaire", der seitdem sein Domizil in einer ehemaligen Hufschmiede in der Tübinger Altstadt hat, organisiert und veranstaltet schwerpunktmäßig ein fortlaufendes Kulturprogramm (Liedermacher, Jazz, Rock, Folk, Kabarett, freies Theater, Tanz, Pantomime), bietet Kurse und Workshops an und ist Träger des Tübinger Festivals, das auch international ein bedeutsamer jährlicher Treffpunkt der alternativen Kultur ist.

Das Kulturzentrum ,,Goldener Anker", das seit 1981 in einer alten Flößer-Raststätte im Pforzheimer Stadtteil Dillweißenstein untergebracht ist, fördert avantgardistische kulturelle Richtungen und Nachwuchskünstler, bietet Film-, Theater-, Konzert- und Literaturveranstaltungen an und ist Treffpunkt der verschiedensten Initiativen und Gruppen aus dem kulturell-politischen Raum. Außerdem veranstaltet der ,,Anker" das jährliche Pforzheimer Musik- und Theaterfestival.

Mit der Verleihung des Kulturpreises der KuPoGe werde nicht nur die jahrelange verbindliche kulturpolitische Arbeit der beiden Zentren gewürdigt, betonte der Präsident der ,,Kulturpolitischen Gesellschaft", Olaf Schwencke. Auch die gemeinsamen Bemühungen von ,,Club Voltaire" und ,,Goldener Anker" um die landesweite Anerkennung und Förderung der ,,zweiten Kultur" sollen mit dem Preis anerkannt werden. Insofern ist die Preisvergabe an zwei Kulturzentren. Baden-Württembergs auch als Unterstützung der Forderung nach 15 Mio. „Landes-Knete" zu verstehen. Diese Summe ist für Schwencke eine Minimalforderung in einem Land, das eindeutig an letzter Stelle der Entwicklung der Soziokultur in der Bundesrepublik rangiert. Mit der Vergabe von Almosen an die Soziokultur müsse im reichen Baden-Württemberg endlich Schluß sein.

Raimund Finke

 

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Stand: 17. März 2010