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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Sommer 2009

Hurra - wir werden 25
Aus dem Inhalt
Energie in Buergerhand

TRANSIDENTITÄT

Perspektiven des »Dritten Geschlechts«


Marmorfigur eines schlafenden Hermaphroditen im Pariser Louvre

»Raus aus dem Zwei-Geschlechter-Gefängnis!« ruft die community der Transidenten der Gesellschaft zu. Die Transfrau Madeleine schildert im CONTRASTE-Schwerpunkt nicht nur ihre persönlichen Erfahrungen im Umgang mit dem »Dritten Geschlecht«, d.h. der Identifikation mit einem anderen als dem körperlich angeborenen Geschlecht, sondern beschreibt das Phänomen in seiner gesellschaftlichen Dimension inklusive seines gesellschaftsverändernden Potentials und dem Umgang damit in alternativen Gemeinschaften.

von Ariane Dettloff, Redaktion Köln # Den früher üblichen Begriff »Transsexualität« kritisiert sie als verfehlt und verwirft ihn als nicht nur diskriminierend, sondern auch falsch. Denn es geht nicht um eine sexuelle Orientierung, sondern um eine vom Mainstream abweichende Identität: Männer, die sich als Frauen empfinden, und Frauen, die lieber dem männlichen Geschlecht angehören wollen. Dabei haben es Transmänner deutlich leichter als Transfrauen, im »normalen« Leben klarzukommen. Sie können nicht wie ein Schmetterlings- Buntbarsch kurzerhand hormonell und körperlich in ihr Wunschgeschlecht hineinschlüpfen. Auch nicht der im Westerwälder Volksmund gebräuchlichen Empfehlung folgen, einfach unter dem Regenbogen durchzugehen, weil dies der Legende nach das Geschlecht verwandelt.

Männlich oder weiblich? Das ist immerzu die Frage – schon bei der Menschen-Geburt. Aber was ist das eigentlich, das Geschlecht? Bestimmen es die Chromosomen? Die inneren, die äußeren Geschlechtsmerkmale? Die Hormone? Das Empfinden? Kultur und Gesellschaft? Braucht man die Zweiteilung überhaupt? Trägt nicht jede/r beide Komponenten in sich in je eigener Mixtur?

»Alles wirkt falsch«, erklärt Madeleine ihr transidentisches Empfinden: »Wenn du sprichst, ist es eine falsche Stimme, die nicht zu dir passen will. Wenn du in den Spiegel schaust, siehst du eine fremde Person. Im Grund können Transidente keine Fehler begehen, da sich ihr Leben doch von Anbeginn als ein einziger Fehler herausstellt. Der Körper wird zum Gefängnis. Die Seele lebt ein Leben im Exil. Körper, Geist und Seele finden nicht zueinander, können keine harmonische Ganzheit entwickeln. Die Folge: Dauerstress. Anhaltende, kaum therapierbare Depressionen und massenhaft psychosomatische Beschwerden. Der Wunsch in den Körper des Wunschgeschlechtes zu schlüpfen wird zur fixen Idee. Alles dreht sich nur noch um diesen Gedanken.

Für viele beginnt eine Odyssee durch Behörden und Institutionen. Juristen, Psychologen, Ärzte verschiedener Fachrichtungen geben sich die Klinke in die Hand im Leben vieler Transidenten. Kaum eine andere soziale Gruppe lebt heute noch so fremdbestimmt. Die klassische Methode der aufwendigen Hormontherapie plus Um-Operation, dem bürgerlich-patriarchalen Denken verpflichtet, geht unhinterfragt vom Zwei-Geschlechter- Modell aus, innerhalb dessen die Transidenten eine krankhafte Abweichung darstellen, welche über die körperliche Angleichung an das gefühlte und gelebte Geschlecht (gender) behoben werden muss. Das Recht auf eine eigenständige Identität wird den Transidenten abgesprochen.« Die Folgen reichen von Sensationalisierung durch die Boulevardpresse über Diskriminierung im Alltag und qua Gesetz bis zu Tätlichkeiten, die wie im Fall der türkischen Transidenten Erbu Soykan sogar tödlich enden können.

Dabei ist die Urform des Menschenwesens in vielen Schöpfungsmythen androgyn, also männlich- weiblich beschrieben. Das erste Menschenpaar der persischen Sage lebte im Garten Eden gemeinsam in einem Körper. Laut griechischem Mythos formte Prometheus den Menschen androgyn aus Lehm – erst Zeus trennte die ursprünglichen Kugelmenschen und entnahm dem weiblichen Körper ein Stück Lehm, das er dem Mann ansetzte. So erhielten Frauen eine blutende Öffnung und Männer einen Auswuchs.

In der bildenden Kunst sind geschlechts-uneindeutige Personen immer wieder Sujet gewesen – bei Leonardo da Vinci etwa »Johannes der Täufer« und bei Marcel Duchamp dessen Mona Lisa mit Schnurrbart.

Theoretisch geriet die Zweigeschlechtlichkeit ins Wanken, als u.a. Magnus Hirschfeld, Michel Foucault und Judith Butler sie dekonstruierten. Insbesondere die neuere Wissenschaftsrichtung der »Queer Theory« geht davon aus, dass Menschen sich selbst definieren sollen und diese Selbstdefinition die einzig gültige »Identitätserklärung « ist. Viele Ärzte hingegen sprechen von einer »Störung der Geschlechtsentwicklung«, die – zuweilen immer noch brachial – medizinisch zu behandeln ist.

Unser CONTRASTE-Schwerpunkt lädt Leserinnen und Leser ein, die »Geschlechterfrage« im Licht der Transidentität zu überdenken.

Schwerpunktthema Seite 7 bis 10

 

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Stand: 30. Juni 2009