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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Schreinereien

Schreinerei: Probleme mit der Zukunft

Auf dem Schreinertreffen bei uns in Aachen gab es eine Arbeitsgruppe mit dem Thema "Erfahrungsaustausch zwischen bestehenden Betrieben".

Teilnahmen neben einigen "Zuhörern" Schreiner/innen aus 5 Betrieben in Krefeld, Wuppertal, Köln, Freiburg und ich aus Aachen. Ich will schreiben über das, was dort geredet worden ist, neben den Gedanken, die mir während dessen und hinterher durch den Kopf gegangen sind. Schon bei der Vorstellung zeichneten sich große Unterschiede heraus.

Die einen haben das Glück, so viele Ökokunden zu besitzen, daß sich die Produktion auf biologisch behandelte Massivholzmöbel beschränkt.

Die anderen hatten vom Dauerstreß die Nase so gestrichen voll, daß sie die Arbeitsteilung einführten, so daß im Rotationsprinzip jeder einmal organisiert und die anderen in Ruhe arbeiten können.

Wieder andere grübelten, ob sie 70.000,-DM für nötige Investitionen sich pumpen sollten oder nicht usw.

So waren in der Arbeitsgruppe die Themen vorgegeben.

Ein heikler Punkt war die Frage: Darf ein kollektiver holzverarbeitender Betrieb Spanplatten verarbeiten?

Die Diskussion verlief konträr. Es stand gegeneinander überspitzt formuliert: Entweder wir arbeiten rein ökologisch, also ohne Spanplatte und Nitrolack und passen so die Größe des Betriebes der Nachfrage an, oder wir sind ein Kollektiv von so und so vielen Leuten, müssen den Umsatz machen und führen dazu die Aufträge aus, fast egal, wenn wir dabei auch Spanplatte verbraten. Die große Annäherung fand bei dieser Diskussion nicht statt.

Ich bin in diese Diskussion rein- und rausgegangen mit dem egoistischen, nicht einem allgemeinpolitischen Anspruch. Ich will in einem selbstverwalteten Betrieb arbeiten und nicht zurück in eine herkömmliche Schreinerei, nur weil nicht genügend Ökofreaks meine Möbel kaufen wollen.

Damit taucht auch gleichzeitig die Frage nach der Wirtschaftlichkeit auf. Es geht nicht nur darum, selbst entscheiden zu dürfen, wo und wie ich arbeite, ob ich Kiefer oder Spanplatte verbrauche, sondern, wenn ich mich schon für einen Arbeitsplatz in einem Kollektiv entscheide, so möchte ich auch davon leben können und dies nicht nur am Rande des Existenzminimums.

Viele von denen, die jetzt in einem selbstverwalteten Betrieb arbeiten, sind noch unabhängig und ohne Familie. Sie juckt es nicht allzu sehr, ob sie 800,- oder l500,-DM monatlich mit nach Hause nehmen. Der Spaß ohne Wirtschaftlichkeit findet seine Grenzen, wenn Familie hinzukommt. Auch sollte nicht nur den Kindern zuliebe die wöchentliche Arbeitszeit von 50, gar 60 Stunden merklich schrumpfen.

Es geht nicht an, wie es bei uns in Aachen passiert, daß Gewerkschaftskollegen uns unserer Löhne schelten, weil sie nach gekündigten Tarifverträgen Druck von der Arbeitgeberseite bekommen: Seht mal in die Alternativbetriebe, die arbeiten auch mit Niedriglöhnen und sie zerstören eure Arbeitsplätze.

Wir wollen und sollten keine Preisbrecher sein. Und wir sollten uns weniger und nicht mehr ausbeuten, als in herkömmlichen Betrieben ausgebeutet wird.

Fazit: Wir sollten nicht versuchen, autarke Spielwiesen für Einzelgänger zu bauen, sondern wirtschaftliche und humane Betriebe aufzubauen. Wir können uns von der Handwerksordnung, von Steuergesetzgebung etc. nicht unabhängig machen. Was wir wohl versuchen können, ist, selbst soviel Stärke zu erreichen, daß wir Einfluß darauf nehmen. Und dafür ist wirtschaftliche Unabhängigkeit Voraussetzung.

Uns könnte allerdings der Vorwurf gemacht werden, wir würden uns auf Kosten der Ökologie in dieses Wirtschaftsgetümmel schmeißen und aus Geldgier weiterhin Spanplatten verbraten.

Dazu: Ich stehe zu meinem alternativen Arbeitsplatz (die Manuskripttipperin: ich stehe nicht zu dem alternativen Wortschatz) und dieser ist für mich eine sehr bedeutsame, sehr wichtige Alternative zur herkömmlichen. Und von diesem Arbeitsplatz aus versuche ich, Kunden zu finden oder Kunden zu überzeugen, damit ich ihnen umweltfreundliche Produkte herstellen kann. Doch nicht jeder ist dafür aufnahmefähig bzw. -willig oder fähig zu bezahlen.

Soll ich ihn deswegen gleich rauswerfen und/oder zu IKEA schicken? Über kurz oder lang, wenn sich die Schreinerkollektive häufen, ist der Markt der Ökofreaks schnell abgegrast.

Wir können einerseits versuchen, unsere Kunden aufzuklären, beim Verkauf eines Spanplattenmöbels die Gasmaske gleich mit anbieten, aber wir können sie bei weitem nicht zwingen. Viel mehr finde ich Überlegungen wichtig, sich auch selbst anzupassen an den enger werdenden Markt, das Geld für eine vernünftige Absauganlage zu investieren oder aber auch für eine Naßspritzwand, was bei weitem nicht heißen soll, das Biowachs und das Massivholz aus den Augen zu verlieren.

Für Zuschriften ans Wandelsblatt bezüglich Thema Holz gilt der Termin 10.1.85. Anschrift: Handwerkergenossenschaft, Ado, Verbindungskanal linkes Ufer 20-24, 6800 Mannheim 1

Wenn wir, wie Guido aus Krefeld vorschlug, auf die Dauer Einfluß nehmen wollen, ist es nicht damit getan, sich mit Aufträgen von 3000,- der 5000,- DM durch die Monate zu schlagen.

Es läßt sich sehr gut mit dicken Aufträgen arbeiten und wir sollten keine Angst haben, an Ausschreibungen und Großaufträgen teilzunehmen. Nur so wirft man/frau ein Auge auf uns, und so kriegen wir Einfluß, auch wenn wir vorläufig noch gezwungen sind, Plattenware zu verarbeiten.

Aber wie sollten Großkunden sonst die Nase an formaldehydfreie Produkte kriegen oder von deren Existenz erfahren.

Unsere Praxis bestätigt dies. Diese Großaufträge bringen auch eine ganze Reihe Vorteile mit sich. Durch größeren Einkauf lassen sich wesentlich günstigere Einkaufsbedingungen auch auf Dauer aushandeln. Wir brauchen unsere Zeit nicht mehr durch Fahrten zu den Zulieferern verbringen, sondern sie kommen zu uns. Das Preisniveau sinkt, egal, ob bei Holz oder Eisenwaren, um 30%.

Wir können langfristiger die Auftragssituation planen, und der Arbeitsaufwand wird ruhiger und regelmäßiger.

Hört sich gut an und ist auch so. Damit wäre ich beim Thema Organisation. Alle selbstverwalteten Schreiner der Arbeitsgruppe stöhnten über Dauerstreß und stetig rauchende Köpfe. Diese Symptome wurden zum Aufhänger der Diskussion "Arbeitsteilung: Ja oder Nein"! Die Schreiner aus Krefeld waren in den Augen der anderen sehr rabiat dagegen vorgegangen, indem sie eine quartalsmäßige Rotation einführten, in der einer eine Zeit lang organisiert, Aufträge ranschafft, Arbeit vorbereitet und die übrigen in Ruhe schreinern. Dabei wurde bei allen anderen die Angst deutlich vor der konventionellen Chef-Rolle. Deutlich war das Argument aus Krefeld, daß neben überdurchschnittlichen Löhnen nur circa 15 Stunden pro Woche insgesamt an unproduktiver Zeit anfiel bei 5 Leuten, wobei sonst pro Nase pro Woche acht bis zehn dieser Stunden anfielen. Dennoch erscheint mir dieses System zu hierarchisch und zu wenig selbstverwaltet. Wir in Aachen sind auf der Suche nach einem Kompromiß und versuchen es jetzt mit einem Springer-System . Die Idee, die wir jetzt seit ein paar Wochen zu realisieren versuchen, beginnt mit der Auftragsplanung. Wir sind 5 produzierende Leute. Mindestens einer geht bei der Arbeitsverteilung leer aus. Er ist der Springer und kümmert sich um die Ausführung von Kleinaufträgen, kümmert sich um die Zulieferer, macht Angebote, holt die Aufträge rein für die nächsten Monate und dies so lange, bis ein anderer seine Arbeit in Ruhe gänzlich abgeschlossen hat. Dieses System ist flexibel.

Der Springer behält seine Aufgabe für 3 oder 4 Wochen und die anderen sind erheblich entlastet. Ich finde dieses System freier und vielleicht ergiebiger als eine quartalsmäßige Organisation, weil der Springer während seiner Zeit sich die Aufträge für hinterher selbst holt und kalkuliert, um sie dann in aller Regel auch selbst in Ruhe auszuführen. Mir geht es seit der Einführung dieses Versuchs viel besser. Ich habe den Kopf frei für die Arbeit, die ich gerade mache, kann endlich einmal den ganzen Tag, die ganze Woche kontinuierlich arbeiten, ohne laufend durch Telefonate, Anfragen, Laufkundschaft unterbrochen zu werden, dafür ist der Springer da.

Was ich jetzt hier zusammengetragen habe, möchte ich nur als Anriß der Probleme verstanden wissen, vielleicht als Diskussionsgrundlage für das nächste Schreinertreffen in Freiburg im März 1985.

Harald Schmitz-Reiber

 

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Stand: 24. Juli 2008