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Schnitt und weg

NÜRNBERG: DAS ENDE EINES SCHANDFLECKS

Schnitt und weg

Über das Nürnberger KOMM haben wir schon oft berichtet. Auch über das Ende des selbstverwalteten Kulturzentrums, das in seiner ganzen Geschichte doch niemals selbstverwaltet und mit seinem Mix von städtischer Verwaltung und Selbstverwaltungsgremien einzigartig in der Landschaft der Soziokulturellen Zentren war. Das "Künstlerhaus" (K4 heißt es jetzt), wurde am 29. September 2000 eingeweiht, die neue Zeitschrift "Raumzeit" (s. Kasten Seite 3) war dabei und hat einige Originaltöne der Eröffnungszeremonie mitgeschnitten:

Michael Liebler, Nürnberg - "Jetzt haben die Autonomen das KOMM doch noch angezündet", scherzt eine Passantin. Die Idee, eine Nebelmaschine das Haus am Königstor in Rauchschwaden hüllen zu lassen, stammt von Matthias Dachwald, Mitarbeiter des K4-Bildungsbereichs. "Weil ich Rauch einfach mitunter ganz schön finde", sagt er geheimnisvoll.

Als "Schnitt" wollte Kulturreferent Leipold die Einweihung des Künstlerhauses begriffen sehen, das KOMM endgültig zu Grabe tragen und das Neue, das da kommen soll, feiern. Es ist "Schnitt", doch die Eröffnungsfeier des "Künstlerhauses" lockt offenbar weniger das neue Publikum als die gealterten "Einstigen", die Neugierde und vor allem viel Skepsis mitbringen. "Gelackt und aufgeschneckelt", meint eine, und ein anderer Besucher findet verächtlich: "Es ist durchschnittlicher". Als Künstlerhaus habe das KOMM alle Kanten verloren, sei halt gerade nach dem Geschmack der Zeit: "Jetzt gehört's der Stadt und man sieht's".

Aber auch diejenigen, die jetzt im Ex-KOMM die Zügel in der Hand halten, haben wohl mit der Vergangenheit nicht recht abgeschlossen, auch wenn sie gerade das in ihren Feiertagsreden betonen. Da wird selbst Michael Popp, der Ex-Leiter des KOMM und scheidende KuF-Chef, in der Eröffnungsrede des Kulturreferenten Leipold doch noch zum Helden, weil er während der Massenverhaftungen 1981 fest zum Haus stand. Auch sein Vorgänger Klett findet lobend Erwähnung, da er stundenlang mit der Polizei verhandelt habe.

Mit Foxtrott in die neue Ära

Es scheint, als wollten sie alle den Mythos nicht gänzlich herschenken, der von dem "Schandfleck" ausging, und vielleicht wollte Matthias Dachwald mit seiner Nebel-Performance ja wirklich an die brennenden Barrikaden erinnern, die es in der Wirklichkeit nie gegeben hatte: "Das KOMM ist ein Stück Geschichte geworden, ein Teil tut mir auch weh". Aber man müsse nach vorn schauen, und darauf vertrauen, "dass wir mit dem, was wir hier machen, auch viele Leute erreichen, die jetzt noch skeptisch sind".

Doch viele, die heute zum Schauen gekommen sind, wollen erst mal abwarten, denn schließlich gibt es in den frischgeweißten Räumen noch nicht allzuviel Neues zu sehen. Die "Fränkische Galerie" ist noch nicht eingezogen, der Kopfbau wird frühestens im Sommer nächsten Jahres fertiggestellt und auch die Räume des "Forums der Kulturen" stehen einstweilen noch leer. Eine Computerausstellung und eine Tanzperformance sollen auf innovative Kulturangebote vorbereiten. Zustimmung findet die neue gemeinsame Heimat von Filmhauskino und KOMM-Kino im Obergeschoss des renovierten Künstlerhauses. Die Bar ist schon in Betrieb, die Bestuhlung wurde eigens zwei Tage zuvor noch aus Paris besorgt. Hier wird nicht mit kühlem Prunk gedeckelt, nicht mit Nostalgie gelockt - ein Charme der schlichten Sorte, der gefällt. Ein junger Architekt aus Plauen lässt sich immerhin auch von leeren Fluren und Zimmern zu fachlicher Begeisterung hinreißen. Die meisten zieht es aber in den alten Teil, ins K4. Auch hier gab es Veränderung, doch die hält sich noch in Grenzen. "Die Parolen sind weg, das Bier ist eine Mark teurer", spottet einer.

Im Hinterzimmer wird Foxtrott getanzt, das Zentralcafé schwelgt in Diskomusik aus den 80igern, die Kneipe, das "Löffler", hatte unter der Regie der neuen Pächterin schon zur Jahresmitte ein neues Flair erhalten, in dem sich auch die geladene Prominenz nicht unwohl fühlen musste.

Dem alten KOMM wurde vorgeworfen, es sei nur für bestimmte Gruppen offen gewesen. Diese Altlast möchte das K4 abschütteln, auch da soll "Schnitt" sein. Offen für alle, für die Senioren und die junge Event-Generation. Auch für Familien soll das K4 etwas zu bieten haben, sogar Kinderbetreuung ist eingeplant. Martina, eine angesprochene Mutter mit Säugling auf dem Arm, entpuppt sich aber ausgerechnet als ehemalige Aktivistin: "Offen? Ja es ist offen für alle, die Geld haben, für alle Schickimickis. Wir werden ja sehen, für wen es offen ist!". Sie erinnert daran, wie die politischen Gruppen "rausgegrätzt" wurden: "Ich weiß nicht. Soll so eine Zukunft der Freiheit und Offenheit dann aussehen?". Matthias Z. findet, es ist kein "Schickimickiteil", sondern lobt die "gediegene künstlerische Atmosphäre". SkeptikerInnen wie Martina empfiehlt er: "Erst recht reingehen und sich das aneignen!"

Bewegung statt Sprechblasen

Der "Schnitt" geht jedoch nicht nur durch Vergangenheit und Zukunft, es gibt auch den Einschnitt, den die Glastür zu den neuen renovierten Räumen symbolisiert. Dahinter sind die Mamorfließen aufpoliert, davor sind die abgetreten und angekratzt. Das kommt nicht nur vom Alter, sondern vor allem vom Gebrauch. Musikverein, Bildungsbereich und Werkbund, die "alten" Gruppen im Haus, stehen für einen Kulturbegriff, der mit "Events" allein nicht auskommt. "Jeder Mensch ist ein Künstler", ein Beuys-Zitat, auf das sich der Bildungsbereich beruft. "Kultur von allen, für alle" erträumte Herrmann Glaser einst für das KOMM.

Dass es ein K4 "zum mitmachen" werden wird, erhoffen sich viele, die an diesem Abend einen ersten Blick in die Zukunft des Kulturzentrums werfen wollen. "Wir werden weiterhin innovative Kulturarbeit machen", verspricht Dachwald für den Bildungsbereich, "das ist zumindest mein festes Vorhaben". Er musste bereits die Erfahrung machen, dass die Verwirklichung guter Vorsätze nicht nur von denen abhängt, die sie fassen. Der Bildungsbereich wird nach dem Willen der Stadtratsmehrheit nicht einmal eigene Ausstellungsräume haben, sondern als "Wanderzirkus" mal hier, mal dort ausstellen.

"Banana" vom Musikverein sieht gelassen in die Zukunft. Ein K4 ohne Musikverein kann er sich schon gar nicht vorstellen. Zwar gefällt ihm auch nicht alles, was er sieht. "Das ist Mainstream und Hochkultur und der Musikverein und die Cafe-Gruppe sind die Oasen darin", sagt er, aber einem veränderten Publikum vermag er doch einiges abzugewinnen: "Es ist für uns ganz gut. Das gehört halt auch dazu, allen Schichten offen gegenüberzutreten".

Noch wird der Kulturbetrieb zum Grossteil durch diejenigen geprägt, die in der Interimszeit zwischen Selbstverwaltung und Künstlerhaus den "Laden schmissen". Wie eine Fränkische Galerie mit Gemälden aus dem 19. Jahrhundert bis hinein in die 30er Jahre oder eine Tourismuszentrale hinter Glas die Atmosphäre verändern werden, davon fehlen noch die konkreten Vorstellungen.

"Ich hoffe, dass sich neue kulturelle und vielleicht auch soziale Bewegungen ergeben und das Haus nicht nur mit Sprechblasen gefüllt wird." Das sagt einer, der nicht zum Nachkarteln gekommen ist. Sein Wort in Gottes Ohr.

Abreißen, was an frühere NutzerInnen erinnert.... Der vordere Teil des Ex-KOMM wurde total abgerissen und wird durch einen Neubau ersetzt. Hier soll die neue Tourismuszentrale der Stadt ihren Platz bekommen.

Aus: GROSSRAUMZEITUNG Nr. 1 vom 16.10.2000

 

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Stand: 07. August 2008