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Rote Flora

HAMBURG:

Die Rote Flora erklärt sich für unverkäuflich

»Die Idee der Roten Flora ist unverkäuflich und unbezahlbar«, erklärte Andreas Blechschmidt gegenüber dem Autor. Blechschmidt ist nicht der Presseprecher der Roten Flora, sondern ein Vertreter ihres Plenums. Dort können alle NutzerInnen mitentscheiden, was in dem selbstverwalteten Zentrum im Hamburger Schanzenviertel geschieht.

Von Gaston Kirsche, Hamburg # Vor 21 Jahren wurde das Gebäude besetzt, um eine geplante kommerzielle Nutzung durch den geplanten Musicalmassenabfertigungsbetrieb »Phantom der Oper« zu verhindern. Als die Mauer fiel, wurde in der Flora eine selbstorganisierte, von Staat und Markt unabhängige Begegnungsstätte zum Leben erweckt. Die Aufwertung des ehemaligen Arbeiterstadtteils mit vielen Altbauwohnungen wurde so verzögert.

Die Rote Flora ist vieles: Druckwerkstatt, Archiv der sozialen Bewegungen, Autonomes Zentrum, Konzertsaal, Jugendzentrum, selbstverwaltete Motorradwerkstatt. Alles mögliche wird hier selbstorganisiert gemacht, nur eines nicht: Gewinn. Alle sind unentgeltlich aktiv, die Preise im Café, bei Konzerten und Veranstaltungen niedrig. Überschüsse werden gespendet an politische Kampagnen oder für Prozesskosten, die durch radikale linke Aktivitäten entstehen. Vor zehn Jahren verkaufte die Stadt das Gebäude an den Immobilienbesitzer Klausmartin Kretschmer. Die damalige rotgrüne Landesregierung privatisierte so ihre Problem- Immobilie.

Die Zeitungen des Springerverlages, welche in Hamburg 90% des Zeitungsmarktes kontrollieren, hatten in den Jahren zuvor wiederholt versucht, die Rote Flora als angeblichen »rechtsfreien Raum«, zeitweilig gar als Zentrum linksterroristischer Gewalt abzustempeln und die Räumung gefordert. Die PRO-Partei des Rechtspopulisten Ronald Schill bekam viel Zuspruch in der Stadt – und Schill wollte die Rote Flora ins Zentrum seines Law-and-Order- Wahlkampfes für die hamburgische Bürgerschaft 2001 stellen. Durch den Verkauf lief Schill hier ins Leere.

Die städtischen Juristen versahen den Kaufvertrag und den Grundbucheintrag des Gebäudes der Roten Flora mit Auflagen: Bei einem Weiterverkauf müsste der neue Besitzer Kretschmer einen Gewinn, der über dem Verkehrswert liegt, an die Stadt abführen und die Stadt hat ein Vorkaufsrecht – bis zehn Jahre nach Verkauf. Diese Frist lief am 28. März 2011 aus. Die zweite Hürde ist der Eintrag im Grundbuch: Laut dem ist in dem Gebäude nur der Betrieb eines kulturellen Zentrums zulässig.

Klausmartin Kretschmer hat das Notariat von Henning Voscherau damit beauftragt, eine Änderung des Grundbucheintrages zu betreiben. Voscherau hat als ehemaliger Bürgermeister und graue Eminenz der SPD Hamburgs einige Möglichkeiten. Gleichwohl hat Hamburgs neugewählter Bürgermeister Olaf Scholz, SPD, Anfang März bei der Vorstellung der neuen Kultursenatorin beinahe beiläufig erklärt, »da kann man gar nichts anderes machen, als eine Kultureinrichtung«. Ob sich die Stadt überhaupt mit der Roten Flora beschäftigen müsse, sei noch offen, so Scholz: »Auf jeden Fall hat niemand vor, an dem jetzigen Zustand im Großen und Ganzen etwas zu ändern«. Mitte März spekulierte die Hamburger Morgenpost: »Kauft die Stadt die ‘Rote Flora’? Nach MOPO-Informationen hat Olaf Scholz das Stadtteilzentrum zur Chefsache erklärt.« Der Senatssprecher Christoph Holstein dementierte, das sei »Quatsch«.

Gesichert ist, dass Klausmartin Kretschmer sehr umtriebig ist, um das Gebäude der Roten Flora gewinnbringend zu verkaufen: 185.000 Euro bezahlte er 2001, fünf Millionen Euro möchte er 2011 erlösen. Angeblich hat er schon Kaufinteressenten. In Interviews malt Kretschmer gerne das Szenario tagelanger Straßenschlachten an die Wand, welche die Stadt teurer zu stehen kommen würden als wenn sie das Flora-Gebäude für 5 Millionen zurückkaufen würde.

Unbestritten ist, dass die Rote Flora für die linksalternative Szene Hamburgs eine hohe symbolische und praktische Bedeutung hat. So haben KünstlerInnen der Initiative »Not in our name« im Dezember eine Flora-Bleibt-Festspielwoche organisiert unter dem Motto: s»Ich würd’s so lassen!«. Andreas Blechschmidt: »Dass Scholz erst mal erklärt hat, er würde die Flora so lassen, ist bereits ein Erfolg der Solidarität mit der Roten Flora.« Blechschmidt betonte gegenüber dem Autor, dass dies zwar keine Garantie dafür sei, dass der SPD-Senat unter Scholz nicht im Zweifelsfall räumen lassen werde, wenn Kretschmer einen Räumungstitel erwirken würde. Aber die Solidaritätskampagne mit der Roten Flora erklärte Mitte März zuversichtlich: »Außerdem scheint in den Etagen des Establishments die Ahnung angekommen zu sein, dass der Widerstand im Falle eines tatsächlichen Räumungsversuchs schnell zu einem Flächenbrand werden kann«.

Am 28. März fand ein kollektiver Besuch des Hamburger Grundbuchamtes statt, um die Rote Flora aus dem Grundbuch zu streichen. Die 100 TeilnehmerInnen mussten sich auf symbolische Aktionen vor dem Eingang beschränken, da eine Überzahl an PolizistInnen sie am Betreten hinderte. Aber am 30. April geht es weiter mit einer überregionalen Soldaritätsdemo »gegen kapitalistische Zustände, für den Erhalt der Flora und das Recht auf Stadt!«. Denn die Zukunft der Roten Flora sollte nicht auf dem Immobilienmarkt entschieden werden, sondern von den Nutzerinnen und Nutzern gestaltet werden können.

Weitere Infos: http://florableibt.blogsport.de

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 29. April 2011