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Repression

REPRESSION IN GIESSEN ESKALIERT:

Bouffier'scher Ausnahmezustand

Spannender als im Fernsehkrimi: Vom 14.-18. Mai 2006 spitzte sich im Giessener Raum eine Auseinandersetzung um die aktuelle Sicherheitspolitik der hessischen Landesregierung und der CDU-geführten Heimatstadt des Innenministers Bouffier auf absurde und teilweise dramatische Art zu.


Von Espi Twelve - Nach der nächtlichen Festnahme im Rambostyle gab es ED-Behandlungen, eine Hausdurchsuchung ohne Durchsuchungsbefehl und 5 Tage Knast für einen Aktivisten. Versuchte gefährliche Körperverletzung, gefährlicher Eingriff in den Strassenverkehr, Rechtsbeugung, Freiheitsberaubung, falsche Beschuldigungen und üble Nachrede wären die Straftaten der Staatsbüttel, die allerdings angesichts dessen, dass die Justiz selbst zu den Tätern gehört, nie verfolgt werden dürften. Lügen und Gewalt kommen hinzu. Hinter allem: Der hessische Innenminister Bouffier.

Seit dem 18.5.2006 sind alle Polit-AktivistInnen wieder auf freiem Fuß. Doch die Auseinandersetzung wird weiter an Schärfe gewinnen. Während Innenminister Bouffier das zur Bekämpfung von Schwerstkriminalität zuständige "Mobile Einsatzkommando" gegen seine Kritiker geschickt hat, planen die Betroffenen öffentliche Aktionen sowie eine Reihe von Anzeigen gegen die Verantwortlichen.

Zeitlicher Ablauf im Überblick

In den ersten Maitagen kam es zu zwei Attacken auf die gemeinsame Anwaltskanzlei der Innenminister von Thüringen und Hessen in der Nordanlage 37 in Giessen. Neben der inzwischen durch einen Gerichtsbeschluss bekannt gewordenen Verteilung stinkender Flüssigkeit im Inneren wurde bei der ersten Attacke Farbe an der Wand verteilt und Sprüche gegen die Innenpolitik der Innenminister und speziell Skandale in Thüringen aufgesprüht. Wenige Tage später wurde erneut Farbe an der neu gestrichenen Wand verteilt, zudem gingen etliche Fenster zu Bruch.

Tags drauf schickte Innenminister Bouffier das Landeskriminalamt in die Projektwerkstatt. Verdachtsmomente gegen dieses politisches Zentrum nach Auskunft der LKA-BeamtInnen: Keine. Es sei Befehl von Bouffier. Der ist seit Jahren Antreiber einer Vielzahl von Polizeiaktionen und staatsanwaltlicher Verfolgung der AktivistInnen rund um die Projektwerkstatt. Am 8. Mai stationierte die hessische Landespolizei Sondereinheiten der Polizei (MEK) zum Schutz der Innenministerkanzlei und gegen die RegierungskritikerInnen aus der Projektwerkstatt. Am 10. Mai verfügt die Staatsanwaltschaft, ebenfalls offensichtlich auf Antrieb aus dem Innenministerium die schnelle Inhaftierung einer in einer skandalösen Prozessserie verhängten Haftstrafe gegen einen Projektwerkstättler - mit kurzer Frist.

Am 14.5.2006 folgte ein martialischer Polizeiüberfall auf vier Personen, die sich in Reiskirchen aufhielten. Ihnen wurden Farbanschläge in der Nacht vorgeworfen. Da offensichtlich in dieser Nacht aber gar keine oder zumindest keine politisch orientierten Farbattacken in Giessen geschahen, benutzte die Polizei beliebige, an Giessener Hauswänden befindliche sog. "Tags" (klassische Künstlerkennzeichen in der Sprayerszene) und behauptete, diese seien von den RadfahrerInnen gesprüht worden. Es folgten aufgrund dieser abenteuerlichen Falschbeschuldigung ED-Behandlungen.

Eine Person blieb in Haft - nämlich die, die ohnehin einige Tage später eine Strafhaft antreten sollte. So sollte diese einfach um einige Tage verlängert werden. Um trotz offensichtlich fehlender Gründe die Haft auch rechtlich abzusichern, jagte in den Folgetagen eine Lüge die andere, Giessener Richter und Polizeieinheiten bastelten Hand in Hand an wirren Theorien und Beweisketten, um ihren  Wunsch nach Inhaftierung der ungeliebten Person aufrechtzuerhalten.

Erst der Spruch des Bundesverfassungsgerichts machte einen Strich durch die Rechnung der Giessener Rechtsbeugermafia. Am 18.5. kam der Inhaftierte wieder auf freien Fuss. Der Weg dahin ist eine Kette von Handlungen, die mit dem geltenden Recht wenig zu tun haben - aber offenbar das in der Heimatstadt des Innenministers Bouffier geltende "Bouffiersche Recht" zeigen.

Polizeieinsatz und Festnahmen

Am 14.5. frühmorgens wurden vier Personen im Bereich des Ortes Reiskirchen festgenommen. Sie waren dort mit Fahrrädern unterwegs und hatten vor allem Lebensmittel dabei, die sie aus Lebensmittelcontainern der Umgebung geholt hatten. Während der Festnahme kam es zweimal durch absurde Polizeihandlungen zu Gefährdungen von Personen. Im ersten Fall drängte ein Auto einen auf dem Fußweg fahrenden Fahrradfahrer so ab, dass dieser mit dem Auto kollidierte. Im zweiten Fall sprang der Fahrer eines Polizeiwagens aus dem fahrenden Wagen auf einen Fahrradfahrer. Dem nun führerlos auf die nachkommenden zwei RadlerInnen zufahrenden Auto konnte eine der beiden Personen nur noch knapp ausweichen und stieß mit der offenen Fahrertür zusammen, die zuschlug und so glücklicherweise keine Verletzungen entstanden. Das führerlose Auto fuhr dann noch etliche Meter weiter bis es auf einen parkenden anderen Polizeiwagen stieß.

Sowohl bei dem Zusammenprall der beiden Wagen wie auch an der Fahrertür müssen erkennbar Schäden entstanden sein. Das Vorgehen ist offensichtlich als äußerst gefährlich einzustufen und es ist leicht auszurechnen, was geschehen würde, wenn ein solcher Vorfall umgekehrt geschehen wäre (Personen lassen Fahrzeug in Polizeigruppe fahren). Die Polizei hat hier schwerste Verletzungen billigend in Kauf genommen. Die Festnahmen erfolgten rabiat, unter sofortiger Androhung von Pfefferspray und ohne jegliche Angabe von Gründen.

Polizeigewahrsam, ED-Behandlung, Verhöre

Alle vier Festgenommenen blieben etliche Stunden im Gewahrsam der Giessener Polizei, wurden verhört und erkennungsdienstlich behandelt. Zu keiner Zeit wurden irgendjemandem gegenüber Angaben gemacht, welche Verdachtsmomente vorliegen, dass gerade sie für Sachbeschädigungen in Frage kämen, die zudem nur pauschal behauptet wurden.

Anhörung zum Unterbindungsgewahrsam

Während drei der Festgenommenen am Nachmittag des 15.5.2006 freigelassen wurden, wurde der Polit-Aktivist Jörg B. vor den Richter am Amtsgericht, Gotthardt (vormals selbst Polizist), geführt. Die Polizei beantragte einen mehrtägigen Unterbindungsgewahrsam. Dieser wurde von Richter Gotthardt genehmigt und der Betroffene in den Giessener Knast geschafft. Doch die sogenannte "Anhörung", immerhin ein grundgesetzlich geschütztes Recht, wurde zu einer Demonstration der Strategien von Giessener Polizei und Justiz: Lügen, falsche Verdächtigungen und Rechtsbeugung.

Verzögern ...

Das Amtsgericht ließ sich einen bemerkenswerten Trick einfallen, um die Beschwerde nicht bearbeiten zu müssen und Jörg B. damit im Knast zu belassen. Sowohl die Erfindung eines Befangenheitsantrags, den es nie gab, weil er untersagt wurde, ist eine Rechtswidrigkeit wie auch die damit begründete Verzögerung, denn selbst wenn es diesen Antrag gegeben hätte, wäre die Beschwerde aufgrund des wichtigeren Rechtsgutes (Freiheitsentziehung) vorrangig zu behandeln gewesen. Der Trick mit dem erfundenen Befangenheitsantrag ist dem Amtsgericht nicht versehentlich passiert, denn in der Beschwerde hatte der Betroffene als einen Grund für die Rechtswidrigkeit des Gerichtsbeschlusses zum Freiheitsentzug genau die rechtswidrige Untersagung des Befangenheitsantrages als einen Punkt angegriffen. Die Rechtsbeuger aus dem Giessener Amtsgericht benutzten nun ihre erste Rechtsbeugung, um damit die zweite zu legitimieren. Der Anwalt des Betroffenen legte mehrfach Protest gegen das Vorgehen ein, ohne dass das Amtsgericht seine Strategie veränderte.

Verfügung des Verfassungsgerichts

Am 17.5.2006 platzte in den Ablauf die Überraschungsnachricht hinein. Das Bundesverfassungsgericht verfügte einen Aufschub der Strafhaft von Jörg B. wegen des laufenden Verfahrens. Der Betroffene hatte Verfassungsbeschwerde gegen seine Verurteilung, in der er im Hauptpunkt verurteilt wurde, eingereicht. Er wurde verurteilt, weil er sich gegen seine Verhaftung als Redner auf einer Demonstration (während seiner Rede!) gewehrt haben sollte. Die Verhaftung erfolgte ohne Vorwarnung und ohne vorherige Auflösung der Demonstration, worin der Betroffene einen Verstoß gegen das Versammlungsrecht sah. Alle Gerichtsinstanzen und die Staatsanwaltschaften hatten das Vorgehen der Polizei für rechtens befunden, d.h. sie fanden Angriffe auf Demonstrationen ohne Grund und ohne Vorwarnung für legal - ein typischer Fall des "Bouffierschen Rechts", dass in Gießen und Hessen gilt. Aufgrund dessen musste Jörg B. wieder auf freien Fuß gesetzt werden.

Alle Details sind unter
www.projektwerkstatt.de/weggesperrt präzise aufgeführt einschließlich aller Gerichtsbeschlüsse, Presseveröffentlichungen, Anträge und mehr.

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008