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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Profile

3 Betriebe – 3 Profile

Die subjektive Seite einer Faktensammlung

6 Jahre Jurastudium – Abschlußarbeit – Themensuche – Thema: Arbeitsrecht in selbstverwalteten Betrieben – Eigene Legitimation: Vielleicht gibt das Thema für die Betriebe was her – Ansonsten keine Ahnung wie es in selbstverwalteten Betrieben zugeht – Also Kontakte aufnehmen – Fragen entwickeln – Betriebe abklappern.

Torsten Eichler-Weiskorn, Redaktion Bremen – Nach 2 Monaten habe ich 33 Betriebe abgeklappert. Von jedem Betrieb liegt mir ein ausgefüllter 18-seitiger Fragebogen vor. Die Zahlen- und Antwortkolonnen kommen mir ziemlich leblos vor. Bei der Durchsicht einzelner Fragebögen gelingt es mir, die dazu gehörigen Betriebe wieder zu identifizieren. Die scheinbar leblosen und vermeintlich objektiven Daten rufen subjektive Erinnerungen an die Betriebe wach, die Daten und die subjektiven Eindrücke verschmelzen auffällig zu einer Einheit. Ach ja, das war dieser Betrieb. Das Interview war telefonisch vereinbart. Ich sollte den Kuchen nicht vergessen. Nach 2 Stunden Radfahrt komme ich eine Stunde zu früh in dem Betrieb an. Ich will fragen, ob sich das Gespräch vorziehen läßt. In der Werkstatt herrscht geschäftiges Treiben. Die Leute haben noch keine Zeit. Also setze ich mich eine Stunde ins Grüne, kaufe danach Kuchen ein und gehe wieder zu dem Betrieb. Die Werkstatt ist ruhig. Ich suche Mann oder Frau, die ich nicht finden kann, bis ich über mir Stimmen höre. Nach einigem Suchen finde ich eine kleine Leiter, die nach oben führt. Über Balken, halbe unbearbeitete Baumstämme, balanciere ich zu einem mit Holzplatten abgetrennten Raum. Hier finde ich meine Gesprächspartner. Der Raum, mit einem alten Sofa und Sesseln, Kochecke, Schlafecke, Tisch und altem Radio, strahlt eine unaufgeräumte Gemütlichkeit aus. Während der Teezubereitung versuche ich, das Gespräch in die Systematik meines Fragebogens zu kriegen. Es geht aber nicht und ich lasse meinen Fragebogen sausen. Das Gespräch geht kreuz und quer durch die Selbstverwalter-Probleme. Meine Fragen finden dabei ihre Antworten. Alle Kollektivmitarbeiter/innen sind gleichzeitig Gesellschafter/innen der BGB-Gesellschaft, jeder/e erhält den gleichen Betrag monatlich ausgezahlt, unbezahlten Urlaub gibt es nach Bedarf. Die Arbeitszeiten sind schwankend, wenn ein Auftrag fertig werden muß, wird halt mal nachts gearbeitet. Wenn neue Leute ins Kollektiv aufgenommen werden sollen, muß in erster Linie die Emotionalität stimmen. Schriftliche Verträge zu irgendwelchen Abmachungen gibt es nicht. Nach dem Gespräch balanciere ich über die Balken nach unten. Dabei denke ich, für einen traditionellen Betrieb alles undenkbare Betriebsstrukturen, aber es funktioniert. Mein mit juristischen Subsumtionsmerkmalen vollgestopftes Hirn sagt mir, alles Ungeregelte findet in seinem Ungeregeltsein seine machbare Regelmäßigkeit. Ich wünsche den Leuten, daß es weiterhin so gut geht, wenn nicht, au Backe.

Einige Tage später bin ich in einem sogenannten Belegschaftsbetrieb. Die Werkstatt wirkt geputzt und aufgeräumt. Das Gespräch findet in einem Raum statt, der aussieht wie ein ,,Sozialraum". Die hälbe Belegschaft nimmt an dem Gespräch teil, das ist selten. Die Crew, die jetzt unter eigener Regie produziert, hat vorher unter einem Einzelunternehmer gearbeitet. Sie sind durchweg gut qualifizierte Facharbeiter. Vielleicht verläuft das Interview deshalb irgendwie anders als bisher. Mir scheint es praxisorientierter und mit einem schärferen Blick für die kapitalistischen Konkurrenzzwänge und Mechanismen. Alle Belegschaftsmitglieder sind Gesellschafter/innen ihres Betriebes. Ein Gesellschaftervertrag klärt die unterschiedlichen Kompetenzen und Entscheidungsregularien. Die ideellen Ansprüche an Selbstverwaltung sind eher niedrig angesetzt, aber für Weiterentwicklung offen gehalten. Mir fallen einige Gesprächsfetzen ein. Ein Kollege schildert, wie die Arbeit vor der Betriebsübernahme war. „Ich war nur für's Lager da. Mußten Bestellungen gemacht werden, kam jemand aus dem Kontor und fragte, was in welchen Mengen, zu welchen Preisen bestellt werden sollte. Gab es Probleme mit den Lieferfirmen, kam wieder jemand aus dem Kontor und fragte nach". Heute macht er gleich alles selbst und weiß auch in den anderen Bereichen Bescheid. Ein anderer Kollege erklärte, daß er früher in der Firma gearbeitet und zu Hause gelebt hat. Wenn er heute gefragt würde, wo sein zu Hause wäre, wurde er sagen im Betrieb. Bei dieser Bemerkung klingt mit, daß der Überlebenskampf des Betriebes reichlich zeitliche Opfer kostet. Mit etwas Glück können sie aber bald eine/n weitere/n Mitarbeiter/in im Betrieb aufnehmen. Auch wenn sie noch nicht überm' Berg sind.

Ein neuer Termin. Wie oft muß ich einige Zeit warten. Von den im Betrieb Anwesenden fühlt sich keiner für mich zuständig. Ich soll auf S. warten. Als S. Kommt, erfahre ich, daß der ganze Laden von 3 Leuten, die nach dem Studium keinen Job fanden, ins Leben gerufen wurde. Nachdem ich höre, daß inzwischen über 30 Männer und Frauen mit einem beständigen Stundenkontingent in dem Betrieb arbeiten, bin ich angesichts dieser hohen Zahl platt. Der Laden ist gut angelaufen, wird mir kurz darauf bestätigt. Arbeitsvorbereitung und Durchführung werden von den Mitarbeitern/innen autonom vorgenommen. Allerdings, über den Betrieb ist kaum jemand sozialversichert. Ich frage, wie die Arbeitsaufteilung vor sich geht. Das macht im wesentlichen S.. Gemeinsame Besprechungen des gesamten Mitarbeiterkollektivs gibt es nicht. Meine nächste Frage: ,,Was passiert denn, wenn inhaltliche oder organisatorische Differenzen auftreten?" Die Antwort ist denkbar einfach. ,,Notfalls erhält der oder die keine Arbeitsstunden mehr" und das entscheiden, wenn ich mich richtig erinnere, die Gründer. Auf dem Weg nach Hause bin ich nachdenklich und stelle fest, daß ich mit den ,,Selbstverwaltungsstrukturen" dieses Betriebes nicht einverstanden bin. Oder habe ich irgendetwas falsch verstanden?

 

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Stand: 11. Juni 2010