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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Polit-Soap-Novelle

POLIT-SOAP-NOVELLE, TEIL I

2084

Eine richtige Zeitung braucht ihre Fortsetzungsgeschichte, schrieb uns Carlotta aus Hannover. Recht hat sie, viel Vergnügen mit dem 1. Teil der Geschichte...

Carlotta

Karin wusste schon bevor sie ihren Vater gesprochen hatte, dass er sie nicht verstehen würde. Professor Jorzig, der gerne im Fernsehen zu diesem und jenem gefragt wurde. Und doch liebte er sie wahrscheinlich. Sie hatte ja seine genetische Disposition.

`Du hast die besten Voraussetzungen, das Screening wurde bei Dir in allen Dispositionen mit Topwerten abgeschlossen. Ich verstehe nicht, dass Du alles wegwerfen willst. Wenn Du Dinge verändern willst dann musst Du dir die entsprechende Stellung erarbeiten. Du hast doch alle Voraussetzungen dafür. Nur so kannst Du was verändern. Und hör auf zu rauchen - oder willst Du dich selbst zerstören, wie Deine Mutter.'

Was sonst hätte ihr Vater auch sagen sollen? Dabei hatte sie nicht einmal die Gene ihrer Mutter.

Aus der Politologievorlesung: Heute entscheiden die weltweiten Netzwerke und Foren der fachlich qualifizierten und engagierten Intelligenz alle wichtigen Fragen. Nicht mehr politische Partialinteressen stehen im Vordergrund, sondern die Vernunft und die sachlichen Notwendigkeiten. Die Parlamente haben nur noch eine repräsentative Funktion. Karin hatte diesen Satz in ihrer Mitschrift unterstrichen.

War es nicht das, wovon die Nicht-Regierungs-Organisationen Anfang des 21. Jahrhunderts immer geträumt hatten?

Im Jahr 2026 wurden Krebsbehandlungen für Raucherinnen und Raucher aus dem Leistungskatalog der öffentlichen Krankenversicherungen gestrichen.

Ihr Professor hatte länger auf Karin eingeredet. Dies war eine Eliteuniversität - hier kümmerte man sich um die Studierenden.

`Sie können ja tun und lassen, was sie wollen. Und es ist ganz sinnvoll, dass junge Leute die Prinzipien ihrer Eltern hinterfragen. Und wenn Sie meinen, dass es Sinn macht sich mit alternativen Ansätzen der Sozialhygiene zu beschäftigen, tun sie das. Darunter darf aber nicht der Rest ihres Studiums leiden. Und Sie können doch nicht ernsthaft die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Genetik bezweifeln?' `Ich scheiß auf die Sozialhygiene, das ist Mord.'

`Radikale Positionierungen helfen niemandem.'

`Sie meinen, sie gefährden ihre Machtposition.' `Sie wissen genau, was ich meine. Wenn Sie der Irrationalität Tür und Tor öffnen wollen, dann sollten Sie sich überlegen, ob Sie an dieser Ausbildungsstätte noch richtig aufgehoben sind.'

Sie saßen in einer hinteren Ecke des Parkhauses. Die Kamera, die diesen Teil überwachte war kaputt. Es war ein kleines Stück Abenteuer. Von hier aus überblickten sie die naheliegenden Strassen. Karl hatte den Tabak organisiert, Kia die Blättchen. Nun rauchten sie mit zittrigen Fingern. Sie scherzten um ihre Furcht und Nervosität zu überdecken. Wenn sie jetzt jemand sähe, würde dies mindesten Korrekturunterricht in der Gesamtschule bedeuten.

Aus der Politologievorlesung: Am Anfang des 21. Jahrhunderts hatte sich das Besitzbürgertum und der nationalstaatliche Parlamentarismus selbst in den Abgrund gewirtschaftet. Die Machtübernahme durch die internationalen Foren der Fach- und Nicht-Regierungs-Organisationen verlief glücklicherweise ohne bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Der Professor hatte an dieser Stelle bemerkt, dass die junge Jorzig aus dem Fenster starrte.

Was war nur aus seiner Tochter geworden?

Professor Jorzig sah sie von seinem Platz im Cafe auf der Strasse die Sicherheitskräfte provozieren. Sie wusste doch genau, dass im Citybereich das Verteilen von nichtgenehmigten Prospekten oder Zetteln verboten war. Wer will schon permanent mit politischer Propaganda belästigt werden? Hatten die Menschen nicht ein Anrecht auf ungestörtem Verweilen in der Kaufzone? Aber sie hörte ja gar nicht mehr zu, redete immer nur von Freiheit ohne auf die Wünsche anderer Rücksicht zu nehmen.

Diesmal würde er ihr nicht zu Hilfe kommen. Vielleicht würde die Erfahrung ihr gut tun.

Sie wissen schon warum ihr Kind heute ein Problemkind ist. Als Kleines konnte es sich schon nicht beherrschen - hat es ungehemmt Süßigkeiten in sich hineingestopft. Hätten Sie damals nur schon eingegriffen.

Zero-Toleranz - Handeln bevor es zu spät ist - pädagogisch betreute Verhaltensnachschulung schon für Kinder ab dem ersten Lebensjahr. Institut fuer präventive Pädagogik - www.schulefueruebermor.de - transnet: tt.brainforming.cg

Rauchen gefährdet Ihr Erbgut. - Raucherinnen fügen uns allen Schaden zu und vor allem ihren Nachkommen. - Auch von Jugendlichen ist verantwortungsbewusstes Handeln im Umgang mit der Welt zu verlangen. - Rauchen ist der Anfang, ungeschützter Sexualverkehr das nächste, und dann betteln sie um Hilfe für ihre geschädigten Kinder.

Karin hatte sich entschieden, sie hatte das Studium hingeschmissen. Sie würde in die aufgegebenen Bereiche der Stadt ziehen. Sie hatte Lust auf die Strasse zu rennen und sich irgendeinen beliebigen Mann als Samenspender zu suchen - ungeplant, ungetestet. Aber sie wusste, sie würde keinen finden. Hier hatten alle Angst vor den juristischen Folgen und: "So was ist unverantwortlich - gerade als Frau trägst Du Verantwortung für das Leben." Sie wusste, wie ihre männlichen Mitstudenten sich aufpumpen konnten, wenn einmal eine Frau sexuelle Freizügigkeit einforderte. Sie lachte bei dem Gedanken - einfach mit dem nächsten Bettler ein Kind zu zeugen. Vielleicht gab es im Slum Männer, die dazu bereit waren.

Erst einmal würde sie sich eine Arbeit suchen müssen. Ihr Geld würde nicht lange reichen. Keine Sicherheitskontrollen mehr - Krüppel auf den Strassen - Rauchen, wann und wo sie wollte - aber auch Elend und Gewalt.

Sie hatte geträumt überfallen zu werden und war letzte Nacht schweißgebadet aufgewacht. Erst einmal würde sie bei einer Freundin unterkommen.

Sie hatte es ihrem Vater mitgeteilt. Es würde Tratsch unter den Kollegen geben. Sie prustete durch die Nase.

Die neue Stellung der Frau. Heute übernahmen vor allem die Mütter die Aufgabe, für die Qualität des genetischen Materials, das sie an ihre Kinder weitergaben, und für die Ausbildung zu sorgen. Die heutige Frau war Managerin ihrer Familie und ihres eigenen Fortkommens.

An einer Ecke spielten einige Kinder Geburtsklinik

`.. ehne mehne muh 
raus bist du, 
ehne mehne meck, 
und du bist weck'

Freiheit ist Einwandfreiheit!

Es war noch früh am Morgen als es an der Tür klingelte. Karin hatte sich gerade einen Kaffee aufgesetzt. Als sie öffnete, ließ man ihr keine Chance. Ihr Schrei verhallte im Treppenhaus. Die Nachbarin war nicht verwundert. Das war wohl besser so. Die Spritze wirkte sofort. Sie würde jetzt lernen vernünftig zu sein. Die zwei Männer und die junge Ärztin im weißen Kittel dankten dem Sicherheitsdienst für die Hilfe. Die junge Ärztin sah den Widerstand ihrer Patientin. Die Neukonditionierung würde lange dauern. Wahrscheinlich ein weiterer hoffnungsloser Fall für die Klinik. Aber der Vater zahlte ja, wohl weil er sich den Fehlschlag nicht eingestehen wollte - so was kam vor.

Das Kind kletterte im Sonnenschein auf einem der Denkmäler herum. Hier standen sie, alle wichtigen Köpfe der modernen Genetik. Als die Mutter weitergehen wollte und das Kind an die Hand nahm, fiel ihr Blick auf die Namenstafel - Peter Singer -.

Peter Singer - sie überlegte einen Moment, dann fiel ihr ihr Wissen aus der Schulzeit wieder ein. Ein Ethiker, der sich als einer der ersten gegen das Unglück behinderter Kinder gewandt hatte - gegen den Zwang ein behindertes Leben führen zu müssen. Heute hatte man Mitleid mit den Kleinen und solch ein Elend wurde frühzeitig beendet.

Sie hob ihr Kind hoch und herzte die einwandfreie Haut.

Auch im Jahr 2084 pflanzte sich nur der kleinere Teil der Menschheit verantwortungsbewusst in Vitro fort. Übernahm nur das oberste Viertel die Verantwortung für die genetische Disposition ihres Nachwuchses. Die Unterschichten trieben es nach wie vor wie die Tiere.

Professor Jorzig saß in seinem Sessel und beobachtete die Veränderung des virtuellen Aquarells. Es würde ihn ein Vermögen kosten, aber sie war seine Tochter. Sie hatte tatsächlich geplant in die Slums zu gehen. Was war nur mit ihr passiert?

Sie hatte sogar gedroht ein Kind mit einem Devianten zu zeugen. In einem Aschenbecher hatten sie die Reste ihres genetischen Dispositionsausweises gefunden. Er begriff sie nicht mehr. Auch dieses Rauchen. Das musste die hormonale Disposition ihrer Mutter sein. Zum Schluss war es mit ihr genauso gewesen. Sie hätten sich auch für eine Leihmutter entscheiden und nicht nur ihre genetische Disposition ersetzen sollen.

Aber er konnte Karin nicht aufgeben, verkommen lassen - sie sollte eine Chance haben. Sie hatte doch auch seine Dispositionen - vielleicht war er zu konservativ, zu altmodisch familiär.

Aber er würde für die Klinik aufkommen. Zur Not den Rest ihres Lebens.

In der nächsten Folge lesen Sie: Wie wird es Karin weiter ergehen? Hat Karin noch eine Chance? Gibt es Möglichkeiten zum Widerstand?

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008