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Peru

Bericht aus einem Druckerei-Projekt in Peru

Der folgende Bericht vom Frühjahr 84 stammt von Winne Wenning, derzeit Entwicklungshelfer beim DED. Winne ist gelernter Buch- und Offsetdrucker. Er hat schon unter Allende in Chile als EH gearbeitet. In Berlin druckte er bei verschiedenen Groß- und Kleinbetrieben und mehrere Jahre bei Oktoberdruck.

Das Gesamtprojekt

Seit Mitte des Jahres 1983 bin ich in Cusco in einer Druckerei tätig, die dem CENTRO DE LAS CASA angeschlossen ist. Es handelt sich hierbei um einen selbständigen, privaten Projektträger, der aus dem Ausland finanziert wird. Die Mitarbeiter des CENTRO, meist Soziologen, in der Mehrzahl Peruaner, widmen sich hauptsächlich der selbstgestellten Aufgabe, im andinen Raum soziologische Untersuchungen durchzuführen, deren Ergebnisse dann als Artikel in einschlägigen Zeitschriften oder als Buchform veröffentlicht werden. Der Leiter des CENTRO ist ein französischer Padre der dem Dominikaner Orden angehört.

Eine zweite Form an die Öffentlichkeit zu treten, besteht darin, monatlich eine kleine Zeitschrift herauszugeben. SUR behandelt ausschließlich Themen, die die im Hochland lebenden Bauern und Landarbeiter angeht.

Drittens widmet man sich der Herausgabe von Broschüren und Büchern, die entweder über Probleme der im Andenraum lebenden Landbevölkerung berichten, oder eben für diesen peruanischen Bevölkerungsteil wertvolle Ratschläge und Hinweise auf den unterschiedlichsten Gebieten geben. Die meisten Druckerzeugnisse werden in der angeschlossenen Druckerei hergestellt. Da lediglich die Selbstkosten berechnet werden, steht dem interessierten Leserpublikum eine preiswerte Informationsquelle zur Verfügung.

Zu den Abnehmern der Druckerzeugnisse gehören Teile der Landbevölkerung soweit sie lesen kann. Teile der Stadtbevölkerung aus den Centren wie Cusco, Puno, Arequipa, sowie Studenten, die im Rahmen ihres Studiums auf diese für sie preiswerte Fachliteratur zurückgreifen.

Für den Wissenschaftler gibt es vom CENTRO herausgegebene Fachliteratur. Nach Selbsteinschätzung des Projektträgers ist das CENTRO DE BARTOLOME DE LAS CASAS mit seinen ESTUDIOS RURALES ANDINOS als fortschrittlich und dynamisch einzustufen. Mit dieser selbstgestellten Aufgabe und Stoßrichtung sieht es sich im Raum Cusco einigen hausgemachten Schwierigkeiten ausgesetzt, die vom kürzlich neu eingesetzten Erzbischof ausgehen. Es ist aber zu erwarten, daß die Aufklärungsarbeit und Beratung der erklärten Zielgruppen weiter geht. Die Voraussetzungen die Öffentlichkeitsarbeit des CENTRO werden im praktischen Bereich in der angeschlossenen Druckerei geschaffen.

Vorab eine Klarstellung. Während alte Mitarbeiter des CENTRO, bis hin zum Chaffeur und der Reinemachefrau durch die Spendengelder aus dem Ausland bezahlt werden (es sei ihnen gegönnt), also losgelöst von der beträchtlichen Inflation im Land, ist die Druckerei abgenabelt vom CENTRO und muß sich wirtschaftlich selbst tragen, einfach durch die ausgeführten Arbeiten. Diese Tatsache schafft Ungerechtigkeiten auf dem Einkommenssektor. Denn die Mitarbeiter der Druckerei fühlen sich dem CENTRO zugehörig. Sie haben schon des öfteren ihrer Unzufriedenheit über diesen Zustand Ausdruck verliehen, aber bisher ohne Erfolg.

Die Druckerei

Die Druckerei ist ein reiner Produktionsbetrieb mit allen typischen Merkmalen, als da sind: Termindruck, Ansprüche an die Qualität der hergestellten Arbeiten und das Muß für die Druckerei Profit zu machen um wirtschaftlich zu überleben. Sie ist unterteilt in eine Repro-Montageabteilung, einen kleinen Druckmaschinenraum, Buchbinderei und hat die Möglichkeit der eigenen Satzherstellung auf 2 IBM-Schreibmaschinen. Insgesamt sind 7 Personen beschäftigt, zur Zeit ergänzt durch 2 EH.

Mein Arbeitsplatz ist im „Maschinensaal". Zur Verfügung stehen 2 Druckmaschinen im Format A4 und A3. Einer der beiden peruanischen Kollegen ist ausschließlich an den Druckpressen beschäftigt, während der zweite sowohl Arbeiten in der Buchbinderei erledigt, als auch an der A4-Maschine arbeitet. Der Betrieb existiert seit rund 3 Jahren, beide Kollegen sind von Anfang an dabei. Da ich der zweite EH-Drucker im Projekt bin, die Kollegen also schon durch meinen Vorgänger in Sachen Druck ausgebildet wurden, ist zumindest bei dem einen Mitarbeiter der Ausbildungsstand ausreichend, um die anfallenden Arbeiten zur Zufriedenheit aller ausführen zu können. Der zweite Kollege hat auf Grund seines größeren Arbeitsfeldes, nämlich zuzüglich Buchbinderei, noch auf dem Gebiet Druck Nachholbedarf, insbesondere an der A3-Maschine. So stehe ich meinen beiden peruanischen Kollegen im täglichen Arbeitsablauf zur Seite. Aufgrund der reichlich vorhandenen Arbeit ist kaum eine Chance, sich lang in theoretischen Erörterungen zu ergehen. Im Gegenteil. So verfahre ich nach dem Motto: aus der Praxis für die Praxis. Durch zunehmende Inanspruchnahme der größeren der beiden Druckmaschinen konnten wir neue Kunden bzw. abgewanderte Aufträge für die Druckerei gewinnen. Diese Entwicklung war Teil der an mich gestellten Aufgaben, denn beim Eintreffen im Projekt war die A3-Maschine so gut wie ungenutzt.

Anregung zur Selbsthilfe

Weil ich meine Aufgaben ganz unter dem Gesichtspunkt sehe, anzuregen zur Selbsthilfe, verstehe ich meine Zusammenarbeit mehr aus dem Hintergrund heraus. (Ganz im Gegensatz zu meinem Vorgänger, der als Werkstattleiter fungierte und somit die Gallionsfigur war). Herauszufinden, ob und wie meine beiden Kollegen diesen und jenen Ratschlag beherzigen und in die Tat umsetzen, dazu gibt es reichlich Gelegenheit. Denn neben den geschilderten Tätigkeitsbereichen ist es meine selbstgewählte Aufgabe, den gesamten Materialtransport zu bewerkstelligen. So wird mit dem Projektfahrzeug Papier und Farbe herangeschafft und Fertigprodukte wie Broschüren und Bücher ausgeliefert. Selbst die Papierabfälle werden von mir an interessierte Abnehmer verteilt, die sie verbrennen und so damit Dachziegel herstellen.

So ergeben sich Abwesenheiten aus dem Werkstattgeschehen, währenddessen die Kollegen sich selbst überlassen sind. Eine gute Gelegenheit herauszufinden, was sie an beruflicher Fortbildung in die Tat umsetzen wollen und können.

So weit, so gut. Und trotzdem ist das bisher Geschilderte nur ein Versuch, das Beste aus der angetroffenen Situation zu machen. Denn den eigentlichen Grund für meine Entsendung gibt es noch gar nicht. Angekündigt war eine für die Werkstatt neue, bis dahin unbekannte Druckmaschine. Auf ihr sollte, ebenfalls als Novum, eine Wochenzeitung gedruckt werden. Die ausländischen Geldgeber, die sowohl die Herausgabe der Zeitung als auch die Druckpresse finanzieren wollten, haben aus mir unbekannten Gründen ihr Angebot zurückgezogen.

Reibungen

Der geneigte Leser dieses Berichts mag annehmen, daß es in diesem Projekt bisher wie geschmiert lief. Dem ist nicht so. Es gab Reibungen und gelinde Probleme mit der Werkstattleitung, durch eine junge, dynamische Frau verkörpert und einige Enttäuschungen auf Seiten der Leitung des CENTRO, repräsentiert durch den dominikanischen Padre und seinem Verwalter. Dieser genannte kleine Personenkreis erwartete im Grunde eine für sie zusätzliche kostenlose Arbeitskraft, die zum Beispiel in Zeiten starken Produktionsanfalls eine Druckmaschine übernimmt, Überstunden macht und schlicht eine 2. Schicht einführt. Es war ein kurzer, schmerzlicher Prozeß nötig, bis die Leitung des CENTRO und der Druckerei eingesehen hatten, daß es nicht meine Aufgabe sein kann, einen vollen, normalen Arbeitsplatz auszufüllen und so einem peruanischen Kollegen die Chance zu nehmen, Arbeit und damit Verdienst zu finden. Und sei es nur vorübergehend, nämlich in den Stoßzeiten, die sehr lang sein können. Insbesondere die Leitung des CENTRO hat immer noch gelinde Probleme im Umgang mit meiner Zielsetzung: Anregen zur Selbsthilfe. Denn aus ihrer Sicht wird das CENTRO immer ein Unternehmen bleiben, das aus dem Ausland finanziert werden muß. Da nun der DED keine Gelder direkt zu verteilen hat, schickt er eben für das CENTRO kostenlose Mitarbeiter. Ein Jahr nach dem anderen, auf unbestimmte Zeit...

Bedingt durch das Ausbleiben der angekündigten neuen Druckmaschine und das Aussetzen der Absicht, eine Wochenzeitung herauszubringen, hatte die Projektrealität beim Eintreffen wenig mit dem gemein, was ich in der Vorbereitung über meinen zukünftigen Projektplatz gelesen hatte. Den Rückzug eines Unterstützungsangebotes seitens ausländischer Geldgeber in einem Evaluierungsbericht vorauszusehen, ist unmöglich. Selbst wenn der potentielle zukünftige einheimische Projektpartner noch einige Zweifel nicht der Evaluierungskommission gegenüber zum Ausdruck bringen.

Auch weiterhin wird wohl eine Forderung an den EH aktuell bleiben: flexibel sein.

Winfried Wenning

(wird fortgesetzt)

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 18. September 2008