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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Perspektiven

Aktion Dritter Weg

Die Perspektiven einer anderen Republik

Einleitung: Der geschichtliche Hintergrund der gegenwärtigen Aufgaben

Von Wilfried Heidt - Wie würden Europa und die Welt heute wohl aussehen, wenn es nicht zu dem Terrorregime des Hitlerismus gekommen wäre? Unbestreitbar ist die Tatsache, da& die heutigen deutschen, europäischen und weltpolitischen Zustände als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges hervorgetreten sind. Die äußere Erscheinung dieser Zustände - die Teilung Deutschlands, Europas und der Welt in zwei gegeneinander gerichtete Machtblöcke - verdeckt den Kernbereich des Problems, solange man festhält an den bekannten Kategorien des überkommenen Geschichtsverständnisses der Neuzeit (mit dem Aufkommen des nationalstaatlichen Prinzips und der nationalstaatlichen Interessengegensätze und -ausgleiche). Was ist der Kern des Problems?

Alle europäischen Mächte haben im 19. Jahrhundert ignoriert oder verdrängt, daß mit dem aufkommenden Industrialismus eine Frage verbunden war, die ihrem Wesen nach in Kräften ruhte, die stärker waren als alle bisherigen geschichtsbestimmenden Kräfte: die soziale Frage. Mit dieser sozialen Frage war die Aufgebe gestellt, dem gesellschaftlichen Organismus, sollte er sich gesund weiterentwickeln können, eine neue Grundstruktur zu geben. Gegenüber dieser Aufgabe versagten alle.

Kein Staat war bereit zu der fälligen Evolution. Revolutionäre Lösungsversuche durch politisch und militärisch Organisierten Klassenkampf waren je längst desto mehr die zwangsläufige Folge. Als die theoretische Grundlage der revolutionären Bestrebungen hatte sich der Marxismus durchgesetzt (die reformistisch eingestellte Sozialdemokratie unterschied sich nicht in den sozialistischen Zielen der Arbeiterbewegung, sondern im Weg zu diesen Zielen; Sie glaubte an parlamentarische Lösungen).

Die politischen und militärisch-strategischen Konstellationen des Kriegsjahres 1917 führten schließlich dazu, daß mit Lenin an der Spitze die Oktoberrevolution in Rußland zum Erfolg kam: die Sowjetunion wurde gegründet als der erste Staat der Welt, der sich eine gesellschaftliche Organisation, eine Verfassung gab aus einer bewußten, theoretisch durch Marx, Engels und Lenin umfassend formulierten Antwort auf die Herausforderung durch die soziale Frage. Insofern war die Sowjetunion das erste Land auf der Höhe der Zeit.

Aber es zeigte sich sehr schnell, daß die Art und Weise der sowjetisch-bolschewistischen Antwort auf die soziale Frage insbesondere seit ihrer stalinistischen Phase zu enttäuschenden, ja niederschmetternden Ergebnissen führte. Neben der privat-marktwirtschaftlichen, mehr oder weniger demokratischen Variante des industriellen Kapitalismus bildete sich in der nach marxistisch-leninistischem Muster aufgebauten Sowjetunion dessen staatszentralistisch despotische Variante heraus. Und weil es Stalin schließlich gelang, unter unvorstellbaren Opfern der Bevölkerung diese Sowjetunion in weniger als zwei Jahrzehnten in hohem Maße zu industrialisieren, war sie auch vorbereitet, Hitlers vermessenen Ostlandritt zurückzuschlagen, 1945 bis ins Herz Mitteleuropas vorzurücken und in den Nachkriegsjahren dann als Großmacht zum Widerpart der USA zu werden.

Gegenüber dieser Konstellation und ihrem inneren Kern versagen alle Begriffe, mit denen die geschichtlichen Abläufe - einschließlich der Zusammenhänge des Zweiten Weltkriegs - bis zur Jahrhundertmitte erklärt werden konnten. Wir haben seither eine völlig veränderte Situation, die klassische Elemente aus der Epoche der europäischen Nationalstaaten nur noch in untergeordneten Wirkungsverhältnissen aufweist.

Es gibt im klassischen Sinne in Europa keine nationale Frage mehr - auch und gerade im geteilten Deutschland. Es würde zwar kein neues Unheil mehr entstehen können, wenn jetzt in den Jahren wachsender atomarer Bedrohungen für Mitteleuropa durch die berechtigte Forderung nach Austritt der BRD und DDR aus NATO und Warschauer Pakt auch die anachronistische Idee der staatlichen Wieder- oder auch Neuvereinigung Deutschlands wiederbelebt werden sollte; denn neues Unheil kann nur noch durch die modernen Superwaffen drohen und darüber werden die Deutschen nie verfügen (und wohl auch nicht verfügen wollen). Aber wir werden durch solche anachronistischen Vorstellungen und Empfindungen erneut der Aufgabe davonlaufen, nun endlich an der Schwelle des atomaren Holocaust - spät, aher noch nicht zu spät - unseren deutschen Beitrag zu einer tragfähigen europäischen Friedensordnung zu leisten; dadurch zu leisten, daß wir mit unseren Ländern - BRD und DDR - nicht nur aussteigen aus den beiden Militärblocken, sondern auf beiden Seiten endlich eine befriedigende Antwort entwickeln auf die Frage, welche gesamtgesellschaftliche Ordnung wir im Zeitalter des Industrialismus verwirklichen müssen, damit wir miteinander und nebeneinander leben und arbeiten können in Frieden, in Freiheit, in Demokratie, in Solidarität und im Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Lebensbedingungen der Natur, ihrer Stoffe, Kräfte und Wesen.

Diese umfassende Gestaltungsaufgabe war mit der Heraufkunft der sozialen Frage im 19. Jahrhundert auf die historische Tagesordnung getreten. Sie wurde nicht ergriffen, bis heute im Westen nicht ernsthaft ergriffen und im Osten durch die Sowjetunion mit einem theoretischen Konzept beantwortet, das die Misere noch verschlimmerte.

Es ist keine Frage, daß die Weltgeschichte völlig anders verlaufen wäre, hätte man schon im 19. Jahrhundert die soziale Frage als die entscheidende Größe der zukünftigen Entwicklungen und damit als die wichtigste Herausforderung der Politik erkannt und sachgemäß bearbeitet. Mit der Gefahr eines Atomkrieges zwischen den beiden Supermächten stehen wir vor den letzten Konsequenzen dieses Versagens. Und wenn es überhaupt noch eine Hoffnung gibt, das Schlimmste zu verhüten, dann ist es vielleicht die Hoffnung auf einen Wandel auf beiden Seiten, der eintreten könnte, wenn ein mitteleuropäisches Deutschland den Versuch unternähme, eine Brücke zu bilden zwischen Ost und West.

"£s kann der Osten nicht mit dem Westen geheilt werden. Und es kann der Westen nicht mit dem Osten geheilt werden. Das Problem der militärischen Abrüstung ist natürlich der Ausdruck der Herrschaftsverhältnisse auf beiden Seiten der Blockgrenze. Es kann natürlich keine Lösung geben, wenn nicht auf beiden Seiten gesellschaftliche Veränderungen von erheblichem Umfang einsetzen ... Dies ist ein Stoff, der historisch durchgearbeitet werden muß." (R. Bahro, in "wir selbst", Mai/Juni 83)

Die ökologie-, Friedens- und Alternativbewegung ist nach 1949 die erste relevante politische Kraft, die in Deutschland Perspektiven in dieser Richtung entwickelt. Die Aktion Dritter Weg versteht sich als Teil dieser Bewegung. Sie möchte im folgenden die Grundzüge ihres Arbeitsprogrammes darstellen und damit einen Weg jenseits von privatkapitalistischen und staatskommunistischen Mechanismen aufzeigen.

Wir sind überzeugt, daß dieser Weg mehrheitsfähig wäre, wenn alle Deutschen ihn kennen würden und geprüft hätten. Die ideelle Substanz dieser Konzeption geht zurück auf Rudolf Steiners Vorschläge zur "Dreigliederung des sozialen Organismus", für welche sich dieser zwischen 1917 und 1922 durch verschiedenste Aktivitäten leider vergeblich eingesetzt hat. Steiners Kampf, noch immer von allen Fachhistorikern ignoriert und von allen "offiziellen" Geschichtsbüchern überschlagen, war tatsächlich der einzige relevante Versuch, der deutschen und der österreichischen Politik noch während des Krieges und dann insbesondere nach der Niederlage eine Richtung zu geben, durch die niemals ein Nährboden für nationalistisches Abenteuertum hatte entstehen können.

Es war der einzig relevante Versuch deshalb, weil - wie Steiner selbst es deutlich erwartete - die Alternative der dreigegliederten, dezentralisierten und durchgängig nach unterschiedlichen, d.h. aufgabenorientierten Selbstverwaltungsordnungen aufgebauten Gesellschaft auch eine echte Chance gewesen wäre, durch das Beispiel eines von freiem Geistesleben und politischer Demokratie getragenen Sozialismus positiv auf die Entwicklungen der Sowjetunion einzuwirken. Gleichzeitig wäre es schon damals zum Ausgleich mit den Westmächten gekommen, denn einen auf Revanchesinnenden und von privatkapitalistischen Interesse gestützten deutschen Einheitsstaat hätte es demnach nicht mehr gegeben.

Die Bewegung für die Dreigliederung des sozialen Organismus, die sich 1919 schnell ausbreitete im gesamten mitteleuropäischen Raum, wurde sofort von allen alten Kräften von rechts bis links bekämpft. Nachdem Steiner am 15. Mai 1922 in München am Schluß seines Vortrages von einer "Hitler-Garde" (nach Leinhas, S. 116; s.u.) tätlich angegriffen und in Lebensgefahr gebracht wurde, war eine weitere Wirksamkeit in der deutschen Öffentlichkeit nicht mehr möglich. Am 24. Februar 1920 hatte Hitler im Festsaal des Hofbräuhauses schon unter Hakenkreuzfahnen seine "erste große Volksversammlung der noch unbekannten Bewegung" (Mein Kampf, S. 401 ff.). Im Freundeskreis wies Steiner damals auf den innerasiatischen Ursprung dieses Zeichens als eines Rassensymbols hin und fügte hinzu: "Seien Sie überzeugt, die Leute, die dieses Zeichen jetzt nach Mitteleuropa hereinbringen - die wissen ganz genau, was sie tun. Dieses Zeichen wirkt." (zit. nach E. Leinhas. Aus der Arbeit mit Rudolf Steiner, S. 117).

Rudolf Steiner hat seine Zeitgenossen in umfassender Weise seit 1917 auf die großen Gefahren aufmerksam gemacht - auf die "Verwüstungstendenz" (27.8.20 in Dornach), die mit dem Auftreten dieser Zusammenhänge für die Zukunft Europas und der Menschheit verbunden sind. Er hat in Schriften, in Worten und in Taten die aUergrößten Anstrengungen unternommen, die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen- auf die düstere Konstellation zu lenken, die sich über Europa zusammenzog und was nun geschehen müsse durch eine Neugestaltung der sozialen Verhältnisse von den Fundamenten her, um das sich ankündigende Unheil zu verhüten.

Man wollte nicht hören, auf keiner Seite. Die Gegenkräfte waren stärker. Aus Deutschland hatten sie Steiner vertrieben; aber das war nicht genug - sein Werk, er selbst mußte vernichtet werden, erst dann wohl meinte man, freie Bahn für die Durchsetzung der eigenen Ziele zu haben. Steiner wollte von der Schweiz, von Dornach aus, wo seit 1913 mit dem Goetheanum-Bau das Zentrum der anthroposophischen Erneuerungsbewegung sich entfalten konnte, mit den ihm verfügbaren geistigen Mitteln den Kampf verstärkt fortzusetzen. Da kommt es in der Silvesternacht 1922/23 zu dem Brandanschlag auf das Goetheanum - der Bau brennt vollständig nieder. Steiner resigniert nicht. Im Gegenteil, aus vielen europäischen Ländern kommen ein Jahr danach viele hundert Menschen nach Dornach, um die Anthrosophische Gesellschaft als eine weltweite, im Esoterischen gegründete Vereinigung von Menschen zu bilden, die »das seelische Leben im Einzelnen und in der menschlichen Gesellschaft auf der Grundlage einer wahren Erkenntnis der geistigen Welt pflegen wollen". Die in Dornach Versammelten waren "von der Anschauung durchdrungen, daß es gegenwärtig eine Wissenschaft von der geistigen Welt schon gibt, und daß der heutigen Zivilisation die Pflege einer solchen Wissenschaft fehlt. Die Anthroposophie die Gesellschaft soll diese Pflege zu ihrer Aufgabe haben. Sie wird diese Aufgabe so zu lösen versuchen, daß sie die ... anthroposophische Geisteswissenschaft mit ihren Ergebnissen für die Brüderlichkeit im menschlichen Zusammenleben, für das moralische und religiöse, sowie für das künstlerische und allgemein geistige Leben im Menschenwesen zum Mittelpunkt ihrer Bestrebungen macht" (§ 2 der Statuten der Anthrosophischen Gesellschaft).

Fortsetzung in der kommenden CONTRASTE

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 29. Juli 2011