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Palästina

FREIES SENDER KOMBINAT HAMBURG

Palästina-Solidarität und Antizionismus

Nach antisemitischen Äußerungen erhielten zwei Redakteure des freien Hamburger Radios FSK Sendeverbot.

Von Gaston Kirsche - Dichtes Gedränge herrschte im großen Saal des Stadtteilzentrums Rote Flora. Dabei war die große Party schon vorbei. Die Volxküche war noch geschlossen, in der Nacht zuvor war sie als Backstagebereich benutzt worden.

Hamburgs unabhängiges Radio, das Freie Sender Kombinat (FSK), hatte zum Feiern geladen. Nach sieben Jahren war endlich die Vollfrequenz genehmigt worden, das FSK sendet ab sofort auch sonntags: live aus der Roten Flora. Die Übertragungstechnik funktionierte tadellos. Knapp 200 Leute wollten aber trotzdem vor Ort dabei sein, als eine Veranstaltung über "Zensur bei FSK? Wieviel Antisemitismus braucht ein freies Radio?" begann. Viele kamen aus kleinen Redaktionsgruppen, die eine Sendung beim FSK machen. Das FSK ist eine Art Netzwerk, in dem 150 Leute nebeneinander unter einem Dach arbeiten und ihre eigenen Sendungen produzieren, 150 Leute, die sich sonst nicht einmal auf linken Bündnistreffen begegnen würden. Warum die Aufregung?

Am 25. Oktober hatten Achim Schuster und Wolfgang Lettow von der Redaktion Knast und Justiz eine zweistündige Sendung zum Israel-Palästina-Konflikt gemacht. Beide sind dem antiimperialistischen Spektrum zuzurechnen. Sie hatten einen Studiogast, den sie als "Achmed, einen palästinensischen Genossen" einführten. Achmed sprach Israel nicht nur das Existenzrecht ab: "Für uns ist Israel nur ein amerikanischer Stützpunkt mit Atomwaffen und ein bisschen Menschen drauf." Er erklärte die Israelis zu den Nazis von heute: "Die Linken, die die Palästina-Solidarität angreifen, stellen sich auf die Seite der Täter und der Faschisten (...) Für uns aus unserer Palästina-Erfahrung nach 50 Jahren Massaker, Vertreibung: Wir haben alles erlebt, was die Juden damals erlebt haben - KZ, Vertreibung, hundert Millionen von Flüchtlingen, verschiedene Massaker, wir haben alles erlebt, egal in welchen Massen, aber alles erlebt, was die Juden damals erlebt haben. Und das kam von den Israelis."

Achmed setzte aber nicht nur Nazis und Israelis gleich, er forderte auch Konsequenzen. Die deutsche Linke solle Deutschland endlich dazu bringen, die so genannte Wiedergutmachung zu stoppen: "Wir fordern nur, dass die Bundesrepublik ihre Unterstützung für Israel einstellt, diese unglaubliche Unterstützung (...) Zehntausend Millionen hat Israel pro Kopf von Deutschland alleine bekommen als Wiedergutmachung."

Diesen und weiteren antisemitischen Behauptungen Achmeds widersprachen Schuster und Lettow in der Sendung nicht, selbst zu den abstrusen Zahlenangaben schwiegen sie. Deshalb beschloss das für das gesamte Programm verantwortliche Gremium des FSK, die AnbieterInnengemeinschaft, Anfang November mehrheitlich ein Sendeverbot für Schuster und Lettow. Dagegen gab es innerhalb und außerhalb des FSK massiven Protest. Auf der Homepage des Kombinats heißt es dazu: "In den vergangenen Wochen wurde das Sendeverbot mehrmals übertreten, indem sich Achim und Wolfgang, mit Hilfe diverser UnterstützerInnen Zugang zu den Studioräumen verschafften."

Lettow und Schuster sind Mitglieder des Forum-Radios, einer der fünf Radio-Gruppen, die das FSK bilden. Und Forum-Radio startete die Kampagne "Gegen Zensur im freien Radio", die in der Veranstaltung "Senden mit der Schere im Kopf" gipfelte. Anstatt sich mit der Kritik an den antisemitischen Äußerungen der Sendung auseinanderzusetzen, wurde behauptet, es handele sich bei der Kritik um einen vorgeschobenen "Antisemitismusvorwurf". Der sei nur ein "Vorwand", um "antiimperialistische und antikapitalistische Positionen aus dem Sender zu drängen". Auf mehreren Flugblättern und in einem Interview mit der jungen Welt vom 4. Januar wurde dies wiederholt. Dort erklärte Wolfgang Lettow: "Damals wurde das Totschlagargument "Antisemitismus" benutzt, um eine ungeliebte Sendung abzusetzen, jetzt wird es genutzt, um unliebsame Redakteure loszuwerden."

Die Front war also klar, als man sich in der Roten Flora traf. Die einen wollten über den Antisemitismus in der fraglichen Sendung sprechen, das wollten die anderen aber nicht hören, weil sie sich als Opfer von Zensurmaßnahmen sehen. Nun ist das FSK kein Offener Kanal, wo jeder senden kann, was er will, sondern ein Freies Radio mit einem linken Selbstverständnis. Doch auf die inhaltlichen Angebote der ReferentInnen, die versuchten, Grundlagen dieses Selbstverständnisses darzustellen, ging keiner der Kritisierten ein. Weder auf die detaillierte Kritik der Sendung durch Ole Frahm von der Radiogruppe Loretta noch auf präzise Ausführungen von Andrea Woeldike zur besonderen Problematik von Antizionismus vor dem Hintergrund des Antisemitismus in Deutschland. Die Kritik an den antisemitischen Äußerungen wurde ignoriert.

Stattdessen wurde der AnbieterInnengemeinschaft vorgeworfen, man hätte den Mitgliedern des Forum-Radios die Möglichkeit geben müssen, selbst die Sendung zu kritisieren, bevor zwei ihrer Mitglieder von einem übergeordneten Gremium mit einem Sendeverbot belegt wurden. Doch obwohl nicht alle Mitglieder des Forum-Radios den antiisraelischen Antiimperialismus von Schuster und Lettow teilen, gab es dort keine Zurückweisung der antisemitischen Äußerungen. Seit der Sendung sind zweieinhalb Monate vergangen.

Auch als Achim Schuster behauptete, für Antisemitismus in der Sendung gebe es "bis heute keinen Beweis", um ihn dann prompt selbst anzutreten, regte sich kein Widerspruch aus seinen Reihen: "Es ging bei Israel um einen imperialistischen Vorposten in der arabischen Welt. Die Wiedergutmachungszahlungen ermöglichten die Besatzung palästinensischer Gebiete und den Aufbau der Institutionen Israels. (...) Die einzigen, die in der Region Probleme machen, sind die Zionisten gewesen. Die Zionisten machen es den Juden unmöglich, in der Region in Frieden zu leben."

Nachdem er so Theodor Herzl und der zionistischen Bewegung die Schuld an den Bomben islamistischer Terroristen in Bussen und auf öffentlichen Plätzen in Israel gegeben hatte, fand Schuster sogar noch ein paar Worte für diejenigen, die in der Linken hierzulande die Probleme machen: "In Duisburg wurde in einer antideutschen Hetzkampagne bis in die bürgerlichen Medien verhindert, dass es eine Demo zur Solidarität mit Palästina gab."

Im Grunde hätte die Veranstaltung beendet werden können, als Thomas Ebermann feststellte, dass ja wohl nichts übrig bleibe, als Schuster und Lettow rauszuwerfen, wenn man die Sendung gehört habe. Allein, man ging darüber hinweg. Oder, wie es Andrea Woeldike später formulierte: "Die Veranstaltung war von grundsätzlicher Ablehnung gegen jegliche Kritik geprägt."

Mehr zum Thema: www.fsk-hh.org

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008