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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Oktober03

Aus dem Inhalt
Radio Lora München

DIE BEWEGUNGSSTIFTUNG

Anstöße für soziale Bewegungen

Soziale Bewegungen wie die Friedens-, Anti-Atom und
globalisierungskritische Bewegung haben in den
letzten Jahren stark an Bedeutung und öffentlicher
Wahrnehmung gewonnen. Die Kampagnen und
Projekte sozialer Bewegungen bleiben jedoch häufig
hinter ihren Möglichkeiten zurück. Dies liegt einerseits
an schwierigen politischen Rahmenbedingungen und
der Macht ihrer Gegenspieler in Wirtschaft und Politik.
Fehlende finanzielle Ressourcen und unzureichend
Know-how etwa in den Bereichen
Strategieentwicklung und Evaluation,
Öffentlichkeitsarbeit oder Fundraising verhindern zudem
ein effektives und nachhaltiges politisches Engagement
- gerade in der Entstehungsphase. Den Aktiven
mangelt es allzu oft an einem differenzierten
Verständnis der Mechanismen sozialen Wandels. Die
Bewegungsstiftung will einen Beitrag zur Überwindung
dieser Probleme leisten.


Von Christoph Bautz - Der 15.2.2003 ist zum Synonym für
das Entstehen einer globalen Friedensbewegung geworden.
500.000 Menschen unterschiedlichster gesellschaftlicher
Herkunft und politischer Weltanschauung gehen in
Berlin auf die Straßen; mindestens 15 Millionen sind es
weltweit. Viele Medienberichte konstatieren, die US-Regierung
habe wieder einen globalen Gegenspieler bekommen - die
Weltöffentlichkeit. Gleichzeitig spricht sich der
UN-Sicherheitsrat gegen eine militärische Intervention
im Irak aus. Bush und Blair sind für Tage in die Defensive
gedrängt. Doch nach diesem fulminanten Erfolg kann
die Friedensbewegung besonders in Deutschland nicht
mehr richtig nachlegen. Die unzähligen dezentralen Aktionen,
festigen zwar die kriegskritische Stimmung. Sie
erreichen jedoch bei weitem nicht mehr die Durchschlagskraft
und öffentliche Wahrnehmung des 15. Februar.

Sicher hätte es Möglichkeiten gegeben, den Konflikt
mit bedachten und gut koordinierten Schritten öffentlich
weiter zu eskalieren. Als nächstes an vier Orten bundesweit
Großdemonstrationen zu organisieren und die Millionengrenze
zu nehmen. Wenig später mit 10.000 Menschen die US-Airbase
Rhein-Main zu blockieren. Wieso
ist dies der deutschen Friedensbewegung nicht gelungen?
Es fehlte eine klare Strategie und eine effektive
Koordination, um die lokalen, bundes- und weltweiten
Aktivitäten
aufeinander abzustimmen. Darüber hinaus sind Großaktionen mit
einem erheblichen finanziellen Risiko verbunden, und es ist
gut nachvollziehbar, dass viele davor zurückschrecken oder
nicht in der Lage sind, dieses Risiko
zu tragen.

Cash und Köpfchen sind gefragt

Die Friedensbewegung ist mit ihren Schwächen kein Einzelfall.
Das Fehlen einer durchdachten Strategie sowie
Geldmangel sind hauptverantwortlich für das Scheitern
vieler sozialer Bewegungen. Genau an dieser Stelle setzt
die im März 2002 gegründete Bewegungsstiftung mit ihrer
Arbeit an. Sie fördert insbesondere Projekte und Kampagnen,
die sich durch neue Methoden oder Inhalte auszeichnen und
Lösungsansätze für bestehende Defizite sozialer Bewegungen
aufzeigen. Außerdem unterstützt die
Bewegungsstiftung Kampagnen zumeist in deren Startphase, denn
viele innovative Ansätze scheitern in einer Situation, in der
die öffentliche Wahrnehmung für das
Kampagnenthema noch gering ist. Hat die Kampagne
die erste kritische Durststrecke hinter sich gelassen, so ist
es mit Hilfe einer professionellen Spendenwerbung möglich,
für die entsprechende Finanzierung zu sorgen. Mit
der "Movement Action Success Strategy" (MASS) gibt die
Bewegungsstiftung Kampagnen das Know-How an die
Hand, die Wirkungsweise sozialer Bewegungen zu ergründen und
erfolgreiche Kampagnenstrategien zu entwickeln. In MASS sind
wichtige Erkenntnisse der Bewegungsforschung der letzten
Jahrzehnte eingeflossen. Als anwendungsorientiertes Konzept
stellt es eine Schnittstelle von
Wissenschaft und konkretem politischem Handeln dar.

Das erfolgreiche Förderprojekt: resist

Ein sehr erfolgreiches Förderprojekt ist die Kampagne
"resist", die Sitzblockaden mit mehreren tausend Menschen
gegen den Irak-Krieg organisierte. Die Realisierung von
"resist" wäre ohne die Unterstützung durch einige
StifterInnen der Bewegungsstiftung viel schwerer gewesen. Mit
einem Darlehen mit Ausfallbürgschaft in
Höhe von 20.000 EUR griffen die SifterInnen der Kampagne in
ihrer Startphase finanziell unter die Arme. Erklärtes Ziel
von "resist" war es, massenhaften Zivilen Ungehorsam als eine
erfolgreiche Methode wieder in der Friedensbewegung zu
etablieren. Diesem gewaltfreien aber
konfrontativen Mittel kommt besonders in einer Phase
große Bedeutung zu, in der es gilt, die Öffentlichkeit für
ein Problem zu sensibilisieren oder den nötigen öffentlichen
Druck zu erzeugen, um ein bestimmtes Politikergebnis zu
erzielen. Ziviler Ungehorsam ist aber nur dann
zu legitimieren, wenn er die bestehende Rechtsordnung
akzeptiert und nur eingesetzt wird, wenn massive Verstöße
gegen das Völkerrecht oder die Menschenrechte vorliegen.

Außerdem wollte "resist" politischen Druck erzeugen, bevor
die politischen Entscheidungen gefallen waren. Damit
orientierte sich die Kampagne an den in
"MASS" diagnostizierten Defiziten der Friedensbewegung und
versuchte diese Fehler zu vermeiden - mit Erfolg. "resist"
demonstrierte die Wirksamkeit und Effektivität von
massenhaften Zivilen Ungehorsams und forcierte dadurch das
erfolgreiche Comeback dieses seit den
80er Jahren in der Friedensbewegung nicht mehr eingesetzten
Protestmittels.

"resist" war ein Erfolg auf ganzer Linie: Lange bevor
die übrige Friedensbewegung öffentliche Aufmerksamkeit
erlangte, hatte "resist" schon mehrere tausend
Selbstverpflichtungen von Menschen gesammelt, die
sich an Aktionen Zivilen Ungehorsams beteiligen wollten. Mit
diesen Absichtserklärungen trat die Kampagne in
Pressekonferenzen und mit Aktionen an die Öffentlichkeit und
unterstützte so die Mobilisierung der Friedensbewegung.
Während der Hauptmobilisierungsphase der
Friedensbewegung wurde aus der Ankündigung Wirklichkeit.
Jeweils mehrere tausend Menschen beteiligten sich
an gewaltfreien Sitzblockaden von "resist" vor der US-Airbase
Rhein/Main und an verschiedenen anderen Militärstandorten.
Die Medienresonanz war überwältigend.
Und auch finanziell ging die Rechnung auf. Das Darlehen der
StifterInnen konnte in vollem Umfang zurückgezahlt werden und
steht nun zur Finanzierung weiterer Aktionen Zivilen
Ungehorsams zur Verfügung.

Anstiften - die StifterInnnen

Die Handlungsfähigkeit jeder Stiftung ist stark abhängig
vom Umfang ihres Kapitalstocks. Die Bewegungsstiftung
hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Nach fünf Jahren soll
ihr Kapitalstock stolze fünf Millionen Euro umfassen.
Ein Jahr nach Gründung sind die ersten Schritte schon getan:
Fast 50 StifterInnen haben insgesamt 700.000 EUR
in das Stiftungskapital eingebracht. StifterInnen werden
Menschen verschiedener Generationen, Lebenssituationen und
Weltanschauungen. Junge Erben, von einem unerwarteten
Geldsegen verunsichert, treffen zusammen
mit Immobilienmaklern, die noch der 68er Generation
verhaftet sind. Kinderlose Ehepaare auf der Suche nach
der sinnvollen Verwendung ihres Ersparten lernen Erben
kennen, die zu ihrer vermögenden Identität stehen und
sie im Sinne ihrer politischen Ideale einsetzen. Sie alle
sind froh, progressiv denkende Menschen in vermögender
Lebenssituation treffen und austauschen zu können.
Viele der StifterInnen gehen gleich noch einen Schritt weiter
und beteiligen sich aktiv am Aufbau der Stiftung.

Geldanlage nicht nur mit grünem Anstrich
- ethisches Investment durch die Stiftung

Viele Stiftung haben in ihrer Konzeption einen blinden
Fleck: Sie legen großen Wert darauf, möglichst hohe Renditen
zur Förderung ihrer jeweiligen Ziele zu erreichen.
Doch ihre Kapitalanlage steht diesen Zielen häufig diametral
entgegen. Wenn die Bewegungsstiftung etwa mit
Renditen aus einer Geldanlage bei der Deutschen Bank
indigenen Völkern beim Widerstand gegen ein von dieser
Bank finanziertes Staudammprojekt in Amazonien unterstützen
würde, dann bisse sich hier die Katze in den
Schwanz. Stattdessen sieht die Bewegungsstiftung ihr
investiertes Kapital als ein ebenso wichtiges Mittel an, um
politischen Wandel zu erzielen, wie die ausgeschütteten
Renditen. Die Kapitalanlage der Stiftung ist daher an
strengen sozialen und ökologischen Kriterien ausgerichtet.
Gleichzeitig hinterfragt die Bewegungsstiftung die jeweiligen
Veränderungspotentiale von ethischem Investment.
Offensichtlich erbringt eine Investition in einen
ethischen Sektor, in dem ein Überangebot anlagesuchenden
Kapitals vorhanden ist, wenig politischen Wandel. So
legen in der Regenerative-Energien-Branche mittlerweile
konventionelle Investoren ohne jegliche ethische Motivation
ihr Kapital an, da relativ hohe Renditen locken.
Die Bewegungsstiftung will daher besonders alternativen
Projekten Kapital zur Verfügung stellen, die auf niedrig
verzinste Kredite angewiesen sind, beispielsweise das
"Mietshäusersyndikat" in Freiburg, die Bremer Stadtkommune
"Alla Hopp" und das Hamburger Hotel
"Schanzenstern". Trotzdem muss die Bewegungsstiftung auf
einigermaßen hohe Rendite achten, wenn die
Stiftung ihre finanzielle Leistungsfähigkeit bewahren
und gleichzeitig noch Fördergelder ausschütten will. Die
Stiftung verfolgt deshalb eine breit gestreute Anlagepolitik.
Das Portfolio besteht aus niedrig verzinsten Anlagen
bei Alternativprojekten und aus "konventionellem" ethischen
Investment in der regenerativen Energien-Branche und in
ethischen Fonds.

Fulltime für politischen Wandel
- BewegungsarbeiterInnen

Um einzelne direkt und unbürokratisch in ihrem sozialen,
politischen oder ökologischen Engagement effektiv
zu unterstützen, hat die Bewegungsstiftung ein spezielles
Förderinstrument entwickelt - ein Patenschaftsprojekt
für einzelne AktivistInnen. Sogenannte
"BewegungsarbeiterInnen" erhalten finanzielle Mittel von der
Bewegungsstiftung, um sich voll und ganz ihrem Kampf für
einen gesellschaftlichen Wandel widmen zu können.
Gleichzeitig soll so ein zentrales Problem sozialer
Bewegungen überwunden werden: die hohe Fluktuation der
Bewegungsaktiven. Für viele Menschen ist Aktivität in einer
sozialen Bewegung lediglich auf einen bestimmten
Lebensabschnitt begrenzt. Familiäre Zwänge, Berufssuche und
Auseinanderbrechen des sozialen Umfeldes lassen langfristiges
politisches Engagement als kostspieligen Luxus erscheinen.
Kompetente und erfahrene Personen verlassen so immer wieder
die sozialen Bewegungen, in denen sie jahrelang aktiv waren. Die
BewegungsarbeiterInnen werben mit dem Qualitätssiegel der
Bewegungsstiftung PatInnen, die monatlich mit einem
bestimmten Betrag eine/n BewegungsarbeiterIn unterstützen. Zu den
derzeit sieben BewegungsarbeiterInnen zählen die
Anti-Atom-Aktivisten Jochen Stay und Holger Isabelle Jänicke,
die türkische Antimilitaristin Ferda Ülker, der
Attac-Aktivist Sven Giegold und Jürgen Heiser, der sich für
die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt (siehe Interview).

Die Struktur der Stiftung

Die Bewegungsstiftung betritt mit ihrer demokratischen
Struktur in der bundesdeutschen Stiftungslandschaft
Neuland. Sie bricht mit der in anderen Stiftungen häufig
omnipotenten Stellung der StifterInnen im Stiftungsrat
als dem zentralen Entscheidungsorgan. Zum einen erhalten die
geförderten Projekte im Stiftungsrat eine Stimme.
Hierdurch soll den Bedürfnissen der geförderten Projekte
mehr Gehör geschenkt werden. Gegenwärtig sind diese
durch den Anti-Atom-Aktivisten Jochen Stay vertreten.
Zum zweiten hat auch der wissenschaftliche Blickwinkel
auf soziale Bewegungen eine Stimme im Stiftungsrat.
Der Bewegungsforscher und Soziologe Prof. Dieter Rucht
ist derzeit für diese Position nominiert. In Zukunft soll
eine Person von einem Fachbeirat delegiert werden. Über
den Rat der StifterInnen können alle StifterInnen auf die
Entscheidungen des Stiftungsrates Einfluss nehmen. Sie
haben derzeit Susann Haltermann in den Stiftungsrat
delegiert. Des weiteren sind zwei Personen des öffentlichen
Lebens in den Stiftungsrat berufen - der Journalist Mathias
Greffrath und die Feministin und Soziologin Dr. Gisela Notz.

Es ist das Hauptanliegen der Bewegungsstiftung, häufig
festzustellende Defizite sozialer Bewegungen zu überwinden -
einerseits eine fehlende oder lediglich rudimentär
entwickelte Strategie, andererseits ihr permanenter
Geldmangel. Der Weg, der zu einer erfolgreichen und
effizienten Arbeit sozialer Bewegungen führt ist lang. Die
Bewegungsstiftung hat in den letzten Monaten begonnen,
erste Schritte dieses Weges zu gehen.. Die bisherigen
Ergebnisse des sozialen Engagements sind vielversprechend.
Kampagnen wie "resist" belohnen Aktive und Stifter
gleichermaßen. Vor allem aber führen sie dazu, dass
schnell und unbürokratisch gehandelt wird, wo Handeln
nötig ist.

Kontakt:
Die Bewegungsstiftung, Artilleriestr. 6, D-27283 Verden,
Tel.: (0 42 31) 957 540, Fax: 957-541
E-mail: info@bewegungsstiftung.de
Web: www.bewegungsstiftung.de

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008