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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Ohne Moos nix los

Ohne Moos nix los – oder wie – oder doch?

So wichtig die Diskussion um "Staatsknete" auch sein mag, ein bißchen wenig ist's ja schon, was man dem Staatsapparat da abtrotzen will... Ich will anhand einiger Überlegungen aus Kollektiven, die im Bausektor engagiert sind, einmal darlegen, wie mögliche konkrete Forderungen in diesem Bereich aussehen könnten. Der Bausektor (zumindest in Berlin) ist nun auch ein im wesentlichen über den Staat organisierter Bereich, Forderungen an den Staat sind also sowohl Forderungen an den Finanzier, den Kunden wie an die normbildende Gewalt (in Form der diversen Bauvorschriften, Leistungsnormen, bautechnischen Vorgaben etc.). Das macht die Sache natürlich ein wenig einfacher als in anderen Bereichen. Sei's drum.

Grundlage unserer Überlegungen ist die simple Tatsache, daß man keine Veränderungen anstreben kann, die nur den Kollektivbetrieben dienen, sondern solche, die einer dezentralen, kleinteiligen Produktion generell helfen (also u.U. auch dem patriarchalischen, ausbeuterischen Kleinunternehmer oder Handwerksmeister klassischer Prägung). Es geht also um die Zurückdrängung von industrieller Großproduktion in all den Bereichen, in denen

der großtechnisch organisierte Produktionsprozeß den Wert menschlicher Arbeit immer mehr drückt,
das seriell erzeugte Produkt einem handwerklich oder zumindest kleinteilig erzeugten Produkt unterlegen ist (sei es aus schlechterem Material, sei es aus produktionstechnischen Gründen schlechter gearbeitet, sei es...)
die Versorgung mit bestimmten Gütern durch die Abschaffung der Großproduktion nicht auf lange Sicht stark behindert wird - also konkret: Wir wollen keine Reißverschlüsse in Einzelanfertigung herstellen, denken aber, daß das Gut, Wohnung oder Haus besser kleinteilig hergestellt werden sollte.

Gucken wir uns doch einfach mal die Wohnungen an, in denen wir leben (oder zumindest leben möchten). Das sind doch nicht die berühmten neuen Siedlungen der 20er Jahre, gebaut von weltbekannten, oftmals der Linken nahestehenden Architekten. Die wollten der Mietskasernenstadt des 19. Jahrhunderts mit ihren Hinterhöfen und dem "gesundheitsschädlichen" Nebeneinander von Arbeiten und Wohnen die grüne oder auch weiße moderne, "gesunde" Wohnstadt entgegenstellen. Um die Mieter von ihren halsabschneiderischen Vermietern zu befreien, wurden als Bauträger gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften etc. gegründet, um die Baukosten zu senken, wurde das Bauen industrialisiert (Vorfertigung, Standardisierung, große Bauabschnitte). Um die Mieten niedrig zu halten, wurden die Grundrisse ökonomisiert, "unnütze" Ecken und Winkel gab es nicht mehr, "zu hohe" Räume auch nicht. Und das Ende vom Lied?

Siehe oben: Diejenigen, die den linken Architekten und Sozialreformern der 20er Jahre politisch am nächsten stehen, ziehen lieber in die ein bißchen chaotisch organisierten, nicht zentralbeheizten, zu groß, zu hoch, manchmal geradezu pompös verzierten Wohnungen des 19. Jahrhundert-Bürgerturms oder sogar noch in dessen Fabriken. Diese Häuser sind handwerkliche Einzelprodukte, hochgetragen auf den Schultern der Hucker, gemauert, gefliest, mit Dächern versehen, verputzt und von Bauhandwerkern, nicht von Industriearbeitern und großen Maschinen. Das wirkte sich in der baulichen, aber auch in der ästhetischen Qualität der Häuser überwiegend positiv aus.

Der zweite Grund für die Großzügigkeit und wohnliche Individualität der Bürgerhäuser des 19. Jahrhunderts liegt natürlich in der anderen Eigentümerstruktur: Der typische Hauseigentümer war der Bürger oder hochgekommene Handwerksmeister, der sein Kapital zwecks Altersversorgung ins eigene Haus steckte. Und da er dort auch wohnte, besaß er ein konkretes Interesse an repräsentativer Anlage und guter baulicher Durchführung. So wurde zumindest das Vorderhaus nicht unter rein ökonomischen Gesichtspunkten errichtet. Anders sah es dann bei den Hinterhäusern aus, die die Masse brachten. Hier wurde dann sowohl mit den Quadratmetern wie auch mit den Standards, der Durchführung etc. geknautscht.

Kurz und gut, im Hausbau war die Qualität der Einzelfertigung der seriellen Produktion überlegen, das Handwerk war durchaus in der Lage, den Wohnungsbaubedarf der expandierenden Industriestädte des 19. Jahrhunderts zu decken und hatte dabei eine wichtigere Position im Produktionsablauf "Bauen" als die von Architekten und Bauleitern an der kurzen Leine gehaltenen Bauwerker von heute.

Das sollte beim Folgenden im Auge gehalten werden. Denn wie ist es heute? Nehmen wir die Bautischlerei. Bei der Ausschreibung für die Fenster eines Neubaus wird immer die große Fensterfabrik mit ihren standardisierten IsoliergIasfenstern die niedrigsten Angebote abgeben. Spezialisiert auf bestimmte Profile und Größenordnungen, ausgerüstet mit automatisch gesteuerten Produktionsstraßen und kapitalkräftig genug, auch mal ein zeitlang Dumpingpreise zu machen, sind sie bei der gängigen Ausschreibung allen Kleinen erst einmal überlegen. Denn diese haben zuerst einmal zu klären, ob sie die angefragten Volumen überhaupt in der geforderten Zeit schaffen und wenn ja, unter welchen Bedingungen (da sie eben nicht über die "Fensterstraße" verfügen). Allein eine Verkleinerung der Volumen bei den Ausschreibungen der Baugesellschaften würde den Wettbewerbsvorteil "Großserienfertigung" wenigstens ein wenig einschränken und es vielen Kleinen überhaupt erst erlauben, an solchen Ausschreibungen teilzunehmen. Auf den ersten Blick mag dieser Überlegung etwas rückwärtsgewandtes, protektionistisches anhaften, eine auf Handwerkerinteressen beschränkte Blickweise mit zwangsläufig höheren Baukosten. Dazu erst mal eins: Die hohen Baukosten (die umgerechnet zu einen Kostenmiete von 25 -30 Mark im Monat führen), sind weniger das Ergebnis überhöhter Gestehungskosten als vielmehr der hohen Kapitalkosten für die Baufinanzierung. Es verdienen also sowieso mehr die Banken als die Produzenten.

Zum zweiten müßte erst einmal geklärt werden, ob die billigen Industriefenster auch in der Abschlußbilanz nach 25 Jahren noch billiger sind als handwerklich hergestellte Fenster: die sozialen Folgekosten, die sich aus der Dequalifikation des tischlernden Maschinenarbeiters, der gemessen am Umsatz geringen Beschäftigungszahl der Fensterindustrie gegenüber dem Handwerk, dem immanenten Zwang zur permanenten Auslastung der teuren Maschinen ergeben. Da sind weiterhin die ökologischen Probleme.

Viele Kollektive nehmen lieber (einigermaßen) einwandfreie Oberflächenschutzmittel, die teurer sind und verschlechtern damit ihren Gewinn, als so lange wie möglich bei den alten giftigen Verfahren zu bleiben. Dann die Materialien: Das gern verwendete Plastik, in seiner ökologischen Gefährlichkeit noch gar nicht voll einschätzbar, ist ein nach seiner „Umformung" kaum oder nur bei Zerstörung seiner inneren Struktur nachzubearbeitender Werkstoff. Ein Holzfenster, das sich gesenkt hat, kann nachgehobelt werden, ein hölzerner Wasserschenkel kann ausgetauscht werden, etc. Oder Aluminium, in der Großfertigung gerne eingesetzt: Mit enormem Energieaufwand erschmolzen, von hoher

Wärmeleitfähigkeit, also energetisch denkbar ungeeignet. Das normale Kastendoppelfenster aus Holz dagegen hat eine Wärme- und Schallisolierfähigkeit, die der von Isofenstern einfach überlegen ist. Das Holzfenster mit seinen dünneren Profilen erlaubt darüber hinaus eine weit größere ästhetische Gestaltungsmöglichkeit als das grobschlächtige Isofenster (das pro qm Fensterfläche auch noch weniger Licht durchläßt und über dessen Alterungsbeständigkeit man noch recht wenig weiß).

Um nicht in den Verdacht zu kommen, der deutsche Holzlobby anzugehören: Es gibt natürlich bei allen Werkstoffen auch Vorteile, nur sollte man genau prüfen, ob die durch sie erwarteten kurzfristigen Preisvorteile nicht langfristig in ihr genaues Gegenteil umschlagen (man denke nur an den Beton der deutschen Autobahnbrücken).

Muß beim Neubau die Abwägung noch gemacht werden, so scheinen mir bei der Instandsetzung und Modernisierung von Altbausubstanz die Verhältnisse eigentlich geklärt. Was einmal handwerklich erzeugt wurde, soll auch handwerklich erneuert oder ersetzt werden. Das gebietet nicht nur die Achtung vor einmal sorgfältig gebauten Dingen, sondern auch die (vorausschauende) Ökonomie. Schließlich haben die alten Häuser, die alten Türen und Fenster etc. ein vielfaches mehr an Belastungen gut ausgehalten, als die uns heute bekannten neuen industriellen Produkte.

Uwe

 

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Stand: 06. Mai 2008