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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Ökostrom Teil 1

PRO & CONTRA

Grünen Strom lieber verbrauchen oder produzieren?
- Ökostromkunden werden getäuscht

Ökostrom gibt es nicht nur in vielen Varianten, er ist auch grundlegend umstritten. Und das ist gut so, denn das kritische Hinterfragen gehört zu jeder Aktivität, damit sie nicht betriebsblind zum Selbstzweck wird, sondern die gewünschten Ziele erreichen kann. Etliche AkteurInnen aus dem Bereich der regenerativen Energie lehnen Ökostrom zur Zeit ganz ab. Einer der bekanntesten ist Wolf von Fabeck vom Solarenergie-Förderverein.

Redaktion Umweltschutz von unten - Im Text "Grünen Strom lieber verbrauchen oder produzieren? Ökostromkunden werden getäuscht" schreibt er in seinem Solar-Rundbrief: "Am Anfang war die gute Absicht. Viele Menschen sind bedrückt von der Vorstellung, dass ihr Stromverbrauch zur Belastung der Umwelt, zum Waldsterben und zur Klimakatastrophe beiträgt. Sie möchten deshalb nur Strom verbrauchen, der diese Nebenwirkungen nicht hervorruft. Zu diesem Zweck sind sie bereit, "Grünen Strom" zu kaufen und dafür einige Pfennige mehr zu bezahlen. Das Gegenteil wird erreicht: Doch diese gutwilligen Menschen geben ihr Geld zumeist vergeblich aus. Schlimmer noch, sie erreichen durch ihr Opfer sogar das Gegenteil von dem, was sie zu erreichen hoffen. Sie werden somit getäuscht. Bedauerlicherweise ist diese Täuschung nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel und sie ist durch die gültigen Gesetze gedeckt. Es gibt überhaupt nur eine kleine Handvoll Ökostromhändler, die an der grandiosen Täuschung nicht beteiligt sind (deren Angebote werden hier nicht beurteilt)."

stromu1.jpg (29693 Byte)Diese grundlegende Kritik basiert auf der Annahme, dass es weder unendliche Kräfte noch unendlich viel Geld gibt, um den regenerativen Energien zum Durchbruch zu verhelfen. Geld, das in teureren Strom gesteckt wird, würde beim Neubau neuer Energieanlagen fehlen, so Wolf von Fabeck. Er vergleicht die Situation mit und ohne Ökostrom:

"Variante 1: Was würde geschehen, wenn es keinen Ökostromhandel gäbe? Der bundesdeutsche Strom-Mix enthält schon seit einiger Zeit (neben dem Hauptanteil von Braunkohle und Atom) auch etwa 4% Anteile aus alten Wasserkraftwerken, die im Eigentum der großen Stromversorger stehen, sowie einen zunehmenden Anteil (zur Zeit etwa 2%) aus privaten Wind-, Biomasse- und Solaranlagen, die ins öffentliche Netz einspeisen. Bis vor kurzem wurde dieser Strom-Mix ohne Rücksicht auf seine Bestandteile verkauft. Dabei wurde ein Mischpreis aus den Gestehungskosten für Atomstrom, Braunkohlestrom, Wasserkraftstrom und sonstigem Ökostrom gebildet und in Rechnung gestellt.

Variante 2: Was geschieht, wenn es Ökostromhandel gibt? Hier wird den gutwilligen Ökostromkunden versprochen, sie würden zukünftig nur umweltfreundlichen Wasserkraftstrom oder anderen Ökostrom erhalten, wenn sie dafür freiwillig ein paar Pfennige Zuschlag zahlen. Der Stromverkäufer kassiert sodann von den Ökostromkunden einen höheren Strompreis als den bisherigen Mischpreis. Den übrigen Kunden (denen egal ist, wie ihr Strom erzeugt wurde), kann der Stromverkäufer zum Ausgleich einen niedrigeren Strompreis für ihren "Egalstrom" berechnen."

Und Fabeck fügt die Frage an: "Hat der gutwillige Ökostromkunde diesen Effekt wirklich gewollt? Möchte er wirklich, dass seine Mehrzahlung den Strom für die Stromverschwender noch billiger macht? Möchte er anderen die Möglichkeit geben, billiger werdenden Strom noch bedenkenloser zu verschwenden? Dies war mit Sicherheit nicht seine Absicht! Bis hierher also der desillusionierende Vergleich zwischen einem Strommarkt ohne Ökostromhandel und einem Strommarkt mit Ökostromhandel." Fabeck folgert aus seiner Analyse, dass es wichtiger sei, in den Ausbau der Energieanlagen zu investieren als in den Ökostromverbrauch.

Entgegnung: Ökostrom produzieren UND verbrauchen!

Per Leserbrief an den Solar-Rundbrief, abgedruckt auch in den "Ö-Punkten 3/2000" stellt Jörg Bergstedt vom Institut für Ökologie (Projekt "Ökostrom von unten") Fabecks Analysen in Frage. Allerdings stimmt er etlichen kritischen Punkten zunächst zu: "Es ist keine Frage: Die aktuellen Kampagnen für Ökostrom bergen kaum einen politischen Anspruch. An vielen Orten wird der liberalisierte Markt hochgejubelt - und die VerbraucherInnen werden wieder einmal zu den Verantwortlichen für die Rettung der Umwelt gemacht, während die Konzerne weiter per Atom- und Kohletechnik selbige ruinieren dürfen. Ein solcher Blickwinkel erinnert frappierend an die Mülltrenn-Kampagnen ("Joghurtdeckel abwaschen und zur Alusammelstelle bringen rettet die Umwelt") vor zehn oder 20 Jahren. Falsch waren die auch damals. Denn Umweltschutz kann nicht losgelöst von den realen Machtverhältnissen und von der Analyse der Zerstörungsursachen und -verursacher umgesetzt werden. Doch die Hoffnung, dass diese Fehler endlich einmal überwunden werden, scheint durch die aktuelle Ökostromwerbung leider eher enttäuscht zu werden. Die von Ökostromanbietern bis zu Anti-Atom-Gruppen suggerierte Möglichkeiten, durch das Umstellen auf Ökostrom im eigenen Haus könne der Atomausstieg erreicht werden, ist unverständlich, falsch und insofern schädlich, weil sie irreführend vielen Menschen genau dieses als entscheidende Maßnahme gegen Atomstrom und Klimazerstörung nahelegt. Das kann andere Aktivitäten verhindern! Noch schlimmer sind die Ökostromangebote von Stromkonzernen, die ihren ohnehin vorhandenen Ökostromanteil im Mischstrom nur "abspalten", um ihn dann als Ökostrom teurer zu verkaufen. Das bringt gar nichts, weil der übrigbleibende Strom nur noch dreckiger wird, aber insgesamt keine Kilowattstunde Atomstrom verdrängt wird."

Dennoch sei die generelle Kritik am Ökostrom falsch. Denn es gebe nicht "den" Ökostrom, sondern inzwischen viele verschiedene. Zudem seien Veränderungen möglich - und nötig: "Meines Erachtens geht es nicht darum, zum Ökostrom "Ja" oder "Nein" zu sagen bzw. ihn als entscheidende Anti-Atom-Aktion hochzujubeln, sondern es geht darum, eine Form des Ökostroms zu finden, die den ökologischen und gesellschaftlichen Zielen, die damit verbunden sind, nahe kommt - und gleichzeitig die Werbung für den Ökostrom zu verbinden mit den weiterhin nötigen Aktivitäten für den Schutz der Umwelt, die Selbstbestimmung der Menschen und das Ende der Atomenergie. Daran mangelt es bei den bestehenden Ökostromkampagnen - aber das ist kein Beweis dafür, dass es nicht ginge.

Ganz im Gegenteil:

1. Die Umstellung auf Ökostrom kann erhebliche Finanzmittel für neue regenerative Energieanlagen (Wind, Wasser, Sonne, Biomasse) freisetzen. Insofern stimmt das Argument "Entweder Geld für neue Anlagen oder für Ökostrom" nicht. Nötig dafür ist aber, dass die Einnahmen für den Ökostrom für neue Energieanlagen ausgegeben werden.

2. Ökostrom kann, statt den liberalisierten Markt zu beschwören, ein kleines Stück der notwendigen Veränderung von Machtverhältnissen sein - nämlich dann, wenn Produktion und Verbrauch von Strom dezentral entschieden werden.

3. Insofern enthält auch der Ruf nach mehr Neuanlagen und der Jubel über das Energieeinspeisegesetz viele Verkürzungen, verlässt er sich doch ausschließlich auf politische Rahmenbedingungen und das Gute in herrschenden PolitikerInnen. Das aber ist, so lehrt die Geschichte, noch nie gut gegangen. Deshalb muss mit dem Neubau von regenerativen Energieanlagen auch die Machtfrage gestellt werden: Nicht nur "Wie wird der Strom erzeugt?", sondern auch "Wer erzeugt ihn?". Gefragt sind BürgerInnen-Energieanlagen, Versorgungsnetze, die den Menschen selbst gehören und von ihnen verwaltet werden, sowie VerbraucherInnengemeinschaften, die den Bezug von Ökostrom gemeinsam und selbst organisieren."

Als Fazit wird dann benannt: "Weder die platte Formel "Ökostrom macht den Atomausstieg" noch die ebenso platte Losung "Mehr regenerative Energieanlagen - egal wo und von wem" halten einer Analyse der Gründe von Umweltzerstörung und Ausbeutung stand. Atomenergie ist nicht nur die Folge des Wunsches nach billigem Strom, sondern von Machtstrukturen, die die Durchsetzung von Großkraftwerken ebenso erst ermöglichen wie von Gentechnik, Flughäfen, Autobahnen oder weltweiten Ausbeutungsstrukturen. Sie zu knacken, ist schwer genug. Aber so zu tun, als wären diese Gründe nicht vorhanden, ist blauäugig. Für die Durchsetzung der Gentechnik ist z.B. völlig uninteressant, ob die Mehrheit der Menschen das überhaupt will oder ob sich viele für bewusste, gentechnikfreie Ernährung entscheiden."

 

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Stand: 07. August 2008