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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Messe

Anders Arbeiten ... und das auf 'ner Messe!?

Red. Bremen Sollten sich selbstverwaltete Betriebe auf einer normalen Messe - oder besser (Verkaufs-)ausstellung darstellen? Ist das überhaupt vereinbar mit den Ansprüchen der Betriebe, daß sie anders arbeiten, sich von normalen wirtschaftlichen Betrieben auf verschiedenen Ebenen unterscheiden? Oder bedeutet eine Teilnahme an einer stinknormalen Messe, daß man sich dem vorherrschenden Verkaufs-, Verdummungs- und Konsumnepp einfach unterordnet, ihn sogar noch aktiv unterstützt?

Andererseits könnte die Teilnahme an so einer Messe dazu beitragen, aus dem Szene-Ghetto herauszukommen, sich der Konkurrenz, die sowieso da ist und mit der jeder selbstverwaltete Betrieb zu kämpfen hat, offensiv zu stellen und sich damit auseinandersetzen. Und eine Ausstellung kann auch die Möglichkeit bieten, nicht nur die Art der Produkte, sondern auch die andere Art des Arbeitens, die Idee der Selbstverwaltung, nach außen zu tragen.

Diese Möglichkeiten bestehen natürlich auch auf einer Projektemesse, doch hat so eine alternative Messe unserer Meinung nach andere Funktionen, da zum einen ein anderer Kreis von Leuten angesprochen wird und erfahrungsgemäß solche Treffen auch besucht, und wir andererseits von einer Projektemesse auch vielmehr einen Informations- und Erfahrungsaustausch untereinander erwarten.

Im letzten Jahr haben wir vom "grünen garten" noch unsere Werbekarten hinter die Scheibenwischer der Autos gesteckt, die vor der Stadthalle parkten, wo die Schauausstellung "Tier und Natur" und angegliedert die "Biota" stattfanden. In diesem Jahr hatten wir uns überlegt, auf dieser Ausstellung selber einen Stand zu machen, um massiver zu werben. Da lief uns Ralf vom "Naturalager" über'n Weg und fragte uns, ob wir auf seinen Stand mit drauf wollten, weil's mit mehreren Leuten mehr Spaß machen würde und außerdem nicht so teuer sei. Außerdem hatten sich insgesamt sechs Naturkostläden aus Bremen und Umgebung zusammen getan, um einen gemeinsamen Stand zu machen, sowie der Bremer "Bauhof" und "Raab's Fleischerladen", alles Betriebe, die in der BiS (Arbeitsgemeinschaft der Bremer Betriebe in Selbstverwaltung) zusammenarbeiten.

Die Biota dauerte von Donnerstag bis Sonntag und am letzten Tag sind wir mal rum gegangen und haben die selbstverwalteten Betriebe gefragt, wie's ihnen bei der Messe ergangen ist, wie's für sie war. Die Einschätzungen und Eindrücke waren sehr unterschiedlich. Der "Bremer Bauhof", der mit biologischen Baustoffen handelt, hat einen reinen Informationsstand gemacht und ist auf die Messe gegangen, um gezielt Reklame zu machen. Die Leute vom Bauhof schätzten die Messe positiv ein, da sie es vor allem mit einem Fachpublikum zu tun hatten, die mit einem gewissen Vorwissen und gezielten Fachfragen auf sie zugekommen sind, und nicht mit Leuten, die nur konsumieren oder kaufen wollten. Ob die Messe finanziell ein Erfolg war, läßt sich für den Bauhof erst Monate später feststellen.

Die Naturkostläden waren schon im letzten Jahr auf der "Biota" und hatten diesmal lange überlegt, ob sie sich überhaupt noch mal beteiligen sollten, da sie die Kosten für den Stand durch den Verkauf auf der Messe nicht decken können und au0erdem sich eine direkte Erhöhung der Kundenzahl im Laden nicht bemerkbar machte. Aber wegen der vielen Kampagnen, daß biologische Lebensmittel nicht besser seien als "normale", finden sie es gerade wichtig, auf solchen Messen präsent zu sein und mehr Hintergrundinformationen zu liefern, warum der biologische Landbau so wichtig ist. Von Donnerstag bis Samstag seien die Besucher an diesen Fragen auch noch relativ interessiert gewesen, aber am Sonntag sei die "Biota" zu einer reinen Konsummesse geworden (gucken, kaufen, essen).

Raab's Fleischerladen, der Fleisch- und Wurstwaren von biologisch ernährten Tieren produziert und verkauft, machte ähnliche Erfahrungen. Andreas Raab empfand das Konsumverhalten und das Desinteresse der Leute so erschreckend, daß er dafür plädiert, nur noch eigene Messen zu veranstalten.

Da wir vom "grünen garten" auf der Messe mehr informiert als verkauft haben, sind bei uns auch meist nur Leute gewesen, die z.B. an Dach- und Fassadenbegrünung und an entsprechender Literatur interessiert waren. Unser Standnachbar Ralf vom Natura-Lager beschränkte sich auf dieser Messe auf den Verkauf von Umweltschutzpapier, und seine finanziellen Erwartungen sind erfüllt worden. Und Ralf, derjenige unter uns, der die meisten Messeerfahrungen hatte, war auch drei Wochen später wieder dabei, als die Messe "bauen und wohnen" stattfand.

Sechs Betriebe auf 56 qm

Für die "bauen und wohnen" haben die drei Betriebe "Natura-Lager", die "Zimmerei" und der "grüne garten" zusammen einen sechseckigen Pavillon mit Fachwerkverbindungen gebaut. Die Zimmerleute lieferten das fachliche know-how für die Holzkonstruktion des Pavillons. Ihre anderen Zimmererarbeiten stellten sie anhand von Fotos dar. Der "grüne garten" begrünte eine heruntergezogene, 30°-geneigte Seite des Daches, wobei gleichzeitig der Aufbau des Grasdaches sichtbar wurde. Außerdem wurde von uns ein kleiner Vorgarten beispielhaft angelegt und unsere weiteren Arbeitsbereiche — Fassadenbegrünung, Naturgärten, Feuchtbiotope - mit Fototafeln ausgestellt. Der kleine Vorgarten befand sich vor einem saumäßig schönen Wintergarten, den die Tischler vom Dammacker nur aus Holz und Glas gebaut haben. Auf dem gleichen Stand war auch wieder der "Bremer Bauhof" vertreten, der u.a. ein Modell zur Darstellung von Dachisolierung, einen Kachelofen und andere biologische Baustoffe ausstellte. Der Buchladen Ostertor bot die unserem gemeinsamen Stand entsprechende Fachliteratur zum Verkauf an, und das "Naturata-Lager" vor allem biologische Produkte zur Holzbehandlung und Innenausstattung (Tapeten, Teppiche, Farben etc.).

Die Messe "bauen und wohnen" erstreckte sich über fünf Ausstellungshallen, wobei von anderen Ständen auch sachliche Informationen geboten wurden, im Gegensatz zur "Biota", die in einer Halle stattfand und eher ein Sammelsurium von Konsumständen, darstellte. Die Stände auf der "Biota" waren geprägt von Geschäftemacherei, wobei normale Geschäfte offensichtlich nur auf der gewinnversprechenden Bio-Welle mit ritten. Die "bauen und wohnen" konnte man schon eher als kleine Fachmesse bezeichnen, wo es aber für uns keine Neuigkeiten gab, die uns vom Hocker reißen konnten, und keine sinnvollen neuen Entwicklungen auf dem Bausektor zu entdecken waren. Stattdessen gab es immer noch Kunstofftüren, mit dem Aufkleber versehen: "... Sie werden es nicht glauben. DAS IST KUNSTSTOFF!"

Aber auch der Versuch, sachbezogene Informationen zu vermitteln, war an einigen Ständen zu verzeichnen. Meist geschah dies jedoch durch Videos (vom Blitzableiter bis zum Blockhausbau), wobei sonstige Darstellungen nur das Endprodukt zeigten, den Arbeitsablauf aber nie durchsichtig machen konnten. Das scheint kein Zufall zu sein: So wurde uns z.B. vorgehalten, daß wir uns selber die Arbeit wegnehmen, wenn wir zeigen, wie unser Grasdach aufgebaut ist und wenn wir in bestimmten Fällen davon abrieten, ein Grasdach anzulegen. Zum ersten Vorwurf können wir nur sagen: lieber ein Grasdach in Eigenbau, als ein mit Bitumen zugeschmertes (Flach-)Dach und zweitens gibt es Fälle, wo man aufgrund von Aufwendigkeit, Kosten und Risiko einfach von einem Grasdach abraten muß. Kritisiert wird dieses "geschäftsschädigende" Verhalten meist von Leuten, die nur verkaufen wollen — egal was und an wen! Unsere Ansprüche dagegen, anders zusammenzuarbeiten, Sinnvolles zu produzieren und mit Kunden anders umzugehen. ist allerdings auch auf positive Resonanz gestoßen.

Als erstes wird ein Messestand von anderen Standinhabern und Besuchern danach beurteilt, ob er anziehend wirkt, Interesse erweckt und vor allem profimäßig aufgebaut ist. Hier wird unsere fachliche Arbeit und Qualifikation in den Vordergrund gerückt, unsere zunehmende, positiv zu bewertende Professionalisierung und gleichzeitig, unsere selbstverwaltete Zusammenarbeit. Wir haben daraus gelernt, daß wir mit unseren Ansprüchen auch auf solchen Messen offensiv umgehen können und müssen.

Eine Bestätigung war z.B. auch, daß wir den Eindruck hatten, unser Stand war überdurchschnittlich gut besucht, von interessierten Leuten, die uns und unsere Arbeit ernst genommen haben und fachliche Qualifikation zu bewerten wußten.

BILANZ

In Bremen zahlt man pro qm-Messestand 110.- DM netto plus Nebenkosten (Strom, Trennwände, etc.) Diese Kosten konnten wir dadurch reduzieren, daß wir den Stand mit mehreren Betrieben genutzt haben und teilweise Zuschüsse von Zulieferfirmen gezahlt worden sind.

Unsere zusätzliche Arbeitszeit, neben dem normalen Betriebsablauf, konnte nicht extra bezahlt werden. Immerhin sind für die Planung und Bau einige Wochenenden und Abende draufgegangen und die Informationsgespräche auf der 4-tägigen Messe waren unheimlich anstrengend. Den Messeabbau schafften wir allerdings in der Rekordzeit von 45 Minuten, wobei alles für eine nächste Messe wieder verwendet werden kann. Eine Ausstellung wie die "Biota" kommt für uns nicht mehr in Frage, aber auf einer kleinen Fachmesse würden wir wieder ausstellen.

Es war was Neues für uns; es war anstrengend; es hat Spaß gemacht, es hat Aufträge gebracht und es hat politisch und ideell was gebracht.

Cordula Hamann, Uwe Mädger

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 01. August 2011