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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Leserbriefe

Leserbriefe:

Betr.: Gründung eines alternativen Spitzenverbandes der Freien Wohlfahrtspflege (also) in Hamburg - in CONTRASTE 10/11 und 13/85.

Anfang Juni wurde das also-Konzept auf einer Wochenend-Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Soziales der Grünen ausführlich diskutiert. Am Ende der Tagung wurde eine Empfehlung dahingehend verabschiedet, ein alternativer Spitzen-Wohlfahrtsverband stelle zur Zeit einen weder machbaren noch wünschenswerten Weg zur Wahrung und Durchsetzung der Interessen alternativer Projekte dar.

Während der zweitägigen Diskussion hatten sich folgende Probleme herauskristallisiert und den Ausschlag für eine ablehnende Haltung gegeben.

Aus dem also-Konzept geht nicht klar genug hervor, welche Projekte überhaupt in einem Verband organisiert werden sollen. Zwar ist die Rede von ,,Initiativen, Alternativ- und Selbsthilfeprojekten, die der bestehenden Misere emanzipatorische und alternative inhaltliche Ansätze von Sozialarbeit entgegensetzen wollen", aber was emanzipative und alternative Ansätze, in Abgrenzung zu der Arbeit traditioneller Gruppen und Vereine sind, bleibt unbestimmt. Zugegeben, das ist eine schwierige Diskussion. Wenn gerade dies aber ein Kriterium für die Mitgliedschaft im Verband sein soll, dann sollten doch alle Beteiligten genauer wissen worum es geht.

Ferner bleibt in dem Konzept offen, welche Interessen von Projekten mit Hilfe eines alternativen Wohlfahrtverbandes besser vertreten werden sollen und können. Geht es nur um mehr Staatsknete, also darum den traditionellen Verbänden einen größeren Happen vom ohnehin immer kleiner werdenden Kuchen staatlicher Sozialleistungen zu entreißen?

Dann aber wird die Folge eine politische Front sein, die vor allem zwischen den etablierten Verbänden und dem alternativen Verband verläuft. Forderungen, die von allen gemeinsam vertreten werden könnten (Arbeitslosigkeit, Asylrecht, Warenkorb/Sozialhilfe, Kürzungen im Sozialbereich) fallen dabei unter den Tisch. Dar Staat wurde politisch entlastet. Dabei ist nicht alles, was die etablierten Verbände betreiben, politisch verwerflich. Es gibt auch Projekte, die gut sind und berechtigten Anspruch auf Förderung haben. Und nicht alle traditionellen Verbände sind gleich. Zwischen dem DRK und dem DPWV (Dt. Paritätischer Wohlfahrtsverb.) z. B. gibt es erhebliche Unterschiede. Diese politischen Unterschiede sollten dem Gelde zuliebe nicht ignoriert werden. Geht es den also Leuten aber um weitergehende, gesellschaftsverändernde Perspektiven, dann stellt sich die Frage, ob ein Verband das adäquate Mittel für solche Veränderungen darstellt. Die meisten alternativen Projekte sind aus einer Kritik heraus, sowohl an den Inhalten, als auch an den bestehenden Verbandsstrukturen und traditionellen Organisationsweisen von sozialer Arbeit entstanden.

Ein alternativer Wohlfahrtsverband, der als solcher anerkannt werden will, wäre in seiner Funktionsweise aber an rechtliche Bestimmungen gebunden, die wen wundert's - ein getreues Abbild der Organisationsstrukturen der bestehenden, traditionellen Verbände sind. Die Verbandsstrukturen an sich könnten nicht alternativ, d.h. z. B. dezentral, selbstverwaltet, transparent, ohne Funktionärs-Hierarchie, gestaltet werden. Ein alternativer Verband würde demnach alternativen Projekten die vormals kritisierten Fesseln traditioneller Organisationsweisen anlegen und gesellschaftsverändernde Impulse in alte Bahnen zurück werfen.

Während es auf der einen Seite somit problematische rechtliche Vorgaben gibt, garantieren diese andererseits noch lange nicht die Anerkennung eines Verbandes als Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege und dem damit verbundenen Einfluß auf die Politik und die Staatsknete. Die Stellung als Spitzenverband müßte erst politisch erkämpft werden. Wenn aber die Projekte zur Zeit offensichtlich zu wenig politische Power haben, um ihre Interessen vor Ort durchsetzen und gegenüber den großen Verbänden behaupten zu können, woher sollen sie dann die Power nehmen, um die Anerkennung als alternativer Spitzenverband politisch zu erstreiten. Woher sollen die materiellen und personellen Recourcen kommen, mit denen sich Kampagnen führen oder die notwendige Lobby-Arbeit in Bonn betreiben ließe u.s.w?

Die Einschätzung der Hamburger also-Initiatoren/innen, daß es den Projekten schlecht geht und die etablierten Verbände ebenso wie die Politiker zu wenig für die Projekte tun. ist sicherlich richtig. Aber die Schlußfolgerung, dann „müßten sich die Projekte eben zusammenschließen und einen eigenen Verband gründen" ist eine politische Gleichung, die so einfach nicht aufgehen kann.

Es hätte den also-Leuten gut angestanden, eine Selbstdarstellung zu schreiben, die nicht nur von den großen Veränderungen, die da kommen sollen, kündet, sondern auch erwähnt, wie der politische Diskussionsprozess bisher verlaufen ist. Stattdessen wird der CONTRASTE-Leserschaft frisch, fromm, fröhlich, frei ein Konzept vorgestellt, als habe es darum noch keine Kontroversen gegeben. Vielleicht aber wurde die ablehnende Haltung der Grünen auch deshalb nicht erwähnt, weil dadurch zwangsläufig ein anderes Verständnis der also-Leute zutage getreten wäre: bisher nämlich wurde es nicht für nötig befunden, an Projekte und Projektzusammenhänge (z. B. Netzwerke) in anderen Städten heranzutreten und den Meinungsaustausch mit der Projekte-Basis zu suchen. Nicht die, die es unmittelbar betrifft wurden bundesweit um Stellungnahme gebeten, sondern ohne die entsprechende Basis zu haben, gleich auf Parteienebene der politische Vorstoß gemacht. Auch das läßt daran zweifeln, ob die Initiatoren/innen des alternativen Spitzen-Wohlfahrtsverbandes das richtige Politikverständnis haben.

Franz-Joseph Bartsch, Paul-Martin Kötter vom Netzwerk Berlin

BRAUCHEN WIR EINEN 7. WOHLFAHRTSVERBAND?

Zwei Antworten:

1. Wir brauchen ihn, da Sozialarbeit oder ..Wohlfahrtspflege" im Grünen/Alternativen Umfeld sich soweit von der vorherrschenden Praxis unterscheidet, daß sie von den bestehenden Wohlfahrtsverbänden entweder ?überhaupt nicht gefördert wird oder sich über deren Einflußnahme soweit verändert, daß grundlegende Inhalte verloren gehen.

2. Wir wollen ein vollkommen neukonstruiertes Gesellschaftsmodell aufbauen. Ein Wohlfahrtsverband, in der Art der bestehenden, würde diese Entwicklung eher hemmen, wenn wir es nicht schaffen, ihn als Spiegelbild unserer politischen Inhalte aufzubauen. Dies darf nicht bei den Förderungskriterien stehen bleiben (d.h. es reicht nicht, daß die Gelder nur an Gruppen verteilt werden, die im Sinne unserer Politik arbeiten), mit den Strukturen unserer Einrichtungen legen wir langfristig auch ihre politische Wirkungsweise fest. D.h. wir brauchen natürlich Geld, aber auch vollkommen neue Institutionen (Aufbau, Vergabekriterien, Machtverteilung, Zielsetzung). Wir brauchen (auch) einen 7. Wohlfahrtsverband, um die Umsetzung unserer Ideen heute finanzieren zu können.

Eine weitere Antwort ist sicherlich die bei der Tagung der BAG SOZIALES UND GESUNDHEIT der Grünen im Juni favorisierte: die existierenden Wohlfahrtsverbände sind zwar etwas rückständig, aber sie haben fortschrittliche Flügel und mit der Zeit werden sie auch den neuen Bedarf decken.

Wenn wir die Grundprinzipien dieser Institutionen akzeptieren (z.B. hierarchische Strukturen, Geldausschüttung von oben nach unten, wer die meisten zur Ausgrenzung geeigneten Gruppen findet, bekommt die meiste Kohle, Verwaltungsmaschinerie...) ist das letztere sicherlich die adäquate Antwort. Wie die Gruppierungen um die Grünen dabei stehen bleiben können, ist mir ein Rätsel. Von neueren Entwicklungen abgesehen, standen Themen wie Basisdemokratie, Rotation, Selbstbestimmung u.a. ja schon einmal im Mittelpunkt der Diskussion. Noch zu Zeiten als über eine GRÜNE STIFTUNG, die DEZENTRALE diskutiert wurde, war ,,wie verhindern wir die Verselbständigung der Institution und damit ihre Abkehr von der ursprünglichen Zielsetzung" eine der wichtigsten Fragen. Etablieren wir uns inzwischen schon soweit, daß wir das gegebene akzeptieren und nur noch versuchen, momentan den größt möglichen Vorteil daraus zu ziehen (siehe Antwort 1; hier ist m.E. auch der ALSO einzuordnen). Oder gar: verfallen wir der Hoffnung, daß sich alles in unserem Sinne doch noch zum Guten wenden wird, wenn wir die Ausdauer haben lange genug zu warten (so würde ich die Antwort der BAG interpretieren).  Ich bin keine enthusiastische Verfechterin des 7. Wohlfahrtsverbandes, da ich Begriffe wie ,,Wohlfahrt" oder auch „Sozialarbeit" ohnehin in meiner Utopie nicht finden kann. Vielleicht brauchen wir gerade deshalb einen eigenen Verband, der unseren Ideen des Zusammenlebens entspricht und Geld brauchen wir aus allen zur Verfügung stehenden Töpfen, das ist für mich keine moralische Frage. Allerdings dürfen wir an den Erfahrungen der Vergangenheit nicht vorbeigehen, nur weil wir die Machtpositionen einnehmen, wird sich langfristig nichts verändern. In einigen Jahren wird dann der 8./9 oder 10. Wohlfahrtsverband (Partei/Stiftung) gegründet... Das ist auch eine Form der Beschäftigungstherapie, zumindestens wenn wir heute schon bestimmte Entwicklungen absehen können und diese ja an anderer Stelle bereits vehement kritisiert haben.

Einige Ideen zum Gesicht des 7. Wohlfahrtsverbandes

- das Geld soll am besten zu 99% in die Projekte fließen, d.h. mit dem geringst möglichen Verwaltungsaufwand; - Entscheidungen sollten vor Ort und damit möglichst weit ,,unten" getroffen werden, d.h. die Mittel-Vergabe-Kriterien (vgl. Papiere zur Parteienfinanzierung der Grünen) sollten auf breiter Ebene erarbeitet und verabschiedet werden, die Orts- bzw. Kreisverbände, denen entsprechend dieser Kriterien die Mittel zufließen, entscheiden über die Vergabe an die Projekte. -  Für Vorstandsposten und entsprechende Machtpositionen ist Rotation Pflicht. - Geldvergabe darf nicht an die mögliche Stigmatisierung und Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen geknüpft sein (ein schwieriger Punkt. Es müssen Wege gefunden werden, die heutigen Praktiken zu verhindern. Heute bekommt der Ortsverband die meiste Kohle, der einen hohen Bedarf glaubhaft macht, der möglichst viele Personen oder Verhaltensweisen als beratungs-/behandlungsbedürftig definiert, die meisten Ghettos schafft. Die Lösung könnte im Sinne der gesundheitspolitischen Forderung „der Arzt soll sich nicht über Krankheit, sondern über Gesundheit finanzieren" laufen. (?))

Die Struktur eines uns entsprechenden Wohlfahrtsverbandes zu entwickeln, ist sicherlich mit viel Arbeit verbunden. Ich denke allerdings, daß wir es uns nicht so einfach machen dürfen wie die Hamburger, und ich bin sicher, daß sich diese Arbeit langfristig lohnen wird.

Hannelore Zimmermann

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 18. März 2010