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Kulturnotizen

Notizen aus der Kulturszene

Von Eckard Holler # Am 1.10.85 stand auf der wöchentlichen Fraktionssitzung der Bundestagsfraktion der Grünen erstmals das Thema "Kultur" auf der Tagesordnung. Annemarie Borgmann (Grüne, MdB), die neue Kulturverantwortliche der Bundestagsgrünen, hatte zunächst gehofft, den gesamten Nachmittag für die Kulturdiskussion zur Verfügung zu haben und hatte eine ganze Reihe von Vertretern kultureller Initiativen nach Bonn eingeladen. Schließlich blieb von der kostbaren Parlamentarierzeit eine knappe Stunde für diese erste Kulturdiskussion in der grünen Bundestagsfraktion. Die Zeit reichte gerade dafür, daß sich die eingeladenen Kulturmacher kurz vorstellen konnten und daß Annemarie Borgmann den Vorschlag für ein Kulturforum der Grünen entwickelte, das Ende 1985 bzw. Anfang 1986 unter Beteiligung von Kulturschaffenden stattfinden soll.

Christian Ströbele (Grüne, MdB) äußerte in dem kurzen Meinungswechsel die Auffassung, daß die Bundestagsfraktion der Grünen für kulturpolitische Fragen der falsche Ansprechpartner sei, man möge sich Sinnvollerweise an den Bundesvorstand der Grünen wenden. Eckard Holler, der selbst in Bonn war und an der Diskussion als Vertreter der soziokulturellen Zentren teilnehmen wollte, aber nicht mehr zu Wort kam, erläutert Christian Ströbele in einem Brief, was die Kulturmacher von der Bundestagsfraktion der Grünen erwarten.

Tübingen den 15.10.85

Lieber Christian,

Ich hatte in Bonn nicht mehr Gelegenheit für eine Antwort auf deine Frage, was man denn von der Bundestagsfraktion der Grünen erwarte, da die zur Verfügung stehende Zeit etwas knapp geworden war, deshalb will ich einige Antworten schriftlich geben:

1. Das eigene kulturelle Milieu der Bundestagsfraktion mag ruhig ihre eigene Sache bleiben. Ob nun ein gemischter Chor gebildet wird oder nicht, ist für uns nicht so wichtig.

2. Wichtiger wäre die Entwicklung einer Kulturpolitik als eines eigenen Politikbereichs. Da der Bund der Gesetzgeber ist und dort alle Gesetze gemacht werden (bzw. verändert werden), die für Kulturschaffende und Künstler von Belang sind, braucht auch die grüne Bundestagsfraktion zumindest einen Experten, der sich in die einschlägigen Gesetze einarbeitet und mit dem gesprochen werden kann, wenn es darum geht, einzelne Paragraphen von Gesetzen (z.B. Umsatzsteuer oder Einkommensteuer für Künstler bzw. kulturelle Veranstaltungen) zu verändern oder neue Gesetze durchzusetzen.

3. Die Kulturhoheit in der BRD liegt zwar bei den Ländern, doch haben alle Bundesministerien z.T. sehr gut ausgestattete eigene Kulturhaushalte und die Möglichkeit, damit die kulturelle Arbeit vor Ort zu unterstützen (oder aber nicht). Das wäre also die konkrete finanzielle Unterstützung von kulturellen Projekten.

Hier wäre es nötig, einmal zu untersuchen, wie viel Geld welches Ministerium (oder Amt) für Kulturarbeit zur Verfügung hat und wofür dieses Geld tatsächlich ausgegeben wird. Z.B. wollte der Club Voltaire in Tübingen für das Festival "Das andere Amerika" im Jahr 1985 eine Förderung aus Mitteln des AA, um Künstler aus der Friedensbewegung der USA einladen zu können, was jedoch mit dem Hinweis auf die "begrenzten Mitte!" abgelehnt wurde. Gleichzeitig war in den Zeitungen zu lesen, daß für den deutsch-amerikanischen Kulturaustausch pro Jahr 60 Mio. DM zur Verfügung stehen.

4. Es geht jedoch bei der Kulturdiskussion nicht nur um Gesetzesparagraphen und um "Staatsknete", sondern zunächst und vor allem einmal um die Bedeutung von Kultur in der Gesellschaft und um die Einsicht, daß die Frage der kulturellen Harmonie eine politische Machtfrage erster Ordnung ist. Wer in der Lage ist, "die Begriffe zu besetzen", d.h. die öffentliche Diskussion mit seinen Themen zu bestimmen, wer heute kulturell den Ton angibt, schafft die Voraussetzungen, um morgen die politische Macht zu übernehmen. Es läuft derzeit in der Bundesrepublik (z.B. auch in der TAZ) eine recht spannende Diskussion über Gramscis Kulturkonzeption, die auch von der grünen Bundestagsfraktion verfolgt werden sollte, weil sie dazu verhelfen könnte, die teilweise noch vorhandene Ignoranz gegenüber der Frage der kulturellen Entwicklung abzubauen.

5. Weiter würde ich die Aufmerksamkeit der grünen Bundestagsfraktion gerne auf die Unterstützung der heutigen "Kultur von unten" richten und sie auffordern, sich nicht zu stark von den kulturellen Themen beeindrucken zu lassen, die von den anderen Parteien vorgegeben werden. Es läge an ihr, sich z.B. für die Soziokultur stark zu machen, also für die kulturelle Szene jenseits und unterhalb der staatlich geförderten Repräsentationskultur, in der die politische Dimension von Kunst und Kultur neu entdeckt wird....

Ich schreibe das, weil ich fürchte, daß die Ignoranz in der Kulturfrage ein schlechtes Omen für die Existenz der Grünen überhaupt ist.

gez. Eckard Holler

Am 24.10.85 haben erstmals alternative Kultureinrichtungen aus Baden-Württemberg die Möglichkeit, im Rahmen eines Hearings über "Kulturelle Vielfalt in Baden-Württemberg" dem Landtag ihre Arbeit und ihre Zielsetzungen vorzustellen. Es wird erwartet, daß dieses Hearing recht lebhaft verlaufen wird, da die Landtagsfraktion der CDU bislang auf dem Standpunkt verharrt, daß soziokulturelle Arbeit (vor allem der freien Träger) die Perversion von Kunst und Kultur darstellt (zitiert nach Äußerungen von CDU-Landtagsabgeordneten in der 24. Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst am 19.1.84).

An dem Hearing, das im Plenarsaal des Landtags stattfindet, werden u.a. die Vertreter von Club Voltaire, Tübingen, Club Alpha, Schwäbisch Hall, Goldener Anker, Pforzheim, Theaterhaus Stuttgart, Club Manufaktur Schorndorf, Gems, Rielasingen-Arlen, Lindenhof Melchingen, Folkhaus Karlsruhe und dem Kulturfenster Heidelberg teilnehmen.

Vom 19.bis 22.9.85 fand in Böblingen ein bundesweites Treffen von Liedermachern und Liedermacherinnen statt, die in der AG Song organisiert sind: Die Vereinigung, die Mitte der 70er Jahre entstand, kümmert sich vor allem um Künstler der "zweiten" Reihe und hat sich um die Nachwuchsförderung verdient gemacht. In Böblingen wurde das Treffen sehr wichtig genommen: erstmals in der Geschichte der AG Song gab es ein Vier-Farben-Plakat (mit einer Zeichnung von Gertrude Degenhardt), erstmals wurde das Treffen auch von einem Landtagsabgeordneten (der selber Liedermacher ist), und zwar von Werner Grunert (SPD), organisiert. Der Böblinger Oberbürgermeister und der Kulturamtsleiter hielten humorvolle und weitausholende Reden über das Liedermachen seit dem Sängerkrieg auf der Wartburg, als Hommage an Böblingen sang die Böblinger Liedermacherin Astrid Groß zur Eröffnung das Volkslied "Im schönsten Wiesengrund", das der Böblinger Liedermacher Wilhelm Ganzhorn in der Mitte des 19.Jahrhunderts gedichtet hatte.

 

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Stand: 03. August 2011