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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Krieg dem Terror?

P.M.
Eine kommentierte Dokumentation
Was ist dran an Afghanistan
Perverse Führer

KEIN US-ANTITERROR GEGEN AFGHANISTAN!

Und auch nicht im Innern!

Nach ein paar Wochen Bomben gewöhnt man sich daran. Der Normalitätssinn macht auf eine Weise zynisch, die man kaum bemerkt. Das in der ersten Zeit fast krankhafte Informationsbedürfnis lässt nach, dafür passt man beim Wetterbericht besser auf, und eigentlich war es von Anfang an zu merken, wie die Berichte sich irgendwie alle gleichen. Man beginnt sich auch zu fragen, ob zu dem Thema überhaupt noch was NeÜs zu
sagen ist? Und ob einer zuhört?

Herrmann Cropp, Redaktion Osnabrück - So durfte ich kürzlich bei einer Demonstration in einer Provinzstadt zusammen mit etwa 50 Angehörigen unserer jungen Intelligenz die enttäuschende Erfahrung machen, dass zwar das Publikum auf der Straße ein starkes Informationsbedürfnis verspürte und neben den kostenlosen Flugblättern 20 unserer Afghanistanbroschüren (nur Text,
keine Bilder!) haben wollte, während aber die Demonstranten nur 2 oder 3 wollten - erstaunlich, oder? Jene 50 Demonstranten waren Teilnehmer eines 
Bildungswochenendes, bei dem hauptsächlich darüber gesprochen wurde, wie man und Frau am Erwerbsleben teilhaben könne, ohne seine Überzeugungen aufgeben zu müssen - auch erstaunlich, was?

Vielleicht muss Schily um die Innere Sicherheit gar nicht so besorgt sein. Ich glaube sogar, er und seine Ordnungsfanatiker sind die einzigen, die sie bedrohen. Sie schärften ihre Waffen zum Kampf gegen den Feind im Inneren. Aber mit innerer Repression den gesellschaftlichen Frieden zu erhalten ist eine riskante
Sache. Wenn sich die Amerikanisierung via Globalisierung in Europa
durchsetzt, mag das irgendwie funktionieren, aber die Herrschaften, denen das so patent erscheint, die nach Militärs für innere Einsätze, nach Schwarzen Söldnern für Einkaufszonen und Nobelviertel rufen und eine demokratisch kontrollierte Polizei nicht bezahlen wollen, riskieren hier in Europa das Auseinanderbrechen
von Strukturen, wie es sie in der Cowboygesellschaft Amerikas gar nicht gibt. Dann dürfte Schily als derjenige in die Geschichte eingehen, der den Bürgerkrieg vorbereitet hat. Bei den Russen gab es nach dem 2. Weltkrieg eine Redensart: Die Russen schlagen sich selbst, die Deutschen schlagen die andern. Schily macht auf Stalinismus, er ist der Typ dafür.

Aber der Terrorismus ist ein Wahrnehmungsfehler: das Risiko, in unserer Gesellschaft durch Terror statt durch andere Ursachen wie Verkehrsunfälle ums Leben zu kommen, tendiert gegen Null. Das Risiko jedoch, durch die entfesselte Angst vor Terror einem globalen Sicherheitsstaat zum Opfer zu fallen, ist millionenfach, wie die jüngste deutsche Geschichte zeigt. Dabei haben wir in
den letzten Jahrzehnten etliche Weltuntergänge erlebt und wieder vergessen, Tschernobyl, Seveso, Harrisburg, Bhopal, BSE - Grund zu dem historischen Optimismus, dass unserer Zivilisation ein Automatismus zum Guten eingebaut wäre?

Langsam beginne ich mich zu fragen, wie viel ein paar Kerzen in Leipzig und wie wenig zwei Millionen Tote in Afghanistan für den Lauf der Geschichte bedeuten, wie viel eine Wiedervereinigungsidee von Helmut Kohl und wie wenig eine besiegte
Rote Armee zu bedeuten hat, wie wichtig ein kapitalistischer Turmbau zu Babel ist, wie angenehm es ist von den Höhen des Turms auf die Menschen herabzuspucken, und wie wenig die da oben das Elend der Hütten in Afrika und Asien juckt. Möglicherweise verdanken wir das Ende des Kalten Krieges ein paar Millionen Steinzeit-Islamisten, möglicherweise haben die Armen der Welt eine Idee, die uns nicht in den Kram passt, nämlich eine Idee, die Antworten auf
dringende Fragen der Ungerechtigkeit dieser Zeit geben kann, welche der kapitalistisch-säkulare Protestantismus und der autoritäre Katholizismus nicht im
Stande zu geben sind.

Jawohl, mich interessieren mehr die Ideen der Hungrigen als die Karrieresorgen der Satten, auch wenn der Islam nicht ins rationalistisch-protestantische Konzept des Westens passt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ideen der Satten überhaupt das Recht haben, die Welt zu gestalten, denn offenbar haben sie keine Idee, wie alle gleichermaßen satt werden. Wir wissen viel zu wenig über den Islam. Wenn die Armen eine Hoffnung auf Gerechtigkeit in dieser Religion finden können, wird es Zeit sich damit zu befassen, statt mit der versteckten fundamentalistisch-christlichen Hetze gegen weniger freizügige Sitten oder in der Version von Huntingtons Kulturkampf, den auch Habermas als Philosoph der
rationalistischen Moderne führt (- bis jetzt!).

Chefideologe Habermas befürwortete den Jugoslawienkrieg als "kosmopolitisches Recht einer Weltbürgergesellschaft", gleichwohl er nun skeptischer ist, was die
"vernunftrechtliche Legitimation von Recht und Politik" betrifft. Als KonseqÜnz der "Explosion", wie er sich ausdrückt, dieser Spannungen zwischen "globalisierter Moderne" und den globalen Verlierern befürchtet er nicht
weniger als einen "globalisierten Sicherheitsstaat", vor dem uns nur noch die "fahle Hoffnung auf eine List der Vernunft" bleibe. Wenn er daraufhin die "postsäkulare Gesellschaft" ankündigt, bleibt immerhin zu hoffen, dass dieser staatstragende Philosoph endlich von seiner ideologisierten Moderne und der ideologisierten Vernunft Abstand nimmt und die Postmoderne nicht mehr
wegen ihrer Unverbindlichkeit schmäht, sondern die Chancen der globalen Unübersichtlichkeit, der Toleranz und des Pluralismus begreift. Es geht um kulturelle und religiöse Vielfalt ohne Vorrang einer Vernunftreligion,
das sieht auch Habermas ein, wenn er von postsäkular spricht.

An dieser Stelle möchte ich etwas ins Detail gehen, weil hier eine Konfliktlinie für unsere Leser wie auch für linke Diskussionen liegt: Ich mag es nicht, wenn Diskussionen und Kommentare jedes neÜ Ereignis oder Entwicklung oder zum
Beispiel die Friedenspreisrede von Habermas mit ihrem stets selben Begriffsinstrumentarium abchecken, das ist als wenn einer mit seinem Steckenpferd durch die Geschichte reitet. Statt nach Bestätigung für seine Theorie muss man nach neÜm Verständnis suchen, auch wenn eine Lieblingstheorie das endlose Wachstum der Geldsäcke vorhersagt oder ein Schumpeter vor 100
Jahren das Wort von der "schöpferischen Zerstörung" geprägt hat, in dessen Wiederholung sich Habermas gefällt - übrigens nannte Bakunin die Zerstörung eine schöpferische Lust - aber bitte, unter www.materialien.org/texte/ gibt es den Habermas-Kommentar, auf den ich mich beziehe.

Wenn die Kriege der Zukunft wirklich "nur" noch ein Mittel der Welt-Innenpolitik wären, hätten wir uns auf was Finstereres als ein Mittelalter gefasst zu machen. Vor 2.500 Jahren versuchte schon Thukydides in den Krieg
eine neue Qualität hineinzuinterpretieren - eine intelligente Argumentation, habs grad nachgelesen - aber machen wir uns diesbezüglich keine Hoffnung auf weltbürgergesellschaftlichen Fortschritt, Krieg und Mord bleiben
sich immer gleich!

DOKUMENTATION

Wir dokumentieren hier den Anfang der von mir kritisierten Habermas-Kritik, vielleicht kann das dazu beitragen, dass solche Erörterungen künftig besser und sorgfältiger werden. Man beachte z.B. die Neigung zum Jargon oder die vielsagend nicht ausformulierten Satzbruchstücke am Ende des 2. Absatzes:

Moralmanager Habermas unterwegs auf Keimbahnen konsensstiftender "dritter Kräfte über den Parteien" 

von Bernhard Schäfer

In seiner Rede vor deutschem Buchhandel und Staatskabinett entfaltete Jürgen Habermas ein Paradigma von Modernisierung aus Schumpeters "schöpferischer Zerstörung", bei dem sich genauer hinzusehen lohnt.

Seit den 70ern schon längst dabei die Spielregeln "des Diskurses" mit den Staatsträgern festzulegen, avancierte er im Moment der Regierungsübernahme Schröders 1998 zum Staatsphilosoph der "Berliner Republik". Als Politikapologet der Neuen Mitte spricht er von "Der Gesellschaft", nicht von Gesellschaftlichkeit, als Möglichkeit von Miteinander, von Kollektivität; bestimmend wie "die liberale Politik darf", nicht vom Politischen als Konstrukt, Gerücht, oder Technik.

Die Gentechnik wie die Terroranschläge des 11.9. waren die Kernstücke seiner Rede. Als Wendepunkte, als Revolutionierung von Denkungsart und Lebensform sind Genetik und Terror wie Gegenterror für ihn Anlass für eine neue Abstandsbestimmung zwischen hinten und vorne, also den weit Zurückgebliebenen und unserer Moderne. Sein Problem: die "Ungleichzeitigkeit von Motiven und Mitteln", die Unberechenbarkeit "der Anderen" in der "kompensationslosen Modernisierung". In der Tat handelt es sich um die grundlegenden organisatorischen, technologischen und sozialtechnischen Offensiven der gegenwärtigen kapitalistischen Diktatur, die mitsamt ihren Milzbranderregern den Stoff für eine Ausweitung der Katastrophenszenarien geben. Die Grausamkeit der Inwertsetzungsoffensiven und die Grausamkeit des ebenfalls rechten Gegenterrors sind für Habermas Anlass ein neues Niveau an integrativem Politikmanagement zu fordern, eine Konsensfindung auf "völlig neuem Artikulationsniveau" einer "weltweit zivilisierenden Gestaltungsmacht". Daher Habermas' Appell an das Policy Management in Kooptationen und Runden Tischen einen "dritten Weg zu beschreiten", von jeder Simplifizierung abzusehen, sondern bei der Komplexität der Vermeidung von Desintegration durch Vertrauens- und Sinnverlust "alle semantischen Potenziale auszuschöpfen". Eine Diskurs-Innovation, die kulturelle Kohärenz systematisch als Wachstumskraft begreift. Also neue zivilisatorische Mission, wie es immer die Bürde des weissen Mannes war. Dabei Integration aller NGO's und Aktivisten von WEED bis ATTAC - ohne sicherlich die Binnendifferenzierung aufzugeben.

Habermas also als neuer Moralmanager der Herrschenden. Doch damit nicht genug. Die Täter des 11. September analysiert er als Produkt einer "beschleunigten und radikal entwurzelnden Modernisierung", ihre Wut aus einem "Schmerz des Zerfalls traditionaler Lebensformen".

Der gesamte Text unter: www.materialien.org/texte/habermas.html

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008