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Kommentar

Wenn die Lichter ausgehen!

Otto Wolff von Amerongen, Jahrgang 1918, seit 1969 Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages (so eine Bildunterschrift), Otto Wolff von Amerongen macht sich Sorgen. Und zwar in der Zeitschrift für das Post- und Fernmeldewesen Nr. 9/85.

Gefahren im politischen Raum

"Alternative Strukturen und internationale Wettbewerbsfähigkeit", ist die Überschrift einer sorgenvollen Analyse der Zeitschrift der deutschen Wirtschaft. Zwar sieht er die "praktizierte alternative Ökonomie" realistisch als das, was sie heute ist, als "eine Quantité négligeable", zwar sieht er, daß die "alternativen Strukturen auf den Bedeutungsgrad von Klöstern" reduziert bleiben und prognostiziert "den Ökobanken" den baldigen Untergang: "Ich meine hierzu, wenn bei der Kreditgewährung die politische Würdigung gegenüber der finanziellen Bonität die Oberhand gewinnt, ist es mit den grünen Bankern in Blue Jeans schnell wieder aus." Aber trotz dieser für sein Weltbild doch vielversprechenden Ausblicke, macht sich Otto Wolff von Amerongen Sorgen. Er sieht Gefahren, große Gefahren sogar:

"Die grünen (!) Emotionen, ihre Wertvorstellungen, angesiedelt zwischen dem absoluten Primat der Ökologie und zweifelsohne sozialistisch-kommunistischen Idealen, sind und bleiben sie für unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährlich, sehr gefährlich sogar! Was die autarkieähnlichen Vorstellungen der Grünen für unser Land bedeuten, das mit seinen Exporten direkt sechs Millionen Arbeitnehmer und ihre Familien ernährt, das bedarf hier keiner Erörterung. Hinzukommt kommt: Wir sind heute so weit, daß die deutsche Wirtschaft, aber auch die Landesregierungen, bei ihren Investitionsentscheidungen politische Risiken innerhalb der Bundesrepublik beachten muß. Das bayerische Wackersdorf erhielt den Zuschlag in Sachen Wiederaufbereitungsanlage - so heißt es -, weil in Bayern im Gegensatz zu Niedersachsen grün-rote Mehrheiten auf absehbare Zeit ausgeschlossen sind. So etwas kann sich sehr schnell zu einem negativen Faktor für den internationalen Standort "Wirtschaft in der Bundesrepublik" ausweiten. Wenn in der Folge bei uns die Lichter ausgehen, werden sie vielen grünen Wählern erst aufgehen. Aber dann ist es vielleicht zu spät!"

Wie unterschiedlich die Perspektiven sein können. Müßte es doch aus "selbstverwalteter" Sicht gerade umgekehrt heißen: "Wenn den grünen Wählern nicht bald einige Lichter aufgehen, werden in der Folge bei uns tatsächlich alle Lichter ausgehen. Zumindest in den Räumen einer nicht hierarchisch selbstverwalteten und ökologisch orientierten Wirtschaft.

Denn in dem Weltbild des Otto Wolff von Amerongen ist schon jetzt das "Kapital" der oberste Sovereign (= frühere engl. Goldpfundmünze, der Setzer) der Bundesrepublik und nicht etwa der Wähler. In seinem Verständnis - und das ist schließlich das Verständnis einer ganzen Kaste — hat alles zu unterbleiben, was das "Kapital" verunsichert, düpiert, verletzt, beleidigt. Denn wie schnell könnte das "den internationalen Standort der Wirtschaft in der Bundesrepublik" in Verruf bringen und das "internationale Kapital" veranlassen, sich schmollend zurückzuziehen. Und davor bewahre uns alle Otto Wolff von Amerongen. Man schreibe dieses politische Wirtschaftsverständnis nur ein paar Schritte in die Zukunft:

"Das Kapital" betrachtet eines Tages die Todesstrafe als einen "positiven Faktor" bei seinen langfristigen Investitionsentscheidungen — wird dann die Bundesrepublik die Todesstrafe wieder einführen? Oder es hält die kirchliche Trauung als unumfängliches Signal für die Fähigkeit, gesittet mit "Kapital" umzugehen - wird die kirchliche Trauung zum entscheidenden Kriterium bei der Einstellung von Arbeitskräften in der Bundesrepublik?

Wann tritt der Bundestag zusammen, um eine Präambel zum Grundgesetz zu verabschieden: Das Grundgesetz gilt überall dort wo und solange es den langfristigen Investitionsentscheidungen des "Kapitals" nicht widerspricht?

Eine politische Utopie, ein gesellschaftspolitischer Entwurf wie etwa der, die menschliche Würde auch am Arbeitsplatz wieder einzuführen und ökologisch selbstbestimmtes Arbeiten als den anthropologisch adäquaten Ausdruck des Menschen zu verstehen, erringt heute nur so weit politische Glaubwürdigkeit, soweit zumindest im Ansatz die ökonomischen Konsequenzen deutlich gemacht werden können. Und nur aus diesem Verständnis heraus gewinnt übrigens auch die Arbeit des Ökobankvereins einen Sinn. Die Gründung einer Bank - das momentane Projekt des Vereins - ergibt nur einen Sinn, wenn sie als Beitrag, als Teil eines umfassenderen Instrumentariums alternativer Ökonomie begriffen wird — und der Verein begreift es so.

Wir können nicht länger die Felder der Wirtschafts- und Finanzpolitik den Otto Wolff von Amerongen's überlassen, wir müssen einbrechen in das geschlossen bornierte Weltbild selbsternannter Wirtschaftseliten und Positionen zu Gehör bringen, die bisher immer wieder erfolgreich unterdrückt werden konnten — oder aber, der Letzte von uns mache doch bitte das Licht aus.

DR

 

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Stand: 20. Juli 2011