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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Kollektive

Wandelsblatt empört:

Kollektive werden immer kämpferischer

Dieser Beitrag ist nicht ganz fertig geworden. Wir veröffentlichen ihn dennoch, weil wir keine Lust haben, auf den Wintertagen als "die Nörgler" aufzutreten, diejenigen, die wieder mal herziehen über die Ökobankfreaks; über die Betriebe, die sich um die Staatsknete raufen oder die Kollektivisten, die vor lauter Arbeit im eigenen Saft schmoren...

Wir, das sind Leute, die sich aus Besetzerzeiten kennen und schon länger in Kollektiven arbeiten. Aus einer gemeinsamen Unzufriedenheit darüber, daß viele Alternativbetriebe schwammiger und immer mehr mit "sich Einrichten" zu tun haben, haben wir uns ein paar Mal getroffen. Wir wollten rauskriegen, wie wir unsere Kritik positiv ausdrücken können; was stellen wir uns heute noch unter "kämpfenden Kollektiven" vor, die mehr sind als mäßig bezahlte Arbeitsplätze mit mittelmäßigem Kollektivfeeling?

Dies ist ein Anfang dazu. Auf den Wintertagen möchten wir uns gerne mit anderen Kollektivisten zusammensetzen, denen es ähnlich geht, um hieran weiterzureden...

Ja, Ja, Ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt...

Ein neuer Menschentypus ist in der letzten Zeit geboren worden: so jung und dynamisch wie andere - aber halt alternativ (warum produziert dann niemand Jute-Köfferchen?).

Seine Aufgabe ist schwierig: er berät und gründet, hilft aus, weiß Bescheid, er forscht und vernetzt - und organisiert: Tagungen, Treffen, Seminare.

Und er erklärt: insbesondere den Fremden (Ausländern, Internationalen besonders, Politikern, Geldgebern), daß und welche Bedeutung wir haben.

Aber leider hat er auch ein Problem: es gibt zuwenig Nachfrage nach qualifizierten Vernetzern. Das wird besonders bei Treffen zwischen Kollektiven, Betrieben usw. deutlich: manchmal haben die Kollektivisten neuen Typs schon die Mehrheit, weil die "normalen Kollektiv-Leute" wegbleiben.

Die nun wiederum bleiben nicht nur weg, sondern sie beklagen sich auch: keiner sagt ihnen was, warum werden sie nicht einbezogen, die Macher machen immer alles. Und: wir Kleinen arbeiten fleißig in unseren Betrieben, an der Basis - und die da oben kunkeln mit den Politikern und Reichen.

Wir halten das für Quatsch. Es stimmt schlichtweg nicht, daß die Macher die "Reformisten" sind, die die "eigentlich radikale" Alternativbewegung in ein falsches Fahrwasser steuert.

"Wir Kleinen arbeiten fleißig an der Basis..."

Der Alltag des/r Kollektivist/in/en sieht etwa so aus: neben den normalen "Schichten" gibts die Zusatzschichten (weil was aufzuholen ist, was nicht geklappt hat, jemand krank ist ...) und das Vor- und Nacharbeiten (wegen Wegfahren, Urlaub, usw.). Dann gibt's die Treffen: eigenes Kollektiv, Sondersitzungen wegen Krisen regelmäßig, einschließlich Selbstverständnisdiskussion = was sind eigentlich unsere Ansprüche; Ergebnis: vertagt zum nächsten Mal, Koordination mit anderen Betrieben der gleichen Branche, Sondertreffen mit anderen Kollektiven wegen besonderen Aktivitäten (Volksbefragung, Gorleben, Friedens-Aktivitäten, Räumungen...). In der Regel wird dieser ordentliche Alltag öfters durchbrochen: Irgendein Polit-Mensch schlägt vor, sich mit einer Sonderschicht für Nicaragua zu befassen, wenn ein Kollektiv-Mitglied seinen Austritt ankündigt ("Keiner kümmert sich ernsthaft um mich, wann ichs mal brauche"), gleichzeitig die ökonomische Grundlage des Betriebs unvorhergesehen ins Wanken gerät und Freund/innen/e und Wohn-Genossen über den Sinn (der Beziehung, des Zusammenwohnens) ankündigen/ durchsetzen .

Dies sollte der Zeitpunkt sein, an dem die Einladung zur Projektmesse, zu den Wintertagen usw. eintreffen - und sollte ein Unerfahrener andeuten, daß er irgendwas davon nicht völlig blöd findet, so wird er dahin geschickt - und zum nächsten Treffen aus, und zum nächsten. ..na ja, es kann Monate und Jahre dauern, bis daraus der Kollektivist Neuen Typs wird.

 

Ein Knackpunkt:

Arbeit und Ersticken in 1.000 Ansprüchen

Oder allgemeiner: wenn wir es nicht schaffen, uns weniger von der Arbeit und den 1.000 Ansprüchen auffressen zu lassen (wir wollen jederzeit die Vorteile des selbstbestimmten Arbeitens ohne die Trennung von Lieben und Lachen und in ausschließlich produktiven Konflikten hier, sofort, mit allen gemeinsam konkret sinnlich erfahren), dann bleibt das weiter Quelle voll Resignation, Zurück-Stecken, Nicht-mehr können. Wenn wir gegen die Verbürgerlichungstendenzen in der Alternativbewegung angehen wollen: hier ist der Kern, den wir knacken müssen.

Na ja, und dafür sind Tagungen und Seminare kaum geeignet, das ist eher was für ruhige Gespräche, ohne Tagesordnung, ohne Streß und Termine - im bürgerlichen Leben nennt man das Urlaub (neuerdings: workshop).

Vorschlag: machen wir doch mit vielen Leuten aus Kollektiven mit MinimaI-Organisation das, was wir sonst eh alleine machen: Urlaub mit Möglichkeit, mit anderen über Kollektiv-Alltag zu reden: außer dem Jammern wird's ja auch ein paar neue, dufte Erfahrungen zu hören geben.

Kritik an der Alternativbewegung

Viele Freunde von uns arbeiten bewußt nicht in Kollektiven.. Sie meinen, daß die Alternativbewegung insgesamt einen falschen Weg geht. Vieles von dem, was sie kritisieren, halten wir für richtig: Sie gehen wie wir davon aus, daß eine radikale gesellschaftliche Veränderung die einzige sinnvolle "Alternative" ist.

Der Absolutheitsanspruch der Kritiker aber macht uns skeptisch, und ihre Praxis ist auch nicht so, daß wir uns ihnen begeistert anschließen möchten.

Wir halten es für spannend, uns auf den Wintertagen öffentlich mit den unterschiedlichen Strömungen auseinanderzusetzen - oder wenigstens, als ersten Schritt, sie zur Kenntnis zu nehmen. Wir denken an folgende Gruppen:

Jobbergruppen (z.B. Karlsruher Stadtzeitung), Autonomieredaktion Hamburg, aktive Linksgewerkschafter, Autonome aus SO 36.

Kernpunkte der einzelnen Kritiken sind folgende:

Kollektive stehen als Kleinunternehmer nicht im Klassenkampf und fallen oft hinter die erkämpften Forderungen der Gewerkschaften zurück, z.B. in Form von Lohndrückerei, Selbstausbeutung, schlechte soziale-materielle Absicherung
die Kollektive bauen ihre eigene "Müsliwelt" auf, konzentrieren ihre gesamte Energie auf ihr Projekt und vergessen alles weitere um sie herum – Kollektive erfüllen zum Teil "unbewußt" die sozialdemokratische Integrationsstrategie, indem sie z.B. arbeitslose Jugendliche mit minderbezahlter Arbeit volldeckt und sie sozusagen ruhigstellt, gehen somit dem Sozialabbau auf den Leim und betreiben gleichzeitig Sozialklempnerei.
Eine weitere Kritik besteht an: "Arbeit als Lebensinhalt" , was die Kollektive, wie Jobber- und Arbeitslosengruppen und Linksgewerkschafter eint. Der Ansatz vieler "Autonomen" dabei ist, hier und heute möglichst gar nicht zu arbeiten, da es im Grunde genommen selbstbestimmte, nicht entfremdete Arbeit nicht geben kann, solange es keine befreite Gesellschaft gibt, also entlang der Parole "Kampf der Arbeit".

Obwohl wir eben viele Momente der Kritik teilen, arbeiten wir trotzdem weiter in Kollektiven: unsere Gründe dafür werden wir in dieser Veranstaltung einbringen.

Die ersten Kollektive... -- und heute?

Die ersten Kollektive haben sich in der 68er Bewegung herausgebildet: unsere Alt-Kollegen wollten zweierlei:

in eigenen Arbeitsbereichen die alte Arbeitsteilung der bürgerlichen Gesellschaft aufheben: Trennung von Hand- und Kopfarbeit, Trennung nach Entlohnungsgruppen, Trennung von Männer- und Frauenarbeit, von unbezahlter und bezahlter Arbeit, von Hierarchien der unterschiedlichen Art, und
die Vorstellung von tatsächlichen Veränderungen nicht auf die Zeit nach "der Revolution" verschieben, sondern all das vorwegnehmen und ausprobieren, was gesamtgesellschaftlich erzwungen werden muß.

Tja, und wie sieht's heute aus - Beispiel: Eine Vollkornbäckerei in Berlin-Kreuzberg

Vieles von dem, was die Alt-Kollegen für utopisch hielten, ist hier normale Alltagspraxis:

Es gibt den Einheitslohn, der sogar schon in Richtung "Bedarfslohn" ausgeweitet wird; ein Großteil der Beschäftigten wohnt zusammen; die Kopfarbeit (Buchhaltung usw.) beherrschen nicht alle gleich gut, aber immer mehr haben in der vieIjährigen Geschichte Buchhaltung gelernt; der einzige ausgebildete Bäckergeselle lernt alle anderen an - der Betrieb läuft inzwischen auch ohne ihn, der als Meister nur noch formell notwendige Aufgaben hat; inzwischen gibts eine dritte Generation, die die Neuen anlernen kann; von den 15 Kollektivisten sind 8 Frauen und 7 Männer, und es scheint so, daß die Konflikte über die alte Rollenverteilung nicht in den alten Strukturen hängen geblieben sind. Gleichzeitig gibt es Auseinandersetzungen über den Inhalt der Arbeit, die früher kaum thematisiert worden sind: die Überlegungen über gesunde Ernährung führen zur Erfindung verschiedener Brot- und Brötchenarten und ganz neuer Arten von Kuchengebäck; das Korn wird von ökologisch anbauenden Bauern geholt (z.T. mit anderen Projekten gemeinsam), die also als Erzeuger bekannt sind; der Transport wird z. T .von einem eigenen Kollektiv durchgeführt; neben den Einzel-Kunden werden die Produkte an Kollektiv-Cafes und -Kneipen geliefert.

Trotzdem sind die meisten so nicht zufrieden mit der Entwicklung: die Träume und Hoffnungen haben alle noch - aber der Alltag setzt täglich neue, ganz praktische Probleme, die zu lösen viel Energie kosten. ..und das, was wir mal im kleinen Maßstab ausprobieren wollten, verstellt den Blick auf die Realität um uns herum: z.B. Brot: die meisten Leute um uns herum essen selbstverständlich das Brot, das ihnen die Konzerne der Brotindustrie, der Einzelhändlerketten und Filialbäckereien als gut und lecker darstellen, und für die meisten ist das Müsli-Brot keine reale Alternative, sondern Spinnerei von Freaks. Und wenn sich das mal ändert (es gibt ein aktuelles Beispiel): dann wird halt eine Vollkornbäckerei richtig profihaft aufgezogen und beliefert die Geschäfte quer durch Berlin - und auch das profihaft.

Was heißt das für uns?

Wir finden unsere Produkte und Arbeitsweise gut und da gutes Brot auch Bedürfnis ist, wird dies immer mehr profihaft vermarktet. Da wir prinzipiell gegen Profite sind und wir es richtiger fänden, das sich alle gut ernähren können, sind wir natürlich gegen Lebensmittelkonzerne und Brotfabriken.

Was tun wir dagegen? Dieses Beispiel gilt für viele andere Bereiche auch, z.B. Tischler-Kollektive (IKEA), Kaffeegruppen, eigene Rösterei. ..(Tchibo etc.). Schwieriger ist es Ansätze zu finden bei den Kollektiven, die bürgerlichere Arbeitsinhalte haben, z.B. Taxi-Kollektive oder Kneipenkollektive...

Wir haben hier einige Fragen aufgeworfen, die für viele Kollektive gelten. Das Hauptproblem dabei ist, wie können wir von uns aus in die Offensive gehen; wie können wir unsere Kollektive wieder zu Reibungspunkten machen, die auch Konzernen u.a. etwas entgegensetzen?

Kontakt: Infoladen

Kohlfurter Straße 46, 1000 Berlin 36

Abt.: „Wintertage"

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 06. Mai 2008