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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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JZ und Nazis

Regionalberatung

Seite 1 und 3

Jugendzentrum Homburg / Saarland

Sind Jugendzentrumsbesucher vogelfrei? 

"Der erste Überfall auf das Jugendzentrum ereignete sich am 19. April dieses Jahres ... ca. 30 FC-Fans dringen in das Jugendzentrum ein, verprügeln mehrere Besucher und feiern, die erste Strophe des Deutschlandliedes singend, den Geburtstag ,,unseres Führers" Adolf Hitler. Danach geht es "Schlag auf Schlag", im wahrsten Sinne des Wortes: ..."

Seit über einem halben Jahr hat das ebenso alte selbstverwaltete Jugendzentrum in Homburg/Saarland unter einem Haufen neofaschistischer Schläger zu leiden. Auch die Polizei war bisher nicht in der Lage, den bedrohten Jugendlichen zu Hilfe zu kommen, die uniformierten Helfer tauchen immer erst auf, wenn "alles" vorbei ist, und die Schläger weg sind und meinen zudem noch: ,,Das Haus müßte man abbrennen ..."

Ein Jugendzentrum in Homburg wird von Neonazis systematisch terrorisiert 
- die Polizei schaut zu

Als am Abend jenes 18. Oktober gegen 22.30 Uhr der Müllcontainer des Jugendzentrums von zwei angetrunkenen Halbstarken umgeworfen wird und die sofort einschreitenden Mitglieder des Jugendzentrums mit einem abgebrochenen Flaschenhals und einer Gaspistole bedroht werden, ahnt noch niemand, daß dies lediglich das Vorspiel sein sollte für einen Vorgang, wie er im Saarland bisher einmalig sein dürfte. Zwar gelingt es, die beiden Randalierer zunächst zum Abzug zu bewegen, doch kehren sie eine halbe Stunde später mit Verstärkung zurück: 30 mit Pistolen, Baseballschlägern und Schleudern bewaffnete Schläger im Alter zwischen 17 und 25 Jahren betreten das Gelände des Jugendzentrums und versuchen, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Nachdem die Bemühungen, die Tür aufzubrechen, fehlschlagen, fallen Schüsse aus einer Gaspistole, werden schwere Backsteine nach innen geworfen und mit Schleudern die Scheiben im Obergeschoß zertrümmert. Zwei Steine durchschlagen die Rolläden, einer davon verfehlt nur knapp den Schädel eines Besuchers. Nach einer dreiviertel Stunde Randale zieht die Horde ab. Erst nachdem die Schläger verschwunden sind, erscheint ein (!) Streifenwagen der Polizei. Dies ist äußerst verwunderlich, angesichts der Tatsache, daß diese bereits nach 5 Minuten, also kurz nach 23 Uhr von einem Anwohner alarmiert wurde und die Wache nur 200 m vom Juz entfernt ist. Obwohl die Polizei noch zwei weitere Male, u.a. mit dem Hinweis "dort wird geschossen" verständigt wird, benötigt jener Streifenwagen für die Bewältigung fast eine ganze Stunde.. Einziger Kommentar des uniformierten Helfers: "Das Haus müsste man abrennen".

Doch damit war die Sache noch nicht vorbei: Am folgenden Abend ereignet sich der zweite Akt des Schauerspiels, als die Juzler noch damit beschäftigt sind, die Schäden des nächtlichen Vandalismus zu beseitigen. Nach Ende des Fußballspiels Homburg-Neunkirchen marschieren ca. 35 Fußballfans vom Bahnhof her kommend auf das Jugendzentrum. Dank eines aufgrund der Erfahrungen der letzten Monate aufgebauten ,,Frühwarnsystems" gelingt es, den Besuchern, wie am Vorabend, gerade noch einmal rechtzeitig, die Eingangstür zu verbarrikadieren. Wieder fliegen Backsteine, die die noch intakten Scheiben über der Eingangstür und im Treppenhaus zerschlagen. Zielscheibe der Werfer ist u.a. die erste Vorsitzende des Vereins Freie Jugendarbeit e.V., Anne Ulrich, die sich zu diesem Zeitpunkt auf der Treppe befunden hatte. Nach fünf Minuten haben sich die ,,Gremlins", so nennt sich der Fan-Club des FC, der sich nach seiner vorübergehenden Auflösung im Juli inzwischen neu formiert hat, ausgetobt und ziehen weiter. Der FC hat schließlich gewonnen, der Sieg muß gefeiert werden.

"11 zertrümmerte Scheiben, 2 zerstörte Rolläden - das wird ein harter Winter", so lautet ein am Jugendzentrum angebrachtes Transparent, mit dem die Betroffenen auf die ernsthafte Gefährdung ihrer Arbeit durch die massiven Bedrohungen und fortschreitenden Überfälle auf Besucher aufmerksam machen wollen. In der Tat, die Vorgänge der letzten Woche sind äußerst bedenklich und lassen für die Zukunft Düsteres ahnen, bilden sie doch den Höhepunkt einer Entwicklung, die vor einem halben Jahr mit der Eröffnung des selbstverwalteten Jugendzentrums ihren Anfang nahm und seitdem zunehmend eskaliert. Der erste Überfall auf das Jugendzentrum ereignete sich an dessen Eröffnung, am 19. April dieses Jahres. In Anwesenheit des Fördervereins für freie Jugendarbeit e.V. dringen ca. 30 FC-Fans in das Jugendzentrum ein, verprügeln mehrere Besucher und feiern, die erste Strophe des Deutschlandliedes singend, den Geburtstag "unseres Führers", Adolf Hitler. Danach geht es "Schlag auf Schlag", im wahrsten Sinne des Wortes:

Eine Woche später, am Tag, nachdem Mitglieder des Verein Freie Jugendarbeit e.V. in einer Fernsehsendung zum ersten Mai auf die Gewaltakte gegen das Jugendzentrum und dessen Besucher hinweisen, erfolgte der zweite Angriff. 25-30 Fußballfans stürmen das Juz, zerstören antifaschistische Transparente und schlagen 8 Besucher zusammen; zwei davon, Moses und Stoffel, müssen anschließend ins Krankenhaus.

Ein weiterer Zwischenfall ereignet sich Ende Mai: Dieses Mal warten ca. 15 mit Baseballschlägern und Gummiknüppeln bewaffnete Personen den Besucherrinnen und Besuchern des Jugendzentrums vor dem Gebäude auf und verprügeln sechs Jugendliche, die aus dem Jugendzentrum kommend, sich gegen 22 Uhr auf den Heimweg begeben wollten. Zahllose Besucher werden belästigt, Fahrräder demoliert und weggeschleift. Danach folgt eine dreimonatige Phase relativer Ruhe: Die Bemühungen des Verein Freie Jugendarbeit mit den randalierenden Gruppen ins Gespräch zu kommen, scheinen Früchte zu tragen. Die ,,Gremlins" lösen sich auf, einige aus der Gruppe fragen an, im Juz mitzuarbeiten.

Ende August ändert sich die Lage erneut: am 30.08. wird Gerd, ein engagierter Mitarbeiter im Juz, beim Passieren der Imbißbude neben dem Vereinsgebäude zusammengeschlagen. Einen Tag später, nach einem im Juz stattfindenden Konzert, werden drei Jugendliche auf dem Christian-Weber-Platz krankenhausreif geschlagen. Ende September wird ein körperbehinderter Jugendlicher auf dem Weg ins Juz an einer Bushaltestelle in Schwarzenbach am helllichten Tag von 8 Unbekannten so brutal zusammengetreten, daß er anschließend in ärztliche Behandlung muß. Adolph trägt Prellungen im Gesicht und an den Rippen davon.

Anfang Oktober werden Anja und Eddi vor dem Berufsbildungszentrum überfallen und verprügelt.

Jetzt erst kommt es zu den geschilderten Vorfällen des 18./19. Oktober.

24 z.t. auf offener Straße zusammengeschlagene Besucher, 21 zertrümmerte Scheiben und drei Einbrüche, bei denen wertvolle Musikanlagen entwendet und Einrichtungsgegenstände zerstört wurden, das ist die traurige Bilanz des letzten halben Jahres. Alle Versuche, den Gewaltätigkeiten aus eigener Kraft ein Ende zu bereiten, müssen als gescheitert betrachtet werden. Ein geregelter Betrieb ist unter diesen Umständen kaum mehr möglich, weil man stets damit rechnen muß, daß eine Veranstaltung durch Gewalt gesprengt wird bzw. das meiste Geld inzwischen für zerstörtes Mobiliar ausgegeben werden muß. Es ist sogar soweit gekommen, daß sich die meisten Jugendlichen gar nicht erst ins Haus trauen, aus Angst vor den möglichen Folgen eines Besuches im Jugendzentrum. 

Keine Hilfe von der Polizei

Auch die Polizei war bisher nicht in der Lage, den bedrohten Jugendlichen zu Hilfe zu kommen, tauchen Uniformierte doch immer erst auf, wenn die Schläger weg sind und ,,alles" vorbei ist. Worauf wird da eigentlich immer solange gewartet? Wartet man darauf, daß sich nun auch die Besucher des Jugendzentrums mit Baseballschlägern und Pistolen bewaffnen, um damit endlich den Anlaß für eine Schließung zu bieten, quasi ais Beweis dafür, daß Selbstverwaltung nicht funktioniert? Oder wartet man einfach ab, bis die Besucher ob solcher Nazimethoden von selbst zu Hause bleiben? Wieweit muß es noch kommen, bis diesen kristallnachtartigen Vorgängen in Homburg endlich ein Ende bereitet wird? Müssen erst Gesichter durch Backsteine zertrümmert werden, muß es erst Tote geben, bis diese gezielte Treibjagd gegen die Juzler aufhört? Diejenigen, die im Stadtrat und in der Öffentlichkeit diesen rohen Gewalttaten durch systematische Diffamierungen ideologisch den Boden bereitet haben, tragen doch die Verantwortung für jene progromartigen Ausschreitungen; waren sie es doch, die durch ihre Darstellung des ehemaligen Jugendzentrums Open Haus in der Birkensiedlung als Unruhe- und Seuchenherd, die Betreiber des Juz als Asoziale erscheinen ließen, mit denen man so zimperlich nicht umzuspringen braucht.

Jugendzentrumsbesucher sind in Homburg inzwischen vogelfrei, die Frage ist nur, wer zahlt die Abschußprämien?

Trotz dieser deprimierenden Entwicklung wird der Verein Freie Jugendarbeit so schnell noch nicht aufgeben. Am 6./7./8. Dezember findet im Jugendzentrum ein antifaschistisches Wochenende statt, an dem Filme und Diskussionen zum Thema ,,Alte und neue Faschisten" laufen werden. Alle, die sich dafür interessieren, insbesondere diejenigen, die bereits selbst Opfer solcher Gewalttaten geworden sind oder ähnliche Erfahrungen gemacht haben, sind dazu herzlich eingeladen. 

P.S. Kurz nachdem dieser Bericht fertiggestellt wurde, hat sich die Lage um das neue Juz weiter zugespitzt. Am Abend des 22.10.1985 wurden aus einem weißen Kleinwagen, der mit drei Personen besetzt war und langsam am Juz vorbeifuhr, mehrere Schüsse auf drei sich auf dem Bürgersteig vor dem Haus aufhaltende Juzler abgegeben, darunter auch die erste Vorsitzende des Verein Freie Jugendarbeit e.V., die unverzüglich Anzeige wegen versuchter schwerer Körperverletzung erstattete; zu Schaden kam dieses Mal (noch?) keiner der Juzler - zum Glück.

Kontaktadresse: Pascale Brancher, Ehrlichstraße 10, 6650 Homburg Tel.: 06841/6 49 09

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. Dezember 2009