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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Infotour 2009

KOMMUNE-INFO-TOUR 2009

Wir woll‘n auch anders: Hart backbord!

Die Kommune-Info-Tour 2009 reiste vom 28.02.-08.03. von der Uckermark an der Ostseeküste entlang bis Flensburg, um dann mit einem »Umweg« über Oldenburg in Hamburg mit einem Infobrunch zu enden. 11 Leute aus politischen Kommunen, davon eins erst 15 Monate alt, waren unterwegs um über Utopie und Praxis ihres Lebensalltags zu erzählen und zu diskutieren.

Bettina Kruse, Hof Rossee

Ein persönlicher Reisebericht:

Station 1 Brüssow in der Uckermark, Heimatort der Kommune Feuerland

Mit so einer heterogenen Gruppe Kommune-Menschen unterwegs zu sein, die leider auch mit anderen Dingen schon voll ausgelastet sind, ist eine große Herausforderung für mich. Samstagabend ist die erste Veranstaltung, sie soll mit einem Sketch beginnen, den wir am Freitagabend das erste Mal mit verteilten Rollen gelesen haben. Für mich, die immer gerne alles strukturiert und langfristig geplant hätte, nicht gerade einfach. So bin ich auch am Samstagabend mit den Nerven am Ende, wird alles klappen, kriege ich meinen Einsatz hin, macht uns die Technik keinen Strich durch die Rechnung – wir sind mit einer Präsentation mit Laptop und Beamer unterwegs... Und kommen überhaupt Leute? Mir scheint es, als seien wir ans Ende der Welt gereist.

Der Abend wird ein voller Erfolg! Der Sketch, eine Parodie auf das Kommuneleben haut hin, es sind ca. 30 Gäste erschienen und wir konnten uns in 3 Kleingruppen aufteilen um in einen regen und kritischen Austausch zu kommen.

Hier bleibt für mich die Frage nach der Nachhaltigkeit von Kommuneleben hängen, wie ökologisch kann das Leben in der Kommune sein? Niederkaufungen z.B. beteiligt sich an einem Projekt in dem es um alternative Fortbewegungsmittel geht, wir als kleine Gruppe haben es da schon schwerer. Immerhin haben wir einen Grundofen, der mit Holz beheizt wird, fahren aber (zu viel?) Auto. Auch sind die Vorstellungen dessen, was ökologisch Sinn macht und wo einzelne Kompromisse eingehen, individuell sehr verschieden. Wie passen diese Überzeugungen in die Gruppe? Wir wurden z.B. gefragt, ob es möglich sei, dass es jeden Morgen frisch gepressten Saft für alle gibt.

Ich denke hier ist es wichtig, dass die einzelnen erst einmal in der Lage sind zu benennen, was ihnen wichtig ist und dies dann mit der Gruppe zu besprechen. Gibt es keine schweren Bedenken, kann mensch selbst etwas für die Umsetzung tun oder Menschen finden, die dazu beitragen die eigenen Wünsche zu erfüllen. Und das können dann so unterschiedliche Dinge sein wie veganes Essen, ökologische Lebensmittel, Selbstversorgergarten, Solaranlage, Elektroauto oder ein neues Fahrrad.

Station 2 Rostock, im selbstverwalteten »Haus der Freundschaft«

Am nächsten Morgen heißt es dann Abschied nehmen von der Kommune Feuerland, wo wir 2 mal übernachtet haben, und auf geht’s nach Rostock, dort haben wir bereits am Nachmittag den nächsten Termin. Das Aufbauen der Technik und der Bühnendeko hat schon erste Anzeichen von Routine, meine Nerven flattern auch nicht mehr, so dass ich ganz gelassen bleibe, als zur verabredeten Zeit erst wenige Menschen anwesend sind. Als wir mit einer halben Stunde Verspätung beginnen, hat sich der Saal aber noch gefüllt. Das Publikum ist sehr gemischt, Menschen von 18 bis über 60 (?), welche die gerade ihr eigenes Projekt starten und an uns ganz konkrete Fragen für die praktische Umsetzung haben möchten und viele, die einfach neugierig sind.

Nach der Veranstaltung machen wir uns auf den Weg zum Olgashof, wo wir für die nächsten 2 Tage Gäste sein werden.

Hier hat mich erstaunt, dass wir ganz ausführlich über das Thema soziale Absicherung in einer gemeinsam wirtschaftenden Gruppe gesprochen haben. Fragen nach Kranken- und Rentenversicherung, nach Geld beim Ausstieg, nach den Möglichkeiten persönlicher Bedürfnisbefriedigung standen im Vordergrund. Für diese Themen hat letztendlich jede Gruppe ihre individuellen Lösungen gefunden bzw. die Gruppen sind noch auf der Suche, besonders beim Thema Rente.

Warum ist das so ein wichtiges Thema, noch vor Gruppendynamik und Kommunikation? Es geht hier um ein ganz wichtiges Bedürfnis: Sicherheit und ich denke auch Gerechtigkeit. Der Staat bietet nur (noch) unzureichende Absicherung, viele haben Angst vor Armut. Im Gegensatz dazu empfinde ich allein die Tatsache, dass ich Teil einer solidarischen Gruppe bin, als die beste Absicherung, die es gibt. Wer weiß schon wie es hier aussieht, wenn ich mal im Rentenalter bin, da hilft auch kein noch so ausgeklügelter Anlageplan. Das besondere an der Gruppe ist für mich, dass ich in Zeiten der Unsicherheit, Suche nach sinnvoller Arbeit, persönliche Krisen o.ä. eben nicht alleine bin, sondern mich mit Vertrauten besprechen kann. Sicherheit bedeutet für mich ein unterstützendes Umfeld zu haben.

Station 3 Wismar in der Nähe der Kommune Olgashof

Hier haben die Mitreisenden vom Olgashof ihr »Heimspiel «, wir bekommen Unterstützung von einigen OlgashöflerInnen. Die erste Euphorie ist vorbei und ich denke bei vielen Fragen: »Wieso das jetzt? Das habe ich doch eben erst beantwortet« – aber dann war’s doch gestern oder vorgestern. Ich halte mich einfach etwas zurück, zumal ich heute mit der Kleinkindbetreuung dran bin. Aus meiner Kommune (Hof Rossee) sind wir zu dritt dabei, ganz schön viele, aber so können wir uns mit der Betreuung unseres Kindes tageweise abwechseln, so dass wir alle drei etwas von der Tour haben.

Obwohl wir offensichtlich mit einem Kind unterwegs sind, war »Kinder in Kommune« in keiner meiner Kleingruppen auf der Tour Thema. Dabei macht es viel aus, ob und wie viele Kinder in einer Gruppe leben. Zum einen wird das Zeitbudget der Großen davon beeinflusst, zum anderen rückt damit oft die Situation Kleinfamilie in die Gruppe – Rückzugsbedürfnisse und gemeinsame Verantwortung für Kinder sind Themen, die oft eigene Kindheitserfahrungen auf den Plan rufen. Wie viel Kleinfamilie, wie viele Kinder verträgt eine Gruppe? Uns auf Hof Rossee ist es sehr wichtig, Betreuungsarbeit und klassische Arbeit nicht nur gleich zu bewerten, sondern auch, dass alle die hier leben, sich an beiden Arbeitsformen beteiligen. Wir sind überzeugt, dass nur so die Struktur der Kleinfamilie aufgebrochen werden kann: die Kinder können sich weiteren Bezugspersonen zuwenden, die Elternteile erhalten Entlastung in doch immer wieder überfordernden Situationen.

Station 4 Lübeck

Ein kompletter Reinfall, denke ich. Es kommen nur 4 Menschen und eine davon ist eine Bekannte. Aber das Gespräch, das sich nach der Präsentation entwickelt, ist spannend und ich erfahre einiges mehr darüber, wie es in den anderen Kommunen läuft – auch nicht schlecht. Dennoch fragen wir uns, woran es gelegen hat. Wie können wir bzw. die nächste Kommune-Info- Tour-Gruppe in einer so Medien- und Veranstaltungsüberfüllten Welt mit wenig Geld und Zeit auf sich aufmerksam machen? (Ideen und Anregungen gerne an mich!)

Station 5 Eckernförde

Wir sind alle erschöpft und genießen unseren Pausentag auf Hof Rossee. Dennoch bleibt ungewiss, ob die Müdigkeit von den intensiven Diskussionen oder doch eher von langen Nächten herruht...

Entsprechend erholt starten wir am nächsten Abend zu unserer Veranstaltung, die mit ca. 25 Menschen auch wieder gut besucht ist. Dieser Veranstaltungsort ist leider nicht selbstverwaltet und wir müssen um 22.00 Uhr raus. Die Gespräche setzen sich jedoch in einer nahen Kneipe fort und werden in der neuen Umgebung sogar viel interessanter.

»Wie macht Ihr das eigentlich mit dem Putzen und Kochen, überhaupt mit der Ordnung?« Diese Frage taucht so oder so ähnlich immer wieder auf. Die meisten Gruppen haben hierfür Strukturen entwickelt, die dann auf mehr oder weniger komplexen Plänen abgelesen werden können. Von der WG-bekannten Putzuhr, die meist eher unbefriedigende Ergebnisse hervorbringt, über Patenschaften für einzelne Räume, rotierendes Kochen, Haushaltsdienste, die nach dem Lustprinzip verteilt werden, monatlich selbst ausgesuchte Haushaltstage, an denen die zuständige Person dann die Macht über die Musikanlage erhält, oder gar einen eigenen Arbeitsbereich Küche. Es gibt scheinbar unendlich viele Möglichkeiten, sich zu organisieren. Dennoch stellt sich in den Gesprächen heraus, dass in vielen Gruppen immer wieder über Verteilung von Haushaltsaufgaben im weitesten Sinne gerungen wird. Sind doch die Sauberkeitsbedürfnisse einzelner sehr unterschiedlich und der Anspruch, dass sich in den gemeinsamen Räumen alle wohlfühlen können, ist vorhanden.

Station 6 Flensburg

Wir sind routiniert, es kommen ca. 15 Personen, alles wie jeden Abend. Oder war da was? In meiner Kleingruppe ist eine Gruppe junger Menschen dabei, die in einem Wohnprojekt leben. Sie bezeichnen sich nicht als Kommune, leben aber sehr solidarisch miteinander, mit Haushaltskasse und Notkasse, damit alle immer versorgt sind – ich bin beeindruckt, wie selbstverständlich sie Dinge leben, die mir auch nach jetzt 5 Jahren Gemeinschaftsleben schwerfallen und frage mich, wie ich wieder mehr Spaß in meinem Alltag haben kann – vieles vielleicht etwas lockerer nehmen könnte?

So fragt eine Kommunardin die Menschen aus dem Wohnprojekt: »Und wie streitet ihr so?« »Naja«, war die Antwort, »wir brüllen uns halt mal an oder mekkern rum...« Was auf KommunardInnenseite ein fast schon erleichtertes Lachen auslöste. Viele Gruppen haben mittlerweile spezielle Treffen, um sich für das soziale Miteinander oder eben manchmal auch gegeneinander Zeit und Raum zu nehmen. Es wird mit verschiedenen Methoden probiert, Konflikte aufzudecken und zu bearbeiten. Bei der großen Methodenvielfalt zur Konfliktbewältigung ist es fast schon verpönt, sich auch mal anzumeckern oder rumzubrüllen, wenn einer/ einem was stinkt. Im Austausch mit dem Wohnprojekt wurde mir deutlich, dass eine Balance zwischen Rücksichtnahme, andere nicht mit Streit und schlechter Laune zu belasten und spontane Gefühlsäußerungen (kann ja auch mal Freude sein) wichtig für die eigene Lebensenergie sind. Dennoch bin ich überzeugt, dass Methoden und Vereinbarungen Sinn machen, denn bei ungeklärten Streitigkeiten wird die nächste anstehende »Sachentscheidung« schwer werden. Jeder mehr oder weniger ungelöste Konflikt kann im schlechtesten Fall blockierend wirken.

Station 7 Oldenburg

Das Alhambra ist selbstverwaltet und vollkommen unabhängig von staatlicher oder kommunaler Finanzierung und auch Einflussnahme. Ich bin sehr gespannt, wie wir in so einer »Institution« ankommen werden. Zumindest ist es der einzige Ort, an dem wir bekocht werden – Super! Und es wird proppenvoll, gemischtes Szenepublikum mit einer Gruppe von Leuten, die hier eine Ex-Kaserne übernehmen möchten, die Platz für 600 Menschen bietet.

An diesem Abend rückt für mich das Thema »Wie offen sind wir eigentlich?« in den Mittelpunkt: Wie hoch sind die Ansprüche der Kommunen an die Menschen, die dort leben bzw. leben wollen? Und welche Erwartungen haben Menschen an die Gruppe, für die sie sich interessieren. Auslöser ist die Frage, ob Kommune XY einen bestimmten Arbeitsplatz zu bestimmten Bedingungen bieten könne, was die Person aufgrund ihrer Lebensgeschichte einfach bräuchte. Das hat mich gelinde gesagt erstaunt – denn wie könnten wir für alle potentiellen KommunardInnen den passenden Arbeitsbereich »vorrätig« haben? Andererseits haben mich unsere Antworten, die ungefähr so lauteten »Du musst vor allem erst mal selbst wissen, was genau du willst und kannst, wie du dir dein Leben vorstellst und dann nach einer passenden Gruppe suchen und dort gemeinsam überlegen, was möglich ist,« nachdenklich gemacht.

Wie fit muss mensch sein, um in einer Kommune zu leben? Wir sind jeweils letztlich nur für die Menschen offen, die unseren Vorstellungen irgendwie entsprechen und das beinhaltet oft die Fähigkeit zu wissen, was mensch will und darüber auch reflektieren zu können. Passt das mit der Utopie einer besseren, nicht so leistungsorientierten Welt zusammen? Oder macht es nicht vielmehr Sinn, gewisse Ansprüche zu haben, schließlich wollen wir Alltag, Geld und manches mehr, für hoffentlich lange Zeit, miteinander teilen?

Station 8 Hamburg Infobrunch in Altona

Ganz anderer Eindruck, neben dem Veranstaltungsraum in der Werkstatt 3 sind Büros von RoWo und der Buko, das Publikum von jungen Menschen mit bunten Haaren bis zu christlich motivierten Menschen aus dem Umfeld einer kleinen Stadtkommune, die sich mit illegalisierten Menschen solidarisiert. Wir hatten nicht erwartet, dass in Hamburg über 30 Leute schon um 11.00 Uhr dabei sind, zum Glück haben wir ausreichend Kaffee gekocht.

10 Tage unterwegs mit Menschen aus unterschiedlichen »KommuJa-Kommunen«, zwischen 26 und 66 Jahren: wir haben uns gut und leicht organisiert, haben uns trotz unterschiedlichster Schlaf- und Wach- Rhythmen immer wieder in einer Runde zum persönlichen Austausch gefunden und viel Spaß und Inspiration gehabt.

Das Auseinandergehen fällt zum Glück nicht ganz so schwer, denn beim nächsten KommuJa-Netzwerk- Treffen werde ich die meisten wieder sehen.

Teilnehmende Kommunen: Kommune Feuerland (Brüssow), Hof Rossee (bei Eckernförde), Kommune Niederkaufungen (bei Kassel), Kommune Olgashof (bei Wismar), der Villa Locomuna (Kassel) und Kommune- Projekt Uthlede (bei Bremen). 
www.kommuja.de

Links: 
Haus der Freundschaft (Peter Weiss-Haus), Rostock: 
www.peterweisshaus.de

Alhambra Oldenburg: www.alhambra.de

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 29. März 2011