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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Handwerk

Zum Handwerksrecht

 

,,Handwerksrecht? Da gibt’s nix zu diskutieren, da muß man nur wissen, wie man durchkommt!" (Spruch auf der Beraterfortbildung in Göttingen). Mit dem Durchkommen ist es als selbstverwalteter Betrieb aber so eine Sache, daß nämlich z.B. der handwerkliche Nebenbetrieb des Kollektivs unerheblich bleibt, wenn der Fahrradladen ein Handelsbetrieb ist und keine Reparaturwerkstatt ist usw.. Wenn dann auch noch dem Meister eines Kollektivs anläßlich der Eintragung in die Handwerksrolle ein „Mahnblatt“ mit dem Inhalt in die Hand gedrückt wird, er mache sich strafbar, wenn er nicht alle Pflichten eines Betriebsleiters wahrnehmen könne, so kann das auch weniger schreckbaren Naturen jeglichen Mut und die Lust zur Gründung eines Handwerkskollektivs töten. 

Von Annegret Bötel, Redaktion Bremen - Selbstverwaltete Handwerksbetriebe werden sowohl durch das Handwerksrecht selbst als auch durch dessen Handhabung insgesamt strukturell benachteiligt. Eine kollektive Betriebsleitung ist formal nicht realisierbar - ganz zu schweigen von den mitunter amüsanten Streitigkeiten über die Namensgebung des Kollektivs. 

Die Handwerksordnung, ehrendes Recht des rechtschaffenden Meisters und des ehrbaren Handwerksstandes ist eine Nuß, an der sich jeder Nußknacker die Zähne ausbeißen kann. Die Nuß darf nicht auf ewig unknackbar sein! Deshalb will ich im Ansatz mit diesem Artikel einige Positionen der Handwerksverbände genauer ausleuchten und einige Vorschläge zur Veränderung des Handwerksrechts bzw. von dessen Anwendung in die Diskussion werfen.

 

Von der Existenz selbstverwalteter Betriebe haben die regionalen Handwerkskammern und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) inzwischen erfahren. Ihr Kenntnisstand ist dann wie folgt dokumentiert: ,,Überlegungen über mögliche alternative Beschäftigungsformen, wie sie z.B. im Bereich der europäischen Gemeinschaften anzutreffen sind, werden vom ZDH aufmerksam verfolgt. Es darf keinesfalls zu einer Legalisierung der Schwarzarbeit kommen, weil dadurch die Wettbewerbsbedingungen für die legal arbeitenden Betriebe verfälscht werden!“ (1) In Öffentlichen Hearings, Tagungen über die Selbstverwaltungswirtschaft glänzen sie - wenn nicht durch Abwesenheit - mit Klagen über Wettbewerbsverzerrungen durch Arbeitsloseninitiativen, Beschäftigungsinitiativen und anderen ähnlichen ,,alternativen Experimenten".

 

In jüngster Zeit blasen sie zunehmend kräftiger ins Horn. So hat der Rheinisch-Westfälische Handwerkerbund Anfang 1985 eine Argumentationsschrift ,,Arbeitsloseninitiativen - eine Konkurrenz für das Handwerk?“ herausgegeben, die davor warnt, daß über ABM traditionelle handwerkliche Leistung erbracht wird, die ein ,,zukünftiges handwerkliches Marktpotenzial vernichtet.“ Nun mag eine Kritik an der Entwicklung des zweiten Arbeitsmarktes durchaus gerechtfertigt sein, doch der Handwerkerbund holt weiter aus und verdammt die Förderung selbstverwalteter Betriebe in Hessen - hierzu zitiert er die Erkenntnisse des Instituts der Deutschen Wirtschaft: ,,Es ist unsinnig, Wirtschaftsformen als Alternativen anzubieten, die auf Leistungsfähigkeit und wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeiten keinen Wert legen, andererseits aber die finanzielle Hilfe der Allgemeinheit zum Überleben benötigen.“ (2) Putzigerweise klagt der Handwerkerbund in der gleichen Schrift ABM-Mittel für Handwerksbetriebe ein ...

 

Gesamtwirtschaftlich ist die Entwicklung des Handwerks durch sinkende Beschäftigungszahlen und stagnierenden  Umsatz seit 1980 gekennzeichnet. Gleichzeitig verschieben sich die Marktanteile von Mittelstandsunternehmen hin zu großen Betrieben. Hinsichtlich der Produktionsweise werden die Abgrenzungen zwischen Handwerksarbeit und Industriearbeit immer verschwommener:  Arbeitsintensive Fertigungsweisen verlieren ihre Bedeutung, der Kapitaleinsatz steigt überproportional im Verhältnis zur Beschäftigtenzahl. Die räumlichen Produktionsschwerpunkte verschieben sich eindeutig zugunsten der Ballungsräume.

 

Um die handwerklichen Standesinteressen auch unter dieser Entwicklung zu wahren, wird für die Frage, was ,,Handwerk" ist und ob dementsprechend die Handwerksordnung angewandt wird, ein ,,dynamischer Handwerksbegriff“ zugrunde gelegt. Er soll ,,einen am jeweiligen Stand der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und des technischen Fortschritts orientierten Gesetzesvollzug“ (3) ermöglichen.

 

Gleichwohl wird ideologisch am jahrhundertealten Bild des Handwerks festgehalten, das ,,sich als eine einheitliche soziale Gruppe darstellt, die durch geschichtliche Entwicklung, Tradition, typische Besonderheiten ihrer Tätigkeiten, Lebensstil und Standesbewußtsein  der Berufsangehörigen von anderen Berufszweigen deutlich abgegrenzt ist.“ (4) 

Die zugegebenermaßen auch für das Handwerk schwer gewordenen ökonomischen Bedingungen scheinen aber durch sein Engagement in Sachen Ausbildung kompensierbar. 

Ausbildung - eine gesellschaftliche Leistung, mit der sich das Handwerk in Zeiten der Jugendarbeitslosigkeit brüstet! An dem Denkmal, das es sich in dieser Hinsicht setzt - O-Ton ZDH: ,,Beispielsweise läßt bereits der Nachweis, wie viele Lehrlinge ihre Abschlußprüfung abgelegt und bestanden haben, eine für die gesamte Volkswirtschaft bedeutungsvolle handwerkliche Leistung erkennen.“ (5)  - läßt sich knabbern: Einmal ist das Handwerk nicht der alleinige Träger von Ausbildung. Von den 1,7 Mio. Auszubildenden im Jahr 1983 wurden ca. 670.000 im Handwerk ausgebildet. Weitaus schwerer wiegt jedoch, daß seine Ausbildungspolitik fehlgeht. So fallen von den 10 ,,beliebtesten" Ausbildungsberufen 6 in die Gruppe der Handwerksberufe, deren Entwicklung hinsichtlich Beschäftigtenzahl, Umsatz und Unternehmensbestand stagniert bzw. eindeutig zurückgeht (Friseure, Tischler, Maurer, Maler, Bäcker, Schlosser). Davon abgesehen, geht die Beschäftigtenzahl im handwerklichen Bereich insgesamt zurück. Unter solchen Vorzeichen beschränken sich die Verdienste um die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit darauf, Jugendliche für die Dauer der Ausbildung vor Arbeitslosigkeit bewahrt zu haben. 

Wenn sich aber Gesellinnen und Gesellen erdreisten, nach der Ausbildung einen selbstverwalteten Betrieb zu gründen, werden Schrauben für den handwerklichen Marktsektor festgedreht - die Handwerksordnung schlägt durch. 

Machtpolitik, die mit derlei ideologischen Klimmzügen arbeitet und selbstverwaltete Betriebe offenbar in das Abseits von Schwarzarbeit stellen kann, fordert schlicht und endlich eine offensivere Politik gegenüber den Handwerksverbänden heraus. 

Zwar ist es nach wie vor unvermeidlich, daß die selbstverwalteten Betriebe die gesetzlichen Voraussetzungen für das Betreiben eines Handwerks erfüllen müssen (das ist nicht zuletzt auch eine Sache qualifizierter Betriebs- und Projektberater), doch auf der anderen Seite wäre zu überlegen, ob die Selbstverwaltungswirtschaft  nicht dem Handwerk den Rang ,,Deutschlands vielseitigster Wirtschaftsbereich" ablaufen sollte!? Aber Spaß beiseite - Ungleiches läßt sich nicht mit dem gleichen Maß messen. Vielmehr gilt es klarzustellen, daß weder das romantisch verklärte Bild des Handwerkers, noch das des leistungsstarken Elektroinstallationsmeisters auf die selbstverwalteten Handwerksbetriebe paßt. 

In den selbstverwalteten Betrieben ist die Betriebsführung kollektiv und nicht die Angelegenheit des Meisters. Der Anspruch, ökologisch zu arbeiten, erfordert einen anderen Umgang mit der Ökonomie (z.B. Wiederverwertung alter Materialien). In manchen Branchen entstehen neue Berufsbilder (Fahrradmechaniker). Selbstverwaltung baut auf ökonomische, fachliche und soziale Erfahrungen auf. Ausbildung in selbstorganisierten Projekten und Betrieben beschränkt sich nicht auf fachliche Qualifizierungsprozesse, sondern ist zugleich soziales Lernfeld. 

Freie Bahnen für die Entwicklung und Stabilisierung selbstverwalteter Betriebe im Handwerk zu schaffen, heißt, politisch auf die Öffnung und Lockerung der Zulassungsschranken der Handwerksordnung hinzuarbeiten. So sollten im ersten Schritt die Handwerkskammern z.B. die Unerheblichkeitsgrenzen von Nebenbetrieben offen legen. Könnten diese Unerheblichkeitsgrenzen nicht auch allgemein für reine Handwerksbetriebe gelten, d.h. kein Meisterzwang für Kleinstbetriebe? Sollte die für die Zulassung zur Meisterprüfung erforderliche Gesellenzeit verkürzt werden? Unter welchen Voraussetzungen könnte die Eintragung eines Kollektivs in die Handwerksrolle erfolgen? Sind nicht in diesem Zusammenhang Veränderungen der Ausnahmeregelung des § 8 HWO dahingehend realisierbar, daß der ,,Qualifikationsmix" der verschiedenen Leute in einem Betrieb in seiner Gesamtheit alle Anforderungen an eine Meisterqualifikation erfüllt? Oder sollen selbstverwaltete Handwerksbetriebe gänzlich von der Handwerksrollenpflicht ausgenommen werden, weil sie nicht unter den bestehenden Handwerksbegriff passen? 

Wer interessiert ist, solchen Fragen und Überlegungen tiefer nachzugehen bzw. dazu konkrete Vorschläge hat oder erarbeiten will, kann sich an das PROJEKT SELBSTVERWALTUNG & RECHT, ZERP, Universitätsallee GW l, 2800 Bremen 33, Tel. (04 21) 218 28 28, -28 29, wenden.

1) ZDH (Zentralverband des Deutschen Handwerks Bonn): Handwerk 1983

2) Rheinisch-Westfälischer Handwerkerbund e.V. Dialog Handwerk 2/85: Arbeitsloseninitiativen - eine Konkurrenz für das Handwerk?, S. 20

3) Hagebölling: Handwerksbegriff und struktureller Wandel, in Gewerbe-Archiv 1984, S. 209

4) BVerfG v. 17.7.1961, BVerfGE Band 13, S.110

5) Kehr: Über 220.000 Gesellen- und Abschlufiprüfungen, in Deutsches Handwerksblatt 15/85, S. 500

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 11. Januar 2010