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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Grenzcamps 2002

GRENZCAMPS 2002

Antiracist action and discussion? Camp02!

Mittlerweile zum fünften Mal
findet diesen Sommer das
antirassistische Grenzcamp unter
dem Logo "kein mensch ist
illegal" statt. Wie in den
vorangegangenen Jahren richtet
sich der Fokus, eingebettet in eine
allumfassende Gesellschaftskritik,
auf das Grenzregime Deutschlands
und Europas. Nach drei Jahren
direkt an der Grenze zu Polen und
Tschechien und dem Camp am
Frankfurter Flughafen wurde als
Austragungsort für diesen
Sommer Thüringen gewählt.


Anknüpfend an den Schwerpunkt "Innere Grenzen" des letzten
Jahres will das fünfte Anti-Grenzcamp sich auf unterschiedlichen Ebenen und einer Bandbreite von Aktionen unter anderem in die
Diskussionen um Grenzen für MigrantInnen und Flüchtlinge,
Residenzpflicht, Einwanderungsgesetz und Terrorismusbekämpfung einmischen. Dabei wollen wir an das letzte Anti-Grenzcamp anknüpfen und dort begonnene inhaltliche Auseinandersetzungen weiterführen.

Kapitalismus & Rassismus

Wir beschränken uns an dieser Stelle im wesentlichen auf das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus zum Kapitalismus, da wir hier ein Theoriedefizit innerhalb der antirassistischen Bewegung
konstatieren. Es ist uns wichtig, diesen Inhalt stark zumachen für die Diskussion innerhalb der antirassistischen Linken und die Positionierung bei Aktionen des Anti-Grenzcamp. Die bedeutende Rolle von Nationalismus und Patriarchat im Verhältnis zu Kapitalismus und Rassismus stellen wir damit nicht in Frage, schätzen jedoch ein, dass es bereits eine stärkere Beschäftigung mit diesen Phänomenen gibt.

Meist wird das Herrschaftsverhältnis Rassismus weitgehend isoliert betrachtet und nicht in eine umfassende Gesellschaftsanalyse und -kritik eingebettet. Nicht nur der Mangel an theoretischen
Positionen ist ein Problem, sondern auch deren Qualität: Eine Unterordnung von Antisemitismus als Spielart des Rassismus oder die
Vorstellung, dass die kapitalistische Ordnung Rassismus als
lediglich vorgefundenes Herrschaftsverhältnis instrumentalisiert, jedoch in der weiteren Entwicklung als Hindernis der Kapitalakkumulation abschaffen wird, sind keine isolierten Positionen, sondern durchaus gängig in der antirassistischen Diskussion. Für einen konsequenten linken Antirassismus ist eine Auseinandersetzung mit Kapitalismus und der Funktion von Rassismus in diesem unbedingt
notwendig. Unsere Hoffnung besteht darin, eine Diskussion zu
diesem Thema nicht nur in der antirassistischen Bewegung in Gang zu
bringen, sondern diese als Teil einer radikalen Linken zu führen.

Rassismus entstand in seiner modernen Form parallel zur
Herausbildung der kapitalistischen Gesellschaften und konnte dabei auf den bestehenden Stereotypen und Mustern des Fremdenhasses
aufbauen. Er ist keine bloße Fortdauer derartiger archaischer Vorstellungen, sondern notwendiger Bestandteil der kapitalistischen
Gesellschaft. Kapitalismus scheint unvereinbar mit oder zumindest
blind gegenüber Konstruktionen wie Geschlecht und Rasse. Das
kapitalistische Verwertungsprinzip und das Versprechen auf formale Gleichheit gilt prinzipiell für alle Menschen sowohl innerhalb eines Nationalstaates als auch für Außenstehende - aber letzteres nur bedingt, solange sie Wert schaffen. Die Ideologie des Universalismus - die nur den Anspruch der Gleichheit aller Menschen als frei tauschende im Streben nach persönlichem Glück erhebt - ist der kapitalistischen Produktionsweise besonders angemessen und zur endlosen Akkumulation von Kapital zwingend erforderlich. Sie ermöglicht den freien Strom aller Waren in Form von Gütern, Kapital und Arbeitskraft zu ihrem nur über den Markt vermittelten Wert. Alle bestehenden sozialen Unterschiede werden auf Unterschiede in der Leistung und Effektivität des Einzelnen zurückgeführt. Eine Gesellschaft, die auf dem Leistungsprinzip basiert und sich universalistisch gibt, ist politisch instabiler als vorherige  Gesellschaftsformen, die soziale Stellungen aus Religion
oder feudalistischer Tradition herleiten und damit
feststehende Überzeugungen garantieren konnten. Sie
wird subjektiv als ungerecht erlebt, da die persönliche
Leistung nach eigener Wahrnehmung scheinbar unterbewertet
wird und das bürgerliche Subjekt, die Möglichkeit
des Scheiterns vor Augen, sich permanent gemäß den
Anforderungen der kapitalistischen Gesellschaft zurichten
und sie erfüllen muss. Eine Leistungsgesellschaft kann
nicht mehr den Glauben an eine ewige, festgefügte Ordnung und
sichere Überzeugungen bieten.

"Arbeit ist natürlich und
dem menschlichen Wesen zugehörig"

An dieser Stelle greift Rassismus als eine Ideologie der
Ungleichheit: Die formale Gleichheit und das
Glücksversprechen bei hoher Leistung widerspricht der realen
Ungleichheit in der kapitalistischen Ordnung, die sich nicht
nur
aus unterschiedlicher Leistung und Effektivität erklären
lässt. Mittels Ideologien wie Sexismus und Rassismus werden
komplexe soziale Zusammenhänge zu biologischen
Entwicklungen verklärt, rationalisiert und dadurch
scheinbar durchschaubarer. Damit verschleiern sie die
tatsächlichen Ursachen, die dem kapitalistischen System
immanent sind, und stabilisieren die politische Ordnung.

Das bürgerliche Subjekt lernt in einem schmerzhaften, nie
vollständig abgeschlossenen Prozess, seinen Lebensalltag und
seine Bedürfnisse auf eine von außen aufgezwungene
Arbeitsdisziplin auszurichten, die aber nicht
als solche begriffen, sondern als prinzipiell notwendig
und richtig von innen heraus bejaht wird. Es verklärt Arbeit
als natürlich und dem menschlichen Wesen zugehörig.
Folgerichtig begreift es seine Zurichtung als Verwirklichung
des menschlichen Charakters und benötigt kaum
noch äußere Zwänge, sondern verstümmelt sich vielmehr
freiwillig zur kapitalistischen Arbeitsmaschine. Aus
dieser Zurichtung folgen die ambivalenten Gefühle von
Hass und Faszination gegenüber der Imagination des
"Fremden", der sich der abstrakten, abhängigen Arbeit
zu entziehen und vollständig von seinen "Trieben" und
Bedürfnissen beherrscht scheint. "Der Fremde" wird als
Spiegelbild des bürgerlichen Subjektes konstruiert und erhält
all die Eigenschaften zugeschrieben, vor denen sich
dieses fürchtet, die es verabscheut oder die es sich
wünscht. Rassismus wirkt gemeinschafts- und
identitätsstiftend und spielt eine bedeutende Rolle bei der
Durchsetzung der Werte und Sekundärtugenden im
kapitalistischen Arbeitsprozess und der bürgerlichen
Gesellschaft.

Der Kapitalismus ist also legitimierend und konstituierend
für den Rassismus. Dennoch ist es falsch, diesen
rein ökonomistisch aus dem Kapitalverhältnis abzuleiten: Als
eine Ideologie der Ungleichheit verselbständigt er
sich und reproduziert sich ständig. Ebenso ist der Rassismus
aber auch konstituierend für den Kapitalismus. Er
spielt eine wichtige Rolle für dessen Aufrechterhaltung
und verhindert, dass die kapitalismusimmanenten Widersprüche
zu Tage treten. Rassismus zu bekämpfen muss
heißen, auch Kapitalismus als eine seiner wesentliche
Grundlagen zu bekämpfen.

Antisemitismus enthält zwar rassistische Elemente,
argumentiert mit der konstruierten "Rasse" des "Juden"
und erklärt die soziale Wirklichkeit ebenfalls als biologisch
begründet, funktioniert aber anders. Zum einen
konstruiert die rassistische Ideologie die "fremden Völker"
oder "Rassen" als unterlegen gegenüber dem eigenen Volk.
Antisemiten hingegen schreiben dem "Juden"
als vermeintlichem "Drahtzieher hinter den Kulissen"
eine unheimliche Macht und Weltmachtsstreben zu und
sehen somit die Gefahr in seiner vermeintlichen
Überlegenheit.

Zum Zweiten wird in der antisemitischen Logik nicht
wie in der rassistischen Logik der Gegensatz "Nation gegen
Nation" aufgemacht, der eine grundsätzliche Anerkennung
dieser Kategorie impliziert und für die eigene
Identität eine konstituierende und festigende Wirkung
hat. Vielmehr verkörpert die Figur des "Juden" eine dritte
Position außerhalb des Nationengegensatzes von eigener
und fremder Nation und stellt somit das Nationenkonzept
grundsätzlich in Frage. Er ist nicht Angehöriger der
eigenen oder einer fremden Nation, sondern verkörpert
die "Nicht-Nation". Der "Jude" wird mit Universalismus
und der möglichen Aufhebung des Nationenkonzeptes
gleichgesetzt und unerbittlicher verfolgt. Im Hass und
Kampf gegen "die Juden" sind selbst nationale Feinde
vereint.

Mit der Figur des "Juden" - der real keiner ist und
auch nicht mehr als solcher gekennzeichnet werden
muss, damit antisemitische Argumentationen funktionieren -
wird ein scheinbar Verantwortlicher für die als
unverständlich erlebten kapitalistischen Verhältnisse
konstruiert, auf den das Unbehagen projiziert wird. Der
Antisemitismus als verkürzte Kapitalismuskritik entwickelt
auf diese Weise eine mächtige und falsche Welterklärung.
Durch die Trennung zwischen ehrenhaftem,
"schaffenden" Kapital und dem als unheimlich und verheerend
definierten "raffenden Kapital" werden die negativen Seiten
des Kapitalismus abgespalten. Die Abschaffung oder wenigstens
Zähmung des Finanzkapitals impliziert in dieserLogik die
Beseitigung aller Probleme: mit
dem Rest ließe es sich dann ganz gut und angenehm leben.

Einwanderungsland Deutschland?
Dekonstruktion eines Wunschtraumes



Momentan findet eine Veränderung des Migrationsregimes statt.
Die rigiden Standards der BRD in der Ausländerpolitik werden,
trotz europäischer Vorreiterrolle für die
Verschärfung in Teilbereichen, durch den Druck der Wirtschaft
und der EU an EU-Normen angepasst. Ebenso entscheidend ist
der veränderte politische Hintergrund der
Rot-Grünen Bundesregierung: ihre Politik ist bestimmt
vom Modell der westlichen Demokratie und der
Zivilgesellschaft, die der völkischen, spezifischen Form des
deutschen Nationalismus und Rassismus entgegensteht. Allzu
plumper, unflexibler Rassismus, der sich wirtschaftlichen
Überlegungen und Forderungen entzieht, soll als
muffiges deutsches Wahngebilde zugunsten einer demokratisch,
kapitalistisch-rationalen Form weichen.

Das "Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und
zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von
Unionsbürgern und Ausländern" spiegelt
diesen "neuen Geist" wider: Es ermöglicht Zuwanderung,
begrenzt diese aber nach flexiblen politischen und
vor allem wirtschaftlichen Bedürfnissen: Die Verknüpfung von
(ohnehin zeitlich befristeten) Aufenthaltserlaubnissen an
konkrete Arbeitgeber führt zu einer kompletten Abhängigkeit
vom Arbeitsplatz und Rechtsunsicherheit der nur als
Arbeitskräfte wahrgenommenen Menschen. Gleichzeitig baut es systematisch andere Formen des Aufenthaltes ab: Infolge der ersatzlosen Abschaffung des Instrumentes der Duldung werden hunderttausende AusländerInnen illegalisiert. Geplante "Ausreisezentren" sollen ihre Verfügbarkeit für Abschiebungen garantieren. Bisherige Bestimmungen der Ausländergesetzgebung werden verschärft.

In der Einwanderungsdebatte wird die zukünftige Regelung von
Arbeitsmigration entwickelt, die sich an den
Kriterien: "erwünscht, wenn nützlich" an wirtschaftlichen
Erfordernissen orientiert. In diesem Diskurs ist völkischer
Rassismus und eine undifferenzierte Abschottung nicht mehr
primäres Prinzip der Politik, sondern
Kontrolle und Steuerung von Migration. Die große
Diskursverschiebung bereitet nur den Boden für eine minimale
Gesetzesänderung, in der jedoch das völkische Prinzip
weiterhin dominiert und wird danach wieder teilweise
zurückgenommen.

Demzufolge wird Rassismus natürlich nicht in Frage gestellt. MigrantInnnen haben kein Recht auf Bewegungsfreiheit. Diejenigen von ihnen, die hier leben wollen, müssen ihre ökonomische Nützlichkeit unter Beweis stellen. Selbst wenn sie dies schaffen, müssen sie sich
integrieren und kritiklos an die Normen des "Hausherrn
Deutschland" anpassen. Die Multi-Kulti-Fraktion fordert
eine kulturelle Bereicherung der deutschen Monokultur,
während die konservativen Kräfte die Untergrabung der
"deutschen Leitkultur" verhindern wollen. Alle Anderen
gelten zunächst als finanziell belastend oder gefährlich,
weil sie - je nach Lesart - kriminell oder fundamentalistisch
seien. Gegen diese schottet sich Deutschland desto
stärker ab. Mit dem geplanten Zuwanderungsgesetz wird
sich die Lage einiger weniger konkret verbessern, für die
Mehrzahl jedoch ist eine eindeutige Verschlechterung ihrer
Situation zu erwarten. Anders verhält es sich mit der
gesellschaftlichen Wirkung, die aus der Diskursverschiebung
folgt: Für die hier lebenden MigrantInnen macht es
einen entscheidenden Unterschied, ob sie als "gefährliche und
das Sozialsystem ausnützende Ausländer" von
Nazis verprügelt oder als potentiell "nützliche Fachkräfte"
angesehen werden. Es bestimmt ihre gesellschaftliche
Situation und ihr Überleben unter deutschen Verhältnissen.

Terrorismus, Migration
und westeuropäische Bananen

Auch bei der Diskussion um Terrorismusbekämpfung ergänzen
sich kapitalistische Verwertungslogik und Rassismus. Die
Überwachung von MigrantInnen dient ihrer Abschreckung,
Stigmatisierung, Kriminalisierung und Disziplinierung. Dass
diese Überwachung ungleich umfangreicher ist als die, welcher
Deutsche ausgesetzt sind, sticht
ins Auge. Denn Ausländerzentralregister, Schengener
Informationssystem und europäische Fingerabdruckdateien
betreffen außchließlich oder in erster Linie
Nicht-EU-BürgerInnen. Diese der Kontrolle und Abschottung
dienenden Mechanismen entsprechen auch der Logik einer
Einteilung von Menschen in nützlich und unnütz. Die
Speicherung von Daten über Stand des Asylverfahrens,
Aufenthaltsstatus, Vorstrafen, eventuelle
Einbürgerungsbestrebungen bis hin zu Wohnungsgröße, Maß der
erreichten Integration und Art und Weise des Lebensunterhalts
im Ausländerzentralregister als Informationsverbund von
Ausländerbehörden, Grenzschutz, Zoll, Justiz,
Arbeitsämtern, Geheimdiensten, Verfassungsschutz und
Polizei erleichtern eine solche Einteilung.

Eine ebenso große Rolle spielt die Kontrolle normgerechten
Verhaltens. Zu vermerken ist eine stetige Zunahme technischer
Überwachung, aber ebenso die Ausdifferenzierung der
tatsächlichen Repression. Wo sich die
deutsche Durchschnittsbevölkerung mittels sozialer
Selbstkontrolle überwacht und für sie die Grenzen innerhalb
Europas fallen, sehen sich als systemgefährdend eingeschätzte
Randgruppen immer mehr repressiven Beschränkungen
unterworfen. Rassismus kommt dort ins
Spiel, wo die Gruppe "Ausländer" konstruiert wird und
Menschen aufgrund ihrer Nationalität als unangepasst,
assimilierungsunwillig, mithin "gefährlich" eingestuft
werden. Das Ausländerzentralregister (AZR) entstand in
den 50er Jahren auch aus dieser Begründung heraus:
laut Bundesinnenministerium aufgrund der "Notwendigkeit der
verstärkten Überwachung der Ausländer im
Bundesgebiet".

Dieser Logik folgt auch das "Terrorismusbekämpfungsgesetz",
das zum großen Teil schon bestehende Regelungen verschärft,
Kompetenzen ausweitet und sich
wie eine allgemeine Verdachtserklärung gegen Flüchtlinge,
MigrantInnen und deren UnterstützerInnen liest. Es
geht ganz offensichtlich darum, abgelehnte AsylbewerberInnen
und illegale MigrantInnen schnell abzuschieben
und die Fahndungsarbeit zu erleichtern. Auch die
Effektivierung der Arbeitsweise und Funktion des AZR ist Teil
des Terrorismusbekämpfungsgesetzes. Als Sammelbecken
personenbezogener Daten nichtdeutscher Menschen
eignet sich das Ausländerzentralregister perfekt zur
Rasterfahndung. Dabei fördert jene durch ihre rassistischen
Profile die Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen
und ein entsprechendes gesellschaftliches Klima, das, gepaart
mit Änderungen im Asyl-, Ausländer- und dem neuen
Zuwanderungsgesetz, eine politische Betätigung von
MigrantInnen gezielt zu verhindern sucht.

Die oft geäußerte These, dass MigrantInnen als
Versuchskaninchen in der Sicherheitspolitik dahingehend
eingesetzt werden, zu testen, wie viel Überwachung später
an der deutschen Bevölkerung durchsetzbar wäre, erscheint bei
der MigrantInnen betreffenden Sondererfassung wert
hinterfragt zu werden.

Deutsche StaatsbürgerInnen profitieren eher von ihr,
als dass sie Angst haben müssten, je davon betroffen zu
sein. MigrantInnen werden stärker überwacht, damit die
EinwohnerInnen der Festung Europa nicht auf ihre Privilegien
verzichten müssen. Die Ausweitung bestimmter
Überwachungs- und Kontrollmechanismen schreitet
auch in Bezug auf deutsche bzw. EU-BürgerInnen voran.
Die Repression bezieht sich dabei jeweils nur auf sozial
marginalisierte bzw. als kriminell eingestufte Gruppen.
MigrantInnen gelten qua Herkunft als dazugehörig. Die
öffentliche Diskussion um Einwanderung findet seit dem
11. September 2001, der anschließenden Rasterfahndung nach
männlichen Studierenden muslimischen
Glaubens und den steten Rufen nach Verschärfungen des
Ausländerrechts unter veränderten Vorzeichen statt.

Im Vordergrund des Diskurses steht nicht mehr nur,
ob und wie viele hochqualifizierte oder billige Arbeitskräfte
zum Wohle der deutschen Wirtschaft angeworben werden dürfen,
sondern wie die Migrations- und Asylpolitik
mit der Terrorbekämpfung verknüpft werden kann. Die
jetzt eingeleiteten Maßnahmen folgen dabei der Logik
von Entwicklungen auf nationaler und europäischer Ebene, die
die gesamten 90er Jahre geprägt haben. Natürlich
ließen sich nach dem 11.9. schon länger gehegte Wünsche von
Überwachungsdiensten und Sicherheitstechnokraten leichter
durchsetzen, während die liberale Öffentlichkeit unisono dem
Schock der Anschläge unterlag,
nach mehr Sicherheit schrie oder einfach schwieg. Denn
mit der vermeintlichen Bedrohung konnte so einiges
gerechtfertigt werden, was im Rahmen der Debatte um ein
Einwanderungsgesetz mühsamer hätte durchgeboxt werden müssen
und was mit Terrorismusbekämpfung offensichtlich nichts zu
tun hat, wie zum Beispiel Sprachanalysen zur "Bestimmung der
Herkunftsregion", bei denen
es sich laut Gesetzesbegründung um eine Maßnahme
zur erleichterten Abschiebung Ausreisepflichtiger handelt.

Andererseits enthält das Terrorismusbekämpfungsgesetz auch
ein weiteres Moment, das nicht unterschlagen
werden sollte. Die Anschläge des 11. September haben das
Gefühl größtmöglicher Sicherheit und Bewegungsfreiheit für
BewohnerInnen westlicher Wohlstandsstaaten
scheinbar nachhaltig erschüttert. Aus integrierten
Vorzeigeausländern wurden terroristische Schläfer. Der Ruf
nach mehr Sicherheit, Überwachung und Abschottung
hat in diesem Zusammenhang auch zu Maßnahmen geführt, die
schwerlich der Logik der Einwanderungsdebatte entsprungen
sein können, sondern Reaktion auf eine
als real empfundene Bedrohung mit rassistischer Konnotation
sind. Instrumentarien wie Visärteilung oder Rasterfahndung,
die gerade qualifizierte, also potentiell
nützliche ausländische StudentInnen oder WissenschaftlerInen
betrifft, machen den Wirtschaftsstandort Deutschland wohl
eher madig.

Da nützen auch staatliche Antinazikampagnen
nichts, wenn die begehrten Fachkräfte mit staatlichem
Rassismus konfrontiert werden, der sonst nur "unnützen"
Flüchtlingen vorbehalten schien. Ein Fakt, den
selbst das Auswärtige Amt "als mit den wirtschaftlichen
Interessen Deutschlands unvereinbar" kritisiert. Derart
irrationale Maßnahmen könnten also durchaus nach einiger
Zeit, wenn sich das Wahlkampfgeschrei gelegt hat,
weniger zur Anwendung kommen. Die Frage, wer Zugang wohin und
mit welchen Rechten hat, ist aber aus
beiden - der scheinbar rational-ökonomischen und der
vermeintlich irrational-sicherheitsphobischen - Perspektiven
die entscheidende. Und in beiden Fällen dient Rassismus zur
Legitimierung.

let's get organized together

Antirassistische Politik in diesem Land sollte nicht in
erster Linie für Flüchtlinge, sondern Politik gegen Deutsche
und deren Rassismus, gegen deutsche Behörden und die
staatliche Ausländerpolitik sein. Der Mythos der gemeinsamen
Betroffenheit von "deutschen" Linken und
Flüchtlingen/MigrantInnen muss aufgehoben werden:
"deutsche" Linke sind den rassistischen Repressalien
und der Gewalt nicht ausgesetzt.

Rassismus beinhaltet allerdings nicht nur eine abwertende
Fremdzuschreibung, sondern auch eine einschränkende
Selbstdefinition. Obwohl eine "deutsche" Linke in
der gesellschaftlichen Situation davon profitiert, ist es
falsch, einen selbstlähmenden Täter-Opfer-Gegensatz
aufzumachen, sondern die Zurichtung von Menschen in
rassistische Kategorien sollte bereits Anlass genug sein,
sich aus den rassistischen Verhältnissen zu befreien.

Mitte der 80er Jahre fand erstmalig eine Auseinandersetzung
innerhalb der Linken in der BRD mit dem Thema Rassismus
statt. Die meist antiimperialistischen oder
sozialrevolutionären Gruppen sahen Flüchtlinge und
MigrantInnen als das neue revolutionäre Subjekt in Ablösung
der Arbeiterklasse als Hoffnungsträger, als verlängerten Arm
der Befreiungsbewegungen im Trikont und
als Opfer der kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung.
Flüchtlinge galten zwar als politische Subjekte und
PartnerInnen, wurden jedoch auch überhöht und
instrumentalisiert.

Diese Sichtweise kehrte sich Anfang der 90er Jahre vor
dem Hintergrund der rassistischen Pogrome und der
de-Facto-Abschaffung des Asylrechtes um: Seitdem dominierte
in der meist weißen, deutschen Antirabewegung
ein instrumenteller Umgang mit Flüchtlingen, die meist
nur als Opfer einer rassistischen Ausländerpolitik und des
völkischen Rassismus wahrgenommen wurden. Entsprechend fand
antirassistische Politik sowohl in Form von
Flüchtlingshilfe und linker Sozialarbeit statt, als auch als
Politik gegen den staatlichen Rassismus, aber nur selten
gegen den Rassismus in der Bevölkerung. Versuche gemeinsamer
Organisierung scheiterten im allgemeinen
an mangelnder Vermittlung der unterschiedlichen Ansätze und
Vorstellungen sowie am Paternalismus der "deutschen"
AntirassistInnen. MigrantInnengruppen warfen
ihnen vor, in rassistischen Denkmustern verhaftet zu
sein und sich nur mangelhaft mit ihrem eigenen Rassismus
auseinanderzusetzen.

Der antirassistische Blick auf das Objekt der Begierde
bewegte sich in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite
stand die unbedingte Solidarität und kritikloser Anerkennung
der politischen Inhalte von Flüchtlingen und MigrantInnen.
Ihnen sollte nicht die durch die rassistische
Sozialisation geprägte deutsche Sichtweise aufgezwungen
werden. Die andere Extremposition forderte die gleichen
politischen Ziele und Methoden ein, ohne die spezifischen
Voraussetzungen und Ansätze einzubeziehen und
sich mit ihnen gleichberechtigt politisch
auseinanderzusetzen. Dieses Spannungsfeld wurde fälschlicher
Weise meist einseitig in Richtung einer dieser Extrempole
aufgelöst, obwohl es immer neu ausgelotet und ausgehalten
werden muss. Weder Paternalismus und Mitleid, aber
auch nicht die Halluzination der gleichen Betroffenheit
können eine ernsthafte Basis für antirassistische Politik
sein.

Das Anti-Grenzcamp ermöglicht eine gemeinsame politische
Zusammenarbeit zwischen "deutschen" AntirassistInnen und
Flüchtlingen/MigrantInnen über eine Solidarisierung hinaus
und jenseits von Paternalismus. Sowohl in der Organisierung
des Camps als auch in der Woche selbst sind über eine bloße
Teilnahme hinaus Selbstorganisationsgruppen und Flüchtlinge
und MigrantInnen politisch eingebunden und präsent. In diesem
Sinn gestaltet sich das Camp als Experimentierfeld für eine
gleichberechtigte politische Zusammenarbeit und für
eine Diskussion und Vermittlung unterschiedlicher politischer
Vorstellungen. Das Camp bietet die Möglichkeit, die
wechselseitig formulierten Ansprüche ernst zu nehmen
und umzusetzen, und nicht zuletzt die politische Trennung von
"deutschen" und "migrantischen" Gruppen
aufzubrechen. Maßstab sollte hierbei nicht der Status
(z.b. "Flüchtling") sein, sondern gemeinsame politische
Interessen: z.B. der Kampf gegen den rassistischen Konsens
und die Politik in der BRD. Darüber hinaus ist ein
solidarischer Bezug auf die Kämpfe der anderen möglich.

Grenzcamp goes Thüringen

Antirassismus heißt auf dem antirassistischen Camp
nicht nur ein Nebeneinander und einseitiges Starkmachen
deutscher Antiragruppen für die Interessen von
Flüchtlingen, sondern bedeutet eine wirkliche Zusammenarbeit
mit selbstorganisierten MigrantInnen, die
zwingend notwendige politische Auseinandersetzung
miteinander. Nur über diesen Ansatz kann längerfristig und
über ein Anti-Grenzcamp hinaus eine kooperative politische
Praxis erwachsen, unter der Voraussetzung, dass sie
auf der Basis gemeinsamer politischer Ziele steht.

Ein Anspruch des Camps war von Beginn an, eine Stärkung der
Gruppenstrukturen vor Ort, regional und bundesweit zu
erreichen. An diesem Ziel ist auch in Thüringen anzusetzen.
In Thüringen gibt es eine starke Selbstorganisierung von
Flüchtlingsgruppen, die Zusammenarbeit zwischen ihnen und
deutschen linken und linksradikalen Gruppen in der Region
kann gestärkt, beziehungsweise eine Vernetzung von
Flüchtlingen untereinander vorangetrieben werden. An bestimmte interne, auf dem Camp in Frankfurt/ Main begonnene Debatten soll angeknüpft werden, als Beispiele seien die Verschränkung von
Sexismus und Rassismus, die Verzahnung von
Herrschaftsverhältnissen am Thema Arbeit oder der
Paradigmawechsel in der Einwanderungspolitik unter der
rot-grünen Regierung genannt.

Ein Schwerpunkt des Camps wird einerseits auf der
Lebenssituation der Flüchtlinge in den Heimen in Thüringen
und anderswo, anderseits auf dem Kampf gegen die
Residenzpflicht liegen. Die ZAST in Jena-Forst und das
angegliederte Transitlager, wo etwa 400 Menschen unter
knastähnlichen Bedingungen leben müssen, wird Ziel
unserer Interventionen sein. Die Residenzpflicht beschränkt
MigrantInnen in ihrer Bewegungsfreiheit, und
somit in der Möglichkeit zur politischen Betätigung. Sie
ist als innere Grenze Teil eines institutionalisierten
Rassismus um Einwanderungsgesetze, Innerer Sicherheit
und Kampf gegen den Terrorismus, und soll thematisiert
und bekämpft werden.

Im Gegensatz zu Frankfurt/Main, dem letztjährigen
Austragungsort des Camps, wird es wieder eine stärkere
und nötige Konfrontation mit der Bevölkerung geben.
Statt einer kulturell-rassistischen Bevölkerung, von der
20 bis 30% ohne deutschen Pass leben, erwartet die
TeilnehmerInnen ein rassistischer Konsens, der sich, gepaart
mit den nazistischen Strukturen und rechter Hegemonie,
insbesondere auf die Lebensbedingungen der Flüchtlinge
vor Ort auswirkt.

Das Camp in Thüringen, dass einerseits durchaus eine
Rückkehr zu den Wurzeln der Campidee darstellt, soll
andererseits nicht auf den Teilbereich Antira beschränkt
bleiben. Wie schon die Jahre zuvor wird vorrangig das
Herrschaftsprinzip Rassismus herausgegriffen, um darüber
hinaus eine grundsätzliche Gesellschaftskritik zu
üben und die Verbindung zu anderen Herrschaftsverhältnissen
zu beleuchten. Besonderes Augenmerk beim
Grenzcamp 2002 soll die Einwanderungsdebatte und die
damit verbundene Diskussion um das kapitalistische
Verwertungsprinzip sein. Gerade auch in Jena ist eine
Trennung nach Nützlichkeitskriterien für den
Wirtschaftsstandort Deutschland offensichtlich. Einerseits
werden Flüchtlinge terrorisiert, stigmatisiert und unsichtbar
gemacht, andererseits soll nach Überfällen auf ausländische
Gastprofessoren eine Prise Antifaschismus das Image retten.

Verbunden mit dem Blick auf die Anschläge vom 11.
September, nach denen der Kampf gegen den Terrorismus
ausgerufen wurde, will sich das diesjährige Camp
auch mit Krieg auseinandersetzen. In Thüringen werden
sich unsere antimilitaristischen Aktionen exemplarisch
gegen Jenoptik richten, die unter anderem militärisches
Equipment produzieren. Die taktische Forderung nach einer
Verbesserung der konkreten Lebenssituation von
Flüchtlingen soll verbunden werden mit einer grundsätzlichen
Gesellschaftskritik. Die konkrete Situation in Thüringen
lässt die inhaltliche Ausrichtung des Camps mit
verschiedenen Optionen offen. Letztendlich lebt das fünfte
antirassistische Camp von der Vielfalt der politischen
Ansätze und Ideen im linken bis linksradikalen Spektrum.

Strawberry champagne for ever!
Für eine radikale Linke!
For free movement - smash capitalism!
Ninguna persona es ilegal!
D‚truyez la societ‚ bourgeoise !

summer:camp:action yesterday & today

Das antirassistische Grenzcamp wurde von Beginn an
durch "kein mensch ist illegal" getragen, einer Kampagne, die
1997 von mehr als 30 Organisationen und Gruppen aus dem
kirchlichen, gewerkschaftlichen und autonomen Spektrum ins
Leben gerufen wurde.

Die TeilnehmerInnen der Camps waren und sind eine
bunte Mischung aus Jung-, Alt-, Ex-Autonomen, Antifas,
KampagnenaktivistInnen und Kulturlinken. Ihre Zahl
stieg dabei über die Jahre kontinuierlich an. Kollektives
Zusammenleben wurde erprobt, neue Aktionsformen getestet und
linke Freiräume geschaffen. Das Camp war der
Versuch der praktischen Verbindung von Antira und Antifa und
steht auch aktuell noch für den Anspruch sowie
die Schwierigkeit gemeinsamen politischen Handelns.

Aufgegriffen wurden Themen wie Festung Europa,
Grenzen und deren Verlagerung nach innen und außen,
die Entstaatlichung der Überwachung, Fluchthilfe,
Denunziation, Abschiebung, Zuwanderungsgesetz, der
Zusammenhang zwischen Weltwirtschaft und Migration.

Immer versuchte das Camp sich mit allen erdenklichen Mitteln
einzumischen. Doch Aktionen waren nie der
alleinige Schwerpunkt des Camps: inhaltliche
Auseinandersetzungen um Sexismus und Rassismus,
Strategiediskussionen für Antira und Antifa, später Debatten
um Antiglobalisierung und Zuwanderungspolitik gaben und geben
dem Camp ein theoretisches Fundament.

Im Sommer 1998 fand das erste Aktionscamp noch unter dem
Kohl-Kabinett an der deutsch-polnischen Grenze
in der Nähe von Görlitz statt. Schon allein das Stattfinden
in dieser Region hatte einen großen Provokationseffekt,
welcher durch oftmals nicht polizeilich angemeldete
Happenings gesteigert wurde. Schwerpunkt bildeten Aktionen
gegen die BetreiberInnen unmenschlicher Flüchtlingslager, die
Kriminalisierung von TaxifahrerInnen und
regionale (neo-)faschistische Strukturen.

Ein Jahr später wurden vereinzelt existierende Hoffnungen auf
Veränderungen in Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, die
sich an den Regierungswechsel knüpften, enttäuscht. Nicht nur
deshalb kamen zum Camp in Zittau dreimal so viele Menschen
wie im Vorjahr. Sie blockierten die BGS-Kaserne, brachten
Nazi-Kader ans Licht
der Öffentlichkeit und thematisierten den Begriff des
Fluchthelfers.

Im Nachhinein gab es teilweise Enttäuschung über die
zu kurz greifenden inhaltlichen Auseinandersetzungen zu
bestimmten Themen. In Zukunft sollte der Schwerpunkt
auch auf der Vernetzung der in- und ausländischen Gruppen und
der breiten Diskussionen antirassistischer Themen liegen.
Diese Forderung erfüllte sich 2000 in Forst
(Brandenburg). Neben Aktionen gegen Residenzpflicht,
ZAST, Nazistrukturen und rassistischen Alltag gab es
verschiedene workshops, etwa zu Sexismus und Antisemitismus.
Problematisch für das Camp war die partielle Vereinnahmung
für ein "besseres Deutschland" im Zuge des
Antifa-Sommers.

Nach drei Campjahren direkt an der ostdeutschen Außengrenze
wurde 2001 als Ort das Rhein-Main-Gebiet
und der Frankfurter Flughafen gewählt. Fokussiert wurde
damit auf die "inneren Grenzen" des nationalen Grenzregimes.
Mit mehr als 1.000 TeilnehmerInnen und Aktionen an Orten wie
Börse, Flughafen und Hauptbahnhof
wurden Flughafenverfahren, Internierungslager am Airport,
Abschiebung, Zwangsarbeit und nazistische Strukturen
thematisiert.

Trotz aller Vorsätze war das vierte Camp, wie seine
Vorgängerinnen auch, ein überwiegend weißes, deutsches
Camp. So findet in diesem Jahr bei der Vorbereitung des
fünften antirassistischen Grenzcamps erstmalig eine wirkliche
Zusammenarbeit mit selbstorganisierten MigrantInnen statt.
Ein Erfolg der antirassistischen Grenzcamps ist
ihre Internationalisierung. Nachdem im vergangenen
Jahr in verschiedenen Ländern, wie Spanien, Slowenien,
Polen und Mexiko die Zelte aufgeschlagen wurden,
schließt sich an Thüringen das europaweite Camp mit
antirassistischer und antikapitalistischer Ausrichtung bei
Strasbourg vom 19. bis 28. Juli an. Eine Karawane wird
die beiden Camps verbinden. Das vom europaweiten noborder
Netzwerk organisierte Camp soll Entwicklungen
im Bereich Innere Sicherheit, eine am Arbeitsmarkt
orientierte Migrations- und Asylpolitik, sowie den Gegensatz
zwischen Bewegungsfreiheit und Grenzen aufgreifen.
Ein Interventionspunkt des noborder-actioncamps ist
das Schengen Informationssystem, in dem die Sondererfassung
unerwünscher Menschen auf Europäbene vorgenommen wird.
Dagegen ist für den 27. Juli eine über die
TeilnehmerInnen des Camps hinausgehende Demonstration
geplant.

Für das fünfte antirassistische Camp stellte sich die Frage,
wie es an den Erfolg des vergangenen Jahres anknüpfen will
und kann. Die Entscheidung des bundesweiten
Vorbereitungskreis fiel auf Jena. Zweifel an der unbedingten
Zusammenarbeit mit Flüchtlingsgruppen, weil diese
nicht per se linksradikal ist, und die vermeintlich alleinige
Fokussierung auf Antirassismus führten dazu, dass die
KritikerInnen zu den "Land in Sicht - ordnungswidrige
Aktionstage" vom 16. August in Hamburg aufrufen. Diese
sollen nicht nur ein antirassistisches Event, sondern auch
der Kampf für eine glückliche und befreite Gesellschaft
sein. Angelehnt an die Entwicklungen um Schill soll kurz
vor der Bundestagswahl der als Anti-Kriminalitätsdiskurs
getarnte Rechtsextremismus einen tragenden Inhalt darstellen.

Auf den antirassistischen Camps fanden immer inhaltliche
Auseinandersetzungen statt. Dabei konnte das vorhandene
Bedürfnis nach Vertiefung teilweise nicht befriedigt werden.
Anknüpfend an die crossover-Konferenzen
in Bremen und Berlin sollen diese Diskussionen, wie
zum Beispiel jene über die Verschränkung von
Herrschaftsverhältnissen, weitergeführt werden. Gruppen aus
verschiedenen Ländern organisieren in diesem Zusammenhang das
crossover summer camp vom 03. bis 10. August bei Cottbus. Das Programm für das Camp umfasst politische Aktionen, Performances, Diskussionen, Theorieworkshops.

Unsichtbarer Vorhang Landkreis - die Residenzpflicht schlägt zu

Das "Residenzpflichtgesetz" ist nicht mehr als einige
Paragraphen des Asylverfahrengesetzes, doch nichts desto
trotz ein offensichtliches Zeichen institutionalisierten
Rassismus. Offiziell regelt es den Aufenthalt von
Flüchtlingen während ihres laufenden Asylantrages, reell spricht es ihnen jedoch das Recht auf Bewegungsfreiheit ab. Es verankert das
Verbot, den ihnen als Wohnort kontingentierten
Landkreis zu verlassen und verpflichtet sie in den ihnen
zugewiesenen Flüchtlingsunterkünften zu leben. Das Verlassen
des Landkreises ist nur mit Genehmigung der deutschen
Behörden möglich. Nicht nur, dass diese Erlaubnis
von der Willkür der jeweiligen SachbearbeiterIn abhängt,
sie ist zusätzlich noch kostenpflichtig.

Noch nicht nach Deutschland Geflüchtete sollen im
Sinne der kapitalistischen Verwertungslogik abgeschreckt und
schon Anwesende kontrolliert werden.
Durch die Unterbringung in Heimen und die Begrenzung
auf Landkreise werden Flüchtlinge als gesellschaftliche
Randgruppe stigmatisiert. Allgemein wird Bewegungsfreiheit
als bürgerliches Recht angesehen. Rassistischen Prinzipien
folgend werden Flüchtlinge in Deutschland davon
ausgenommen. In feudaler Manier wird ImmigrantInnen
damit die Grundlage für ein selbstbestimmteres Leben
genommen. Noch ist die Residenzpflicht auf Deutschland
beschränkt, könnte sich aber durchaus als weiterer
Exportschlager erweisen, der auf Drängen der BRD zum
EU-Standard avanciert.

Residenzpflicht beschneidet natürlich in erster Linie
die Bewegungsfreiheit. Dadurch ist ihr kausal eine
Einschränkung der Rede-, Meinungs- sowie Versammlungsfreiheit
impliziert, die sich darüber hinaus auch im Verbot der
politischen Betätigung durch die Ausländergesetzgebung
äußert. Damit ist eine politische Betätigung von
MigranntInnen sicher verhindert. Sie werden demzufolge
unsichtbar, beziehungsweise mundtot gemacht. Um die
Einhaltung der Residenzpflicht staatlich abzusichern,
kann eine Verletzung eine Reihe weiterer Diskriminierungen
nach sich ziehen oder legitimiert diese zumindest im
voraus. Ein Verstoß kann für MigrantInnen eine nicht zu
bewältigende Geldstrafe von bis zu 2500 Euro bedeuten,
wobei die Höhe des Betrages in Bezug zu dem, den Flüchtlingen
zustehenden, Bargeldbetrag von etwa 40 Euro pro
Monat zu setzen ist. Bei wiederholtem Übertreten der
Residenzpflicht droht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem
Jahr.

Das Residenzpflichtgesetz liefert die Grundlage
beziehungsweise Berechtigung für rassistisch-motivierte,
selektive Polizeikontrollen anhand äußerer Kriterien. Die
bei Verstößen vollzogene erkennungsdienstliche Behandlung
perfektioniert die Stigmatisierung von Flüchtlingen
zu Kriminellen, macht sie in der Öffentlichkeit zu
Verdächtigen per se. Der Druck und die Verunsicherung, mit
denen MigrantInnen zu leben gezwungen sind, wird verstärkt.

Wir sind uns durchaus bewusst, dass der Kampf um
die Abschaffung der Residenzpflicht nicht radikal ist, da
eine Forderung an den Staat nach bürgerlichen Grundrechten
dem widerspricht. Dennoch wird die Problematik im Rahmen des
Camps in Thüringen ihren Platz finden, als Forderung nach
einer nachholenden Entwicklung, welche eine weitergehende
politische Betätigung von Flüchtlingen ermöglicht.

Im Kampf gegen die Residenzpflicht sollte nicht nur
skandalisiert werden, sondern diese in einem weiter gefassten
Zusammenhang betrachtet werden, stellt das
Residenzpflichtgesetz doch einerseits eine Spielart des
institutionalisierten, staatlichen Rassismus dar.
Andererseits
werden Flüchtlinge als Gruppe pauschal nach kapitalistischer
Verwertungslogik als nicht nützlich verurteilt und
von entsprechenden Privilegien ausgeschlossen.

Grenzcamps 2002

Gleich vier Termine für antirassistische Grenzcamps in diesem
Jahr.
12. bis 19.7.2002: Jena (Thüringen)
www.nadir.org/camp02

19. bis 28.7.2002: europaweites antirassistisches
und antikapitalistisches Actioncamp in Strasbourg
(Elsass)
www.noborder.org

3. bis 10.8.2002: Crossover Summer Camp in der
Nähe von Cottbus
www.summercamp.squat.net

Vom 16. bis 22.8.2002 finden die "Land in SichtTage" in
Hamburg statt
(http://www.nadir.org/landinsicht), bei denen es
schwerpunktmäßig um Rechtspopulismus in Europa gehen soll.

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008