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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Forschung

Studie des Bundesarbeitsamtes

Alternativbetriebe passen sich an 
- oder werden Sekten

(Red. Bremen) Das "Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung" (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit hat eine empirische Untersuchung über "Die Bedeutung alternativer Tätigkeitsfelder und Tätigkeitsverläufe für den Arbeitsmarkt" durchführen lassen. Von den insgesamt 767 "alternativen Projekten" der beiden Untersuchungsregionen Hannover und Nürnberg wurden 83 befragt. Über die Ergebnisse gibt es schon drei Veröffentlichungen:

- Der Aufsatz von Kreutz/Fröhlich/Maly "Alternative Projekte - Realistische Alternativen zur Arbeitslosigkeit?" (In: Mitteilungen zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nr. 3/84)

— Manfred Kaiser (Zuständiger Mitarbeiter des IAB): "Alternativ-ökonomische Beschäftigungsexperimente" (In: MittAB Nr. 1/85)

- Das Buch von Henrik Kreutz, das hier unter die Lupe genommen wird.

Während die Aufsatzfassungen diskursverdächtige Thesen Ergebnisse vorstellen, ist der Gesamtbericht äußerst problematisch, was verschärft wird dadurch, daß das IAB der Universität Erlangen-Nürnberg einen Anschlußauftrag gegeben hat.

1) Untersucht wurden im weitesten Sinne alternative Projekte. Die mangelnde Klarheit über das Besondere von alternativen Erwerbsprojekten führt zu Fehlschlüssen.

Im Vorwort der Bundesanstalt für Arbeit ist von "Firmengründungen und Neugründungen alternativer Betriebe" die Rede (die als "Neue Berufs- und Erwerbsformen" neben "Zeit- und Werksverträge" sowie "Honorarverträge" gestellt werden). Gemäß "Arbeitsdefinition" der Forscher sind Alternative Projekte "Selbstinitiierte Zusammenschlüsse von Personen, in denen Tätigkeiten festgestellt werden können, die ganz oder teilweise an die Stelle herkömmlicher Berufstätigkeiten getreten sind und deren Mitglieder einen alternativen Anspruch erheben" (S. 22). "Der Terminus Alternativprojekt" bleibt.... "auf Dauer gestellten Projekten mit Erwerbsfunktion vorbehalten" ("mindestens ein Mitglied kann von der Projektarbeit leben") -(S.25).

Diesen Definitionen entspricht nur - ein kleiner Teil der untersuchten Projekte: Bei 34 von 78 antwortenden Projekten ist "die Erwerbsfunktion nicht gegeben" (S. 26). Von den verbleibenden 44 Projekten haben einige Tagesumsätze von unter 100,- DM oder bestehen nur aus einer Person. Die häufigste Rechtsform ist der eingetragene Verein (34%), gefolgt vom Alleininhaber (Einzelunternehmer) mit 23%. 18 Projekte verneinten die Absicht, Löhne für ihre Mitglieder zu erwirtschaften. Fazit: Nur ca. 30-40 der befragten Projekte sind Kollektive Betriebe mit Erwerbsfunktion.

2) Ausgewiesenes Ziel der Studie ist, das Scheitern der altemativ-ökonomischen Idee nachzuweisen.

Es geht Henrik Kreutz um die "richtige Einordnung" und die Prüfung der "Ideologiehaftigkeit des Programms alternativer Projekte" (S. 44 f). Bei den Aktiven wird "missionarischer Eifer" im Verbreiten eines "esoterischen Heilswissens" vermutet. Der Verfasser stellt die "intellektuell redliche" Frage, "inwieweit die alternative Bewegung eine missionarische Wende vollzogen hat" und (falls diese vorliegt), ob dies "nicht eigentliche Folge des inhaltlichen Scheiterbs ihres anfänglichen Programms ist" (S. 147).

3) Selbstverwaltung und Kollektivität spielen in der Studie eine untergeordnete Rolle.

Beide Begriffe fehlen in Definitionen und Gliederung. Obwohl die befragten Projektmitglieder deutlich weniger "überwachen, kontrollieren, anweisen" als Selbständige, schlußfolgert Kreutz, "...daß die Projekte Tätigkeitsprofile entwickeln, die weit stärker der Arbeit von Selbständigen entsprechen als der von Unselbständigen". Die Antwort von ca. 50% der Befragten, auf ihr "alternativ"-Verständnis, daß sie darunter selbstverwaltete bzw. Arbeit ohne Chef verstehen (S. 14), geht in der Masse der Detailergebnisse unter.

4) Hauptergebnis ist, daß die alternativen Projekte/Betriebe vielleicht eine beschäftigungspolitische Perspektive im Kleinen, keinesfalls aber eine Perspektive für eine wirtschaftsdemokratische Transformation der Gesellschaft bieten.

Sie sind entweder genauso wie die Etablierten auf dem Wege der Integration in die Privatwirtschaft oder aber ins gesellschaftliche Abseits:

"...erkennen wir, daß nur 50% von den erfolgreichen Projekten an dem Primat von politischen gegenüber erwerbsbezogenen Zielsetzungen festhalten; ...eine Tendenz zur Angleichung an die bestehende Gesellschaft läßt sich mithin nicht ableugnen". Die Antwort eines Projektmitgliedes "Unsere psychischen Strukturen sind so weit entwickelt, daß wir in einen herkömmlichen Betrieb nicht hineinpassen", interpretiert Kreutz so: "Bei weitem nicht alle brechen die Brücken so radikal hinter sich ab, die Tendenz zu chiliastischen Heilserwartungen mit Vorstellungen über die "Endzeit der kapitalistischen Welt und Neubeginn durch einen innerlich gewandelten Menschen scheint bei der Mehrheit aber unzweifelhaft durch".

5) Zusammenfassende Wertung der Studie: Unpräzise / oberflächlich und nicht zuletzt deshalb schädlich:

Zu kritisieren sind die vorurteilsbelastete. Zielsetzung, die willkürlichen Interpretationen, die pädagogischen Ratschläge ohne Sachkenntnis und das Verkennen des Selbstverwaltungs-Charakters der Alternativen Ökonomie. Das zustande kommende Zerrbild wird den alternativen Betrieben noch einige Zeit vorgehalten werden, die zweifelhaften Ergebnisse dürfen von Gegnern der Selbstverwaltungswirtschaft als "wissenschaftlich abgesichert" weiterhin gezielt eingesetzt werden.

6) Konsequenzen:

Für die Zukunft stellt sich die Frage einer besseren Kontrolle des Forscherhandelns. Nach anfänglichen Widerständen haben sich die Projekte und Netzwerke in den Regionen Hannover und Nürnberg doch zu Interviews überreden lassen. Teilweise hat man es auch den netten Feldforschern zuliebe getan, die im Schlußbericht von Professor Kreutz nur noch unter "Mitarbeit" aufgeführt wurden. Zumindest muß sich ein Befragter bzw. eine Befragte vom formellen Leiter eines Forschungsprojektes vertraglich zusichern lassen: (a) Daß der Bericht vor Abgabe den Projekten zu Kenntnis gegeben wird, (b) daß die Forscher eine öffentliche Diskussion über Ergebnisse und Interpretationen veranstalten und (c) daß sich die Forscher verpflichten, Minderheitenvoten von Projekten zu veröffentlichen.

Wolfgang Beywl

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 18. August 2011