Contite1.jpg (10220 Byte)

CONTRASTE IM MÄRZ 2013: Selbstbestimmt arbeiten · Interview mit Frigga Haug - Kompass für die politische Praxis: Die Vier-in-einem-Perspektive · Recht auf Arbeit? - Das Ganze des Lebens · Offenes Technologie-Labor: Neue Arbeit - Neue Kultur = OTELO · Parecon versus Peer-Produktion - Michael Albert: Beschreibung von Parecon - Christian Siefkes: Meine Zweifel an Parecon · Gedanken zu Wertewandel und Grundeinkommen - Von der Arbeit und Leistung  zu Freiwilligkeit und Füllebewusstsein +++ Breite Solidarität gegen Zwangsräumung in Berlin-Kreuzberg: "Die Häuser denen, die drin wohnen" +++ elis.corner: Körperliche Arbeit +++ 8. Stuttgart Open Fair - Endstation: Alle einsteigen! · Gründungskonvent zum BürgerInnenparlament: Rückbesinnung auf die "res publica" +++ Libertäre Bildung als Kristallisationspunkt für AktivistInnen, Theorie-Orientierte, pragmatische UtopistInnen und Betroffene: Gemeinsam radikaler hinterfragen +++ Netzwerk News: Zu viel vom Schlechten - Herrschaftskritik aus linksradikaler Sicht +++ Herrschaftsfreie Ökonomie: Geld und Eigentum abschaffen! - ... und warum das noch lange nicht reicht! +++ Sich gegenseitig unterstützen - Herrschaftsverhältnisse aufkündigen, Teil 2: Sabotage im Alltag +++ Politikwissenschaft: Fachbuch zur Piratenpartei  +++ Ticker Repression und Rechtsfälle +++ Kritik der vereinfachten Welterklärungen (den Kopf entlasten - Teil 5) Gesammelte Beispiele - "Verschwörungstheorien"  vorgestellt +++ Bürgerenergie Berlin eG: Regional - erneuerbar - bürgereigen - Genossenschaft will das Stromnetz der Hauptstadt in Bürgerhand organisieren · Bürgerenergiegenossenschaft Wolfhagen eG: Genossenschaftliches Vorzeigemodell auf gutem Weg - Stadtwerkebeteiligung wird realisiert +++ u.v.m.

Monatszeitung für Selbstorganisation

 

Home Nach oben Bestellungen

Dritte Welt

Seite 9/10

Hilfe zur Selbsthilfe - Auch in der "3. Welt":

Der schwere Weg zur Selbstorganisation

Von Heinz Schulze, AG SPAK - Der Begriff "Selbsthilfe" ist inzwischen zu einer großen Worthülse geworden. Da Begriffe sich nicht wehren können, nicht gegen Geißlers Versuche der Um-Deutung, noch dagegen, daß die idiotischsten Gruppen und Organisationen auch in der ,,3. Welt" sich den Begriff Selbsthilfe unter ihre klebrigen Finger heften, ist es notwendig, genau und kritisch hinzusehen und eigene Kategorien vorzustellen. Ich war als "Entwicklungshelfer" (Sozialarbeiter) in Peru tätig, bin lange Zeit in der Lateinamerika- Solidaritätsarbeit engagiert und möchte auf Anregung der Wandelsblatt-Redaktion einige Gedanken zur "Selbsthilfe-Diskussion" beisteuern.

Alle Welt macht in "Selbsthilfe":

Das Konzept "Hilfe zur Selbsthilfe" wird - oft mit dem Beispiel vom "Fische-fangen-lernen" - von staatlichen Organisationen, von der Weltbank, von der (CDU)-Adenauer-Stiftung, von den kirchlichen Hilfswerken, von engagierten Entwicklungshilfe-Organisationen, von Gruppen, die Projekte in Nicaragua unterstützen, von dubiosen Patenschaftsorganisationen etc. benützt, also von allen.

Wenn Organisationen wie World-Vision sog., Dorfgemeinschaftsprojekte als "Hilfe zur Selbsthilfe" werbemäßig gut verkaufen, und wir in der 3.-Welt-Solidaritätsarbeit einen Schwerpunkt auf Selbsthilfegruppen als wichtigen Ansatz zur Veränderung hin zur Selbstverwaltung und Selbstorganisation unterstützen - so müßte es sich radikal um jeweils etwas anderes handeln.

Aber, die "Alternativszene" ist da z.T. sehr naiv. Fortschrittliche Lehrer finden Kinderpatenschaften "hilfreich und menschlich", da wird weiter Kaffee aus Guatemala (zur Unterstützung der Genossenschaft FEDECOCAGUA) getrunken, obwohl auch der GEPA (als Einkaufsorganisation) klar ist, was von der Solidaritätsbewegung zu Guatemala mehrmals aufgezeigt wurde: daß die frühere Idee der Kleinbauernunterstützung in der Praxis nicht mehr existiert. Da werden z.T. unreflektiert "Selbsthilfeprojekte" von Indio-Organisationen wie die MITKA (Bolivien) unterstützt (z.T. Siedlungsprojekte vom Hochland in den Urwald, wo die dort lebenden Indianer vertrieben werden) (1), ohne zu bedenken, daß solche Organisationen als "Spaltpilze" (gegen ein Bündnis der unterdrückten Bevölkerung vom Hoch- und Tiefland, Minenarbeiter, städt. Proletariat, etc.) dienen. Aber wer auf "kosmologische Erleuchtungen" steht, der findet das gut, weil "indianisch" ...

Da werden aus politischen Gründen Selbsthilfeprojekte unterstützt, ohne zu wissen, daß dahinter beispielsweise eine einzige Partei steht, die solche Projekte "macht", um auf diesem Weg ihre Parteikader damit zu finanzieren. Heißt das jetzt: Finger weg? Nein! Es heißt, sich immer mehr bemühen, Klarheit darüber zu bekommen, wie denn die Praxis aussieht, die sich "Selbstverwaltung" oder Selbsthilfe nennt. Weiter ist wichtig zu sehen, daß "Selbsthilfe-Arbeit" (nach Paulo Freires pädagogischem Ansatz) niemals neutral ist. Entweder hilft sie mit, die ungerechten Strukturen zu zementieren, oder sie ist ein Element zur Veränderung dieser Strukturen.

Selbsthilfe-Kriterien:

Wer meint, "Selbsthilfe" hieße, die "Randgruppen" in die Gesellschaft zu integrieren, geht von einer falschen Vorstellung aus, die annimmt, Selbsthilfe sei was für bestimmte Randgruppen. Damit wird ausgesagt: die vorhandene Gesellschaft sei "eigentlich" schon akzeptabel aber am Rand, ja da würde es Probleme geben. Diese "Randständigen" machen aber 90 % der Bevölkerung Haitis, 70 % der von Guatemala, 60% der von Peru, etc. aus. Diese sog. "Randgruppen" sind Gebilde innerhalb der herrschenden Struktur, sind Wesen, Opfer struktureller Gewalt. Und so kann Hilfe zur Selbsthilfe nicht darin liegen, zu versuchen, sie in die unterdrückenden Strukturen "einzugliedern".

Eine wirkliche Humanisierung und eine Hilfe zur Selbsthilfe wie ich sie verstehe, kann nur so aussehen: es muß eine Veränderung der unmenschlichen Strukturen angestrebt werden. Die Schritte dahin sind sehr unterschiedlich, je nach Situation des Landes. Wie können die Schritte dann aussehen?

Große Erwartungen werden in die Genossenschaften gelegt. Daher an dieser Stelle einige Anmerkungen dazu.

Der Reformismus in Lateinamerika - die Genossenschaften?

Es ist wichtig, in der Diskussion im Bereich der selbstverwalteten Projekte, im Wandelsblatt intensiver auf die Genossenschaftsfrage (in Lateinamerika) einzugehen, weil die Genossenschaftsidee in selbstverwalteten Projekten in unserer Krisensituation verstärkt (wieder) als Lösungsansatz gesehen wird.

Ich beziehe mich auf eigene Erfahrungen und auf die Ergebnisse einer intensiven Studie von Falls Borda, einem wichtigen und engagierten kolumbianischen Soziologen.

1. Die Genossenschaftsarbeit hat in Lateinamerika keine strukturelle n Reformen, sondern höchstens begrenzte Reformen erreicht. Und somit stellt sich die Frage, ob diese begrenzten Reformen ein Beitrag zur Änderung der Gesellschaft sind oder echte Veränderungen verhindern. Die Ausbesserung am sozialen Gebäude kann so aussehen, daß die Probleme dieses Gebäudes zugedeckt werden (Fassadenanstriche) oder es kann ein schrittweises Arbeiten an einer Veränderung dieses Gebäudes sein (Mietersanierung).

2. Es gilt, einer Möchtegern-Vorstellung entgegenzuwirken, die das Genossenschaftswesen als Basisinitiative in Lateinamerika darstellen will. Generell ist zu sehen, daß das Vorantreiben der Genossenschaftsbewegung in Lateinamerika einen politischen Beweggrund hat. Es ist eine Möglichkeit, eine unruhige Bevölkerung damit zu beruhigen, zu helfen, damit diese auf die Schläge, die sie von den unterdrückenden Strukturen laufend erhält, "genossenschaftlich-selbsthelfend" reagiert. Das ist die notwendige Reaktion des angeklagten und bedrohten Herrschaftssystems, das unterdrücken oder kontrollieren muß, will es nicht seine Macht aufgeben.

3. Die von Europa importierte Genossenschaftsideologie von der "politischen und religiösen Neutralität" der Genossenschaften ist ein Märchen aus 1000 und vielen Nächten. Die Genossenschaften, wenn sie für ihre Mitglieder den herrschenden Gruppen etwas "abtrotzen" wollen, kommen in politische und wirtschaftliche Kämpfe.

4. In der Praxis war es zu oft so, wie Falls Borda feststellte, daß die sozialen Machtverhältnisse nicht verändert wurden: so wurden (und werden) Führungspersonen von Genossenschaften oft von den herrschenden Eliten "übernommen", sprich: zu sich hochgekauft, erhalten ein hohes Gehalt und weitere Vergünstigungen (Firmenvertreter machen Geschenke...) und entfernen sich so immer mehr von der ursprünglichen Herkunftsgruppe, den Bauern, Elendsviertelbewohnern, etc. Bsp: Funktionäre der guatem. Indio-Kaffee-Genossenschaft FEDECOCAGUA, die in der Hauptstadt arbeiten, erhalten 6-800 Quetzal (gleich Dollar) ein Promotor an der Basis 60-80 Quetzal monatlich. Die Antwort vom Präsidenten dieser Genossenschaftszentrale, Hernandez war, daß das ,normale Strukturen' seien, die überdies in jeder Gesellschaft zu finden seien. (2)

5. Weiter wird in Produktions-, Handels- und Konsumgenossenschaften das Verhältnis Chef - Kunde nicht angetastet. Bsp: In Peru wurden nach einem Generalstreik eine große Anzahl Gewerkschaftsführer als "Rädelsführer" aus ihren Betrieben entlassen. Ohne Arbeit, ohne Sozialhilfe mit ihren Familien dastehend, kamen sie auf die Idee, eine Genossenschaft für Baumaterialien für die Hütten in den Elendsvierteln (Strohmatten z.B.) aufzuziehen. Sie erhielten von engagierten Gruppen einen Startkredit zum Einkauf der Materialien (ein Zeichen dafür, daß solche Selbsthilfe-Gruppen nicht total ohne "fremde Hilfe" auskommen können). Sie verkauften die Baumaterialien dann billiger als "normale Firmen". Aber sie mußten als klassenbewußte, wirklich auch für politische Veränderungen kämpfende Arbeiter jetzt "kapitalistisch" denken und handeln und ihren "Gewinn" machen, ihren Klassenangehörigen die Hölle heiß machen, wenn sie ihre Raten nicht zahlten...

6. Die Genossenschaften konnten die Preisstrukturen von Nahrungsmitteln und Agrarprodukten nicht antasten. Zwischenhändler konnten teilweise ausgeschaltet werden und ein weiterer Vorteil war, daß die Genossenschaftswaage "richtig" ging, und das im Gegensatz zum Kleinhändler, die auch beim Gewicht betrügen, für den Kunden einen Preisvorteil darstellte.

7. Viele Genossenschaftsgründungen erfolgten durch kirchliche Institutionen in Konfliktzonen, um "etwas" zu tun, aber auch, um mit diesem "Etwas-tun" sich anbahnende revolutionäre Prozesse zu "lenken". In dieser Ideologie spielten sie die Rolle einer Beruhigungspille. Mir ist klar, daß hier differenziert werden muß, daß z.B. in Paraquay auch kirchlich unterstützte Genossenschaften "subversiv" sind und verfolgt werden. Es geht mir hier nur um das Aufzeigen einer wichtigen politischen Motivation für die Gründung von Genossenschaften.

Verkürzt gesagt, so Falls Borda, entstand die Genossenschaftsbewegung in Lateinamerika als "3. Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus". Ihre Ideologen glaubten (und glauben - siehe Achberg), man könne so die Ausbeutung und Armut beseitigen. Was erreicht wurde, war durchaus eine bessere Kenntnis der sozialen Probleme und eine Stärkung des Willens, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

8. Viele Genossenschaften verfolgen eine "ausländische Linie", ohne das soziale, kulturelle und politische Erbe der Betroffenen zu berücksichtigen. Die Genossenschaftsstruktur aus Europa ist kein Modell, das die Tradition der Indios/Indianer berücksichtigt. Bsp: Die Einführung der Genossenschaftsidee bei den Shuar (Ekuador) hat große Veränderungen gebracht. Die bisher vorherrschende soziale Struktur der Dorfgemeinschaften (und das nicht idealistisch gesehen) mit ihren Dorfversammlungen, mit Dorfvorstehern, mit eigenen ökonomischen Regeln etc. wurde durch die neue Struktur der Genossenschaft stark angegriffen und eher durcheinandergebracht als positiv weiterentwickelt.

9. Während die Genossenschaftsbewegung in Europa sich aus den ärmeren Schichten heraus entwickelte (und dann salonfähig verkrustete), kam sie nach Lateinamerika als "fertiges Produkt". Genossenschaften wurden von oben eingeführt, ohne Rücksicht auf vorhandene Organisationsstrukturen. Vielerorts wurden sie ohne vorhergehende Basisarbeit (wobei dann eine Genossenschaft als eine mögliche Organisationsform seitens der Betroffenen durchaus auch als sinnvoll gesehen werden könnte) von oben/außen aufgezwungen. Dafür gab es finanzielle Unterstützung, aus, fertig. - Eine wirkliche demokratische Beteiligung wurde so verhindert. Und mit der Bildungsarbeit, nämlich hinterher eine basisdemokratische Einsicht "anerziehen" zu wollen, das ging zu oft schief. Wer die kulturellen, organisatorischen, wirtschaftlichen Formen kooperativen Lebens bei den Indios / Elendsviertelbewohnern nicht sehen will, kommt mit seiner Genossenschaftsidee als Aufpropfer .

10. Natürlich gibt es viele Genossenschaften, die wirtschaftliche Erfolge aufzeigen können, aber sie haben gegenüber der kapitalistischen Produktionsweise kein neues sozialpolitisches Gefüge hervorgebracht. Je erfolgreicher, größer, höher, desto profitorientierter und integrierter.

11. Genossenschaften sind in Lateinamerika stark von den Führungspersonen abhängig. Der "zentrale Mann", so stellt Falls Borda bei seinen Untersuchungen fest, ist oft ein verheirateter junger Mann mit kleinem Landbesitz, mehr Möglichkeiten zur Weiterbildung (durch Lektüre), mit Neigung zum Neuen und gewissen Führungsqualitäten. Motivation war, die Stellung der Familie sowie das eigene Ansehen zu verbessern. Sie kamen dann auf "Fortbildungskurse" von Genossenschaftsinstitutionen (hinter denen meist ausländische Organisationen stehen) und bekamen dadurch ihren "Führer-herrlichkeits-Experten-Dünkel" verpaßt. Die Folge ist, daß sie Neuerungen und Änderungen einführen, die nicht von den Genossenschaftsmitgliedern empfohlen wurden, sondern von ihren "Lehrmeistern".

Wer solche Elemente nicht berücksichtigt, macht bewußt oder unbewußt viel zu viel kaputt. Die schädlichsten Konflikte sind somit auch diejenigen, die um den Führungsanspruch entstehen. Damit zerfällt die Bewegung sehr schnell. In größeren Genossenschaftszentralen gibt es Widersprüche zwischen den existentiellen Interessen der Bauern und der von den Genossenschafts-Angestellten (Funktionären) verfolgten Politik. Vieles verselbständigt sich, größere Planungen werden oft als Sache der Techniker angesehen und die Mitglieder werden nur oberflächlich oder hinterher informiert. Die Kluft zwischen Genossen und Technikern wurden selten überwunden.

12. Die oft beschworenen Bande der Solidarität, das genossenschaftliche "Wir-Gefühl" bleiben eher oberflächlich und nehmen mit der Größe, der Ausdehnung auf andere Regionen, etc. weiter ab.

13. Teile der Genossenschaftsbewegung lernten durch leidvolle Erfahrungen, daß sie auf ihre eigene Stärke und das politische Bündnis der Unterdrückten vertrauen müssen und nicht auf die "Hilfe" der bestehenden Machtgruppen hoffen dürfen. Solche Genossenschaften waren auch nicht mehr benutzbar als "Spaltpilze" der sozialen Bewegung. - Für mich sind in Teilen der Genossenschaften Ansätze für eine echte und revolutionäre Änderung vorhanden. Das trifft vor allem zu auf diejenigen Genossenschaften, die die Einheit in der Aktion suchen und die sich als Teil einer SELBSTORGANISATION in einem System der SELBSTVERTRETUNG organisieren.

Selbsthilfe zur Kanalisierung...

Wenn ein Großteil der Genossenschaften dazu dienen soll, die Integration als Lösung anzubieten, so ist ähnliches im "offiziellen" Selbsthilfebereich zu sehen. Während meiner Entwicklungshelferzeit in Peru beschäftigte ich mich mit Fragen der Herkunft des Selbsthilfe-Ansatzes in neuerer Zeit. (3) In kurzer Form möchte ich darstellen, daß darauf (über die Kirche, über die Konrad-Adenauer-Stiftung usw.) einen starken Einfluß die chilenische Christdemokratie hatte. Sie wollte mit ihrer "promocion" die Armen (Marginalbevölkerung) mobilisieren. Ausgangsbasis war, daß diese unfähig sind, ihre Situation selbst zu verändern. Wer meint, die Unterdrückten seien nicht fähig zu einer verändernden Praxis und bräuchten eine "Emanzi-pulation", wer mit Manipulation, Elementen kultureller Invasion, mit ,Beratern', die den Leuten die ,Zivilisation' schmackhaft machen sollen, arbeitet, macht eine "Hilfe zur Selbsthilfe", die diesen Namen nicht verdient.

Stoßrichtung oder auch Ziel dieser Ansätze ist, eine Kanalisierung der Aktivitäten der Betroffenen und eine Spaltung der unterdrückten Bevölkerung zu bewirken, wie wir es vorher bei der Genossenschaftsbewegung schon gesehen haben. Wer mit einem solchen "Hilfskonzept" arbeitet, will sich lediglich die Finger an den Unrechtsstrukturen schmutzig machen. Das steht in der Tradition z.B. der "Allianz für den Fortschritt"; sein Interpret ist J.F. Kennedy: " Wie können wir die Wenigen, die reich sind, retten, wenn wir nicht den Vielen, die arm sind, helfen". (4) Solche Selbsthilfe-Förderung heißt: Nur soviel (an sozialen Konflikten) ändern, damit sich nichts Wirkliches an den Strukturen ändert. Dieser Ansatz findet sich bei uns leider am häufigsten. Wenn der SPD-OB von München einen Antrag auf Städtepartnerschaft mit Managua ablehnt, und meint, eine Patenschaft sei angebrachter, so ist das die Ideologie, die den Industriestaaten entspricht, aber überheblich und borniert ist. Wenn die Münchner SPD-Fraktion eine Städtesolidarität will und in ihrer Begründung von "sozialpolitischem Konfliktpotential" zwischen 1. und 3. Welt spricht, so könnte dafür eine andere nordamerikanische "Größe" ideologisch Pate gestanden haben. Der ehemalige US-"Verteidigungs"-Minister und jetzige Präsident der Weltbank sagte: "Wo es eine Handvoll Privilegierter und ein Millionenheer verzweifelter Armer gibt, ist es nur eine Frage der Zeit, wann eine Entscheidung zwischen den politischen Kosten einer Reform und dem politischen Risiko einer Rebellion getroffen werden muß".

Selbstausbeutung - und dann ...?

Es ist richtig, daß die Aktionen der selbstorganisierten Selbsthilfe (Schulbau, Sanitätsposten) eine wichtige Möglichkeit in der 3. Welt darstellt, überhaupt etwas zu schaffen, was zu einem menschenwürdigen Leben beiträgt. Aber dabei darf es nicht stehen bleiben. Im Moment ist es so, daß großen Teilen der Bevölkerung nur die Möglichkeit bleibt, durch Selbstausbeutung ihre Versorgungseinrichtungen zu erstellen oder keine zu haben. Es kann aber nicht angehen, diese Selbstausbeutung zu einem Konzept der "Selbstentwicklung" umzudeuten, wie es von offiziellen Stellen gemacht wird. (Die Reichen bauten sich ihre Schulen nicht selber). Selbsthilfegruppen müßten sich so organisieren und zusammenarbeiten, daß sie sich als Unterdrückte den Ursachen ihrer unmenschlichen Lebenssituation bewußt werden, um ihre berechtigten Forderungen gegenüber den staatlichen Stellen einklagen zu können. Selbsthilfegruppen haben in den einzelnen Ländern und auch in einer "befreienden Ausrichtung" unterschiedliche Funktionen:

Sie können (z.B. in Chile als sogenannte Volksküchen) schlicht das Überleben ermöglichen - und fördern die gegenseitige Solidarität. Sie können als Teile christlicher Basisgemeinden z.B. in Brasilien Kinderkrippen aufbauen und Streiks mittragen. Sie können z.B. als autonome Bauernwehren in Peru sich gegen den von den Behörden stillschweigend geduldeten organisierten Viehdiebstahl verteidigen und neue Entscheidungsstrukturen in ihrer Region schaffen. Sie können sich z.B. als Hausmädchen in Gewerkschaften zusammenschließen, um sich gegenseitig zu helfen, Abendschulen zu organisieren, rechtliche Hilfestellungen zu geben und Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Es können aber auch Lebensmittelspenden aus US-Überschüssen (Weizen als Waffe) über konservative kirchliche Sekten an Elendsviertelbewohner verteilt werden, wenn diese sich den "Spenden-Adventisten" etc. anschließen und nach deren Regeln "Hilfe zur Selbsthilfe" motiviert werden, daß sie "Projekte" durchziehen, die von auswärts geplant werden (food-for-work-Programme), wobei der Hunger die Menschen zwingt, solche unmenschliche und erniedrigende Mitarbeit hinzunehmen, und dann noch für die Werbebroschüren rechter Gruppen dankbar Hände zu schütteln.

Sie können als abhängige Kleinbauern so in Genossenschaften organisiert werden, daß nicht sie das Sagen haben, sondern korrupte Funktionäre oder "Experten" mit einem Monatsgehalt von 3-4000 Mark - und alles, damit die betroffenen Bauern im Jahr 5 Dollar mehr verdienen. So kann Frauenarbeit, z.B. kunsthandwerkliche Produktion, als "Selbsthilfe" deklariert werden, auch wenn sie völlig von ausländischen "Helfern" bestimmt wird, wodurch sich der europäische Geschmack und Markt in Farben und im Design aufdrängt, bis hin zur Herstellung von handgestrickten Eierwärmern für den europäischen bürgerlich-liberalen oder auch alternativen Frühstückstisch.

So kann als "Selbsthilfe" verkauft werden, wenn in Ecuador Indianergemeinschaften dazu animiert werden, den Urwald, ihre Lebensgrundlage, zu roden, um eine neue Ölpalme (palma africana) anzupflanzen. Mehr Einkommen soll ihnen das bringen. Klar ist jetzt schon, daß die hinter diesem Mammutprogramm stehenden Multis die Rodung des Urwaldes nicht zahlen wollen, und wissen, daß sie aufgrund der Marktgesetze das gerodete und neu bepflanzte Land billig aufkaufen können. Die Indianer können in Konkurrenz zu den Konzernen ihr Palmöl nicht günstig verarbeiten und vermarkten und werden billige Arbeitskräfte der Konzerne sein wenn all diese Betroffenen sich nicht gegen diese Manipulationsvorhaben wehren und die schwierige Aufgabe der SELBSTORGANISATION nicht angehen.

 

Home ] Nach oben ]

Senden Sie E-Mail mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an: CONTRASTE
Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. Dezember 2009