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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Dezember 2005

Aus dem Inhalt
Wagenplatz

EIN STREIFZUG DURCH DIE BUNTE LANDSCHAFT DER BEWEGUNGSARCHIVE

Ran an die Kundschaft!


Wenn die soziale Bewegung erst mal archiviert ist, wie soll sie dann aufzuhalten sein Foto: Umbruch Bildarchiv

Sie sind seit einiger Zeit ein Teil des ideologisch-wissenschaftlichen und empirischen Rückgrats linker Politik und Kultur, insbesondere von sozialen Bewegungen und Initiativen von unten: Die Bewegungsarchive. Ihnen haftet aber - immer noch - ein anderes Image an. Das eines Tummelplatzes von HobbysammlerInnen, von Messies, abgedrehten Kauzen, die sich aus der aktiven Politik verabschiedet haben - zugunsten dauerhaften Entstaubens von Altpapiersammlungen.

von Kai F. Böhne, Bernd Hüttner & Thomas-Dietrich Lehmann - Zugegeben, dort agieren GenossInnen mit immensem Wissen, was aber auch manchmal Furcht einflößen kann, jedenfalls für viele bedeuten, zu "ArchivarInnen" besser erst einmal Abstand zu halten. Hinzu kommt: Solche Einrichtungen linker Kultur und Politik verschlingen enorme Ressourcen finanzieller, technischer und räumlicher Art, um dieser politisch brotlos erscheinenden Tätigkeit eine Heimstatt zu gewähren. Gebrauchswerte produzieren sie auf den ersten Blick nicht. Soweit vielleicht das ins klischeehafte überzogene Bild.

Es gibt unter den Bewegungsarchiven eine sehr breite Streuung was die Ausstattung, Absicherung, Anzahl der bezahlten und unbezahlten MitarbeiterInnen angeht und es gibt Unterschiede im Selbstverständnis. Die einen verstehen sich vor allem als fachliche Dienstleister, die anderen sind Bestandteil der aktuellen Protestbewegungen und positionieren sich dort auch politisch. Die erste Gruppe ist tendenziell professionalisiert, mit bezahlten Stellen ausgestattet und abhängig von staatlichen Geldern, mit allen daraus resultierenden Freiheiten und Zwängen. Die Mehrheit der Bewegungsarchive arbeitet unter viel Mühe ehrenamtlich, die Existenz etlicher Archivprojekte hängt von Einzelpersonen ab.

Dies hat nicht nur, aber auch mit dem Sammelgebiet dieser Archive zu tun, den neuen sozialen Bewegungen. Diese sind sehr wechselhaft und unkontinuierlich, für die Mehrheit der dort engagierten AktivistInnen ist dieses Engagement nur ein überschaubarer Abschnitt ihrer Biografie - im Ergebnis ist die historisch bewusste und politisch interessierte Zielgruppe solcher Archive der Zahl nach relativ begrenzt. Die neuen sozialen Bewegungen haben sich in den ungefähr 30 Jahren ihres Bestehens auch verändert und die dazugehörigen Archive sind teilweise einfach übrig blieben, weil es die Bewegung, auf die sie sich beziehen, nicht mehr gibt oder sich die Bewegung, sofern vorhanden, nicht für ihr Archiv interessiert.

Die aktuell politisch aktive, jüngere Szene ist relativ arm und kann deswegen die Archive kaum unterstützen. Die postmaterialistisch orientierte rot-grüne Mittelschicht trägt aus anderen Gründen wenig bei.

Die kommunalen Archive der Gemeinden und Städte fordern in einer 2002 veröffentlichen Stellungnahme, dass die Bewahrung und Vermittlung des historischen Erbes eine öffentliche Aufgabe sein sollte (1). Historische Bildung gehöre ebenfalls zum Auftrag der Archive dazu, es könne nicht mehr nur darum gehen, Verwaltungsakten zu sammeln, sondern es müsse die ganze Breite der Gesellschaft dokumentiert werden. Archive seien das Gedächtnis der Kommunen. In Anlehnung daran könnte man fordern: Archive sind das Gedächtnis der Bewegungen. Sie bewahren die reichhaltigen Erfahrungen vergangener und andauernder sozialer Kämpfe auf (2).

Mit diesem CONTRASTE-Schwerpunkt wollen wir diese Aspekte ins Bewusstsein rücken, Belege anführen, dass linke Archive nutzbringendes für die notwendige Erdung linker Theorie und Praxis bereit halten können, ja dass die Kontaktaufnahme mit diesen Einrichtungen vielleicht sogar lustvolle Aha-Erlebnisse und neuen Spaß an eigener politischer Betätigung wecken kann.

Der Beitrag von Bernd Hüttner über die alltägliche Arbeit des Sammelns und Erschließens in einem Bewegungsarchiv ist für manche LeserInnen ein erster Kontakt mit der Welt dieser besonderen Art von Archiven (vgl. Beitrag "Schätze, Schimmel und Sozialgeschichte"). Dieser Beitrag stammt leicht gekürzt aus dem 2005 erschienenen Buch über Bewegungsgeschichtsschreibung (vgl. die Buchbesprechung auf Seite 7).

Zugegeben, viele Archivgruppen stehen mit dem Rücken zur Wand, kämpfen vielerorts ums finanzielle und/oder räumliche Überleben. Doch wie mensch diesen Gefahren beherzt entgegentritt, sich informiert und vernetzt, dafür gab der zweite Workshop "Archive von unten", veranstaltet vom Archiv Grünes Gedächtnis im Juni 2005 sowohl für Insider wie auch für nur Interessierte ein ermutigendes Beispiel (vgl. Artikel: "Gedächtnis muss sein", S. 8).

Wir berichten darüber hinaus von drei Beispielen aktueller oder geplanter "Präsentationen" linken Archivmaterials, die sich jeweils als moderne Nutzbarmachung von Wissen für künftige politische Arbeit verstehen:

Ursula Nienhaus beschreibt das Berliner Frauenarchiv FFBIZ "An neuem Ort und mit einem neuen Ausstellungsprojekt"".
Anja Gerstmann (Robert-Havemann-Stiftung und Mathias Domaschk Archiv; Berlin) über den neuen Internetauftritt www.jugendopposition.de.
Umbruch-Bildarchiv betreibt offensive Dokumentation: Mit Fotos und Videos gegen die Unterbelichtungen im Alltag.

Fußnoten

1) www.bundeskonferenz-kommunalarchive.de

2) Einen kleinen Einblick in die Welt der Bewegungsarchive gibt die Rubrik "Archive von unten" des Weblog ARCHIVALIA (http://archiv.twoday.net)

Schwerpunktthema Seite 7 bis 10

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008