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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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blätterwald eG

Alternativer Betrieb von Amis eingekauft!

So oder so ähnlich würde sicherlich die BILD-Zeitung über unser seit Wochen heißestes Diskussionsthema, das nun schon mehrmals auf dem wöchentlich stattfindenden blätterwald-Plenum besprochen wurde, berichten.

Was ist passiert ?

Das amerikanische Konsulat mit Sitz m Frankfurt braucht Computer-Papier. Im dortigen Einkauf arbeitet ein engagierter Mensch, der zum einen daran interessiert ist, aus ökologischen Gründen selbiges aus Umweltschutzpapier zu bestellen und zum anderen, uns als Selbstverwalteten Betrieb und politisches Projekt zu unterstützen, indem er uns als Lieferant das Geschäft machen läßt. Bei den bisherigen Einkaufspreisen der Amis wäre unsere Gewinnspanne von mehreren 1.000 DM nicht schlecht. Doch, so einfach ist das alles nicht: Zwar sind wir als Selbstverwalteter Betrieb mit viel zu geringer Kapitaldecke und permanenten Finanzproblemen auf jedes günstige Geschäft mit Umweltschutzpapier angewiesen, aber mit Amerikanern, deren Armee Vietnam bombardiert hat, die eine permanente Bedrohung für Nicaragua libre darstellt, ...

Im folgenden einige Auszüge aus unserer Diskussion:

G: Das Konsulat ist der verlängerte Arm der Reagan-Administration und der 7. Armee: Wer weiß, was die mit unserem Computer-Papier alles anstellen. Wenn wir die beliefern, machen wir uns mitschuldig.

N: Ich finde das inkonsequent: auf der einen Seite gegen Reagans Nicaragua-Politik demonstrieren und auf der anderen Seite die dadurch zu unterstützen, daß wir sie mit unseren Produkten beliefern!

M: Das ist doch zu kurz gegriffen. Wir beliefern doch nicht die Army, sondern nur ein Konsulat. Die werden da drauf wahrscheinlich nur Visa-Anträge und sonstigen harmlosen Kram drucken. Die wirklichen Entscheidungen werden ja schließlich in Washington getroffen.

O: In der Nazizeit hat auch jeder Geschäfte mit gemacht, der ja kein Nazi war. Am Ende war Krupp aber doch ein wichtiges Rad im Kriegsgetriebe, weil dort der Stahl für die deutschen Waffen gegossen wurde. Waren die KZ-Wächter etwa unschuldig!

A: Moment, Moment! Hier geht's weder um Waffen noch um Kzs! Und alles, was amerikanisch ist, mit den Nazis gleichzusetzen, ist ja wohl auch nicht so ganz richtig. Jedenfalls ist der amerikanische Staat kein totalitärer und Kzs gibt's da auch nicht. Was ich denen verkaufen will, ist ein ökologisch sinnvolles Produkt: Computerpapier aus Umweltschutzpapier.

Ts: Genau! Die verbrauchen das Zeug da zentnerweise und jeder Zentner, den die statt dem energie- und rohstoffintensiven weißen Papier unser tolles Umweltschutzpapier benutzen, kommt dem Wald zugute. Damit wird doch auch der Raubbau in den Ländern der Dritten Welt erheblich reduziert. Wir haben doch schließlich auch ne Verantwortung für unser Produkt und dessen optimale Vermarktung!

U: Ich wär ja mal gespannt, wie Du reagieren würdest, wenn es nur um ein paar Mark ginge. Dann würdest Du bestimmt aus politischen Gründen das Geschäft verweigern. Mensch, das Geld, womit die uns bezahlen, ham die den kleinen Malochern oder Bauern in Südamerika mit Waffengewalt abgepresst!

Ul: Ach weißte, wir können das ja auch mal ganz anders sehen: Wir ziehen den Jungs das Geld aus der Tasche und setzen es auf der anderen Seite ganz zielgerichtet gegen sie ein, indem wir es beispielsweise dem Nicaragua-Komitee zur Verfügung stellen oder für Waffen für El Salvador spenden.

A: Das mit dem 'Geld aus der Tasche ziehen' find ich ja auch richtig, aber ich meine, daß wir es hier behalten sollen. Zum einen, weil unser Projekt hier aus finanziellen Gründen ohnehin ständig gefährdet ist, zum anderen versuchen wir hier in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem einen antikapitalistischen, demokratischen, gleichberechtigten Betrieb aufzubauen und diese Politik auch im gesamtgesellschaftlichen Rahmen durchzusetzen. Zudem unterstützen wir andere Selbstverwaltete Betriebe - soweit es geht auch finanziell \ bei der gleichen politischen Arbeit, ebenso wie freie Kulturarbeit. also ARENA. Auch unsere Kindergruppe, die wir bislang unabhängig von staatlichen und sonstigen Subventionen finanzieren, könnte eine kleine Finanzspritze gut vertragen. Entweder wir sind ein gesellschaftspolitisches und emanzipatives Projekt oder nicht. Wenn ja, brauchen wir die Kohle auch nicht - quasi als Alibi – wo anders hinzugeben, wo wir sie hier doch so bitter nötig haben. Ich meine, daß wir hier ganz problemlos sehr viele sinnvolle Einsatzzwecke für die Dollars finden werden.

J; Übrigens, wißt ihr, wer Nicaraguas Hauptabnehmer in Sachen Zucker ist? Dreimal dürft Ihr raten.

T: Wenn die das Papier bei uns nicht kaufen, dann halt woanders. Womöglich beim Papiergroßhändler X, der zum Konzern Y gehört, der wiederum der Deutschen Bank gehört, die das Geld an die Südafrikanische Regierung verleiht, die davon Waffen kauft und gegen die Schwarzen einsetzt. Nee, nee – da ist der Gewinn bei uns wesentlich besser aufgehoben.

M: Also, ich finde, daß wir als Betrieb das Geschäft auf jeden Fall machen sollten. Oder wir dürfen als Privatperson keine Marlboro rauchen, weder Tina Turner noch Bruce Springsteen hören, keine Levis tragen und so weiter. Wenn schon, dann aber auch bitte konsequent. Das zu einen. Zum anderen denke ich, daß die Grenzen bei jedem einzelnen unterschiedlich sind - ich würde nie das Militär beliefern. Hab ja schließlich auch Kriegsdienst verweigert und wäre dafür auch in den Knast gegangen. Die Grenzen muß jeder für sich ziehen.

J; Ich denke auch, daß wir den Deal machen sollten. Wie wir das Geld einsetzen, sollten wir dann entscheiden, wenn es da ist. Klappt das Geschäft, haben wir die große moralische Verantwortung, das Geld sinnvoll einzusetzen und es nicht irgendwo im Betrieb z.B. für die Urlaubskasse oder Fehlinvestitionen untergehen zu lassen.

H: Haste eigentlich recht. Ich denke aber auch, daß es für uns und unser Papier ein großer Erfolg ist, nun auch in solchen Kundenkreisen Beachtung zu finden. Vom Kopf her - alles klar, nur im Bauch habe ich doch ein flaues Gefühl bei der Sache.

Soweit in einigen prägnanten Aussagen zusammengefaßt die Diskussion. Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, daß einige, die anfangs unsicher waren, dann doch eher das Geschäft befürworteten, zumal die Gründe, die dagegen sprachen eher spontan und aus dem Bauch kamen, etwa so wie im letzten Diskussionsbeitrag dokumentiert.

Doch wie nun damit umgehen?

Eine breite Mehrheit befürwortet das Geschäft, einzelne sind strikt dagegen. Was, wenn nächste Woche der CDU-Parteivorstand bei uns anfragt, das BKA oder gar die Bundeswehr? Werden wir uns da schon weigern oder erst bei der NPD? Müssen wir jeden 'zweifelhaften' Kunden plenar diskutieren oder können wir eine Richtlinie festlegen? Oder können die Kollegen, die im Verkauf/am Telefon sitzen, autonom entscheiden?

Ich meine, daß dies alles nicht nur unser Problem ist. Zum einen, weil wir uns zu einer Szene zugehörig fühlen und zum anderen, weil wir wissen, daß jeder Selbstverwaltete Betrieb, der nicht nur für einen kleinen engen Markt produziert und mehr als 10 Arbeitsplätze umfaßt mit ähnlich gelagerten Problemen konfrontiert werden kann / möglicherweise schon konfrontiert worden ist. Ich denke auch, daß hier unsere Szene zu einer gemeinsamen Einschätzung kommen sollte, weil man uns sonst gegeneinander ausspielen kann: „Wenn Ihr uns nicht beliefert, bestellen wir eben bei Euren Kollegen in Augsburg. Vielleicht haben wir da mehr Glück."

Wünschenswert wäre ein ganzer Wäschekorb voll anregender Diskussionsbeiträge, den wir dann für die nächste CONTRASTE-Ausgabe zu sortieren hätten. Zuschriften bitte direkt an blätterwald: blätterwald eG, Niederurseler Str. 7, 6370 0berursel 5.

Natürlich haben wir auch in unserem Umfeld einzelne Personen nach ihrer Meinung zum Thema befragt. Hier zum Abschluß noch einige Äußerungen:

Das amerikanische Konsulat? - Haha, ich lach mich kaputt! Wieso denn nicht?!" (Ein ehemaliger langjähriger Mitarbeiter der ASH Krebsmühle).

"Womit sich Geld verdienen läßt, läßt sich Geld verdienen. Ihr solltet natürlich einen möglichst hohen Preis fordern!" (Ein Stammkunde und Mitglied der blätterwald eG)

Reizvoll ist das Angebot schon, aber ich würds nicht machen. Irgendwo muß man sich ja auch Grenzen setzen und lieber versuchen, das Papier in den eigenen Reihen zu vermarkten." (Eine Neu-Kundin).

Bei Euch ist das Geld doch gut aufgehoben, da kann kein anderer mehr Unsinn damit anstellen." (Ein Freund des Hauses).

Holt denen raus, was Ihr könnt.g (Ein Frankfurter Vollkorn-Bäcker)

Ich fänds albern, wenn Ihr das Geschäft nicht machen würdet." (Eine Mitarbeiterin der Krebsmühle).

Wenn Ihr Euch so ein Geschäft entgehen laßt, könnt Ihr es Euch wohl leisten! ... (Ein Mitarbeiter des Ökobank-Vereins).

Das ganze Wirtschaften ist ja heute so vernetzt, daß Du - was immer Du machst - immer in dieses System verstrickt bist. Wir hatten ja ähnliche Probleme wie Ihr und haben das heiß diskutiert. Dabei sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß es eigentlich nichts nützt, jemanden zu boykottieren. Für mich ist vielmehr wichtig, daß wir die Mittel, die bei CCS erwirtschaftet werden, politisch richtig einsetzen im Sinne einer besseren Gesellschaft. Genau da liegt unsere Verantwortung! Andere im Betrieb meinten hingegen, daß wir an diesem Punkt die Flagge zeigen müssen und nicht liefern dürfen." (Ein Mitarbeiter von CCS).

Ich sehe das als einen großen Erfolg für den Umweltschutz. Das ist ja schließlich Euer Anspruch und Auftrag. Durch die Verbreitung Eurer Produkte die Natur zu schonen." (Ein Schweizer Xylophon-Favbrikant).

Ich verstehe nicht, warum man Leute davon ausschließen sollte, umweltfreundliche Produkte zu benutzen." (Eine schwäbische Künstlerin).

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 28. April 2010