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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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blätterwald

Alternativer Betrieb von Amis eingekauft!

Was ist passiert? Das amerikanische Konsulat mit Sitz in Frankfurt braucht Computer-Papier. Im dortigen Einkauf arbeitet ein engagierter Mensch, der zum einen daran interessiert ist, aus ökologischen Gründen selbiges aus Umweltschutzpapier zu bestellen und zum anderen, blätterwald als selbstverwalteten Betrieb und politisches Projekt zu unterstützen, in dem er blätterwald als Lieferant das Geschäft machen läßt. Soweit die Vorgeschichte. In der letzten Ausgabe von CONTRASTE dokumentierten wir die Diskussionen im blätterwald-Plenum und Umfeld.

Im folgenden einige Reaktionen darauf....

Die bisher veröffentlichten Argumente befriedigen mich so wenig wie der Hinweis auf die "normative Kraft des Faktischen", die sich darin andeutet, da& Einige über die Veröffentlichung dieser Diskussion zum ersten mal mitgekriegt haben, daß es solches Papier bei BLÄTTERWALD zu kaufen gibt und daß es natürlich sinnvoll ist, dann dort zu ordern statt beim "normalen" Papierdealer.

So kann sich dieses Problem in diesem Einzelfall zwar faktisch erledigen - aber das ist doch nur die Spitze des Eisberges.

Da gibt es zum ersten mal nach 10 Jahren Entwicklung die Situation (die bescheidenen Anfänge der Anfänge der Situation), daß die ersten selbstverwalteten Betriebe trotz ihrer antikapitalistischen Struktur von einzelnen etablierten Institutionen dieser Gesellschaft ernstgenommen werden. Natürlich nicht "so ohne weiteres". Sondern wenn es geschieht, dann deswegen, weil an irgendeiner Stelle einer solchen Institution jemand sitzt, der/die mit dem, was sich da tut, klammheimlich sympathisiert. Statt sich jetzt darüber zu freuen, daß es solche Leute noch und wieder gibt, erfolgt Abwehr, grassiert Angst.

Um Gottes willen — wir werden vereinnahmt, werden zu Helfershelfern unserer Herrscher, verlieren unsere politische Identität.

Man sollte einfach mal in Ruhe prüfen, ob es nicht die eigene Unsicherheit ist, die Unsicherheit in Bezug auf die eigene Standfestigkeit und die Durchführbarkeit der eigenen Ideen, die diese Ängste produziert. Und man sollte sich fragen, ob es legitim ist, mögliches eigenes Abkippen auch von den anderen zu erwarten.

Keine Experimente? - Dann hätten wir nie anfangen dürfen. Wofür haben wir unsere Plena, unsere Freiheit, Entscheidungen ständig zu überprüfen und unmittelbar rückgängig zu machen, wenn sie sich wirklich - als falsch oder verhängnisvoll erweisen?

Wir leben nicht im Ghetto, arbeiten daran, dem Selbstzerstörungsprozeß der kapitalistischen Gesellschaft die konkrete Utopie einer neuen, menschenwürdigen und lebenswerten Gesellschaft entgegenzusetzen. Ich bin weit entfernt davon, die Zustände in den Kollektiven (nach allen, die ich kenne) für paradiesisch zu halten, aber selbst gesetzt den Fall, sie könnten das werden: was würden uns solche paradiesischen Inseln nützen in einer zerstörten asozialen Umwelt?

Wenn es uns ernst ist mit unserer Idee, dann müssen wir Berührungsängste auf den Müllhaufen werfen. Dann müssen wir raus zu denen, die wir nicht verstehen, vor denen wir Angst haben. Dann müssen wir offen zeigen, was wir wollen und (da das Vorstellungsvermögen der meisten doch stark eingeschränkt ist) praktisch vorführen, wie das aussehen könnte. Wir brauchen Kraft dazu, Zeit- und Geld.

Und wenn ich dann sehe, wie die in den Gruppen wirklich Aktiven und Verantwortlichen bis an die Grenzen ihrer Kräfte mit Mangelverwaltung, Finanzmanagement und reiner Existenzerhaltung beschäftigt sind, wie dort Kräfte gebunden, Energien vergeudet werden, die an anderer Stelle dringend gebraucht würden, dann packt mich die Wut bei dem Gedanken, daß Möglichkeiten, diese Situation zu beheben, leichtfertig weggeschmissen werden sollen.

So was wird merkwürdigerweise in Gruppen meistens von denen verlangt, die ihre geregelte Arbeits- und Freizeit einklagen und ansonsten froh sind, von weitergehenden Ansprüchen und Notwendigkeiten verschont zu bleiben.

Ein bißchen mehr Toleranz bitte, Kollegen!

Ansonsten: Sollten unsere wirklichen Gegner jemals so dumm sein, aus Integrations-, Bestechungs-, Demonstrations- oder was immer für Absichten uns lukrative Aufträge zukommen zu lassen, dann wäre es mir mehr als nur klammheimliche Freude, solche Aufträge auszuführen. Ich hatte genügend Ideen, was mit dem Geld anzufangen wäre. Und wir haben nicht von Panzern geredet — wir reden von Papier.

Karl Bergmann, ASH Krebsmühle und Textline, Oberursel

Bei manchen der aufgeführten Diskussionsbeiträgen habe ich den Eindruck, da traut sich einer nicht raus aus der Wärme und Geborgenheit der ganz eng begrenzten, moralisch unangreifbaren Subkultur, die die Öko-Bewegung bis jetzt größtenteils noch darstellt.

Und in vielleicht dreißig Jahren, wenn die Tür endgültig hinter uns zugeknallt wird, können sie dann sagen, daß es wenigstens auf keinen Fall ihre Schuld war.

Daß selbst die Amis bei Euch einkaufen, wird vielleicht auch gewisse Berührungs- und Schwellenängste bei anderen Leuten etwas mindern, so daß auch andere Betriebe, die viel Papier verbrauchen, eventuell bei Euch bestellen würden.

Ich finde diesen Punkt ziemlich wichtig, nicht weil Ihr Euch dann vielleicht irgendwann mal goldene Nasen verdienen konntet, sondern weil Ihr zu einer größeren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kraft werden könntet.

Raus aus der Subkultur - hin zu den unpolitischen Biedermännern!

Udo Kassel, Hamburg

Bitte kein Besatzergeld überweisen! 
Rechnungsvermerk des Lieferanten und Hunsrücker vup-Betriebsmitglieds Jupp

Macht und wir verwenden das Geld für's Nicaragua-Projekt! 
Kollegin Ikaf von Zettelwirtschaft, Hunsrück

Annehmen, liefern und das Geld gut verwenden. Damit entziehen sie letzteres dem Rüstungskreislauf 
Angelika Tröscher, Mainz

Umweltfreundliches Papier ist genauso geduldig wie anderes Papier — wenn Ihr diese Eigenschaft des Papiers nicht akzeptieren könnt, würde ich Euch raten, ein anderes alternatives Produkt herzustellen! 
Helga, Dortmund

Irgendwie denke ich mir, daß ein paar politische Ansprüche einfach bestehen sollten. Tun sie ja auch, aber mit den Amis würde ich niemals ein Geschäft abdealen, egal was an Knete rüberspringt... Letztendlich geht's halt um den abgehobenen Anspruch, die Gesellschaft zu verändern. Da ham für mich die Amis genauso wenig zu suchen, wie Nazis, Bullen und irgendwelches andere Faschopack. So was sollte man niemals über Knete oder irgendwelche Zwischenlösungen abhandeln. Dann lieber echt konkret: Sekt oder Selters. 
Michaela, ehemals "blätterwald", jetzt ASH-Bockenheim

Ich glaube, Ihr solltet das Geld verdienen, aber gleichzeitig nicht behalten. Das soll heißen: verkauft das gewünschte Papier an die Amis, zieht Eure Unkosten {es gibt keine Unkosten, der Setzer) vom Erlös ab und überweist den Rest des Geldes an ein Projekt in Nicaragua oder leitet es an eine Gruppe von um ihr Land kämpfende Indios weiter, oder, oder, oder... Da wird Euch schon etwas einfallen, was genau zur Geldquelle "paßt". Nur dieser Vorschlag in Eurer Diskussion hat mich wirklich überzeugt. Warum? Also erst mal kann Geld nun wirklich stinken und daß es irgendwo absolute Grenzen gibt, ist Euch ja auch klargeworden, ohne daß man diese allgemein gültig definiert ziehen könnte. Dieses Geld für Eure eigenen Ziele zu behalten, dürfte zwar verlockend sein, ich würde mich dabei ausgesprochen unwohl fühlen, nicht nur wegen einer (möglicherweise noch so unbedeutenden) Abhängigkeit, sondern vor allem in Anbetracht der Quellen, aus denen dieses Geld geschöpft wurde.

Das Argument zieht nicht, daß wir im täglichen Leben sowieso nicht konsequent sind und sein können. So kann man leicht jede Schweinerei begründen. Klar, wir sind keine Heiligen (hoffe ich zumindest), aber es gibt Grundsätze, die das Wesentliche berühren und die den Unterschied klarmachen, zwischen Marlboro rauchen und Bomben auf Vietnam oder Afghanistan werfen, um es mal drastisch auszudrücken. Keine Angst, ich fange jetzt keine Definitionsdebatte an, wo die Grenzen sind. Ich glaube aber mit Bestimmtheit, daß Menschen, denen ich mich nahe fühle, diese Grenzen sehr genau spüren, ohne sie mathematisch definieren zu können und zu müssen.

Das Ganze überhaupt abzulehnen, wäre eine denkbare Alternative. Nur, die Amis werden schreiben und drucken was sie wollen auch ohne Euer Papier. Ja, ja, ich weiß, jetzt bin ich selbst im Argumentationsschlamassel von wegen: wenn ich nicht sündige, tun's halt die anderen, was soll's also? Nein, so nicht, nicht nur. Natürlich werde ich den Kriegsdienst verweigern, auch wenn andere dann in die Lücke treten. Nur ist in diesem Falle eben wirklich etwas erreicht, für den Verweigernden nämlich.

Für mich also die Moral von der Geschicht: Nehmt das Geld, aber behaltet es nicht. So wird es Euch moralisch nicht beschädigen und gleichzeitig gute Dinge tun.

Detlev Commentz-Larsson, Hamburg

Ich verstehe es echt nicht mehr. Da wird auf politischer Ebene für Umweltschutz gekämpft (Müllsortierung, Recycling, auch Behörden sollen Umweltschutzpapier verwenden usw.) und ein Betrieb, der auf diesem Gebiet sein Zeug verkauft, der will nicht an alle Besteller liefern.

"Gute Geschäfte" können sicher auch der alternativen Szene nur Recht sein und die verbesserte Ertragslage samt Kapitaldecke wird's danken.

Aber Vorsicht; Ein großer Abnehmer kann die Struktur eines kleinen Betriebs über den Haufen werfen. "Kleine Kunden" werden vernachlässigt. Eine Abhängigkeit zum Großabnehmer kann entstehen und bei plötzlichem Stop der Bestellungen die betriebswirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betriebes versauen. Deshalb klare Verträge machen - auch mit Euren Lieferanten - damit Ihr Euren kurzfristigen Finanzbedarf entsprechend planen könnt und die Lagerbestände vernünftig disponiert werden können.

Fazit: Ich würde es nach vorsichtiger, kaufmännischer Betrachtungsweise machen, da die selbstverwalteten Betriebe und die Umwelt insgesamt profitieren.

Eugen Schlachter, Maselheim

Jetzt wird's aber höchste Zeit, daß ein einheitlicher Fragebogen entwickelt wird, in dem jeder "Kunde" eines alterna(t)iven Betriebs erst einmal Auskunft erteilt (und belegt) über seine Gesinnung, seinen Beruf, seinen Arbeitgeber oder Betrieb, seine Eltern etc. und vor allem, wo her das Geld stammt (mindestens die letzten drei "Vorbesitzer"). Man kann ja nicht wissen, ob der, der jetzt ein Brötchen kauft, sein Auto reparieren läßt, oder was es da sonst noch alles gibt, sein Geld nicht auch bei den Amis, bei MBB o.ä., verdient. Also her mit dem Fragebogen!

Der Setzer

 

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Stand: 30. Juli 2011