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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Alltagsprobleme

Vermarktung von Naturkost

Formen und Probleme

Die Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft ,,SCHROTMÜHLE RHAUDERFEHN" eG in Rhauderfehn (bei Leer, Ostfriesland)) besteht nun seit fast 2 Jahren. Über 80 Verbraucher und fast 10 biologisch wirtschaftende Landwirte - größtenteils in der Umstellungsphase - sind in ihr mehr oder minder aktiv. 

Im genossenschaftseigenen Naturkostladen ,,Schannerke" (Kornblume), auf dem Wochenmarkt, beim Ab-Hof-Verkauf und über den Großhandel bzw. an Großabnehmer werden die verschiedensten Erzeugnisse aus dem ökologischen Landbau abgesetzt. Zur Zeit werden Verhandlungen mit einer kleinen, in der Nachbarschaft liegenden Molkerei geführt, die langsam umstellen will: Neben Thermo(Bio)Milch (15 Minuten auf 67° erhitzt) in Pfandflaschen, sollen Butter, Buttermilch, Joghurt etc. hergestellt und u.U. über die Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft abgesetzt werden. Von den Genossenschaftsbauern (nur mit Quoten!) wird die ,,Bio-Milch" durch die Molkerei abgeholt. 

Bisher sind nur im Verkauf (2 Teilzeitkräfte) festangestellte Mitarbeiter - weitere Unterstützung gibt es durch einen Mitarbeiter von NETZWERK SELBSTHILFE e.V.: die gelernte Lebensmittelchemikerin versucht sich in Landwirtschaftsberatung etc.

Als ein weiteres Beispiel eine Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft: Zwei nach organisch-biologischen Richtlinien wirtschaftende Landwirte bauen für fast 60 Haushalte an, verkaufen in geringen Mengen Milch, machen Hausschlachtungen usw. usf. Die Verbraucher haben sich schriftlich verpflichtet, bestimmte Erzeugnisse in bestimmten Mengen über Abholgemeinschaften abzunehmen. Zur Absicherung und zur Vorfinanzierung der Samen, Pflanzen etc. wird ein Mindestbetrag im voraus eingezahlt - der später verrechnet wird.

Von diesen Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften/Gemeinschaften gibt es eine Vielzahl in der Bundesrepublik - ihre Zahl nimmt ständig zu. Meistens geht es vom Verbraucher aus: das Interesse an biologisch angebauten Erzeugnissen - in Verbindung mit Preisvorteilen aufgrund der Direktvermarktung - ist vorherrschend.

Augenfällig ist dieses Denken und Handeln nach ,,Bio-Billig-Angeboten" bei Einkaufsgemeinschaften - der gemeinsame Einkauf im Naturkostgroßhandel ist das Ausgangsinteresse. Bei einigen Einkaufsgemeinschaften geht's darüber hinaus: Verbraucherinformationsarbeit, gegenseitige Hilfen, Kontakte zu Biolandwirten - seltener Mithilfe und Veranstaltungen. Oft schätzen auch diese Verbraucher für sich gesunde Lebensmittel geringer als Reisen, Kleidung und Auto. Der Niedergang des Lebensmittelanteils von über 49% auf fast 25% der gesamten Haushaltsausgaben in den letzten 30 Jahren hat in vielen Familien bei sinkenden Realeinkommen ein verstärktes Streben nach Lebensmittelbilligangeboten hinterlassen - oft genug wird hier zuerst gespart. Billiganbieter - oft sogar dezentral verteilt - erleben einen Boom. Nicht Beratung, Service und Qualität der Produkte wird entsprechend bewertet, sondern der Mengenpreis - ,,im Dutzend ist Schokolade billiger". Von diesem ,,Trend" werden auch Naturkostverbraucher zumindest unbewußt beeinflußt. Dieses führt in Bioläden manchmal schon dazu, daß lt. Etikett ,,normaler" Apfelsaft angeboten wird - nur damit ein billiger Mengenverbrauchsartikel im Sortiment ist. Wir tun uns alle schwer beim „Freimachen vom Konsumrausch" in unserer Verschwendungsgesellschaft - materielle Massenwerte bestimmen in unserer Industriegesellschaft unser Leben.

Trotzdem. ist immer mehr Menschen bewußt, daß die unlösbar scheinenden und zunehmenden Probleme unserer Industriegesellschaft auch durch ihr Konsumverhalten entstehen. Anfänge von Handlungsalternativen sind z.B. die fast schon 3.000 Bioläden und über 30 Naturkostgroßhändler, die Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften und -Genossenschaften, Einkaufskooperativen, Wochenmarktstände, ,,Bio"-Verkaufswagen und umstellenden Großkantinen - mit Abstrichen, aber auch die Bioketten, die Bio-Ecken bei Karstadt und weiteren Handlungsriesen und der Bio-Versandhandel. 

Insbesondere im süd- und westdeutschen Raum wird die Vermarktung und Verteilung von Naturkost professionalisiert und kapitalisiert. Die Nachfrage der Verbraucher wird ständig größer - nur die Naturkost kommt fast immer aus dem Ausland — zum Teil sogar aus Übersee - oder von Produzenten, die weit über 300 km vom Verbraucher entfernt produzieren.

An diesem Punkt muß zukünftig verstärkt angesetzt werden: landwirtschaftliche bzw. veredelte Erzeugnisse von biologisch wirtschaftenden Landwirten aus der Region müssen stärker in der Region zum Endverbraucher gebracht werden. Hier liegt aber gleichzeitig auch das größte Problem bei der weiteren Ausweitung des ökologischen Landbaues: die regionale Verteilung und Vermarktung. 

Die bisherige Vermarktung auf der Basis konventioneller Denk- und Organisationsstrukturen führte aufgrund zu hoher Transportkosten und zu vieler Zwischenhändler zu teilweise überhöhten Preisen. Oft wird die Vermarktung zwar mit viel Idealismus und Energie angegangen (ein Reservoir, das seine Grenzen hat), aber ohne die Vernetzung aller relevanten Faktoren zu beachten. Vorhandene Ressourcen, auch solche finanzieller, personeller und psychischer Art, werden oft höchst ineffektiv eingesetzt. Diese Art von Arbeit können sich heute nur noch fest etablierte Wirtschaftszweige erlauben (und dieses auch nur unter ständiger Verabreichung kräftiger Finanzspritzen vom Staat). Für Anfänger bzw. Existenzgründer mit neuen Produkten ist es ein Weg, der schief gehen muß. Eine unsystematische Vorgehensweise ist somit ökologisch wie auch ökonomisch nicht sinnvoll. Es muß ein Weg eingeschlagen werden, der sich in der Organisationsform bei der Verteilung und Vermarktung von ökologischen Produkten stärker an ökologischen und (damit auch) ökonomischen Grundsätzen orientiert.

Hierbei gehe ich davon aus, daß die ehrenamtliche Arbeit zwar noch ausweitbar, insgesamt aber begrenzt ist. Die Verteilung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse an die Verbraucher ist z.B. bei der Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft ein Problem: Das Bilden von Abholgemeinschaften ist für viele Verbraucher ungewohnt, die Informationsweitergabe stockt oft genug, die Erntezeiten sind teilweise in Vergessenheit geraten usw. usf. Deshalb haben die Erzeuger schon folgende Überlegungen angestellt: Zum einen die Einrichtung einer Direktbelieferung (,,Grüner Fahrverkauf) - was die Erzeugnisse um mindestens 20 bis 30% verteuern würde; zum anderen die verstärkte Lieferung an Großabnehmer (Kantinen, Einkaufsgemeinschaften - die selbst verteilen usw.) und den Großhandel.

Bei der o.g. Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft sind ähnliche Tendenzen sichtbar. Ihre Mitgliederstärke und Organisationsform macht  eine Teilprofessionalisierung notwendig: eine hauptamtliche Geschäftsführung ist ebenso notwendig wie eine wesentlich verbesserte Kapitalausstattung, um u.a. qualifizierten Mitarbeitern eine längerfristige Perspektive zu bieten. Neben der Vermarktung und Verteilung der Erzeugnisse wäre dieses im Veredelungs- und landwirtschaftlichen Beratungsbereich zumindest auch anzustreben - hierbei sollten sich die ,,Haupt- bzw. Nebenamtlichen" und ,,Ehrenamtlichen" ergänzen - obwohl sich dieses in der Praxis relativ schwierig gestaltet. Eingeschlossen ist hierin auch die Führung des genossenschaftseigenen Naturkostladens - bislang eher ein Hemmschuh und ,,Kräfteaufsauger" in der Genossenschaft. Ähnlich wie bei vielen Naturkostläden ist auch dieser Laden durch einen Wechsel der Mitarbeiter gekennzeichnet, wodurch eine längerfristige Qualifizierung gerade im Hinblick auf Produktkenntnisse und Kundenberatung bzw. -betreuung kaum möglich war. Oft ist die Tätigkeit im Laden für ,,ungelernte Verkäufer(innen)" ungewohnt, der Arbeitsanfall dann unübersichtlicher und schwerer zu bewältigen; die Identifikation mit der Tätigkeit eines selbständigen Kaufmanns. bzw. Kauffrau zu zwiespältig oder es fehlen einfach grundsätzliche Kenntnisse bei der Geschäftsführung. Die ,,Pioniere" in diesen Naturkostläden waren nie typische Kaufleute - sonst wären diese wichtigen Praxisalternativen wahrscheinlich nicht entstanden.

Um jetzt aber landwirtschaftliche Erzeugnisse aus ökologischem Landbau breiter zu vermarkten und an mehr Menschen zu verteilen, sind nicht nur die genannten Vermarktungswege auszuweiten und konsequenter zu gehen, sondern es sind auch Vermarktungsformen zu realisieren, die gewährleisten, daß weitaus größere Mengen von inländischen Erzeugnissen auch in der Anbauregion verbraucht werden - die Nachfrage ist bei ,,entsprechender Marktöffnung" durchaus vorhanden. Die in dieser Zeitung veröffentlichte vorläufige Projektskizze der Initiativgruppe ,,ÖKO-NETZ" soll hierzu einen Beitrag leisten.

Alf Baumhöfer

NETZWERK SELBSTHILFE e.V. Bremen-Nordniedersachsen, Projekt- und Betriebsberatungen, Lindenallee 4, 2900 Oldenburg, Tel.: (0441) 7 66 36

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 03. Oktober 2008