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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

Oekonux - Ökonomie & GNU/Linux

"Die Freie Gesellschaft erfinden"

Unter diesem Motto fand vom 28.-30.4. in Dortmund die erste Oekonux-Konferenz statt. Rund 180 Menschen von 14 bis 71 fragten sich, ob und wenn ja, wie es möglich sei, die Ideen der Freien Software auf andere Bereiche der Gesellschaft auszudehnen. 30 ReferentInnen boten ein breites Themenspektrum von Kultur, Wissenschaft, freier Soft- und Hardware bis zu theoretischen und praktischen Fragen der Politik. Die Konferenz wurde vollständig virtuell organisiert, die meisten OrganisatorInnen sahen sich in Dortmund zum ersten Mal. Von Anfang an waren die ReferentInnen in die selbstorganisierte Struktur eingebunden wie sie sonst in der freien Softwarebewegung praktiziert wird. Diese Anlage der Konferenz als "Prozess" denn als fertiges "Produkt" begeisterte TeilnehmerInnen wie ReferentInnen. Alle hoben die große Offenheit hervor. Ohne Vorbehalte konnten Fragen wie "Kann es eine Gesellschaft ohne Markt und Geld geben?" oder "Ist die Rede von einer Keimform einer neuen Gesellschaft nicht bloßer Wunschtraum?" diskutiert werden.

Benni Bärmann - Inzwischen haben ja viele schon mal was von dem Phänomen "Linux" bzw. Freier Software gehört. Jedoch wissen die wenigsten, wie es dazu kam, dass Tausende dazu übergegangen sind, die Software, die ihre Computer benötigen, nicht mehr zu kaufen, sondern gemeinsam selbst herzustellen und das Ergebnis frei zur Verfügung zu stellen. In den Anfangstagen der Computerei war Software keine eigenständige Ware, sondern etwas, was man dazu bekam, wenn man einen Computer kaufte oder etwas, was teure Spezialisten für die eigenen Bedürfnisse maßgeschneidert herstellten. Erst in den 80'er Jahren parallel zur beginnenden massenhaften Verbreitung von Computern wurde damit begonnen, Software als eigenständige Ware zu handeln. Die Verfügungsmacht wird bei der Ware "Software" sogar noch weiter eingeschränkt, als das bei anderen Waren der Fall ist. Wenn ich ein Auto einmal gekauft habe, kann ich damit tun, was ich will. Software kauft man jedoch meist nicht, sondern "lizensiert" sie nur, was mit vielfältigen Einschränkungen verbunden ist. Die Freie-Software-Bewegung ist eine Reaktion darauf, da es vielen damals widersinnig erschien, etwas, das man kostenfrei kopieren kann, zur Ware zu machen.

Seit fast zwei Jahren gibt es nun die Mailingliste "Oekonux", die sich mit den politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen, die im Zusammenhang mit dieser Bewegung auftreten, beschäftigen. Sie organisierte auch die Konferenz, auf der Projekte vorgestellt wurden, die versuchen, Prinzipien freier Softwareentwicklung auch auf ihre Bereiche zu übertragen - von freien Hardware-Entwürfen (FreedomCPU: www.f-cpu.org), Enzyclopädien (Enz. Aperta: www.opentheory.org/enzyklopädie) oder selbst Autos (OSCar www.theoscarproject.org). Es wurde die Entwicklung der Produktivkräfte untersucht und Beziehungen zwischen Kritik und Widerstand betrachtet.

Die Teilnehmer kamen dabei aus einem sehr breiten politischen Spektrum. Da waren Traditionsmarxisten ebenso vertreten wie Postmoderne, Reformisten, oder Marktwirtschaftler. Daneben gab es viele Leute, die eher einen technischen Zugang zum Thema hatten. Auf der Mailingliste reden diese Leute mit den unterschiedlichsten Ansätzen schon seit einiger Zeit durchaus sehr produktiv miteinander. Auch auf dem Kongress hat das erstaunlich gut geklappt. Die Offenheit der Diskussionen, die Verständigung möglich machte, aber auch Auseinandersetzungen verdeutlichte, wurde von vielen Beteiligten gelobt.

Ich beteilige mich selbst nun auch seit geraumer Zeit an der Mailingliste und will kurz versuchen, ein paar typische Positionen zu umreißen, die dort vertreten werden und die auch auf dem Kongress vielfach die Diskussionen bestimmten. Die sicher nach Außen hin bekannteste "Fraktion" wird meist als "Keimformanhänger" bezeichnet. Sie vertreten die Auffassung, dass freie Software und die Art wie sie produziert wird innerhalb des Kapitalismus eine Keimform einer neuen Gesellschaft sei. Der Begriff der "Keimform" hat dabei schon zu vielen Missverständnissen geführt. Hier vielleicht nur soviel: Es geht weder um einen platten Technikdeterminismus noch ist eine Keimform einfach etwas, das nur immer mehr wachsen braucht, um dann den Kapitalismus einfach einzusaugen.

In der Analyse der Keimformanhänger ist die Produktivkraftentwicklung an einem Punkt angekommen, wo die Selbstentfaltung der Individuen zum wichtigen Faktor wird. Verwertung widerspricht aber der Selbstentfaltung und aus diesem Widerspruch entsteht die Keimform. Darin besteht meiner Meinung nach eine Ähnlichkeit zu den Postoperaisten wie Negri, etc., die ja auch im Übergang zum Postfordismus solche emanzipativen Momente entdeckt haben. Andere theoretische Bezüge bestehen zu den Thesen der Gruppe Krisis (www.krisis.org) rund um Robert Kurz. Die Analyse des Kapitalismus als wertverwurstende Maschine übernehmen sie von dort. Dem manchmal etwas apokalyptisch anmutenden Gestus der Krisis-Gruppe stellen sie jedoch ihre Keimform-Utopie entgegen. Als Einstieg in diese Sicht der Dinge bietet sich vielleicht der Text "Linux & Co. Freie Software - Ideen für eine andere Gesellschaft" von Stefan Meretz an (www.kritische-informatik.de/fsrevol.htm).

Da Freie Software als Keimform einer neuen Gesellschaft eine sehr steile These ist, dreht sich natürlich oft die Diskussion um diese Position. Sei es jetzt in positivem oder in negativem Bezug. Es gibt zwei wichtige Einwände gegen die "Keimformer", die zur Zeit diskutiert werden. Einmal wird ihnen Technikdeterminismus vorgeworfen, und zum anderen wird gesagt, dass sie die Versuche des Kapitals, Freie Software für die Verwertung einzuspannen, nicht Ernst genug nähmen.

Diese Diskussion wurde auch beim Kongress wieder geführt, und ich meine wahrgenommen zu haben, dass das eine oder andere Missverständnis aus der Welt geräumt werden konnte. Was natürlich nicht heißen muss, das jetzt alle einer Meinung sind. Das war auch nie das Ziel von Oekonux und wird es auch in Zukunft wohl nicht sein. So etwas wie ein gemeinsames Ziel gibt es sowieso nicht, außer natürlich dem gemeinsamen Interesse an dem Phänomen Freier Software und wohl bei den allermeisten ein irgendwie emanzipatorischer Ansatz.

Ein weiterer Strang der Diskussion dreht sich um freie Kooperation. Das ist ein Konzept von Christoph Spehr, das ursprünglich aus seinem Buch "Die Aliens sind unter uns" stammt und in seinem Aufsatz "Gleicher als Andere" präzisiert wurde. Es geht darum, dass Kooperationen nur dann frei und gleich sein können, wenn sie drei Minimalbedingungen bieten. Das sind:

Die Regeln einer Kooperation müssen jederzeit verhandelbar sein.
Ein Verlassen der Kooperation oder eine Einschränkung der Kooperationsleistung muss immer möglich bleiben und
dieses darf jeden Kooperationsteilnehmer nur einen vertretbaren "Preis" kosten.

Mit Freier Software hat das insofern etwas zu tun, als auf der Liste die Art der Produktion, wie sie dort verwirklicht wird, oft unter diesen Aspekten betrachtet wird. Anschließend daran entwickeln sich oft (wie auch in Spehrs Texten) Diskussionen um das Verhältnis von Widerstand und Perspektive. Auf dem Kongress gab es zu diesem Thema einen Workshop mit Christoph Spehr, Annette Schlemm, Stefan Meretz, Jörg Bergstedt und Heinz Weinhausen. Die Diskussion dort war erstaunlich produktiv. Es ist jetzt daraus ein offenes Buchprojekt bei open theory entstanden (www.opentheory.org/buchprojekt), an dem sich jeder beteiligen kann.

Einen weiteren Schwerpunkt der Diskussion bilden Reformansätze wie z.B. Existenzgeld oder die Frage vom Sinn oder Unsinn von Utopien. Es gibt einen sehr schönen Text von Annette Schlemm, ("Das Utopische Klo" www.oekonux.de/texte/utoklo.html), der aus dieser Diskussion und der Keimform-Theorie entstanden ist.

Ich kann die Oekonux-Diskussionen auf jeden Fall jedem, der sich für das Spannungsfeld zwischen Informationstechnik, Politik und Ökonomie interessiert, nur empfehlen.

Unser Schwerpunktthema auf den Seiten 6 bis 9

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 18. April 2005