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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Projektmesse 1984 (3)

Aus Wandelsblatt Nr. 1, Oktober 1984

Finanzen und Emotionen

 geschrieben für Hans, Wolfgang und andere

 

Die Reaktionen auf die Projektmesse '84 und die vielen Gespräche danach zeigen mir, daß einiges - ganz besonders die Diskussionen um Ökobank und „Hessenknete" - für viele Menschen aus an der Messe beteiligten Projekten noch immer kein greifbares Ding darstellt. Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die politische Relevanz eingehen - dazu gibt es wirklich einiges Lesenswerte - sondern auf die alltäglichen Probleme in unserem Projekt, dem Blätterwald.

Ich will versuchen zu verdeutlichen, welche Auswirkungen ein mißliches Finanzgefüge auf die Struktur einer Gruppe haben kann.

Dazu etwas Projekthistorie

Der „blätterwald" wurde als Genossenschaft gegründet. Bis jedoch die amtliche Eintragung der Genossenschaft erfolgte, verging ein langes Jahr der Kämpfe quer durch bundesrepublikanische Amtsstuben.

Wir gingen unser Geschäft aber trotzdem unerschrocken an. Dazu gehörte auf politischer Ebene der Zusammenschluß verschiedener Papierhändler (die auf der Projektmesse mit uns gemeinsam ausstellten) und damit verbunden der Entschluß möglichst unabhängig von bürgerlichen Betrieben zu produzieren und zu vertreiben(ein großer Plan!). Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die Anschaffung der Flexo-Druck-Maschine mit Blockleimstrasse. Ein Angebot über dieses (seltene) Teil lag bereits vor - es sollte 100.000 DM kosten.

Das Angebot war überaus verlockend und mußte sehr schnell entschieden und bezahlt werden. Angesichts der attraktiven Möglichkeiten, die diese Maschine bot, entschieden wir uns dann auch sehr schnell. Zu unserem Leidwesen mußten wir feststellen, daß Banken weitaus weniger risikofreudig arbeiten. Als noch nicht eingetragene Genossenschaft hingen wir rechtlich im quasi luftleeren Raum und genossen keinerlei Bonität um eine langfristige Finanzierung zu erhalten. Aber die Maschine mußte bei! Kurz entschlossen wurden 40.000 DM über einen Wechsel mit zweimonatiger Laufzeit und 60.000 DM über Kleinkredite von Freunden, aus der Familie und Bekannten zusammen gekratzt. Alles Darlehen mit höchstens 2 Jahren Laufzeit.

Dem geschäftlich versierten Leser schießen wahrscheinlich gerade die Lachtränen in die Augen... aber wir hatten unsere Maschine, mieteten einen zweiten Raum für drumrum, erweiterten das Kollektiv von fünf auf neun Menschen, und konnten von nun an nur von einer Papierfabrik abhängig arbeiten. Die Möglichkeiten erstreckten sich vom Formatpapier über Blocks zu Ringbucheinlagen. Die Heftproduktion gaben wir bei anderen Kollektiven oder Kleinbetrieben in Auftrag. Ja, so toll der Kauf war, er bildete den Grundstock für unsere Finanzmisere. Der Wechsel wurde fällig und mußte ebenfalls in Kleinkredite umgewandelt werden. Eine endlos scheinende Spirale begann sich zu drehen:

Aus den laufenden Einnahmen mußten die Kredite gedeckt und das Papier als Rohmaterial eingekauft werden. Mit laufender Produktion erhöhte sich die Auftragslage. Mehr Arbeitsplätze entstanden, das Kollektiv vergrößerte sich von neun auf vierzehn Menschen Die Lohnkosten stiegen. Ein neues Etablissement wurde fällig. Ein Umzug mußte finanziert werden. Just zu dieser Zeit entschloß sich unser Schweizer Papierlieferant seine Tore auf immer zu schließen. Eine neue Fabrik, die bereit war nach unseren Kriterien zu produzieren wurde gefunden. Fortan hieß unser Papier vup. Leider hatten wir aber noch keinen Warenkredit und mußten immer kurzfristig zahlen! Immerhin das graue Umweltschutzpapier wird langsam salonfähig und somit erweiterte sich unser Kundenkreis. Dadurch mußte unser Angebot qualifizierter und unser Lagerbestand erhöht werden - um fast 100% (in Märkern etwa 70.000 DM). Großaufträge anderer Händler kamen dazu und somit erweiterter Papiereinkauf - ja, und gerade wollen wir wieder drei neue Leute im Kollektiv aufnehmen...

Verliert nicht aus den Augen, alles muß aus den laufenden Einnahmen gedeckt werden! Ein Polster konnte bei unserem Expansionsdrang nicht angelegt werden. Zur Zeit verarbeiten wir etwa 1,5t Umweltschutzpapier pro Tag - ökologisch gesehen ein klar verbuchbarer Erfolg!

Aber wie sieht es mit uns aus?

Ohne vernünftige Finanzierung befinden wir uns seit vier Jahren auf einer Gratwanderung, immer kurz davor umzufallen, in einen Konkurs hinein. Bis jetzt haben wir das Gleichgewicht halten können. Aber was hat uns diese Gratwanderung schon alles an Nerven, Kraft und Schlaf gekostet? Wie viele ungezählte Stunden wurde um Geld geredet? Wie viele persönliche Probleme mußten hintan gestellt werden, um über Finanzen zu reden? Wieviel Kraft hat es immer gekostet, wenn die Genossenschaftsprüfung ergab, daß wir nur 5.000 DM vom Konkurs entfernt waren, uns einigermaßen aufzurichten und immer wieder zu sagen - wir machen weiter, unsere Idee ist mehr wert als Geld, nix und niemand kann sie uns nehmen! Welche Anstrengung war es, Subventionen aus dem Weg zu gehen, weil unsere Idee auch die alternative Wirtschaftlichkeit beinhaltet. Aber genug davon. Wir wollen Lösungen! Wir haben es einfach satt, von der Gunst und den Kriterien der bürgerlichen Banken abhängig zu sein!

Deshalb haben auch wir mit anderen zusammen die Zeit der Projektmesse dafür genutzt sinnvolle Finanzierungen und die Gründung einer eigenen Bank in Angriff zu nehmen.

Wir haben es satt, in einer Nische zu stehen und alle Möglichkeiten, die der Staat für bürgerliche Unternehmen hervorzaubert an uns vorbeilaufen zu sehen. Wir stehen in keiner Nische, sondern unübersehbar mittendrin in „dieser, unserer" Gesellschaft - wie ihr übrigens auch!

Nur, wir haben keine Lust irgendwo mit reinzurutschen, sondern wir sind es inzwischen gewohnt selber zu bestimmen, was wir unter welchen Bedingungen haben wollen. Darum geht es!

Viele Positionen und Abneigungen und Emotionen (jawohl, die auch!) müssen angehört und diskutiert werden. Viel Geduld muß aufgebracht werden, um ein Ergebnis zu finden, daß gemeinsam getragen wird. Und schließlich wird es auch ein Ergebnis geben - weil, wir wollen nämlich alles haben: Ökobank und Hessenknete - aber zu unseren Bedingungen!

Lieber Hans, sag nicht noch mal, daß dies alles nichts inhaltliches sei; und ein großes buntes Sommerfest mit dem Stammtisch aus dem Nachbardorf hätte mich dabei auch nur am Rande amüsiert, lieber Wolfgang!

Doris, Blätterwald

   

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 30. September 2011