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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Mondragon

MONDRAGON:

Beispiel für betriebliche Selbstverwaltung und eigenständige Regionalentwicklung

von Jörg Flecker, Luise Gubitzer und Franz Tödtling

Betriebliche Selbstverwaltung und eigenständige Regionalentwicklung am Beispiel der Genossenschaften von Mondragon

okt8412a.gif (48935 Byte)Im Zuge der wirtschaftlichen Krise und der zunehmenden Arbeitslosigkeit gewinnen betriebliche Selbstverwaltunginitiativen wieder an Bedeutung (vergl. Bundesministerium für Soziale Verwaltung 1983). Neben dem Ziel der innerbetrieblichen Demokratisierung werden dabei vor allem die Ziele der Arbeitsplatzbeschaffung und -sicherung durch die Neugründung von Betrieben oder die Verhinderung von Betriebsstillegungen verfolgt. Auch in der Regionalpolitik fanden in den letzten Jahren lokale und regionale Beschäftigungsinitiativen im Rahmen der Konzeption der ,,eigenständigen Regionalentwicklung" zunehmende Beachtung (vergl. Bundeskanzleramt 1981, Ganser et al. 1981, Stöhr 1981 und 1983).

Der vorliegende Beitrag behandelt die Genossenschaften von Mondragon im spanischen Baskenland als Beispiel betrieblicher Selbstverwaltung und eigenständiger Regionalentwicklung. Den empirischen Hintergrund für diesen Beitrag stellt eine Exkursion ins Baskenland und nach Mondragon dar, die vom Interdisziplinären Institut für Raumordnung der Wirtschaftsuniversität Wien im Herbst 1983 durchgeführt wurde. Die Genossenschaften von Mondragon sind aus mehreren Gründen von Interesse:

Sie gehören zu den wenigen Selbstverwaltungsinitiativen, die innerhalb des marktwirtschaftlichen Systems als industrielle Produktionsgemeinschaft nicht nur überlebt, sondern auch eine kontinuierliche Expansion erfahren haben: Zu diesen Genossenschaften, die 1954 gegründet wurden, gehören heute 160 Betriebe und über 18.000 Beschäftigte.
Im Zusammenhang mit der in den meisten Industrieländern stark zunehmenden Arbeitslosigkeit ist vor allem die Frage von Interesse, von welchen Faktoren diese starke Expansion der Arbeitsplätze bewirkt wurde und wie die Genossenschaften von Mondragon die allgemeine Krisensituation der letzten Jahre bewältigt haben.
Weiter interessiert die Frage, in welchem Maße die Genossenschaften von Mondragon tatsächlich Selbstverwaltungsprinzipien verwirklicht haben oder ob damit eine geringere Entfremdung und höhere Arbeitszufriedenheit verbunden ist als in privaten kapitalistischen Unternehmungen.
Mondragon und das Baskenland sind jedoch auch als Beispiel regionaler Entwicklung interessant, da für die Entstehung und Expansion der Genossenschaften nicht nur innerbetriebliche sondern auch regionale Faktoren eine Rolle gespielt haben. Hier sind etwa die baskische Industrietradition und der lange Kampf des Baskenlandes um politische und wirtschaftliche Eigenständigkeit zu nennen. Zu diesen regionalen Faktoren gehören aber auch einige Organisationsprinzipien der Genossenschaften wie etwa die überbetriebliche Zusammenarbeit und die regionale Vernetzung der Betriebe oder das Ausbildungssystem.

Einzelne dieser Fragen sollen im folgenden diskutiert werden, wobei zuerst die Struktur und Entwicklung der Genossenschaften von Mondragon (1) kurz dargestellt werden. Dann werden die Fragen untersucht, in welcher Weise in Mondragon Selbstverwaltungsprinzipien angewendet werden (2) und wie die Genossenschaften von Mondragon die wirtschaftliche Krise der letzten Jahre bewältigt haben (3). Zuletzt soll auf die oben genannten regionalen Aspekte der Genossenschaften von Mondragon eingegangen werden (4).

MONDRAGON - Die Entwicklung der Genossenschaftsgruppe und ihre gegenwärtige Struktur

Die Entstehung der Genossenschaftsgruppe von Mondragon ist in hohem Maße mit der politischen und wirtschaftlichen Geschichte des Baskenlandes verknüpft. Wesentliche Charakteristika dieser baskischen Entwicklung sind:

eine lange Industriegeschichte (basierend auf Eisenerzvorkommen um Bilbao): Das Baskenland hatte dadurch früher als andere spanische Regionen eine ausgebildete Arbeiterschaft mit politischem Bewußtsein, sowie eine starke ökonomische Position im Vergleich zu anderen spanischen Regionen;
ein starkes politisches und wirtschaftliches Unabhängigkeitsstreben (Nationalismus) und damit im Zusammenhang eine lange Geschichte von Auseinandersetzungen mit dem Zentralstaat, sowie
eine lange Tradition von Nachbarschafts- und Gemeinschaftsstrukturen territorialer Selbstverwaltung auf Dorf-, Gemeinde- und Provinzebene und des Genossenschaftsgedankens.

Die Entstehung der Genossenschaftsgruppe reicht zurück in die Zeit nach dem Bürgerkrieg, in dem die meisten Basken auf der Seite der demokratischen Regierung und damit auf der Seite der Verlierer standen. In der Folge verliert das Baskenland - wie schon unter der Militärdiktatur Primo de Riveras jegliche Autonomie, alles Baskische wird brutal unterdrückt. Als Reaktion darauf verstärkt sich der baskische Nationalismus, der in den 50er Jahren mit der ETA zum bewaffneten Widerstand übergeht. 

Mondragon selbst, eine Kleinstadt im bergigen Inneren des Baskenlandes, war in der Zeit nach dem Bürgerkrieg von einem einzigen Industrieunternehmen, der Union Cerrajera, beherrscht, das für die Jugendlichen der Stadt zu wenig Ausbildungsplätze zur Verfügung stellte.

Jose Maria Arizmendi Arrieta, seit kurzer Zeit Priester in der Gemeinde, gelang es mit Unterstützung der Bevölkerung im Jahre 1943 eine technische Berufsschule zu gründen. Die ersten Absolventen dieser Schule bilden sich zu Ingenieuren weiter und gründeten 1954 die erste Produktionsgenossenschaft ULGOR. 

Sie brachten das notwendige Kapital durch Zuwendungen von Bekannten und Verwandten, baskischen Trinkklubs und der Gemeinde auf und stellten unter Umgehung ausländischer Lizenzrechte Paraffin-Herde und später Öfen her. 

Die Gründung dieser ersten selbstverwalteten Betriebe erfolgte vor dem Hintergrund der grundsätzlich positiven Einstellung des baskischen Arbeiterbewegung gegenüber Genossenschaften. In den Krisenzeiten der 20er Jahre wurden im Baskenland zahlreiche Versuche zur Gründung von Produktivgenossenschaften unternommen. Ein erfolgreiches Beispiel aus der Provinz Guipuzcoa, in der auch Mondragon liegt, ist die Firma ,,Alfa" in Eibar, die 1920 im Anschluß an einen Streik von den Arbeitenden übernommen wurde. Aus der Produktion von Waffen, damals die traditionellen Produkte der Region, wurde später die Produktion von Nähmaschinen. Die Gründer sowie die Arbeiter dieser Genossenschaften waren in überwiegender Zahl Mitglieder der sozialistischen Gewerkschaft UGT. Erst im Bürgerkrieg der 1930er Jahre ging das Experiment ,,Alfa" unter (Larranaga, 1981, S. 43ff). Der unterdrückte, aber nicht gebrochene baskische Nationalismus erleichterte das Anknüpfen an traditionelle kollektive Arbeitsformen, die in ,,Hauzo-Lan", der gemeinsamen Bau- und Reparaturarbeit durch die gesamte Nachbarschaft, und ,,Lorra", der gemeinsamen Erntearbeit, ihre historischen Wurzeln hat (CLP, o.J. (a), S.1). 

Von bescheidenen Anfängen ausgehend - UGOR hatte 1956 nur 24 Beschäftigte - verzeichnete die Gruppe bis heute ein starkes Wachstum. Noch in den 50-er Jahren wurde FAGOR, eine Fabrik für Gasherde, eine Gießerei, die Maschinenfabrik ARRASATE und weitere Genossenschaften gegründet. Aber mit den Betrieben wuchsen auch die Probleme: Die Genossenschaftler waren als ,,Selbständige" von der öffentlichen Sozialversicherung ausgeschlossen und die Finanzierung der Genossenschaften wurde zu einem bestandsgefährdenden Problem. Die zukunftsweisende Lösung wurde in der Gründung eines eigenen Finanzinstitutes, der ,,Caja Laboral Popular" (CLP), gesehen, das außerdem die Versicherung der Genossenschaftler und die Beratung der Betriebe übernahm. Mit der CLP wurde 1960 ein regelrechter Kristallisationspunkt für die Gruppe geschaffen, denn die einzelnen Genossenschaften - sowie alle später gegründeten oder hinzugetretenen schlossen mit ihr einen Vertrag, der ihnen einerseits die Dienste der Bank erschloß, sie andererseits verpflichtete, sich an ihr zu beteiligen, ihr Berichte über den eigenen Geschäftsverlauf zukommen zu lassen und vor allem folgende genossenschaftsinterne Organisationsprinzipien zu akzeptieren: Wie schon bei ULGOR lauteten diese: Arbeitsplatzbeschaffung, Kapital im Eigentum der Arbeitenden, begrenzte Lohnunterschiede, gleichmäßige Gewinnverteilung und demokratische Organisation (CLP, o.J. (a), s. 3 ff). 

Vor dem Hintergrund starken Wirtschaftswachstums aufgrund großer Nachfrage am spanischen Markt und hoher Schutzzölle erlebte die Gruppe in den 60er Jahren eine starke Expansion. So kamen um 1964 pro Jahr durchschnittlich 3 neue Genossenschaften dazu, was die Mitgliederzahl gemeinsam mit dem Ausbau der bestehenden Betriebe bis 1970 auf 8.570 anwachsen ließ. Auch qualitativ ist ein Aufschwung zu verzeichnen: ARRASTE wird zur führenden Maschinenfabrik des Landes und die Produkte der meisten Genossenschaften werden technologisch anspruchsvoller. In zunehmenden Maße werden elektronische Bauteile, hochwertige Maschinenteile, Thermostate, Ventile usw. hergestellt. Ebenfalls in die 60er Jahre fällt eine Veränderung in der Struktur des Gruppe: Im Raum Mondragon schließen sich die Genossenschaften zu einer Art Dachgesellschaft (ULARCO) zusammen, deren Aufbau und Funktion später noch genauer zu schildern sein wird. 

Die 70er Jahre werden von Thomas/Logan (1982) als Phase der Konsolidierung bezeichnet, in der zwar anfangs das Wachstum fortgesetzt werden konnte später aber auf die Krise, von der die Gruppe erst um 1980 betroffen war, reagiert werden mußte. Heute stellt die Genossenschaftsgruppe mit über 160 Betrieben und etwa 18.800 Mitgliedern einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor des Baskenlandes dar.

Die Struktur der Gruppe

Ende 1982 bestand die ,,Mondragongruppe" aus 160 Genossenschaften, die sich folgendermaßen auf einzelne Wirtschaftssektoren verteilen:

88 Industrie (davon 7 Gießereien und Schmieden, 25 Produktionsgüterbetriebe, 31 Maschinenteil- und Halbfertigproduktionen, 20 Produktion dauerhafter Konsumgüter, 5 Baubetriebe)

7 Landwirtschaft

1 Konsumgenossenschaft

44 Erziehung

14 Wohnbau

6 Dienstleistungen 

Als Ursache für das Überwiegen der Industrieproduktion werden einerseits die Wirtschaftsstruktur des Baskenlandes und andererseits die bewußte Ausrichtung auf produktive, mehrwertschaffende Aktivjtäten genannt (CLP, o.J. (a), S. 10). Der Umsatz der Industrie-, Landwirtschafts- und Konsumgenossenschaften erreichte 1982 zusammen rund 1,7 Mrd. DM der Exportanteil betrug 32 %. 

Alle angeführten Genossenschaften sind Mitglieder der 4 deshalb sogenannten Genossenschaften 2. Grades: der Bank, Caja Laboral Popular, der Sozialversicherung Lagun-Aro, der Schule Eskola Politeknikoa und das Forschungszentrum IKERLAN; sie stellten mit ihren Repräsentanten die Mehrheit in deren Hauptversammlungen.

 Caja Laboral Popular (CLP):

Die CLP besteht aus einer Abteilung, die für sämtliche Bankgeschäfte zuständig ist, und einer ,,Unternehmensabteilung", die die Förderung, Beratung und Prüfung der Genossenschaften zur Aufgabe hat. Die ,,Division Bancaria" bildet mit 135 Filialen und über 522.000 Kundenkonten (wobei allein im Jahre 1982 35.270 dazugekommen sind) sowie einer Einlagensumme von 79,3 Mrd. pts (rund 1,4 Mrd. DM) die viertgrößte Sparkassenbank des Baskenlandes (Geschäftsbericht der CLP 1982). Damit erfüllt die CLP das Ziel, die - verglichen mit anderen Regionen Spaniens - sehr starke Spartätigkeit des Baskenlandes (Sparquote von 21,1%) den Genossenschaften in Form von Krediten zugute kommen zu lassen. 

Die ,,Division Empresarial" bietet den Genossenschaften technische und betriebswirtschaftliche Beratung und stellt so die Verbindung zwischen der CLP und den Genossenschaftsbetrieben her. Damit werden, zwei Ziele gleichzeitig verfolgt: Einerseits werden die Sicherheiten der Kredite der CLP verbessert und andererseits die Konsolidierung und Entwicklung der Gruppe gefördert. 

Die allgemeinen Ziele dieser Abteilung werden von der CLP wie folgt beschrieben:

Promotion: Gründung und Aufbau neuer genossenschaftlicher Betriebe, die zur Entwicklung strukturschwacher Gebiete und bisher schwach entwickelter Sektoren im Baskenland beitragen.
Beratung: Unterstützung der Entwicklung der Genossenschaften durch eine kontinuierliche und enge Zusammenarbeit in technischen, wirtschaftlichen, sozialen Angelegenheiten sowie in Geschäftsführungsfragen.

Information: Versehen der Leiter der Genossenschaften bzw. der Genossenschaftsgruppen mit genauer Information über die eigene Genossenschaft bzw. Gruppe sowie über den Wirtschaftssektor, in dem sie tätig ist, um eine homogenere Geschäftsführung zu erreichen. (CLP, o.J.(a), s. 3).

In 7 Bereichen der Abteilung (nämlich Studien, Förderung der Landwirtschaft, Förderung der Industrie, Intervention, Beratung, Berichtswesen und Information, Städte- und Wohnbau) sind 110 Personen mit zumeist hoher Qualifikation beschäftigt. Neben vielfältigen Studien- und Förderungsaktivitäten werden Beratungen auf den Gebieten Marketing, Export, Finanzen, Recht, Technik usw. durchgeführt und die monatlichen Berichte aus den Genossenschaften geprüft. Bei Genossenschaften, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, greift das ,,area de intervencion" (Interventionsabteilung) direkt in die Geschäftsführung ein und übernimmt dadurch das Krisenmanagement. Im Studienbereich werden nicht nur gruppeninterne Fragen behandelt, sondern regelmäßig umfangreiche makroökonomische Untersuchungen über das Baskenland durchgeführt und veröffentlicht.

Lagun Aro:

Die Versicherungsanstalt ,,Lagun-Aro" wurde 1973 aus der CLP ausgegliedert und ebenso als Genossenschaft 2. Grades organisiert, d.h. ihre Mitglieder sind die Genossenschaften der Gruppe. Samt den Familienangehörigen der Genossenschafter/innen hatte ,,Lagun-Aro" Ende 1982 rund 47.700 Versicherte. Intern ist ,,Lagun-Aro" in einen Sozialversicherungsbereich und einen betriebsmedizinischen Bereich untergliedert. Die soziale Vorsorge umfaßt die Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung. Die Beiträge der Genossenschafter/innen setzen sich aus einer fixen Quote von 197,- DM (1983) pro Monat und einer variablen, d.h. einkommensabhängigen Quote zusammen (1), die getrennt zur Dotierung unterschiedlicher Leistungen herangezogen werden. ,,Lagun-Aro" verfügt über eigene Verträge mit Ärzten, der Selbstbehalt, den die Genossenschafter/innen bei diesen selbst zahlen müssen, beträgt 20%. Im Krankheitsfall werden 80% des Gehaltes weiter bezahlt, nur bei Erkrankungen aus Berufsgründen und bei einer Krankheitsdauer von über 2 Monaten werden 100% des Gehaltes ausbezahlt. Der betriebsmedizinische Dienst umfaßt Untersuchungen und Behandlungen, klinische Laborberichte und psychische Behandlungen sowie der Erhöhung der Sicherheit am Arbeitsplatz.

Ikerlan:

Das Technologieforschungszentrum ,,Ikerlan" wurde 1977 mit dem Ziel gegründet, die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Genossenschaften zusammenzufassen und voranzutreiben, um zum Zweck höherer Wettbewerbsfähigkeit technologische Autonomie zu erreichen. Dafür werden auf den Gebieten Elektronik, Mechanik, Informationstechnologie und Produktionssysteme Neuentwicklungen erarbeitet, ihre Anwendung in der Produktion gefördert und die Ergebnisse auch zu ihrer besten Verwertung an Dritte verkauft (CLP, o.J. (a), 5.27).

Eskola Politeknikoa

Die technische Berufsschule ,,Jose Maria Arizmendi Arriata Eskola Politeknikoa" in Mondragon ist die älteste Einrichtung der Gruppe und heute ebenfalls als Genossenschaft 2. Grades organisiert. Ihre Haupt versammlung setzt sich zu 1/3 aus Lehrern, zu 1/3 aus Schülern und Eltern und zu 1/3 aus Vertretern der Genossenschaften und der Gemeinde zusammen. Die ,,Eskola" bietet ihren 1.200 Schülerinnen (13%) und Schülern Berufsschulabschlüsse 1. und 2. Grades, Matura besonders für Ingenieurstudien und eine Ingenieurausbildung auf Universitätsniveau. Ab der Berufsschule 2. Grades besteht die Möglichkeit in die 1966 gegründete Schülergenossenschaft ,,Alecoop" einzutreten, in der zur Zeit 450 Schüler und Studenten Halbtags beschäftigt sind.

80% der Absolventen der ,,Eskola" treten in die Genossenschaften ein, wo besonders für qualifizierte Arbeitskräfte bisher immer ein Bedarf bestand. Für die schon im Arbeitsprozeß stehenden Genossenschafter/innen werden im Rahmen der permanenten Erwachsenenbildung Kurse abgehalten, deren Dauer zwischen einigen Monaten und 5 Jahren variiert und die an den Erfordernissen der Genossenschaften ausgerichtet sind. Die Finanzierung der ,,Eskola Politeknikoa" erfolgt zu 45% durch die baskische Regierung, 35% müssen die Schüler selbst aufbringen und 20% der Mittel kommen von den Genossenschaften und der Gemeinde.

Genossenschaftsgruppen:

Die Genossenschaften sind nicht nur über die Genossenschaften 2. Grades - besonders die CLP - miteinander verbunden. Es wurde und werden in zunehmendem Maße direkte Zusammenschlüsse zu ,,Dachgesellschaften" vorgenommen, um gemeinsame Einrichtungen für diverse Dienste zu schaffen, Skalenerträge zu nützen und die Vereinheitlichung interner Normen zu erreichen (CLP, 1979, S.7). Die Bildung von Genossenschaftsgruppen erfolgte entweder durch regionale (,,grupos sociales") oder branchenweise (,,grupos industriales") Zusammenfassung einzelner Genossenschaften. Die 12 ,,grupos sociales" haben vor allem die Aufgabe, die Nettoüberschüsse der einzelnen Betriebe gleichmäßig auf alle Genossenschafter/innen der Gruppe zu verteilen. Dafür wird von jedem Betrieb der Nettoüberschuß abzüglich der Dotierung der Sozial- und Reservefonds (insgesamt mindestens 30%) beispielsweise an ULARCO, die ,,grupo social" in Mondragon selbst, abgeführt. Danach wird der ,,aggregierte" Gewinn von ULARCO gleichmäßig auf alle 6.500 Genossenschafter/innen verteilt, d.h. auch auf jene, deren Betrieb in der jeweiligen Periode einen Verlust erlitten hat. Im Fall von Arbeitsplatzverlusten in einem Betrieb muß in einem anderen Betrieb der ,,grupo social" die entsprechende Anzahl von Arbeitsplätzen für die Betroffenen gefunden werden, da Kündigungen nicht möglich sind. Weitere Prinzipien der ,,grupos sociales" sind die Bevorzugung der anderen Gruppenmitglieder bei Einkäufen, falls gleiche Qualität und gleicher Preis gesichert sind, die Vermeidung offener oder versteckter Konkurrenz untereinander und die Einrichtung von sozialen Diensten (CLP, o.J. (b), S.9).

Die ,,grupos industriales" fassen Genossenschaften mit gleichen oder ähnlichen Produkten zusammen, um Vorteile im Einkauf, in der Produktion, im Vertrieb und in der Technologie daraus zu ziehen. Konkret geht es dabei um die Vervollständigung der Vertriebsnetze und der Exportbemühungen, die Technologieplanung auf der Basis gemeinsamer Investitionspläne, wobei sowohl von Ikerlan als auch von ,,Technologietansfers" zwischen den Genossenschaften` profitiert wird (CLP, o.J. (b), S19; CLP, o.J. (b), S.L~f). Während die regionalen Vernetzungen, also die ,,grupos sociales", weitgehend etabliert sind (ULARCO wurde bereits 1964 gegründet) ist die branchenweise Integration zu ,,grupos industriales" noch im Aufbau begriffen.

Interne Organisation der Genossenschaften:

Im Assoziationsvertrag zwischen einem Betrieb und der CLP wird nicht nur die Teilnahme an der Gruppe vereinbart, sondern auch konkrete Bestimmungen bezüglich der internen Organisation festgelegt. Dadurch hat jede Genossenschaft der Gruppe ungefähr jene Struktur, die die Begründer der ersten Genossenschaften für ihre Betriebe entworfen haben, um demokratische Prinzipien zu verwirklichen.

Mit einer Kapitaleinlage von etwa 11.340.- DM, die beim Eintritt zu mindestens 1/4 zu erlegen ist, ist jedes Mitglied an seinem Betrieb beteiligt. Es ist ausgeschlossen, Kapital zur Verfügung zu stellen und daraus Einkommen zu erzielen, ohne im Betrieb zu arbeiten. Genauso verhindern die Statuten reine Lohnarbeit, d.h. niemand ist - mit wenigen zeitlich beschränkten Ausnahmen in den Genossenschaften beschäftigt, ohne Miteigentümer zu sein. Die Kapitaleinlage wird einem individuellen Kapitalkonto gutgeschrieben und kann - durch Verzinsung und Gewinnzuschreibung vermehrt und durch Verlustzuschreibung verringert - erst mit dem Ausscheiden aus dem Betrieb wieder behoben werden. Selbst dann wird noch etwa 1/6 der Einlage als sogenannte verlorene Einzahlung einbehalten. Das monatliche Einkommen der Genossenschafter/innen stellt formal betrachtet eine Gewinnvorauszahlung dar und bemißt sich nach einem für jeden Arbeitsplatz Index. Die Unterschiede in der Bezahlung sind auf ein Verhältnis von maximal 1:3 (in Sonderfällen) kurzfristig bis 4.5)begrenzt. Dabei entspricht dem Index 1 ein Betrag von rund 790,- DM und dem Index 3 entsprechend 2.370,- DM. Die unteren Einkommenskategorien (Index 1 bis 1,6) sind an den Lohnhöhen in der übrigen baskischen Wirtschaft orientiert, während die Einkommen im Bereich der Indizes 1,6 bis 2 um 10% und im Bereich 2 bis 3 um 40% unter den Gehältern für vergleichbare Arbeitsplätze in kapitalistischen Unternehmungen liegen.

Entscheidungsstruktur

Alle Mitglieder einer Genossenschaft haben Sitz und Stimme in der Hauptversammlung, die mindestens einmal jährlich zusammen tritt. Ihr obliegt die Wahl des Vorstandes, des Kontrollrates, die Entscheidung über Kapitalzufuhr, Veränderung interner Regeln, die Abnahme der Bilanz u.ä. Der Aufsichtsrat, dessen Mitglieder für jeweils 4 Jahre gewählt werden und der alle 2 Jahre zur Hälfte ausgewechselt oder wiedergewählt wird, bestimmt das Management (meist einen Direktor) für mindestens 4 Jahre. Der Direktor bzw. das Management sind mit der Führung des Betriebes betraut. Von den Genossenschafter/innen werden abteilungsweise Vertreter für den Sozialrat gewählt, der gegenüber dem Direktor bzw. dem Management die Interessen der „Basis" wahrzunehmen hat. Ein Managementrat der einzelnen Abteilungen ist als beratendes Organ neben Vorstand und Direktor (Management) eingerichtet.

Formale und reale Selbstverwaltung der Genossenschaften von Mondragon

Konzeptueller Einstieg 

Im Rahmen der Selbstverwaltungsdiskussion sind u.a. zwei Themenbereiche von Interesse:

Selbstverwaltung als innere Organisationsform eines Betriebes und
die ökonomischen Ergebnisse eines selbstverwalteten Wirtschaftssystems (z.B. Jugoslawien) oder von Selbstverwaltungsbetrieben innerhalb einer gemischten Wirtschaft (Vaneck, 1975, s. 12ff).

In dem vorliegenden Artikel wird der zweite Themenbereich nur im Zusammenhang mit der Krisenbewältigung der Mondragongruppe analysiert. 

Selbstverwaltung als innere Organisation wurde historisch immer von denen festgelegt, die in dieser Art zusammenarbeiten wollten. Es gelten bei der Selbstverwaltung eines Betriebes also immer Prinzipien, die sich die einzelne Gruppen nach ihren Zielsetzungen, Erfahrungen, Rahmenbedingungen wie z.B. Region, Ideologie selbst gaben und die sich daher auch mehr oder weniger voneinander unterscheiden. Dabei gibt es 2 grundlegende Normen die die Basis aller Selbstverwaltungsversuche darstellen: Die Veränderung der Eigentumsverhältnisse in Richtung Kollektivierung sowie Demokratie im Arbeitsleben und Selbstbestimmung der Arbeitenden. Aus diesen Normen, die an die Stelle der Maximierung und privaten Aneignung des Gewinns treten, lassen sich verschiedene Kataloge von Prinzipien ableiten, die ihre Erreichung bzw. ihre Einhaltung sicherstellen sollen. Erst 1971 kam es erstmals zu einer genaueren theoretischen Ausformulierung solcher Ziele durch Vanek. Dabei definiert nicht eine Gruppe von Menschen, die einen selbstverwalteten Betrieb gründen will, programmatisch die Prinzipien, sondern ein Theoretiker postuliert, welche „Merkmale" vorliegen müssen, damit es sich um einen selbstverwalteten Betrieb handelt. Um die Prinzipien der Mondragongruppe einordnen zu können, sind in der Darstellung  einige Beispiele zusammengestellt. (2) 

Wie aus der Darstellung ersichtlich, sind das Solidaritätsprinzip, das Identitätsprinzip und das Demokratieprinzip grundlegend für jede Genossenschaft, wobei allerdings unterschiedliche Ausformungen dieser Prinzipien möglich sind. Große Unterschiede gibt es vor allem beim Identitätsprinzip, welches auf die Besitzverhältnisse abstellt. Während bei den Pionieren von Rochdale eine vollkommene Neutralisierung des Kapitals (3) vorliegt, können bei Vaneck auch Nicht-Genossenschaftsmitglieder Anteile besitzen, jedoch haben diese keinerlei Aufsichtsrecht, solange die Arbeitsgemeinschaft ihren Verpflichtungen und dem Schuldendienst nachkommt" (Vaneck, 1975, S.20). Das Solidaritätsprinzip bezieht sich auf die Verteilung der Überschüsse, die sich in regelungen bzgl. Einkommensverteilung, Ausschüttungsmöglichkeiten bzw. -quoten, Anlegen von Fonds und Verzinsung von Anteilen niedergeschlagen. Das Demokratieprinzip regelt die Mitbestimmungsmöglichkeiten der einzelnen Genossenschaftler, wobei diese nach Vaneck ,,ausnahmslos von der aktiven Mitarbeit im Unternehmen" abhängig sein soll (Vaneck. 1975. 5. 18f).

Formale Selbstverwaltung in den Genossenschaften von Mondragon

Die Gründungsgeneration der Genossenschaften von Mondragon hat Grundsätze entwickelt, die sich zu drei Prinzipien zusammenfassen lassen: 

Das Identitätsprinzip

Das Identitätsprinzip legt fest, daß alle Arbeitenden auch Genossenschaftsmitglieder sein müssen und daß alle am Kapital der Genossenschaften Beteiligten in den Genossenschaften arbeiten müssen. Jedes Genossenschaftsmitglied bringt bei seinem Eintritt eine Einlage in die Genossenschaft ein, die mit einem festen Zinssatz von 6% (Thomas & Logan, 1982, S. 155) verzinst wird und der individuelle Gewinnanteile zugeschrieben werden. Das Kapital der Genossenschaften ist so im Eigentum der Mitglieder. Eine Neutralisierung des Kapitals ist dadurch gegeben, daß über die Einlagen erst beim Austritt verfügt werden kann, sowie bezüglich jener Quoten, die den kollektiven Konten gutgeschrieben werden. Tatsächliche Neutralisierung ist nur im Ausmaß der sogenannten „verlorenen Einzahlung" von max. 25% der Einlage (Thomas/ Logan, 1982, S. 24) verwirklicht, denn nur diese bleibt bei Ausscheiden eines Mitgliedes als kollektives Eigentum im Betrieb. Der Gewinn einer Genossenschaft wird höchstens zu 70% auf die individuellen Konten verteilt, 10% werden jährlich in einen Sozialfonds eingezahlt. Mindestens 20% werden einem kollektiven Rücklagenkonto für Investitionen, Sozialausgaben, Verlustabdeckung und ähnliches gutgeschrieben. In den ersten Jahren nach der Neugründung einer Genossenschaft und bei hohen Gewinnen können die Gutschriften auf die individuellen Konten verringert werden. Die Zuschreibung zu den individuellen Konten erfolgt nicht nach dem dort angesammelten Kapitalanteil aber auch nicht gleichmäßig auf alle Genossenschaftler: Der Nettoüberschuß wird im gleichen Verhältnis wie das Einkommen verteilt (Thomas/Logan, 1982, S. 154f).

Das demokratische Prinzip

Die Teilnahme aller Mitglieder an den Entscheidungen in der Genossenschaft erfolgt hauptsächlich in der Hauptversammlung, in der alle Sitz und Stimme haben, wobei pro Kopf eine Stimme gegeben ist. 

Die Hauptversammlung tritt mindestens einmal jährlich zusammen, um über Investitionen, Kapitalzufuhr und ähnliches zu entscheiden und um der Bilanz zuzustimmen. Sie kann weiter die Höhe der Kapitaleinlage neuer Mitglieder festlegen und über interne Regeln entscheiden. In der Hauptversammlung wird der Aufsichtsrat für vier Jahre gewählt, wobei die Hälfte des Aufsichtsrates, der aus 3 bis 12 Personen bestehen kann, alle zwei Jahre erneuert oder wieder gewählt wird. Diesem Gremium ist die von ihr bestellte Direktion, meistens aus einer Person bestehend, verantwortlich. Damit hat die Hauptversammlung nur indirekten Einfluß auf den Direktor, der die täglichen Entscheidungen trifft. 

Die direkte Vertretung der Arbeiterinteressen wird vom sogenannten Sozialrat wahrgenommen, der aus direkt gewählten Vertretern der einzelnen Abteilungen zusammen gesetzt ist. Neben seiner beratenden Funktion in allen Aspekten des Personalwesens hat der Sozialrat die Kompetenz in Fragen der Unfallverhütung, Arbeitshygiene und -sicherheit, Sozialversicherung, Lohnhöhe, Verwaltung von Sozialfonds usw. bindende Entscheidungen zu treffen (Thomas/Logan, 1982, S. 66 und 68). Eine weitere wichtige Funktion des Sozialrates ist es, den Informationsfluß zu den Arbeitenden sicherzustellen, sowie den Informationsfluß vom Aufsichtsrat zu den übrigen Organen und zwischen den einzelnen Genossenschaftlern (Thomas/Logan, 1982, S. 191). 

Das Solidaritätsprinzip 

Das Solidaritätsprinzip findet auf der Mitgliederebene im maximalen Lohnverhältnis von 1:3 und im Grundsatz der Arbeitsplatzschaffung seinen Ausdruck. Auf der Ebene der Genossenschaften ist die Solidarität durch die Einrichtung von Genossenschaftsgruppen (grupos sociales und grupos industriales) verwirklicht. Der Umverteilung von Gewinnen und Verlusten innerhalb dieser Gruppen vermindert das individuelle Risiko. 

Reale Selbstverwaltung in den Genossenschaften

Im folgenden werden Aspekte der Demokratie- und des Solidaritätsprinzips diskutiert, das Identitätsprinzip (Identität von Kapital und Arbeit) wird im Abschnitt 3 (Mondragon und Krise) noch ausgeführt.

Die Hauptversammlungen sind stark besucht, im Durchschnitt nehmen 80% der Mitglieder an ihnen teil. Bei bestimmten Entscheidungen ist die Stimmabgabe verpflichtend. Die tatsächliche Entscheidungsmacht liegt aber in vielen Fällen bei den Mitgliedern des Aufsichtsrates, und Mitgliedern, die aufgrund ihres Informationsvorsprungs kaum angreifbar sind und häufig auf Abstimmung verzichten. Reges Interesse und lebhafte Diskussionen gibt es fast nur in Geldfragen wie z.B. Kapitalzufuhr und Lohnhöhe. Durch die Kompetenzverteilung im Betrieb sind Anträge von Arbeitern nicht so fundiert wie solche vom Management, wodurch ihre Realisierbarkeit leichter in Frage gestellt werden kann. Nach Auskunft von Genossenschaftsmitgliedern wurden beispielsweise Vorschläge zur Veränderung der Arbeitsorganisation mit dem Hinweis auf Geldmangel abgelehnt. 

Die in den Statuten vorgesehene Möglichkeit zur Abwahl von Aufsichtsratsmitgliedern wird zwar selten genützt, wurde aber schon einige male ergriffen. Das zeigt, daß der Aufsichtsrat der Hauptversammlung nicht nur formal, sondern tatsächlich verantwortlich ist. Für die Abwahl eines Direktors müssen wichtige Gründe vorliegen, denn dieser wird nicht direkt von der Hauptversammlung bestellt. Weitere Ursachen für die Probleme in der Mitbestimmung liegen in der Größe mancher Genossenschaften, wie z.B. ULGOR mit über 3.000 Mitgliedern oder Fagor mit über 1.600 Genossenschaftlern. Beklagt wird auch das fehlende Engagement vieler Genossenschaftler: besonders bei den jüngeren Mitgliedern herrsche eine rein instrumentelle Arbeitseinstellung vor (II-EP., 1983). 

Die Politechnische Schule ist auch als Instanz gedacht, die den jungen Menschen kooperative Einstellung und Engagement in der Selbstverwaltung vermitteln soll und sie ist daher als Genossenschaft mit Mitbestimmungsrecht der Schüler konzipiert. Tatsächlich sehen sich die Schüler bzw. ihre Vertreter in Hauptversammlung und Direktionsrat jedoch meist einer Koalition von Lehrern und Vertretern der Genossenschaft gegenüber, die gemeinsam über zwei Drittel der Stimmen verfügen. Hinzu kommt eine relativ starke Selektion: von 250 Schulanfängern bleiben nach dem ersten Abschnitt 150 übrig, was auf einen gewissen Leistungsdruck schließen läßt (vergl. IIr-EP., 1983, S. 53). In Alecoop, der Genossenschaft der Schüler und Studenten, werden die leitenden Funktionen von permanent dort beschäftigten Personen ausgeübt, während die wechselnden und halbtagsbeschäftigten Schüler und Studenten nur ausführende Tätigkeiten übertragen bekommen. 

Die Selbstbestimmung der Mitglieder einer Genossenschaft dürfte - besonders in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten - durch den Einfluß der CLP gemindert sein, den diese durch ihre Beratungs- und Kontrollfunktionen, wie sie im Assoziationsvertrag vorgesehen sind, ausübt.

Durch die Notwendigkeit am internationalen Markt zu bestehen ist für die Genossenschaften Wettbewerbsfähigkeit sehr wichtig. Das drückt sich auch in der Arbeitsorganisation aus, die durch traditionelle Methoden geprägt ist. In der Haushaltsgeräteproduktion von Fagor fanden wir Fließbänder vor, und auch die Frauen in der Herstellung elektronischer Komponenten müssen sich nach den beschlossenen Sollvorgaben richten. 

Eine weitere Auswirkung der Selbstverwaltung ist die starke Betonung der Sicherheit und der Hygiene am Arbeitsplatz, die durch ständige Kontrolle des betriebsmedizinischen Dienstes Lagun Aro und durch das Weisungsrecht des Sozialrates gewährleistet sind. Auch die psychische Komponente findet am Arbeitsplatz stärkere Berücksichtigung. Im Gegensatz zu den privatkapitalistischen Betrieben, deren Eigentümer nach Aussagen der Unternehmervereinigung Confebask noch stark in der Zeit der Diktatur verhaftet sind, haben die Genossenschaften ein menschliches Arbeitsklima. Das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen ist weniger patriarchalisch, sondern eher kooperativ (IIR-EP, 1983, S. 10ff). Ausdruck des humaneren Klimas ist die niedrige Fluktuation und die hohe Motivation wie einige Untersuchungen zeigen (Logan) sowie eine niedrige Absentismusrate. 

Zusammenfassend ist festzustellen, daß durch die völlige Einbindung in die kapitalistisch organisierte Marktwirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit ein wesentliches Orientierungsmuster ist. Daher ist im Arbeitstempo, Produktivitätsstreben, Arbeitsorganisation und Arbeitszeit wenig Unterschied zu einem privatkapitalistischen Unternehmen zu sehen. Auch das Produktionsprogramm ist vor allem durch ,,Gewinnkriterien" bestimmt. Durch die gleichmäßige Verteilung der Überschüsse und das Fehlen von Gewinnabflüssen sowie die geringen Einkommensunterschiede kommen den Arbeitenden die Anstrengungen direkt zugute. Darin liegt ein wesentliches motivierendes Element.

Ist damit der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit im Marx`schen Sinne aufgehoben? 

Formal ist der Gegensatz in der Mondragon Gruppe dadurch überwunden, daß es keine Kapitalisten und keine Lohnabhängigen mehr gibt, sondern die Genossenschaftler, eine ,,Personalunion" aus beiden darstellen. Die Produktionsfaktoren, Kapital und Arbeit bleiben jedoch getrennt und können gegensätzliche Interessen bewirken, wobei das Kapitalinteresse in der Form eines Gesamtinteresses der Genossenschaft erscheint. Die Einbettung in die Marktwirtschaft erzwingt nämlich einen rentablen Kapitaleinsatz, was in Krisenzeiten auf Kosten des Faktors Arbeit gehen kann. 

 

(1) Diese Beiträge sind nicht mit dem Arbeitnehmerbeitrag vergleichbar, da hier Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil enthalten sind.
(2) Die Auswahl erfolgte nach den Kriterien weiteste und engste Orientierung, theoretischer und praktischer Ansatz und Bezug zu Österreich. Weiter wurden nur Selbstverwaltungsmodelle im Rahmen einer gemischten Wirtschaft herangezogen.
(3) Neutralisierung des Kapitals heißt, daß keine Möglichkeit zur persönlichen konsumtiven Nutzung des Kapitals bzw. der Kapitalanteile besteht. Das Kapital steht also nur zur kollektiven, intensiven Nutzung zur Verfügung.

 

 

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Stand: 30. September 2011